Tintenschmerz

26. Juni 2025, Xenia Klaus
Die Kandidaten gaben viel zu lesen – aber nicht gleich viel. Montage: Robin Kohler
Die Kandidaten gaben viel zu lesen – aber nicht gleich viel. Montage: Robin Kohler

Zum Ende des Ständerats-Wahlkampfes halten wir Rückschau auf uns selbst. Wie wurde in den drei Zeitungen Schaffhausens und dem ­zuhörer:innenstärksten Radio über die zwei Kandidaten berichtet?

Schaffhausen hat eine für seine Grösse immer noch beeindruckende Vielfalt an Medien. Einer der Vorteile daran ist, dass man einander über die ungesund hängenden Schultern schauen und sich ab und zu auf die tippenden Finger hauen kann. Diese Funktion will die AZ nicht vernachlässigen.

In den letzten zwei Monaten haben alle regionalen Medien ausführlich über zwei Politiker berichtet: Severin Brüngger und Simon Stocker. Am Sonntag wird einer von ihnen in den Ständerat gewählt. Die AZ hat sich angeschaut, wie die drei Zeitungen der Region sowie das grösste Radio der Region berichtet haben: Die Schaffhauser Nachrichten, der Bock, das Radio Munot und die AZ selbst (Methode siehe Box unten).

Schaffhauser Nachrichten

Die Schaffhauser Nachrichten sind das, man muss es neidisch eingestehen, einflussreichste Medium der Region; einzige Tageszeitung und das auflagenstärkste Bezahlmedium. Die SN nennen sich selbst «ein von Sonderinteressen» unabhängiges Medium. Dass die Schaffhauser Nachrichten dem FDP-Kandidaten politisch näher stehen, war noch nie ein Geheimnis. Im letzten Ständeratswahlkampf unterstützten sie die FDP-Kandidatin Nina Schärrer noch dann, als sich diese zurückgezogen hatte. Aber so enthusiastisch wie im diesjährigen Wahlkampf haben die SN die Flagge des Freisinns schon lange nicht mehr geschwenkt. Anders als die AZ und der Bock macht die SN offene Wahlempfehlungen – im Fall dieser Ständeratswahl ging der ausführliche Text wenig überraschend an Severin Brüngger.

Es gab zwar Formate, in denen beide Kandidaten präsentiert wurden: Im Juni veröffentlichten die SN ein Doppelinterview, geführt von Chefredaktor Robin Blanck. Und beide Kandidaten durften einem Reporter zeigen, welche Orte im Kanton ihnen wichtig sind.

Die Berichterstattung zu den zwei Kandidaten unterschieden sich insgesamt aber deutlich voneinander. Severin Brüngger wurde neben den schon erwähnten Formaten in zwei weiteren redaktionellen Artikeln auf einem Flug und beim Feldschiessen begleitet. Zudem schreibt Brüngger eine Kolumne bei den SN, sie wurde im Wahlkampf nicht ausgesetzt und ist im betrachteten Zeitraum zwei Mal erschienen. Eine Woche vor dem Wahltermin ist zudem ein Artikel erschienen, der zwar von Simon Stocker handelt, den die AZ aber als «im Interesse von» Severin Brüngger gewertet hat: In «Wiederholt sich die Causa Stocker?» wird insinuiert, dass es beim aktuellen Wohnsitz Stocker Auffälligkeiten gibt – man muss den Artikel ganz zu Ende lesen um herauszufinden, dass dem nicht so ist.

Der Platz, den die SN Stocker eingeräumt haben, ist hingegen nicht nur fast halb so gross, sondern auch qualitativ anders: Die Texte, die die AZ als Stocker-Plattform gewertet hat, sind eine Kolumne von Gianluca Looser, die dieser für eine Empfehlung genutzt hat. Und eine Auswertung von Stockers bisheriger Arbeit in Bern, welche die SN-Redaktion ohne Stockers Zutun vorgenommen hat.

