Krieg um die Sterne

30. Oktober 2025, Mattias Greuter
Fotos: Robin Kohler
Fotos: Robin Kohler

Das Lichtfestival «Rheinlicht» löst Staunen aus – aber nicht nur. Die Sternwarte kritisiert die riesigen Scheinwerfer auf dem Munot.

Es ist ein Konflikt, der wohl nicht mehr zu lösen ist. Beide Seiten sind frustriert, und dabei wünschen sie einander eigentlich nur das Beste. Denn beide beschäftigen sich mit Licht.

Die eine Seite: Das «Rheinlicht», die erste Durchführung des neuen Lichtfestivals, das gestern Mittwoch begonnen hat und noch bis zum 9. November andauert. Bereits am Dienstag dieser Woche warf das Festival seine Lichtkegel voraus: Weit herum zu sehen waren riesige Scheinwerfer, die vom Munot aus den Nachthimmel erhellten.

Aber Moment: Diese sogenannten Skybeamer sind in der Stadt Schaffhausen seit über zehn Jahren verboten.

«Der Himmel ist zu hell»

Darauf beruft sich Philipp Riesen, Leiter der Sternwarte Schaffhausen und damit Vertreter der anderen Seite. Er weiss, bei der Evaluation des Standorts der neuen Sternwarte fand man einen Kompromiss: Man baute nahe an den Stadtrand, sorgte aber gleichzeitig dafür, dass keine zusätzlichen Lichtemissionen den Betrieb stören würden – unter anderem mit einem Verbot von Skybeamern in einem Stadtratsbeschluss vom 21. August 2012.

Riesen ist verärgert. Genau jetzt hat für die Sternwarte die wichtigste Phase des Jahres begonnen: Die Sommerzeit ist zu Ende, was Führungen und Beobachtungen früher am Abend ermöglicht – ohne dass es auf der grossen Beobachtungsplattform schon fast zu kalt wäre. Ausserdem sind am Abend beispielsweise Saturn – auf den Sternengucker:innen das ganze Jahr gewartet haben – und die Andromeda-Galaxie über dem Munot zu sehen, Highlights bei Führungen. «Ein Betrieb der Sternwarte ist nicht möglich, wenn ein Skybeamer läuft», sagt Riesen. «Der Himmel ist schlicht zu hell.»

Er weiss, wovon er spricht: Vor drei Jahren hat ein nicht bewilligter Skybeamer fast den ganzen Nachthimmel erhellt und Beobachtungen verunmöglicht. Der Skybeamer des Lichtfestivals ist – kaum überraschend –genau dann in Betrieb, wenn auch die Sternwarte ihre beste Zeit hat, nämlich von 18 bis 22 Uhr. Sternengucker und Lichtkünstler:innen beanspruchen zur gleichen Zeit das gleiche Gut: die Dunkelheit.

Während des zwölftägigen Lichtfestivals finden in der Sternwarte mehrere Gruppenführungen sowie zweimal die samstägliche öffentliche Führung statt, für die bereits Tickets verkauft sind – «ich weiss jetzt nicht, ob ich sie absagen muss», klagt Riesen. Dazu kommt, dass die Sternwarte, abgesehen vom Publikumsbetrieb, Daten für Forschungsprojekte sammelt und Sternenfotograf:innen ihre Teleskope zur Verfügung stellt.

Viel Wohlwollen auf beiden Seiten

Wie ist das Schlamassel entstanden? Warum hat das «Rheinlicht» eine Bewilligung inklusive Skybeamer, obwohl diese verboten sind? Zugrunde liegt ein Missverständnis. Denn die Stadtpolizei erteilte die Bewilligung am 14. Oktober und machte darin eine Auflage: Für den Skybeamer brauche es das OK, erstens von Skyguide (die für die Flugsicherheit am Flughafen Kloten verantwortliche Organisation) und zweitens von der Sternwarte. Dem privaten Verein, der die Sternwarte betreibt, wurde also ein Veto­recht zugesprochen.

Das Lichtfestival kontaktierte also die Sternwarte und erhielt als Antwort eine E-Mail eines Vereinsmitglieds, das unglücklicherweise schrieb, «einer Bewilligung unsererseits» stehe «nichts im Wege» – was die Leute vom Lichtfestival verständlicherweise als klare Erlaubnis verstanden. Erst zwei Tage später hörte Sternwarte-Leiter Philipp Riesen davon und schrieb an die Stadtpolizei und ans Lichtfestival, man möge bitte das Verbot beachten und auf den Betrieb von Skybeamer verzichten.

Riesen, wenn auch verärgert, endet sein Mail mit guten Wünschen für das Lichtfestival und schlägt vor, in Zukunft auch mal etwas Gemeinsames auf die Beine zu stellen. Auch gegenüber der AZ betont er, das Lichtfestival fände er eine gute Sache, er habe nichts dagegen – obwohl es auch ohne Skybeamer eine gewisse zusätzliche Emission und damit verschlechterte Bedingungen für Sternengucker:innen bedeute. Zum riesigen Mond auf dem Herrenacker gratuliert er dem Verein Rheinlicht explizit. Nur mit den gigantischen Lichtkegeln über dem Munot kann er sich nicht anfreunden.

«Das ist kein Skybeamer»

Roger Staub steht gerade auf dem Fronwagplatz, als ihn der Anruf der AZ erreicht: Es ist Dienstagabend, es gilt die letzten Details zu planen und viel zu testen. Über der Stadt leuchten hell die auf dem Munot aufgestellten Skybeamer, deren Abläufe gerade programmiert werden. Anders als die 20 Lichtinstallationen in der ganzen Stadt sind sie nicht von eingeladenen Lichtkünstler:innen erdacht, sondern quasi das leuchtende, instagramtaugliche Aushängeschild des Festivals selbst.

Staub erzählt, wie die Idee für das Festival entstand, und wie daraus in einer mehrjährigen Planung ein konkretes Projekt wurde: «Hochstehende Lichtkunst aus ganz Europa, aber auch aus der Region» werde geboten, sagt Staub, zu sehen sei «Licht in ganz unterschiedlichen Qualitäten, vom Laser bis zu Fassadenprojektionen». Beim letzten Wort fühlen sich manche vielleicht an das Stars in Town erinnert, das dieses Jahr die Fassaden rund um den Fronwagplatz mit bunten Projektionen beleuchtete, und das ist kein Zufall: Nebst Roger Staub stecken Rainer Roduner und Adrian Brugger hinter der Idee des Lichtfestivals, zwei zentrale Figuren in der Entstehung von Stars in Town.

Roger Staub erzählt, man habe eine ganze Reihe von Verbänden und Betroffenen miteinbeziehen müssen. Wenn es um Licht geht, haben viele etwas zu sagen; Umweltverbände, Fledermausschützer:innen, Vogelkundler:innen. Ein Vetorecht gegen Skybeamer, von denen auch Insekten, Vögel und Fledermäuse stark betroffen sind, hat nebst Skyguide aber nur die Sternwarte.

«Ich bedaure den Interessenskonflikt», sagt Staub, hält aber auch fest: Wir haben eine Bewilligung.» Auf das Skybeamer-Verbot angesprochen, wird er technisch: «Was wir haben, ist kein Skybeamer.» Es handle sich vielmehr um «konventionelle Moving Lights, wie man sie im Konzertbereich braucht». Das scheint ein Argument zu sein, das im Nachhinein entstanden ist: In seinem Mail an die Sternwarte sprach Staub selbst noch von Skybeamern, und es ist ziemlich klar, dass die Stadt mit ihrem Verbot alle gegen Himmel gerichteten Strahler meint – ob man diese nun als «Skybeamer» oder «Moving Lights» bezeichnet.

Unglücklich gelaufen

Staub führt weiter an, von einem potenziellen Interessenskonflikt mit der Sternwarte erst erfahren zu haben, als die Stadtpolizei ihm die Bewilligung ausgesprochen habe. Da sei es natürlich zu spät gewesen: «Es geht um Installations- und Personalkosten von mehreren Tausend Franken.» Staub drückt aber auch Verständnis für die Situation der Sternwarte aus – Philipp Riesens Idee für eine künftige Zusammenarbeit gefällt ihm. Das unbedarfte OK von der Sternwarte-Mitarbeiterin, die Kommunikation von Seiten Stadtpolizei: «Das ist leider wirklich unglücklich gelaufen», sagt Staub.

Was also bleibt? Zwei Vereine, die sich mit Licht beschäftigen, zwei Verantwortliche, die sich gegenseitig nur das Beste wünschen – der Konflikt hat etwas Tragisches. Hätte er wirklich eskalieren müssen?

Wer für eine Veranstaltung eine Bewilligung von der Polizei erhält, liest darin auch die Verpflichtung, mit allen Betroffenen einvernehmliche Lösungen zu finden – und die Stadtpolizei einzubeziehen, wenn dies nicht möglich ist. Das Lichtfestival hat stattdessen der Sternwarte ihr Bedauern ausgedrückt und die Skybeamer eingeschaltet.

Wir schenken Dir diesen Artikel. Aber Journalismus kostet. Für nur 40 Franken gibt es die AZ probeweise für drei Monate: Hier geht es zum Probe-Abo. Oder zahl uns via Twint einen Kafi: