Seit 41 Jahren hat Hallau einen Skilift. Doch was, wenn der Schnee ausbleibt?
Heute, würde der Stammtisch sagen, regnet es nur ein Mal. Und zwar mehr von der Seite als von oben. Es ist Sonntag, der 2. 2. 2020, und während draussen ein paar vermummte und vergrämte Hündelerinnen mit ihren Hunden einsame Kreise ziehen, bestellt Chrigel Näf im warmen Egg-Beizli gut gelaunt noch einen Kafi Luz.
Ein paar Tage zuvor sassen wir in der Redaktionsstube und lasen im Klettgauer Boten, das Beizli beim Skilift Hallau sei während der Sportferien auch dieses Jahr wieder jeden Tag geöffnet. Wir lasen von Mittagstischen und Fondue-Pläuschen. Dann lasen wir den Wetterbericht: 12,5 Grad.
Der Skilift am Nordhang des Hallauer Bergs ist eine Institution. Im letzten Winter feierte man 40 Jahre. Noch früher tännelte man den Berg hinauf und raste auf zwei Fassdauben wieder hinunter. Dann, 1979, fasste sich Chrigel Näf ein Herz, fand einen grosszügigen Spender und wagte sich an einen lang gehegten Traum. Seither werden in Hallau jeden November Stahlseile und Winden verlegt, Sicherheitsfahnen aufgestellt, Motoren installiert und Schichtpläne geschrieben. Im März wird die Stellage dann wieder zusammengepackt. Das ganze Dorf hat hier Skifahren gelernt. Doch die Zukunft, sie sieht nicht gut aus.
Ein Skilift auf 520 Metern über Meer ist heute ein tragischer Anachronismus. Die Klimakrise kann Polkappen schmelzen; den Hallauer Puderzucker nimmt sie zum Frühstück.
Als wir also in der Redaktionsstube sassen, den Klettgauer und dann den Wetterbericht lasen, stellte sich die Frage: Warum tun sich die Hallauer das immer noch an? Wieso bauen sie jedes Jahr diesen Skilift auf und öffnen täglich das Beizli, wenn es dann doch den ganzen Winter nicht schneit? Die Opfertshofer sind da konsequenter. Bleibt der Schnee aus, ist beim Skilift Stich tote Hose. «Auf unserer Homepage werden Sie immer aktuell über den Stand der Dinge informiert», kann man dort unter der Rubrik «News» lesen. Der Eintrag datiert vom Winter 2018.
Wir wollen wissen, woher er kommt, der grenzenlose Hallauer Optimismus. Auf also ins Chläggi.
Eine Hunderternote pro Samstag
Öffnet man am frühen Sonntagnachmittag die Türe des Egg-Beizli, wird man von einer warmen Wohligkeit umhüllt. Die Tische sind alle besetzt, doch setzt man sich dazu, kommt man gleich ins Gespräch. Man müsse den Rüeblichueche probieren, wird einem geraten, und die Suppe, ein Pot-au-feu, die Karin koche ihn schon am Vortag ein, dann könne er über Nacht wunderbar durchziehen.
Die Karin, immer wieder die Karin. Kaum ein Gespräch hier streift nicht irgendwann die gute Seele des Hauses. Warum es den Skilift und das Beizli immer noch gebe? Wegen der Karin.
Karin Walther übernahm vor 12 Jahren. Früher war hier offen nach Lust und Kundschaft. Als Karin kam, machte sie gleich zu Beginn eine Ansage. «Ich ha gsaat, am Sunntig isch s Beizli vo 11 bis 5 bsetzt.»
Seither ist die Kundschaft immer da. Und die Lust auch. Iigsässni, Wanderinnen, Spaziergänger. Der Ort sei eben gut gelegen, gerade für einen Ausflug mit den Kindern. Eine halbe Stunde vom Dorf. Dann gibt es eine heissi Schoggi oder ein Spezli für 3.50, die Kinder bekommen für einen Einfränkler einen Becher Sirup. Abwerfen muss das Beizli nichts. «An einem Samstagnachmittag nehme ich vielleicht eine Hunderternote ein.» Die Karin verdient symbolisch, daneben arbeitet sie bei Kellers in der Winzerstube, aber da ist im Winter nicht viel los. Das Beizli soll einfach ein wenig den Lift quersubventionieren, der offiziell von einem breit abgestützten Trägerverein aus zwei Dutzend Hallauer Familien betrieben wird.
Auf die Frage, ob man heuer noch Ski fahren könne, antwortet die Karin wie aus der Schneekanone geschossen: «Nein.»
Bezahlung: eine Wurst und ein Bier
Sitzt man vor einem Teller wirklich gutem Pot-au-feu und gönnt sich ein Gläsli Hallauer rot, vergisst man gern, dass da draussen noch ein Skilift steht. Dabei gibt es das Beizli ja nur wegen ihm. Wie das eigentlich angefangen habe? «Fragen Sie mal ihn hier, den Chrigel, der ist von Anfang an dabei», sagt Karin Walther.
Chrigel Näf, Jahrgang ’48, erzählt gern und gut. Wie man nach der ersten Saison gemerkt habe, dass es ein Billetthüsli brauche, damit die Freiwilligen, die Tageskarten verkaufen (heute für 8 Franken), nicht schutzlos im Schnee stehen müssen. Wie irgendwann der Skilift in Beggingen dichtgemacht habe und man die Baracke abzügeln konnte. Wie man ans erste «Pistenfahrzeug» gekommen sei und drei weitere folgten. Warum der Hang noch im Einflussgebiet des Schwarzwalds liege und wie das den Schneefall beeinflusse («es schneit hier eigentlich viel»). Wie vor elf Jahren für 210 000 Franken das neue, unterkellerte Egg-Beizli gebaut wurde, das in der Region seinesgleichen sucht.
Vis-à-vis von Chrigel Näf sitzt Sebastian Rey vom Weinbaumuseum, eineinhalb Generationen jünger als Chrigel Näf, aber nicht minder engagiert. Er ist Stromer und erzählt anhand einer kleinen Episode, wie der Ort hier funktioniert: Als man das neue Beizli bauen wollte, sei der Chrigel eines Tages in seiner Bude gestanden und habe gesagt: «Ich brauche alle eure Elektriker.» Also sind sie gekommen, alle. Bezahlt wurden sie mit einem Harass Bier und einer Wurst pro Nase. Und alle waren zufrieden.
Chrigel, würde das Beizli eigentlich auch funktionieren, wenn es den Skilift nicht mehr gäbe? «Ja.»
Warum baut ihr ihn dann überhaupt noch auf?
Die beste Antwort auf diese Frage kommt, etwas überraschend, vom Nebentisch. Dort sitzen nur Männer, sie reden etwas lauter, sie trinken etwas schneller und lassen auch mal einen noch knapp ironischen Spruch über die «Sozis» fallen. Zuerst sagen sie zur Karin, sie solle diesem Journi aus der Stadt ja nicht alles erzählen. Dann fangen sie selber an zu reden.
«Warum wir den Lift aufbauen, obwohl es nicht schneit? Das wissen wir im November ja noch nicht.» Touché.
Dieser Skilift, er ist längst zum Ritual geworden. Und als solchem kann ihm die Klimakrise auch nichts mehr anhaben. Das haben sie klug gemacht, die Hallauer; die Karin, der Chrigel, der Sebastian und all die anderen. So einen Skilift wünscht man jedem Dorf. Auch wenn er den ganzen Winter keine einzige Skifahrerin auf den Berg zieht.