Einzug ins Paradies

28. August 2025, Simon Muster
KI: ChatGPT / AZ

Der Bund möchte Privilegien für reiche Rentner:innen abschaffen. Der Kanton Schaffhausen hat sich aber in den vergangenen Jahren zu einem regelrechten Paradies für diese Gruppe entwickelt.

Irgendwann ist es so weit, ein letztes Mal einstempeln, nur noch eine Schicht und der letzte Smalltalk an der Kaffeemaschine, und dann: Sie gehen nach Hause in ihre wohlverdiente Pension.

Vielleicht haben Sie bereits Pläne geschmiedet, was Sie in Ihrer dritten Lebenshälfte anstellen wollen: Endlich ausschlafen oder eben gerade nicht, endlich früh morgens mit den Wanderhosen in den Schnellzug steigen, mit den Enkeln spielen, endlich Japanisch oder Tennis lernen. Sie haben sich natürlich auch Gedanken über das Geld gemacht, darüber, ob Ihre Rente für all die Pläne, die Sie haben, auch ausreichen wird. Wenn Letzteres für Sie keine Sorge ist, dann gehören Sie zur Gruppe der sehr reichen Pensionär:innen. 

Herzliche Gratulation!

Seien wir ehrlich: Ihre Gedanken haben sich vor Ihrem 65. Geburtstag um ganz andere Fragen gedreht: Wie können Sie die angesparten Millionen möglichst steuergünstig in den Lebensabend retten?

Wir haben da was für Sie. Dürfen wir Ihnen den Kanton Schaffhausen vorstellen?

Zwei Tricks

Je nachdem, wie Pensionierte ihr angespartes Geld beziehen, fallen unterschiedliche Steuern an. Wer wie die meisten Menschen eine monatliche AHV- und Pensionskassenrente bezieht, zahlt wie früher auf den Lohn eine Einkommenssteuer. 

Doch wer während seinem Arbeitsleben sehr viel verdient, dem stehen gleich zwei Steuertricks zur Verfügung, um die Steuerlast vor und nach der Pensionierung stark nach unten zu drücken. Anfang dieser Woche reichte die SP des Kantons Schwyz gegen einen der beiden Tricks Beschwerde beim Bundesgericht ein. 

Aber so lange die Richter:innen in Lausanne noch nicht entschieden haben und die Tricks noch legal sind, erklären wir Ihnen, wie’s geht. 

Der erste Trick: Zusätzlich zu den obligatorischen Pensionskassenbeträgen kann man bei genügend Kleingeld freiwillig mehr in die zweite Säule einzahlen – und dieses Geld gleichzeitig in der Steuererklärung abziehen. Das ist vor allem kurz vor der Pensionierung attraktiv, weil da die Löhne und somit auch die Steuerrechnung meist am saftigsten ausfallen. Über ein ganzes Arbeitsleben können Gutverdiener:innen so, mit Zinsen, über zehn Millionen Franken anhäufen. 

Und dabei viel sparen: Eine Stadtschaffhauser Bankerin mit einem steuerbaren Einkommen von einer halben Million Franken, die zehn Jahre vor ihrer Pensionierung jährlich 50 000 Franken zusätzlich in ihre Pensionskasse einzahlt, spart über diesen Zeitraum hinweg rund 85 000 Franken an Einkommenssteuern.

Doch das ist nichts im Vergleich zum zweiten Steuertrick (gegen den vor Bundesgericht Beschwerde eingereicht wurde): Sobald sich Gutverdiener:innen pensionieren lassen, können sie sich ihr ganzes Pensionskassenkapital auf einen Schlag statt monatlich auszahlen lassen. Anstatt den normalen Einkommenssteuern müssen sie dafür nur einen Ministeuersatz zahlen – und fast nirgends ist dieser so tief wie im Kanton Schaffhausen. Von allen 2121 Schweizer Gemeinden liegen die Steuern auf Kapitalbezüge von einer Million Franken in Stetten und Buchberg mit 5,1 Prozent am dritttiefsten; vergleicht man alle Kantonshauptorte untereinander, ist die Stadt Schaffhausen sogar die zweitgünstigste. 

Doch wie günstig? Wer sich in Buchberg auf die Pensionierung eine Million Schweizer Franken aus seiner zweiten Säule auszahlen lassen würde, müsste darauf etwas mehr als 50 000 Franken an Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuern zahlen. Würde man sich in der Gemeinde im unteren Kantonsteil den gleichen Betrag über 20 Jahre hinweg ganz normal als Rente auszahlen, fiele der Steuerbetrag rund doppelt so hoch aus.

Haben sich Buchberg und Stetten, die auch paradiesisch tiefe Einkommenssteuern haben, also eine weitere Nische im Steuerwettbewerb, dieses Mal um reiche Rentner:innen, geschaffen? Der Buchberger Finanzreferent Marcel Gehring winkt auf Anfrage ab. Zwar falle die Steuerbelastung auf den Kapitalbezug aus der zweiten Säule in Buchberg tiefer als in anderen Schaffhauser Gemeinden aus, weil die Gemeinde einen tieferen Steuerfuss habe. «Entscheidender ist der tiefe Ansatz des Kantons Schaffhausen mit einer günstigen Progression.»

