Weil sich die Stimmenzähler im Kantonsrat verzählt haben, wurde die Einführung des Verordnungsvetos fälschlicherweise gar nicht erst behandelt. Trotz Videobeweis ist der Entscheid rechtskräftig.
23 Kantonsräte erhoben sich am vergangenen Montag von ihren Sitzen, als Ratspräsident Walter Vogelsanger fragte, wer auf die Debatte über das Verordnungsveto eintreten wolle. Die beiden Stimmenzähler Till Aders und Rainer Schmidig gingen durch die Ränge, zählten, waren sich einig und meldeten: 22.
Bei den Gegenstimmen zählten sie ebenfalls 22. Diesmal lagen sie richtig. Patt. Der Ratspräsident hatte Stichentscheid und beschloss, die Vorlage nicht weiter zu behandeln. Nächstes Geschäft.
Dass dem Parlament ein Fehler unterlaufen ist und das Geschäft eigentlich hätte behandelt werden müssen, beweisen Videoaufnahmen des «az»-Redaktors Jimmy Sauter, der seit Anfang Jahr alle Abstimmungen im Kantonsparlament filmt. Einsehbar sind die Videos auf www.hinterzimmerpolitik.ch.
Was nun? Der Fall Verordnungsveto ist in Schaffhausen ein Novum. Es ist anzunehmen, dass in der jüngeren und älteren Vergangenheit in diversen Geschäften unrechtmässige Entscheide gefällt wurden, weil die Stimmen falsch ausgezählt wurden. Bislang gab es dafür jedoch keine Beweise.
Staatsschreiber Stefan Bilger sagt auf Anfrage, dass ein Geschäft als erledigt gilt, wenn der Rat Nichteintreten beschliesst. Beschlüsse des Kantonsrats seien gültig. Wollte man dagegen vorgehen, müsste man eine Beschwerde beim Obergericht einreichen. Heisst im Klartext: Auch wenn ein Fehler eindeutig nachgewiesen wird, korrigiert ihn der Kantonsrat nicht. So will es die Geschäftsordnung.
Elektronische Abstimmung
Entschärfen könnte das Problem ein neues System, die Stimmen zu zählen. Am kommenden Montag dürfte das Parlament die Volksmotion «Transparente und effiziente Stimmabgabe im Kantonsrat» behandeln, die von den beiden «az»-Redaktoren Jimmy Sauter und Mattias Greuter mitinitiiert wurde und eine elektronische Abstimmungsanlage fordert. Ihr Motiv: Jeder Bürger soll online nachlesen können, wie einzelne Parlamentarier abgestimmt haben. Und diese sollen sich an ihren Versprechen, die sie abgeben, auch messen lassen.
Die Volksmotion hat gute Chancen, im Rat durchzukommen. Stimmenzähler und EVP-Kantonsrat Rainer Schmidig sagt, das Anliegen sei «quasi beschlossene Sache». Er findet, es gebe keinen Grund, dagegen zu sein, seit klar wurde, dass die Anlage nur rund 15’000 Franken kosten würde.
Auch der zweite Stimmenzähler, AL-Kantonsrat Till Aders, ist ein Befürworter des elektronischen Zählsystems. «Wenn man manuell auszählt, können Fehler passieren», sagt er. Das sei ein Naturgesetz. «Sie dürfen aber nicht passieren.»
Politik ist wie Fussball
Weniger dramatisch sieht die Sache der Hauptbetroffene, FDP-Kantonsrat Christian Heydecker. Zumindest sagt er das. Heydecker ist der vehementeste Befürworter des Verordnungsvetos und somit vom Zählfehler am stärksten betroffen. Er ist aber auch vehementer Gegner der elektronischen Stimmabgabe. Also sagt er, konfrontiert mit dem Videobeweis, er habe als Sportler gelernt, mit unfairen Entscheiden umzugehen. Gerade sie würden beim Sport den Reiz ausmachen. Eine Torlinientechnik im Fussball befürworte er genauso wenig wie eine elektronische Stimmabgabe: «Es ist doch super, beim Bier stundenlang über Fehlentscheide des Kantonsrats zu diskutieren.» Überhaupt, so Heydecker, würden viele Kantonsräte die Politik viel zu ernst nehmen.
Er jedenfalls habe wenig Lust, das Thema Verordnungsveto noch einmal aufzurollen, indem er beim Obergericht Beschwerde einreiche oder den Vorstoss erneut lanciere. Viel mehr gelte es nun, zu warten, was auf Bundesebene punkto Verordnungsveto geschehe: «Wenn es dort eingeführt wird, können wir die Sache nochmals anschauen.»