Auf ihrem ersten Album besingt das Väter-Trio «morsch» Krankheit, die Klimakatastrophe und Weltschmerz. Das zu hören, macht Freude.
Eine Band namens «morsch» bringt ein Album heraus, das «fuck» heisst; zu hören gibt es darauf Tracks mit Titeln wie «Ich will einfach nur liegenbleiben», «Einsam», «Hä?» oder «Krank». Will man sich eine derart niederschmetternd daherkommende Platte in der derzeitigen Weltlage anhören?
Die kurze Antwort: Nein, sollte man in diesem Fall aber. Denn das Schaffhauser Trio morsch – bestehend aus den altgedienten Musikern Gabriel Gmür (ehemals Quince), Andreas Penkov (einst bei Min King) und Frank Will (Gründungsmitglied der Hamburger Crew Die Sterne), die sich über ihre Kinder kennengelernt und 2021 zur Band formiert haben – schaffen auf ihrem Debütalbum, was nicht vielen gelingt: Sie haben eine Haltung, drücken diese aber niemandem auf.
Zwölf Tracks sind auf der neuen Platte zu finden, wovon die Hälfte bereits seit Juni 2023 draussen ist, als die Band ihre erste EP «Es gibt kein Zurück» veröffentlichte (unser Interview dazu in der Ausgabe vom 25. Mai 2023). Der in Songs wie «(You make me) Sick» oder «Die moderne Welt» schon anklingende morsch-Sound schreibt sich auf «fuck» fort: Mit einer kaum beschreibbaren Mischung aus Punk, Electro und Pop, aufgebaut um eine Drum Machine von 1980, und spärlich, aber klug eingesetzter Sprache schafft das Trio Musik, die keine Vibes verbreitet, sondern unmissverständliche Appelle zum vielseitig drohenden Unheil, mit Schmunzeln und Lakonie vermengt. Und die trotz abwesender Heiterkeit Spass macht – auch, weil sich Musik und Text permanent gegenseitig unterlaufen.
Das alles ist ein Spiel
Versucht man nämlich, die Tracks basierend auf gewöhnlichen Kombinationen von musikalischer Stimmung und Worten zu antizipieren, läuft man bei morsch schnell auf. Los geht es auf der neuen Platte scheinbar erbaulich mit «Gute Vibrationen» – einem trashigen Stück, das zwar in Hype-Man-Manier an der Verbreitung von guter Laune arbeitet, dabei aber stets von einem bedrohlichen Schatten, einem Reiben, bedrängt wird. Im Titeltrack «Fuck», zu dem sich Sänger Gabi Gmür im Musikvideo auf städtischen Sportanlagen (eher erfolgslos) in Leichtathletik versucht und dann, irrwitzig oft vervielfacht, in andere Sphären abdreht, findet die selbstmitleidslose Schwermut einen ersten Höhepunkt: «Ich möchte verrückt sein, bin dann doch nur müde.» Ein Auseinanderklaffen zwischen Ton und Text, das zeigt: Die nehmen sich selbst nicht so ernst – sie sind in dem, was sie tun, aber erfrischend gut.
Nicht nur die ewig lang gezogenen, mit spitzer Feder, aber ohne moralischen Zeigefinger getexteten Sätze sorgen dafür, dass man konzentriert hinhört, wohin die Reise als nächstes geht. Schwer vorherzusagen ist auch, wohin sich die Musik bewegt; etwa im Song «Alles dreht sich», in dem man sich im einen Moment in einem wirkmächtigen Sog befindet, um im nächsten ins Leere fallengelassen zu werden. Oder in der Perle «Ich will einfach nur liegenbleiben», in der der Gemütlichkeit des warmen Bettes durch den unentwegt trabenden Beat alle Heimeligkeit ausgetrieben wird.
Überhaupt sind die Tracks, auch wenn sie oft gemütlich beginnen, kurzweilig. So, dass man das Album bei aller Ohnmacht gegenüber gegenwärtigen Krisen – gegen die auch morsch kein Rezept hat – auch gleich zweimal hören kann.
Die Platte «fuck» erschien am 30. Mai auf Vinyl und ist unter anderem hier zu hören. Live zu sehen sind morsch im Rahmen der Kulturtage am 21. Juni um 22 Uhr in der Webergasse.