Neben den Kandidaten haben die SN in ihrer Berichterstattung einen weiteren Fokus gelegt: Der «Plakat-Frage» wurden fünf Texte gewidmet, manche davon wurden ursprünglich von der Weltwoche angestossen. Die AZ hat sie der allgemeinen Wahlkampfberichterstattung zugeschlagen.

Artikel zu beiden Kandidaten und zum Wahlkampf: 11
Artikel mit Plattform für oder im Interesse von Stocker, summierte Zeichenzahl: 3 / 21 031
Artikel mit Plattform für oder im Interesse von Brüngger, summierte Zeichenzahl: 7 / 38 587
Erwähnungen insgesamt Stocker: 22
Erwähnungen insgesamt Brüngger: 29

Radio Munot

Das Radio Munot gehört zum selben Verlag wie die SN. Das Radio erhält aber Radio- und Fernsehbeiträge des Bundes, die sie zu politischer Neutralität verpflichtet, und man merkt es der Berichterstattung an. Beim Radio Munot gab es je einen «Politzmorge» mit den Kandidaten, mit 20 Sekunden Vorteil Stocker: So viel länger war dieses Format bei ihm, als die 2 Minuten 30, in denen sich Severin Brüngger alleine präsentieren durfte. Am 5. Juni widmete Munot-Journalist Jimmy Sauter den beiden einen «Stammtisch»: In einem Doppelinterview wurden die zwei eine Stunde lang zu politischen Positionen befragt. In den Kurzmeldungen wurde Severin Brüngger einige Male häufiger erwähnt – die meisten dieser Meldungen widmen sich seiner aktuellen politischen Arbeit, etwa im Kantonsrat.

Beiträge zu beiden Kandidaten und zum Wahlkampf: 3
Beiträge mit Plattform für oder im Interesse von Stocker: 1 /2:52 Minuten
Artikel mit Plattform für oder im Interesse von Brüngger: 1 / 2:29 Minuten
Erwähnungen insgesamt Stocker: 9
Erwähnungen insgesamt Brüngger: 12

Bock

Die Bock-Redaktion selbst – die Zeitung gehört mit Giorgio Behr dem reichsten Schaffhauser – hat sich den Kandidaten in einer dreiteiligen Serie gewidmet. Teil eins war ein Doppelinterview, Teil zwei eine kurze Gegenüberstellung, Teil drei eine Strassenumfrage (die, wäre sie repräsentativ, eine Wahl Stockers vorhersagen würde). In der letzten Ausgabe vor der Wahl erschien zudem ein Text, in dem Medien gemahnt wurden, ihre Macht politisch neutral zu nutzen. Im selben Text wird dann aber jenen Leserbriefschreiber:innen widersprochen, die von einer guten Vernetzung Stockers in Bern sprechen. Dieser Text wurde keiner Seite zugeschlagen. Allerdings erscheint auf der letzten Seite des Bocks jeweils auch das Publikationsorgan des Schaffhauser Bauernverbandes. Weil die Beilage schwach gekennzeichnet und nicht wirklich von redaktionellem Inhalt zu unterscheiden ist, hat die AZ sie mitgezählt. Und dort – der Schaffhauser Bauernverband hat sich offiziell für Brüngger ausgesprochen – macht der FDP-Kandidat arg Acker gut. Virginia Stoll hat Brüngger in einem Leitkommentar empfohlen und Mitte Juni konnte Brüngger in einem grossen Interview seine Vorteile für den Bauernstand darlegen. Im Bild posiert er mit einem Kalb. Für Simon Stocker schlägt hingegen im Bock nur eine Kolumne von Rainer Schmidig zu Buche, in der dieser die Leser:innenschaft auffordert, den SPler zu wählen.

Artikel zu beiden Kandidaten und zum Wahlkampf: 5
Artikel mit Plattform für oder im Interesse von Stocker, summierte Zeichenzahl: 1 / 1988
Artikel mit Plattform für oder im Interesse von Brüngger, summierte Zeichenzahl: 2 / 8489
Erwähnungen insgesamt Stocker: 8
Erwähnungen insgesamt Brüngger: 10

AZ

Zuletzt zur Nabelschau. Die AZ hat in der Redaktion vorab längere Diskussionen geführt, wie wir die zwei Kandidaten der Leser:innenschaft präsentieren sollen. Auch bei uns ist es kein Geheimnis, dass einer der Kandidaten der Gesamtredaktion politisch näher steht. Die AZ hat trotzdem den Anspruch, den Kandidaten eine ungefähr gleiche Plattform zu geben. Bei der AZ ist es üblich, dass Kandidaten für grössere politische Ämter des Kantons porträtiert werden – bisher meistens in separaten Texten. Die aktuelle Situation ist aber auch für Medienschaffende einigermassen speziell. Alle kennen Simon Stocker, die AZ hat schon vor seiner ersten Ständeratswahl ein grosses Interview mit ihm geführt.

Deshalb haben wir uns für ein Doppelporträt entschieden, das einen direkten Vergleich der zwei Kandidaten ermöglichen sollte. Die AZ hat sich bemüht, die Kandidaten gleich hart anzugehen, etwas Fett wegbekommen haben sicher beide, Severin Brüngger wohl ein, zwei Polster mehr. Auch unsere sonstige Berichterstattung hat sich meist beiden gleichzeitig gewidmet. Wir haben in dieser Zeit allerdings zwei Seiten mit einem Fokus auf Simon Stocker produziert: Einmal hat sich die AZ angeschaut, ob Stockers Abwesenheit einen Effekt auf die Abstimmungen der laufenden Session hat. Diesen Text hat die AZ als keiner Seite dienlich taxiert und der allgemeinen Wahlkampf-Berichterstattung zugeschlagen. Im zweiten dieser Texte hat die AZ über die Kritik eines Verfassungsrechtlers am Stocker-Urteil des Bundesgerichtes geschrieben. Diesen Artikel haben wir der Seite Stocker zugeschlagen.

Artikel zu beiden Kandidaten und dem Wahlkampf: 6
Artikel mit Plattform für oder im Interesse von Stocker, summierte Zeichenzahl: 1 / 5157
Artikel mit Plattform für oder im Interesse von Brüngger, summierte Zeichenzahl: 0/0
Erwähnungen insgesamt Stocker: 13
Erwähnungen insgesamt Brüngger: 15

Zur Methode
Die SN, die AZ, der Bock und das Radio Munot wurden für den Zeitraum vom 11. April – am Tag davor wurde Severin Brüngger offiziell als FDP-Ständeratskandidat nominiert – bis zum 25. Juni auf Beiträge über Simon Stocker und Severin Brüngger durchsucht. Für die AZ haben wir uns erlaubt, die Frist um einen Tag zu verlängern, um diese Ausgabe noch mitzuzählen. Reine Meldungen über die Nomination Brünggers wurden nicht mitgezählt. Für die SN und die AZ haben wir die Schweizerische Mediendatenbank genutzt, beim Bock manuell gezählt und für das Radio Munot die Suchfunktion der Website genutzt. Leserbriefe wurden nicht gezählt, Kolumnen und Meinungsbeiträge schon.
In der Kategorie «Artikel mit Plattform für oder im Interesse von» wurden nur grössere Artikel gezählt, die im Zusammenhang mit den Wahlen stehen. Nicht gezählt wurden Erwähnungen, wenn zum Beispiel Severin Brüngger einen Sportanlass besuchte oder Stocker Spitex-Leiter wurde. Diese Texte wurden aber bei den «Erwähnungen» gezählt, darunter sind alle Artikel und Kolumnen zusammengefasst, in denen der Kandidat erwähnt wurde.