Das ist der Fall, weil der Kanton Schaffhausen anders als etwa der Kanton Bern keinen seperaten Tarif für den Kapitalbezug kennt. Stattdessen ist dieser an die Berechnung der Einkommenssteuern gekoppelt. So ist der Ansatz, von dem der Buchberger Finanzreferent spricht, über das vergangene Jahrzehnt im Kanton Schaffhausen konstant gesunken, gerade für die Reichsten: bei hohen Kapitalbezügen um rund ein Drittel.

Bund will Privilegien abschaffen

Das ist wohl ein Hauptgrund dafür, dass sich die Zahl jener, die sich ihr Pensionskassenkapital auszahlen lassen, im Kanton Schaffhausen seit 2015 fast verdoppelt hat. Wobei dieselben Zahlen auch zeigen, dass längst nicht nur Reiche ihr Pensionskassenkapital auf einmal beziehen: Zwar hat sich im Kanton Schaffhausen in den vergangenen Jahren auch der Median der ausgezahlten Pensionskassenkapitalien verdoppelt, aber dieser liegt mit 180 000 Franken weit weg von Millionenbeträgen; drei Viertel der ausgezahlten Gelder im Kanton Schaffhausen lagen 2023 unter 340 000 Franken. (Wie hoch die höchsten Bezüge im Kanton Schaffhausen sind, lassen sich aus den Zahlen des Bundesamts für Statistik und aus der kantonalen Steuerstatistik nicht ablesen.)

Dass sich auch Personen mit weniger prallen Pensionskassenguthaben ihr Kapital auszahlen lassen, folgt einem schweizweiten Trend. 2023 waren diejenigen, die ihr Pensionskassenkapital bezogen, anstatt eine monatliche Rente in Anspruch zu nehmen, sogar eine knappe Mehrheit. Für Menschen mit tiefen Einkommen ist der Bezug mit grossen Risiken verbunden – sie müssen nun selbst Geldanlagen suchen, die bis zum Lebensende eine regelmässige Rendite abwerfen; viele, so sagen Vorsorgeexpert:innen, würden unterschätzen, wie lange sie nach der Pensionierung noch leben – und wie kurz ihr Geld tatsächlich ausreicht. 

Für den Staat bedeutet der Trend zu immer mehr Kapitalbezug vor allem einen Einnahmeeinbruch. Und weil der Bund sich selbst Sparziele auferlegt hat, will er den Kapitalbezug aus der zweiten Säule nun unattraktiver machen, gerade bei den Superreichen. Er schlägt vor, den Steuersatz stark zu erhöhen; neu sollen die Bundessteuern auf einen Kapitalbezug von zehn Millionen Franken von 230 000 Franken auf über 700 000 Franken steigen. Kleinbezüge bis Hunderttausend Franken pro Jahr sollen hingegen von der Steuererhöhung verschont bleiben. Über die Pläne müssen noch die eidgenössischen Räte abstimmen und wahrscheinlich irgendwann auch die Stimmbevölkerung – die FDP hat bereits das Referendum angekündigt.

So oder so: Auf die Höhe der Steuersätze in den Kantonen hätte die Erhöhung auf Bundesebene keinen Einfluss. Unter Ihnen hat sich in den letzten Jahren ein Wettkampf um reiche Rentner:innen entwickelt, etliche haben ihre Steuersätze auf Kapitalbezüge in den vergangenen Jahren gesenkt. 

Für die sehr reichen Rentner:innen liegt zwischen Paradies und Hölle nur der Rhein. 

Kommen Sie, kommen Sie!

Und hier möchten wir nochmals mit Ihnen ganz direkt sprechen, liebe gutbetuchte Neurentner:innen. 

Denn wo Sie Ihren Lebensabend verbringen, kann finanziell entscheidend sein. Wenn Sie zum Beispiel in Feuerthalen Ihr Pensionskassenkapital von einer Million Franken beziehen, zahlen sie heute fast doppelt so viel als ennet des Rheins; bei einem Bezug von zehn Millionen Franken müssten Sie ganze zwei Millionen Franken mehr Steuern zahlen als eine Stadtschaffhauserin. In Buchberg oder Stetten, den Rentnerparadiesen unter den Rentnerparadiesen, ist das Sparpotenzial noch grösser.

Wie viele reiche Renter:innen sich wegen den tiefen Steuern in Buchberg niedergelassen haben, könne er nicht beantworten, sagt Finanzreferent. «Die Gründe für Zuzüge sind uns nicht bekannt.»

Eine Auswertung, die das Bundesamt für Statistik für die AZ gemacht hat, zeigt, dass die grosse Seniorenwanderung nach Schaffhausen bisher ausgeblieben ist. Zwischen 2015 und 2024 zogen nur 1360 Personen im Alter von über 65 in eine Schaffhauser Gemeinde; in die Steuerparadiese Stetten und Buchberg zusammen gerade einmal 20. Seien Sie also Pionier:innen – ziehen Sie in den Kanton Schaffhausen, um alt zu werden. Und um Geld zu sparen.

Wir schenken Dir diesen Artikel. Aber Journalismus kostet. Für nur 40 Franken gibt es die AZ probeweise für drei Monate: Hier geht es zum Probe-Abo. Oder zahl uns via Twint einen Kafi: