Die Kanti-Katze ist die beliebteste Sehenswürdigkeit der Stadt. Kann sie halten, was sie verspricht?
Im Sommer hat sich die AZ in einer Serie mit Hassobjekten auseinandergesetzt: dem Rhyfall-Express, dem zwielichtigen Menü 1 im chinesischen Restaurant, dem alten KSS-Hallenbad und dem Grenzübergang in Thayngen (unsere Sommerserie finden Sie im Online-Archiv in den Ausgaben vom 17. Juli bis 7. August 2025).
Schnöden, niedermachen, sich das Maul zerreissen, aufziehen, foppen, zetern und necken – das ist die Sprache des Internets und mancher Staatsoberhäupter. In diesen polarisierten Zeiten, wo wir alle in hermetisch versiegelten Filterblasen vor uns hin schweben und uns eigentlich gar nicht mehr verstehen, gibt es sie aber doch noch: die Dinge, bei denen wir uns noch einigen können, dass sie gut sind.
Man kann dies sogar quantifizieren, ganz mathematisch: mit 4,7. Der Munot, der Rheinfall, der Eiffelturm in Paris und der Times Square in New York haben alle eine GoogleMaps-Bewertung von 4,7; die Konsument:innen bewerten den klassischen Zitronen-Ice-Tea der Migros mit 4,7, der Deutschlehrer den soliden Aufsatz. Genau an diesem Punkt scheint sich der ätzende Hass der Wenigen mit der Entzückung der Masse einzupendeln. 4,7 ist der pH-Wert des guten Geschmacks.
Erreicht etwas einen höheren Wert, muss man schon von Exzellenz sprechen, die wenigen Nörgler verstummen im Lobeschor.
Und dann gibt es ganz, ganz wenige Dinge, welche die tiefen Gräben unserer Zeit wirklich zu transzendieren vermögen, die uns Menschen im tiefsten Kern berühren – also eine Fünf-Sterne-Bewertung erreichen. Eine solche Sehenswürdigkeit ist hier in der Stadt zu finden: die sogenannte Kanti-Katze. Sie tigert rund um die Kantonsschule auf dem Emmersberg herum und hat seit gut zwei Monaten einen Eintrag auf Google Maps. Seither hat sie dort nicht weniger als 43 Bewertungen erhalten – ausnahmslos alle mit satten fünf Sternen.
Kann diese Katze halten, was sie verspricht?
Flauschige Erlösung
Die Katze erscheint uns in der Herbstsonne, als wir uns die Kantitreppe hinaufkämpfen. Da sitzt sie, in der Mitte des Gehwegs, und blickt uns ruhig entgegen. Eine Sehenswürdigkeit, die sich ihrer Sehenswürdigkeit bewusst ist. Noch bevor wir sie erreichen, geht eine junge Frau an der Katze vorbei. Eben noch bewegungslos und stoisch, legt sie sich nun auf den Rücken und streckt der Besucherin hoffnungsvoll ihren Bauch entgegen. Die junge Frau aber läuft vorbei, unbewusst, welche Chance ihr gerade durch die Lappen gegangen ist.
Wir setzen uns zur Katze auf den Gehweg, und ohne zu zögern nistet sie sich auf dem Schoss ein, schnuppert am Kaffeebecher und lässt sich am Rücken, hinter den Ohren und eben auch am Bauch streicheln. Andere Menschen, die an uns vorbeigehen, schauen neidisch – kein Wunder, ist auf Google Maps die Information hinterlegt, man solle wenn möglich die Tickets für den Besuch im Vorfeld kaufen.
Bereits nach wenigen Momenten macht die Fünf-Sterne-Bewertung der Kanti-Katze Sinn, mehr noch, eine andere wäre gar nicht denkbar. Der Massentourismus des Spätkapitalismus fertigt die Menschen ab, die Sehenswürdigkeiten werden zu Abziehbildern, die man sich in die Timeline kleben kann.
Die Kanti-Katze kehrt dieses Konsumverhältnis zwischen Sehenswürdigkeit und Touristen auf den Kopf – sie wird nicht besucht, sie sucht sich ihre Besucher aus. Entsprechend verschwimmen auch die Grenzen zwischen Attraktion und denen, die angelockt werden; in der Kanti-Katze lösen sich die gesellschaftlichen Verhältnisse vollends auf, der Streichelnde ist auch der Gestreichelte. Oder die Kanti-Katze ist einfach eine sehr zutrauliche und flauschige Katze. So oder so: Sehr empfehlenswert, fünf Sterne.
Wir schenken Dir diesen Artikel. Aber Journalismus kostet. Für nur 40 Franken gibt es die AZ probeweise für drei Monate: Hier geht es zum Probe-Abo. Oder zahl uns via Twint einen Kafi:
