Urs Wietlisbach verliess Schaffhausen einst geschlagen. Dann wurde er zu einem erfolgreichen Investor. Jetzt will er die Europapolitik auf den Kopf stellen. Ein Porträt.
Im Oktober 2024 sitzt eine Gruppe ernst dreinschauender Männer in einem SRF-Studio im Leutschenbach. Die Kameras laufen, die Scheinwerfer leuchten und die Männer diskutieren über Europapolitik, genauer, über das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU. Neben dem SVP-Fraktionschef, dem Economiesuisse-Chef, dem damaligen Nationalratspräsidenten Eric Nussbaumer und dem EU-Botschafter sitzt auch ein gross gewachsener Mann in der Runde. Er hat lässig die Beine übereinandergeschlagen, trägt am linken Handgelenk eine Uhr, unterstreicht jeden seiner Punkte mit seiner Rechten und ist milliardenschwer. Dem sichtlich irritierten EU-Botschafter sagt er ins Gesicht: «Die EU ist am kränkeln, tschuldigung.»
Der Mann heisst Urs Wietlisbach und gehört zu den Gründern der Partners Group, einer Privat Equity Firma, die weltweit über hundert Milliarden Dollar verwaltet und ihn reich gemacht hat (gemäss Bilanz beläuft sich sein Vermögen auf 2,5 bis 3 Milliarden Franken.) Zusammen mit seinen beiden Geschäftspartnern will Wietlisbach von ihrem 21 000 Quadratmeter grossen Firmensitz in Baar aus die Schweizer Europapolitik aufmischen. Sie haben dafür die Kompass-Initiative lanciert, für die derzeit Unterschriften gesammelt werden. Mit ihr wollen sie erreichen, dass das Rahmenabkommen mit der EU dem obligatorischen Referendum unterstellt wird, also sowohl das Volks- als auch das Ständemehr erreichen muss und damit höchstwahrscheinlich an den konservativen Kleinkantonen scheitern würde. Die Initiative rüttelt Bundesbern derart durch, dass der abtretende Nationalratspräsident Eric Nussbaumer (SP), einer der feurigsten Pro-Europäer im Land, seine Abschiedsrede dafür verwendete, vor der Initiative zu warnen.
Gleichzeitig fragen sich viele: Was will ein so erfolgreicher Investor plötzlich in der Politik? Und schaut man sich das Leben von Urs Wietlisbacher etwas genauer an, stellt sich eine Anschlussfrage:Liegt der Grund dafür womöglich irgendwo in seiner Kindheit in Schaffhausen verborgen?
Ein stürmischer Donnerstagnachmittag im Januar, vor dem Eingang des Hotels Parkvilla in Schaffhausen steigt Urs Wietlisbach vom Beifahrersitz eines schwarzen Mercedes aus, unter dem Arm trägt er eine Aktentasche.
AZ Guten Tag, Herr Wietlisbach.
Urs Wietlisbach Guten Tag.
Haben Sie den Weg zur Parkvilla gut gefunden?
Ja klar, ich bin gleich hier hinten, im Schulhaus Steig, zur Schule gegangen.
Haben Sie gute Erinnerungen an Schaffhausen?
Es war eine schwierige Zeit. In jeder Klasse gibt es Loser, Mitläufer und Leader.
Und was waren Sie?
Ich war ein Loser.
Raues Schaffhausen
Als die Familie Wietlisbach 1969 aus Dietlikon nach Schaffhausen auf die Breite zog, folgte sie dem Vater – und dieser einer Berufung. Ursprünglich wollte Berthold Wietlisbach Konditor werden, doch dann fasste der Sohn eines gestrengen Landposthalters in der Bankenwelt Fuss. Im jungen Alter von 37 Jahren erhielt er das Angebot, Direktor des Bankvereins Schaffhausen zu werden. Seine 14 Jahre dauernde Ära verlief für den Bankverein Schaffhausen äusserst erfolgreich, die Mitarbeiterzahl verdoppelte sich. Es war eine Zeit, in der sich Bankdirektoren gerne in der Öffentlichkeit zeigten und dort gerne gesehen wurden. Berthold Wietlisbach verteilte Goldmedaillen beim schnellsten Schaffhuuser Bölle, gab den Startschuss beim 24-Stunden-Schwimmen, weihte eine Sauna ein.
Mit acht Jahren betrat sein Sohn Urs erstmals ein Schulzimmer im Schulhaus Steig. Doch seine Ankunft in Schaffhausen war rau. In Zürich gab es hunderte Bankdirektoren, in Schaffhausen nur eine Handvoll. «Schaffhausen kann brutal sein, weil alles so klein ist. Viele dachten damals, einem Bankdirektor gehört die Bank», sagt Urs Wietlisbach im Hotel Parkvilla. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, der zweitoberste Knopf seines Hemds ist geöffnet. Sein erfolgreicher Vater und seine Zürischnurre provozierten die Mitschüler:innen, Urs wurde angepöbelt und gehänselt. Auch der Wechsel an die Kanti habe nicht viel daran geändert.
Anruf bei Giorgio Behr. Der Industrieunternehmer und Handballmäzen war eine zeitlang der Trainer von Urs Wietlisbach, als dieser bei den Junioren der Kadetten spielte. Er habe Wietlisbach als sehr engagiert und zielstrebig in Erinnerung, sagt Behr. „Aber er hatte im Team kaum eine Chance, weil er viel jünger war als die anderen.» Behr bestätigt, dass der junge, schlaksige Urs unter die Räder kam. «Wissen Sie, Kinder von erfolgreichen Menschen erleben viel Neid, sie werden zuweilen auch gemobbt», sagt Behr, der selber vier Söhne hat.
Nach einem Jahr an der Kantonsschule Schaffhausen bat Urs Wietlisbach seine Eltern, auf eine Privatschule gehen zu können. Und so schickten ihn seine Eltern an das Institut Dr. Pfister in Oberägeri. «Dort an der Schule lief es dann gut. Ich war kein Loser mehr.»
Urs Wietlisbach floh aus dem engen Schaffhausen, vor den missgünstigen Mitläufer:innen. Dann ging er in die Welt hinaus, um sie zu erobern. Im Gepäck viel Ehrgeiz und die Erkenntnis, dass nur wer ausschert, nicht untergeht.

Im Olymp
Nach dem Betriebswirtschafts-Studium an der Universität St. Gallen folgte er seinem Vater Berthold in die Bankenwelt und stieg bei der Credit Suisse ein. In den 1990er-Jahren verliess er die Schweiz in Richtung «Olymp», wie Urs Wietlisbach die Investmentbank Goldman Sachs nennt, um als Broker zu arbeiten. Es waren goldene Zeiten für den Finanzkapitalismus und wer das Zeug und die Ausdauer hatte, konnte im Windschatten schwindelerregende Höhen erreichen. Die Börse an der New Yorker Wall Street lief immer heisser, junge Männer und Frauen arbeiteten vierzehn Stunden am Tag, schliefen vier und verdienten fürstlich.
Der damalige Zeitgeist lässt sich heute gut im Film «Wall Street» von 1987 nachempfinden. Auf dem Höhepunkt hält ein ruchloser Finanzhai der Wall Street eine Rede, gegen deren Ende er verkündet: «Gier – aus Mangel an einem besseren Wort – ist gut. Gier ist richtig. Gier funktioniert.»
2008 wurde die Weltwirtschaft wegen dieser Gier jäh an die Wand gefahren, aber da war Urs Wietlisbach bereits vom Olymp heruntergestiegen. Zusammen mit zwei anderen Schweizern, die er bei Goldman Sachs kennengelernt hatte, hatte er 1996 die Partners Group in der Schweiz gegründet. Wietlisbach sagt, sein Vater habe nicht verstanden, dass er eine Bank wie Goldman Sachs verlasse, um selbstständig zu werden. «Er sagte zu mir: Spinnst du?» – «Aber wir hatten eine gute Idee und nahmen das Risiko.»
Die Idee: Private Equity. Das Konzept einfach: Die Partners Group nimmt Geld, hauptsächlich von institutionellen Anlegern, zum Beispiel Pensionskassen, kauft damit Firmen, Immobilien oder Infrastrukturen und baut sie um. Mal, indem sie das ineffiziente Management auswechselt, mal, indem die Digitalisierung vorangetrieben wird, mal dadurch, dass die Belegschaft verkleinert wird. Nach fünf bis sieben Jahre verkauft die Partners Group die Firma wieder und zahlt den Gewinn, minus Gebühren für die Partners Group, an die Investoren zurück. Es ist Kapitalismus, aber auf einer Metaebene: das Produkt sind nicht Kühlschränke – sondern Kühlschrankproduzenten.
Die Idee war in den USA bereits seit mehr als einem Jahrzehnt bekannt, aber in Europa wusste kaum jemand, was Private Equity ist. Die Partners Group stiess in eine Marktlücke und wuchs, selbst als ein paar Jahre nach der Gründung für längere Zeit kein neues Geld reinkam. «Wir bauten trotzdem das Personal aus, weil wir wussten, irgendwann ist die Krise vorbei. Unserem Managment sagten wir, dass wir alle den Gurt enger schnallen müssen. Wir haben uns allen deutlich tiefere Löhne gezahlt, damit wir weiterhin die Belegschaft bezahlen konnten.»
Heute arbeiten über 1800 Angestellte der Partners Group in weltweit über 20 Büros für Wietlisbachs Firma und verwalten 150 Milliarden Franken. Die drei Gründer sind inzwischen Milliardäre – und der ehemlige Loser will zurückgeben. Wietlisbach und seine Frau haben sich dazu bekannt, bis zu seinem Tod 80 Prozent ihres Vermögens an ihre gemeinnützige Stiftung zu spenden, welche Menschen ein gesünderes und ausgeglicheneres Leben ermöglichen soll, mit dem Fokus auf Sport, Kultur, Gesundheit,Wohlbefinden und alternative Heilmethoden.
Es sei wichtig, öffentlich darüber zu sprechen, erklärt Urs Wietlisbach in der Parkvilla. «Natürlich habe ich es gut, aber ich muss auch zurückgeben. Wenn ich das selber tue, ist das effizienter als wenn es der Staat tut.»
Im Auge des Bürokratiemonsters
Ja, dieser Staat. In Urs Wietlisbachs Augen ist er dafür da, (nicht zu enge) Leitplanken zu setzen, er soll ein gutes Bildungssystem und ein korruptionsfreies Justizsystem unterhalten und die Infrastruktur instandhalten. Was er definitiv nicht soll: ein neues Rahmenabkommen mit der EU abschliessen.
Zum EU-Kritiker wurde Urs Witlisbach über Umwege. Eingeheiratet in eine Luzerner SVP-Familie, habe er sich am Küchentisch für das Rahmenabkommen ausgesprochen – die Schweiz liege schliesslich im Herzen Europas, als Mann der Wirtschaft müsse er das Abkommen befürworten. Aber dann habe ihm 2021 einer der Mitgründer der Partners Group den ersten Entwurf des Rahmenabkommens in die Hand gedrückt und gesagt: «Jungs, wir müssen was tun. Das ist der schlimmste Vertrag, den ich je gelesen habe.» Und Wietlisbach liess sich mitreissen. So entstand 2021 der Verein Kompass, in dem sich seither über 3600 EU-kritische Unternehmer:innen und Privatpersonen versammelt haben. Im Herbst 2024 lancierte der Verein die Kompass-Initiative, welche die neuste Version des Rahmenabkommens zu Fall bringen soll. Wenn Urs Wietlisbach seinen Frust über die EU auf einen Nenner bringen müsste, dann so: «Die Schweiz ist vier Mal so alt wie die EU. Seit es sie gibt, hat es die EU geschafft, viermal mehr Gesetze zu verabschieden als die Schweiz. Das muss man sich mal vorstellen.»
Diese Geschichte erzählt Urs Wietlisbach jeweils ohne grosse Variation, im Radio, bei Talkrunden oder in Zeitungsinterviews, wo er seit der Lancierung der Kompass-Initiative ein regelmässiger Gast ist. Es ist die Geschichte eines Mitläufers, der, nachdem er tief in die Augen des Bürokratiemonsters geblickt hat, die Welt nicht mehr mit den gleichen Augen sieht. Und sie nun in eine andere Richtung führen will.
Nicht ohne Grund kam Politgeograf Michael Hermann, als er in einer Kolumne der NZZ am Sonntag nach helvetischen Elon Musks suchte, auf die drei Partners Group Gründer.
Doch was will er, der im Olymp war und es sich auch auf Erden gemütlich eingerichtet hat, in den Niedrigungen der Politik? Diese Frage ist schwieriger zu beantworten als im Fall von Musk, dessen zahlreiche Unternehmen von Verträgen mit der Regierung abhängen. Die Partners Group, da sind sich die Expert:innen einig, würde von einem Nein zum Rahmenabkommen nicht profitieren. Urs Wietlisbach sagt, ihm liege die Schweiz am Herzen. Aber wem tut sie das nicht?
SP-Nationalrat Eric Nussbaumer, der in der Diskussionsrunde im Fernsehstudio gegenüber von Urs Wietlisbach sass und seine Abschiedsrede dafür verwendete, vor Wietlisbachs Initiative zu warnen, ist gerade in Warschau, als er ans Telefon geht. Nussbaumer ist Mitglied der aussenpolitischen Komission und begleitet das EU-Dossier seit 15 Jahren. Was denkt er, warum steigen Milliardäre wie Urs Wietlisbach in die vertrackte Europadiskussion ein? «Wenn ich wüsste, warum sich manche Leute, wenn sie reich sind, auf einmal dazu berufen fühlen, die Demokratie zu retten, würde ich es Ihnen sagen. Aber da sind sie bei einer Soziologin und einem Politikwissenschaftler besser aufgehoben.»
Vielleicht reicht es auch, einfach nochmals etwas zurückzuspulen:
In Urs Wietlisbachs Weltsicht war er ein Loser, und ist jetzt ein Leader. Und wo könnte er das besser beweisen als in der Europapolitik, wo der Bundesrat in den letzten Jahren vor allem eines war: führungslos? In Schaffhausen hat Wietlisbach gelernt, dass man sich absetzen muss, um nicht unterzugehen. Seit Jahren drängen die Wirtschaftsverbände auf ein neues Rahmenabkommen. Doch nun kommt der Gegenwind nicht mehr nur von der SVP und den Gewerkschaften – sondern auch von einem der Ihren, der keine Lust mehr hat, mitzulaufen.
Wahrscheinlich ist aber auch, dass Urs Wietlisbach versucht, sein Erfolgsmodell auf die Politik anzuwenden. Er und seine Partner wurden sehr reich damit, anderen zu erklären, wie man es besser macht. Jetzt erklärt er den Europapolitiker:innen die Europapolitik. Es wird sich zeigen, ob und wie viel politisches Kapital sich damit verdienen lässt.
Und so findet sich Urs Wietlisbach also im Oktober 2024 in der Diskussionssendung mit den vielen ernst dreinblickenden Männern im Schweizer Fernsehen wieder. Er ist engagiert, eloquent, aber auch angriffig und kantig und fällt seinen Gesprächspartnern ins Wort. Er erzählt etwa, wie er an Kampagnenevents für die Kompass-Initiative die dynamische Rechtsübernahme und das Schiedsgericht, die Teil des Rahmenabkommens sind, mit folgendem Vergleich erklärt habe: «Ich komme heute Abend nach Hause und sage zu meiner Frau: Schatz, das sind die neuen Regeln für unsere Ehe. Und wenn dich das stört, kannst du zu deiner Schwiegermutter gehen und dich beschweren – die bestraft dich dann.»
Lautstarker Widerspruch, die Irritation des EU-Botschafters ist inzwischen blanker Wut gewichen. Er schüttelt vehement den Kopf und sagt wenig diplomatisch: «Das ist entweder ignorant oder eine Lüge!»
Dann geht die Diskussion irgendwann zu Ende. Wietlisbachs letzte Aussage in der Sendung: «Ich könnte andere Dinge tun. Ich bin unpolitisch, ich bin nicht gewählt und in keinem Verband. Ich mache das aus Überzeugung: Ich habe Angst um die Schweiz.»
