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Willkommen bei den Reichsten

Bild: Robin Kohler

Bild: Robin Kohler

Wer sind die Schaffhauser Superreichen? Wir haben bei Insidern, Treuhändern, im exklusivsten Clübchen und zwischen Thujahecken nach ihnen gesucht.

Nora Leutert, Simon Muster, Mattias Greuter

Wir stehen in Buchberg vor der nächsten grossen Villa. Mit einem schwindenden Funken Hoffnung drücken wir die Klingel. Doch tatsächlich: endlich öffnet sich uns eine Tür – und wir werden eingelassen in das Reich eines Multimillionärs.

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Seit geraumer Zeit versetzt ein Gespenst Reiche in Unruhe: die Zukunfts-Initiative der Juso, über welche die Schweiz in zwei Wochen abstimmt. Sie fordert, dass jeder vererbte Franken, der über 50 Millionen Franken hinausgeht, mit einer Steuer von 50 Prozent belegt wird. Die Mehreinnahmen sollen für «die sozial gerechte Bekämpfung der Klimakrise» verwendet werden. Während einige Superreiche wie Peter Spuhler drohten, nach einer Annahme der Initiative oder sogar zuvor das Land zu verlassen, bleiben die meisten Superreichen in Deckung. Wer sind sie? Wie und wo leben sie in Schaffhausen? Und wie sind sie zu so viel Geld gekommen?

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«Schaffhausens reiche Bürger zählen politisch betrachtet zu den stillen Gewässern im Lande. Doch: stille Wasser sind tief, wie ein altes Sprichwort sagt.» Was heute gilt, galt bereits vor fünfzig Jahren, als die Kantischüler-Zeitschrift Info eine Ausgabe zu den «Dagoberts von Schaffhausen» veröffentlichte. Die Welt war damals noch einfacher und die Redaktoren konnten für jede beliebige Person auf dem Amt Steuerausweise einsehen. Das Info identifizierte eine Handvoll der reichsten Schaffhauser:innen,
und druckte ihre Einkommen und Vermögen ab.
Heute lautet die behördliche Standardantwort: Kein Kommentar, Steuergeheimnis. Auch das Buschtelefon hilft wenig: Es sind praktisch keine Namen bekannt. Selbst bei der Schaffhauser Juso, die immerhin nach den Vermögen der Superreichen greift , zuckt man mit den Schultern. Gemäss Kantonsrätin Leonie Altorfer habe man sich zwar auch schon gefragt, wer die lokalen Superreichen sein könnten. «Aber ehrlich gesagt interessieren mich die Namen nicht. Mich interessiert viel mehr, was sie mit ihrem Geld machen.»

Die Gerüchteküche simmert, aber sie kocht nicht.

Doch dann, endlich, ein heisser Tipp: In Schaffhausen gibt es einen noblen, geheimnisumwobenen Club: die über 600-jährige Bogenschützen-Gesellschaft . Der Erzählung nach sind ihre Mitglieder heute noch ehrwürdige Träger einer Armbrust. So betreten wir an einem nebligen Morgen suchend eine fein säuberlich getrimmte Wiese, der Mähroboter dreht unerbittlich seine Runde. Es ist der Garten des Hauses der Bogenschützen-Gesellschaft , wir erblicken einen weissen, unscheinbaren Schiessstand. Ein Nachbar des Anwesens spricht uns an:

Nachbar Suchen Sie etwas?
AZ Ja, die Bogenschützen-Gesellschaft.
Die finden Sie hier nicht. Was wollen Sie von denen?
AZ Wir sind von der Zeitung und wollen gerne mit einem der Mitglieder sprechen. Sind Sie sicher, dass das nicht das Gelände der Bogenschützen-Gesellschaft ist?
(Schweigen) Doch, schon …
AZ Also doch! Sind Sie auch Mitglied?
Nein, da ist nur die Crème de la Crème dabei.

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In einem Beitrag von Lokalhistoriker Hans Ulrich Wipf aus dem Jahr 2004 erfahren wir mehr über die exklusive Gemeinschaft , die heute nur noch 20 Mitglieder zulässt. Neueintritte sind nur möglich, wenn eine Armbrust frei wird, entweder durch Austritt oder durch Ableben (ob Ableben durch die Armbrust oft vorkommt, ist nicht bekannt). Die Mitgliederliste im Anhang der historischen Publikation ist eine Galerie der lokalen Wirtschaftsgrössen, neben ihnen namhafte Ärzte und Juristen, alles Mitglieder des Grossbürgertums – altes Schaffhauser Kapital.
Ein Kenner, der anonym bleiben will, nennt die Bogenschützen scherzhaft die «Säulen des Establishment». Aber er bezweifelt, dass die ganz grossen Vermögen hier zu finden sind. Altes Geld vermehrt sich zwar zuverlässig, aber vielleicht zu langsam, um von der Zukunfts-Initiative erfasst zu sein.

In den vergangenen Jahrzehnten haben Kanton und Stadt viel dafür getan, dass zum alten Schaffhauser Kapital auch neues kommt. Die Steuerfüsse purzelten in die Tiefe. Das hat dazu geführt, dass die Vermögen immer ungleicher verteilt sind: 2018 besassen im Kanton Schaffhausen ungefähr 51 Personen (oder Ehepaare) rund 1,7 Milliarden Franken – respektive 13 Prozent des gesamten versteuerten Vermögens (AZ vom 20. Februar 2025).

Doch unter die Juso-Initiative würden in Schaffhausen gerade mal die Vermögen der 15 Allerreichsten fallen. Das wissen wir aus einer Recherche der WOZ, welche Zahlen bei den kantonalen Steuerverwaltungen ermittelt und ausgewertet hat. Vier dieser 15 Superreichen leben laut dem städtischen Finanzreferenten in der Stadt Schaffhausen.
Ein weiterer Szene-Kenner vermutet, diese seien wohl mit unter den stillen Immobilienbesitzern anzutreffen. Wir kontaktieren einige, bei denen wir grosse Immobilienportfolios vermuten. Nur der Architekt und Immobilienunternehmer Edi Spleiss meldet sich zurück: «Wenn ich mit einem Wort auf Ihre Frage antworten müsste, was ich von der Juso-Initiative halte, würde ich klar sagen: NICHTS.»
Er, beziehungsweise seine Erben, seien allerdings von der Initiative nicht betroffen.

Da die Superreichen ihr Geld oft nicht selbst verwalten, rufen wir bei einem Treuhänder an.
AZ Guten Tag, wir suchen vermögende Personen, die von der Juso-Initiative betroffen wären. Können sie uns weiterhelfen?
Treuhänder Einige davon sind Kunden von uns. Namen kann ich Ihnen selbstredend keine geben.
AZ Wie sind diese Leute reich geworden?
Sie sind Unternehmer, sie haben ihr Vermögen selbst aufgebaut.
AZ Planen diese Personen einen Wegzug bei der Annahme der Initiative?
Ich kann Ihnen nicht mehr sagen als in der Zeitung steht.
AZ Sind Sie mit ihnen in Kontakt wegen der Juso-Initiative?
Wissen Sie, das sind smarte Leute, sonst hätten Sie kein solches Vermögen.

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Dass Superreiche ihr Vermögen alleine und mit eigenen Kräften aufgebaut haben, ist als Idee verlockend, aber nicht die Regel. Eine Studie der ETH-Ökonomin Isabel Z. Martínez zeigte vergangenes Jahr, dass zwischen 1989 und 2020 60 bis 80 Prozent der Vermögen der 300 reichsten Personen in der Schweiz in der Hand von Erben waren. Insgesamt können schätzungsweise nur gerade 40 Prozent der Superreichen in der Schweiz als «self made» bezeichnet werden, so ein Fazit der Studie.

Doch wir sind am Punkt, wo uns Zahlen nicht weiterhelfen. Aus der Vermögensstatistik des Kantons nehmen wir noch mit, dass die höchsten durchschnittlichen Vermögen in Buchberg und Stetten versteuert werden, dann steigen wir in Mutters Fiat und fahren Richtung Reiatgemeinde. Hier, wo die Steuern tief und die Hänge sonnig sind, wohnen Fachärzte, Juristinnen, ehemalige CEOs und Verwaltungsräte von Banken und Grosskonzernen. Der frühere Schlittelhang, wo vor zwanzig Jahren noch die Kinder durch den Schnee tollten, ist heute von bunkerhaften Häusern mit Garagenvorbau und Zufahrten zugebaut. Wir kurven den zersiedelten Dorfrändern entlang, bei klarem Wetter sieht man von den guten Lagen aus die Alpen. Beim Herumfahren lernen wir: Thuja ist immer noch der Evergreen. Und: Auch der toskanische Stil (Türmchen!) wird nie alt.

Vor einem besonders opulenten Grundstück halten wir an. Hier wohnt ein Geschäftsmann, der bei PM-International, einem global tätigen, im Kanton ansässigen Fitnessfutter- und Kosmetik-Konzern ein Vermögen verdient haben dürfte. Die weitläufige Villa ist von einem eisernen Zaun und Kameras umgeben, wir klingeln an der Gegensprechanlage am Tor. Niemand zu Hause.
Laut Steuerstatistik liegt das durchschnittliche steuerbare Vermögen in Stetten bei rund 650 000 Franken, doch, das zeigen die vielen Villen, muss es einige Ausreisser geben. Wir rufen Gemeindepräsident Thomas Müller (SVP) an. Er wisse nicht, ob es in Stetten Leute gäbe, die von der Erbschaftsinitiative betroffen wären. Er finde es aber wichtig, dass man den Vermögenden nicht das Gefühl gebe, sie seien nicht mehr willkommen.

In Stetten sind die Vermögenden nach wie vor sehr willkommen.
Vor bald zwanzig Jahren begann Stetten, mit immer tieferen Steuerfüssen um sie zu buhlen. Das geschah auf Kosten des Dorflebens: Heute schlummert es vor sich hin, es gibt keine Beiz, keinen Fussballclub, kein Schwimmbad. Diesen Herbst musste der Dorfl aden einmal mehr wegen zu wenig Kundscha schliessen. Gemeindepräsident Thomas Müller sagt: «Als Dorf sind wir bescheiden, wichtig ist, dass die Verwaltung und die Schule gut funktionieren.»

Wir wollen die goldene Ruhe der Stettemer nicht länger stören. Die Karte, auf der wir die grössten Swimmingpools eingezeichnet haben, lassen wir stecken. Auf dem Rückweg halten wir noch kurz beim Schloss Herblingen – das zur Gemeinde Stetten gehört. Es ist im Besitz zweier Brüder, Herrscher über ein Süssigkeitenimperium. Wir klingeln, doch von den Burgherren ist kein Zeichen zu vernehmen.
Etwas entmutigt fahren wir dem südlichen Kantonsteil entgegen. Unterwegs machen wir Halt in Jestetten und holen uns an der Edeka-Theke je ein Brötchen mit warmem Fleischkäse für 4,10 Euro. Wir resümieren: Die Reichsten wohnen relativ abgeschottet – hinter hohen Hecken, eisernen Gittern oder sogar Burgmauern.

Eine zweite Lektion, die wir bisher gelernt haben: Die Reichen residieren auf Anhöhen mit lieblicher Aussicht. Also auf zu unserem nächsten Ziel: Buchberg. Die Gemeinde hat Stetten jüngst mit einem noch tieferen Steuerfuss überholt. Sie liegt aus Stadtschaffhauser Sicht abgelegen, doch in Zürich- und Flughafen-Nähe. Hier wohnt etwa Giorgio Behr, geschätztes Vermögen laut Bilanz: 425 Millionen Franken.

Der Unternehmer, Handballmäzen und Bock-Verleger (vorletzte Woche kritisierte er im AZ-Interview das EU-Vertragspaket) willigte zuerst ein, mit der AZ über die Erbschaftssteuer zu sprechen – überlegte es sich dann aber anders. Schade, aber zum Glück haben wir noch andere Multimillionäre ausfindig gemacht. In Buchberg wohnen gemäss unseren Recherchen mindestens vier, deren Vermögen gross genug sind, um von der Initiative erfasst zu sein.

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Doch zuerst kehren wir bei Hanspeter Kern ein. Der SVP-Landwirt, ältester Gemeindepräsident im Kanton, setzt sich an den Holztisch in der warmen «Füchslistube», die seine Frau und er auf ihrem Hof im Dorfzentrum betreiben. In Buchberg lebe man nicht abgeschottet und das Dorfleben floriere, sagt Kern, und verdeutlicht das mit einer Anekdote, die er bei der Neuzuzügerfeier erzählt: «Wenn dir am Sonntagmorgen de Charre abliit, kannst du den TCS anrufen. Du kannst aber auch den Nachbarn nach einem Überbrückungskabel fragen. Wenn du den TCS anrufst, hast du es nicht kapiert.»

Kern erklärt stolz: «Die Vermögenden kommen an die Gemeindeversammlungen, engagieren sich, machen teilweise in unseren Vereinen mit. Hier ist keiner überheblich, niemand will eine Sonderlösung, alle halten sich an die Gepfl ogenheiten des Dorfes. Es gibt keine Kaste der Reichen.»

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Einer der Buchberger Superreichen ist Claude Cornaz, Verwaltungsratspräsident des Glasverpackungsherstellers Vetropack. Geschätztes Familienvermögen laut Bilanz: 300 bis 350 Millionen Franken. Wir fahren aus dem hübschen, historischen Dor ern zu seiner Villa, vorbei an Variationen von Thuja, die jene von Stetten in den Schatten stellen. Claude Cornaz ist ein gesuchter Mann: In den Gassen des waadtländischen Saint-Prex hingen im Sommer letzten Jahres «Wanted»-Plakate mit seinem Konterfei. Nachdem der dortige Produktionsstandort von Vetropack geschlossen wurde, forderten Gewerkschaften und entlassene Mitarbeitende, dass Cornaz an den Verhandlungen um den Sozialplan teilnehme. Abgetaucht sei der Fabrikerbe, warfen sie ihm damals vor.

Ob wir ihn in Buchberg finden? Wir klingeln. Doch auch hier: niemand zu Hause.
Ein «Wanted»-Plakat haben wir nicht dabei.
Auffällig ist bei unserem Streifzug die hohe Dichte an Gartenbauer:innen, die ihre Arbeitsfahrzeuge vor dicken Villen parkieren. Eiserne Regel: Wer den englischen Rasen nicht ehrt, ist die Millionen nicht wert, und der sich selbst in Zierform stutzende Thuja ist noch nicht erfunden.

Nächster Halt: Hans-Ulrich Lehmann. Sein Vermögen wurde von der Bilanz einst auf mehrere hundert Millionen Franken geschätzt. Eingeladen beim Männerfrühschoppen in Wilchingen sagte er vor nicht
langer Zeit: «Der Mensch ist viel mehr als Geld.» So entnehmen wir dem Klettgauer Boten. Wie wir einem Baugesuch entnehmen, wollte der Handy-Pionier und Hotelunternehmer vor einem Jahr sein Buchberger Einfamilienhaus abreissen und ein neues bauen. Als wir davor stehen, sind wir unsicher, ob es das alte oder bereits das neue ist. An der Tür informiert uns eine Frau, Hans-Ulrich Lehmann sei nicht zu Hause – er sei hier schwer zu erreichen.

Fast haben wir die Hoffnung auf eine Begegnung mit einem Multimillionär aufgegeben. Nur eine letzte Adresse haben wir noch auf unserer Liste: Stefan Geiger. Der Informatiker wollte vor zwanzig Jahren ein Spiel entwickeln und gründete mit Freunden die Firma Giants Software. Ihr Landwirtschafs-Simulator ist heute das erfolgreichste Computerspiel aus der Schweiz. Wir klingeln und erwarten, auch hier sei niemand zu Hause. Doch dann öffnet ein Mann Ende 30 die Tür.
Wir hätten mit ihm gerne über die Erbschaftsinitiative gesprochen, sagen wir. Stefan Geiger ist überrascht, bittet uns aber herein. Wir folgen ihm ins Esszimmer und setzen uns an den Tisch.

AZ Wie werden Sie abstimmen?
Stefan Geiger Klar nein. Meine Nachkommen wären betroffen, ich versuche aber abgesehen davon, immer so abzustimmen, dass es für die Allgemeinheit passt. Und diese Initiative ist viel zu extrem.

AZ Was würden Sie tun, wenn Sie angenommen wird?
Geiger Ich bin noch nicht im Alter, wo ich mir Gedanken über das Vererben
mache. Zudem bin ich hier im Dorf sehr verwurzelt, ich bin hier aufgewachsen und würde bei einer Annahme der Initiative nicht ans Wegziehen denken. Ich habe auch grundsätzlich das Gefühl, dass in Buchberg nicht viele Betroffene abwandern würden.

AZ Nehmen Sie es persönlich, dass man Ihnen ans Portemonnaie will?
Geiger Nein. Prinzipiell sehe ich ja den Hintergrund und den Sinn solcher
Begehren. Ich sehe es auch nicht als Angriff auf die Reichen.

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Auf dem Rückweg in die Stadt ziehen wir Fazit. Von den 15 Superreichen im Kanton haben wir wohl rund die Hälfte identifiziert. Vier wohnen in der Stadt, einige in Stetten, wohl ebenfalls vier in Buchberg.
Geht die Schweiz unter, wenn sie die Erbschaften der Superreichen antastet? Kaum. Aber nach unseren Recherchen, Einblicken in die High Society und Ausflügen scheint uns eines gewiss. Egal, was am 30. November passiert: Stetten wird überleben. Buchberg wird überleben. Die Thujahecken werden weiter gedeihen.

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