In der Neustadt will eine Zürcher Immobilienfirma Häuser kaufen. Aus anderen Wohnungen hat sie bereits Airbnb-Apartments gemacht. Geht es hier um das ganz grosse Geschäft?
Anfang August flatterte in mehrere Briefkästen in Schaffhausen derselbe Brief. Die Adressat:innen: Leute, denen in der Neustadt ein Haus gehört. Der Absender: Ein Michael Steiner aus Dübendorf, der schreibt, er sei Teil eines «kleinen Immobilien-Familienbetriebs» mit einer «Vorliebe für schöne Altstadtbauten». Er kommt schnell zur Sache: Steiner wolle die Häuser der Angeschriebenen kaufen. Ihm würden bereits zwei Liegenschaften in der Neustadt gehören, zu den Mietern bestehe «ein sehr gutes Verhältnis» und auf die historischen Bauteile der Häuser werde «sehr viel Wert gelegt».
Wie Steiners Firma heisst, steht im Brief nicht, der Adressstempel auf der Rückseite verweist auf eine Dübendorfer Privatadresse. Erst im Handelsregister wird man fündig: Michael Steiner ist der Inhaber der MST Real Estate AG aus Dübendorf.
Seine beiden Häuser an der Neustadt 2 und 18 vermietet Michael Steiner allerdings nicht nur an Privatpersonen, wie AZ-Recherchen zeigen, sondern an Gäste aus aller Welt. Fünf der zehn Wohnungen in den zwei Altstadthäusern werden auf der Homesharing-Plattform Airbnb als Ferienunterkünfte angeboten. Als Gastgeber der uniformen, hell renovierten Apartments tritt allerdings nicht Michael Steiner, sondern eine Vermietungsfirma aus Kreuzlingen und eine Privatperson auf, die in Schaffhausen mindestens zehn und weltweit über dreissig Wohnungen und Häuser auf Airbnb vermietet.
Versucht hier also ein ruchloser Zürcher Investor gerade, die Neustadt aufzukaufen, um mit der Vermietung von Airbnbs das grosse Geld zu machen?
Anruf bei der MST Real Estate AG. Michael Steiner gibt offen und freundlich Auskunft über seine Schaffhauser Häuser und das, was darin passiert. Stellenweise wirkt er gar unbedarft, etwa wenn er sagt, er habe mit seinem Immobilienunternehmen sein Hobby zum Beruf gemacht hat. «Ich verfolge keine Strategie in der Neustadt. Meine einzige Strategie ist, Geld in Immobilien statt bei Banken anzulegen.» Und die MST Real Estate AG, so gibt Michael Steiner gegenüber der AZ zu, ist eigentlich nur er. Weil er seine Immobilien einst seinen Kindern vermachen will, nennt er sich jetzt schon Familienunternehmen.
Das mag nicht ganz zum Bild des kaltherzigen Immobilienhaien passen. Doch wie Recherchen der AZ zeigen, gibt es durchaus Fragezeichen dahinter, wie strategielos der Dübendorfer tatsächlich vorgeht. Und auch, wie gut das Verhältnis zu den Mieter:innen in seinen Häusern an der Neustadt wirklich ist.
Undurchsichtige Umbauten
Von den Pflanzentrögen, die auf den Aufnahmen der Neustadt 18 auf Google Maps noch auf den Fenstersimsen des weissen Hauses «Zum roten Kreuz» sitzen, ist heute nichts mehr zu sehen. Stattdessen stehen zwischen den Namen von Mieter:innen auf den Klingelschildern «City-Maisonette 1», «City-Maisonette 2» und «Magnolia Homes» – der Name jener Firma, die die beiden Wohnungen im weissen Haus von Steiner mietet, um darin Airbnb-Apartments anzubieten.
Die Liegenschaft mit fünf Wohnungen, einer sechsten, grösseren im Dachgeschoss und einem ebenerdigen Ladenlokal gehört Michael Steiners Firma seit fast zehn Jahren. Steiner setzte damals, 2016, eine neue Verwaltung ein, übernahm aber alle bestehenden Verträge und erhöhte die vergleichsweise tiefen Mieten der bisherigen Bewohner:innen nicht. Doch seit Kurzem ist es mit der Beständigkeit vorbei: Fünf von sechs Mietparteien im Haus hat Michael Steiner innerhalb der letzten zwei Jahre gekündigt.
Die AZ hat mit vier heutigen und ehemaligen Mieter:innen der Neustadt 18 gesprochen. Aus Angst vor Komplikationen möchten sie alle anonym bleiben. Was sie unabhängig voneinander erzählen, hinterlässt zweierlei Eindruck: Jenen einer eingeschweissten Mietergemeinschaft, die aufeinander aufpasste und nun durch Kündigungen auseinandergerissen wurde – und den eines Hauseigentümers, der die langjährigen Mieter:innen über vieles im Ungewissen liess.
Die Kündigungen begannen vor gut zwei Jahren nach einem Wasserschaden. Zwei Mieter:innen mussten gehen, weil die Steigleitung zu den Wohnungen saniert werden musste, so die Begründung, auch Feuchtigkeit sei ein Problem. Beide gekündigten Parteien hatten über zehn Jahre im Haus gewohnt, die eine erhielt eine neunmonatige Kündigungsfrist, die andere eine von drei Monaten, sagt ein ehemaliger Mieter.
Im Haus stiefelten bald Handwerker ein und aus, die Neustadt 18 wurde zur partiellen Baustelle, bis sich die verbleibenden Mieter:innen im Frühjahr 2025 in einer E-Mail bei der Verwaltung beschwerten. Die Informationen über die Sanierungsarbeiten im Haus seien unzureichend, monierten sie. Die Antwort der Verwaltung: Eine Einladung zum «Info-Anlass» zehn Tage später – allerdings nur an einen Teil der verbliebenen Mieter:innen.
An besagtem Treffen dann, zwei Verwaltungsmitarbeitende und Michael Steiner auf der einen Seite, drei Mieter:innen auf der anderen, kam die lang erwartete Information prompt: Im dritten Satz sprach Steiner den Mieter:innen die Kündigung aus. So schildern es Betroffene. Sie erinnern sich an eine «tribunalartige» Konstellation – fast als hätte man sich wappnen wollen, falls eine:r Mieter:in der Kragen platze. Auch dieses Mal war die kaputte Steigleitung der Grund für die Kündigungen; auch dieses Mal hatten zwei der Mieter:innen über zehn Jahre im Haus gewohnt. Die Kündigungsfrist dieser drei Mieter:innen aber: ein Jahr.

Neben dem unzureichenden Informationsfluss und der unvermittelten Kündigung langjähriger Mieter:innen erheben die ehemaligen Bewohner:innen der Neustadt 18 auch weniger gravierende Vorwürfe gegen den Eigentümer. Es sind solche, die man aus vielen Mietshäusern kennt: Dreck und Lärm während des Umbaus, dazu ein zehntägiger Kaltwasserunterbruch.
Mit den Vorwürfen der ehemaligen Mieter:innen konfrontiert, relativiert Steiner. Vielleicht hätte er hie und da besser informieren können. Aber er sagt auch: «Es war allen klar, dass umgebaut werden muss, das Haus wurde zuletzt vor 40 Jahren saniert. Die Alternative zu den schrittweisen Renovationen wäre eine Totalsanierung des Hauses, was mich sehr viel kosten und die Mieten stark erhöhen würde.»
Er habe auf Beschwerden der Mieter:innen schnell reagiert und die Schäden jeweils möglichst rasch zu beheben versucht. Für die Kündigungen im Frühling 2025 sei es allerdings höchste Zeit gewesen: «Wir hatten grosses Glück, dass der Wasserschaden im allgemeinen Bereich und nicht in den Wohnungen passiert war. Dann hätten die Mieter:innen ihre Wohnungen sofort verlassen und in einem Hotel unterkommen müssen.» Wie gross diese Gefahr war, habe er durch einen Sanitärfachmann in einem Gutachten attestieren lassen und den betroffenen Mieter:innen offengelegt. Diese berichten von einem komplett korridierten Rohrstück, das der Vermieter am «Info-Anlass» bei der Verwaltung vorzeigte, um den miserablen Zustand der Leitung zu unterstreichen.
Auch wenn die Mieter:innen vor den Kopf gestossen wurden – Steiner bringt gute Gründe für die Kündigungen im alten Haus an. Fakt ist aber: Innerhalb von rund zwei Jahren mussten die meisten Mieter:innen der Neustadt 18 ihre Wohnungen verlassen; zwei davon werden heute als Airbnbs vermietet, in denen Tourist:innen für gut 100 bis knapp 300 Franken pro Nacht übernachten.
Beim Mieterinnen- und Mieterverband Schaffhausen ist man über die Entwicklungen in der Neustadt informiert, sagt Gianluca Looser. «Wir kritisieren das Vorgehen scharf. Die MST Real Estate AG lässt in der Neustadt günstigen Wohnraum verschwinden.»
Niemand will eine Neustadt-Wohnung
Steckt dahinter nicht doch eine Strategie?
Nein, sagt Michael Steiner am Telefon. «Die Airbnbs sind eine Notlösung». Er hätte keine andere Wahl gehabt, weil er die zwei Wohnungen an der Neustadt 18 und die drei an der Neustadt 2 nicht «klassisch» habe vermieten können. Altstadtwohnungen mit «schwierigem» Grundriss, ohne Lift, ohne Balkon und ohne nachhaltige Heizungen seien nicht attraktiv; eine enge und instabile Treppe, wie sie in der Neustadt 2 verbaut sei, würde heute nicht einmal mehr bewilligt, sagt er.
Er habe die Wohnungen auf der Immobilienplattform Flatfox ausgeschrieben – doch die Nachfrage sei ausgeblieben. Steiner begründet dies mit den «sehr stark» angestiegenen Ansprüchen der Mietenden; in Zürich hätte er für dieselbe Wohnung innert eines Tages zwanzig Bewerbungen gehabt, sagt er. Jetzt vermiete er die fünf Wohnungen eben an die zwei Gastgeber für Airbnbs. «Ich verdiene daran nichts», behauptet Steiner.
Touristen allerdings scheinen seine Wohnungen trotz angeblicher Baumängel zu schätzen. Die Bewertungen der Gäste auf der Airbnb-Plattform sind gut: Alle fünf Apartments in seinen beiden Häusern haben über 4 von 5 Sternen, drei gar über 4,7.
Die drei Wohnungen, die in der Neustadt 18 wegen drohender Wasserschäden demnächst saniert werden, sollen Mietwohnungen bleiben, und auch die Wohnungen in jenen Häusern, die er in der Gasse neu kaufen will, sagt Steiner. Auf seinen persönlichen Brief habe er bereits positive Rückmeldungen bekommen. Er sagt: «Die Leute schätzen es, wenn sie ohne Makler verkaufen können.» Steiner stellt seine Idee als Win-Win-Modell dar: Die Verkäufer:innen erzielen einen weniger hohen Preis, dafür übernehme Steiner auf Wunsch der Vorbesitzer die bestehenden Mietverhältnisse. «Damit verdiene ich zwar weniger, ich bezahle aber auch weniger für die Liegenschaft», sagt er. Angebote aus anderen Gassen, etwa der Webergasse, interessieren ihn nicht – zu teuer.
Ob die vorherigen Mieter:innen in der Neustadt 18 aber wieder einziehen könnten, ist höchst ungewiss. Auf die Frage der AZ, ob die ehemaligen Mieter:innen kein Interesse an den sanierten Wohnungen gezeigt hätten, sagt Steiner, seines Erachtens hätte die von ihm eingesetzte Verwaltung den Ehemaligen ein Vormietrecht gewährt. Ganz genau weiss er es am Telefon allerdings nicht mehr. Ein ehemaliger Mieter bestätigt zwar, dass er von der Verwaltung eine E-Mail erhalten habe mit dem Versprechen, dass er als Erster über die Mietbedingungen in der frisch sanierten Wohnung informiert würde. Gehört habe er dann allerdings nichts.
Was aber macht die Ausbreitung von Ferienwohnungsangeboten mit der Neustadt – und der Stadt als Mietplatz im Allgemeinen?
Die Neustadt bleibt
«Airbnbs sind nur die Spitze des Eisbergs», sagt Christian Erne auf Anfrage. Erne ist Teil des Neustadt Konsortiums, dem Quartierverein der Strasse. Er sagt: «Auch in der Neustadt wird an verschiedenen Orten mit Wohnraum Profit gemacht, auch hier sind die Mieten gestiegen.» Dass sich hier auf eine Wohnung, die sich im Preissegment der Strasse befindet, niemand bewerbe, sei eine Ausrede.
Der Quartierverein wolle Airbnbs nicht per se verteufeln – es gebe viele kleine private Anbieter:innen, die ihre Wohnungen mit viel Herzblut betreiben und nicht auf Profit aus sind. «Für uns ist aber eine rote Linie überschritten, wenn Leute, die 20 Jahre in einem Haus gewohnt und brav Miete bezahlt haben, auf die Strasse gestellt werden.» Betroffene sollen sich zusammenschliessen und sich an die Quartiervereine wenden, sagt Erne.
Das Neustadt Konsortium und der Mieterinnen- und Mieterverband Schaffhausen erwägen unabhängig voneinander, politisch aktiv zu werden, sollte sich die Lage weiter zuspitzen. Andere Schweizer Städte haben strengere Regulierungen für Airbnbs wie eine Maximaldauer der Vermietung bereits implementiert. Auch in Schaffhausen werde der günstige Wohnraum immer rarer, sagt Gianluca Looser vom Mieterverband: «Schaffhausen hat schon heute mit schnell steigenden Mieten zu kämpfen, in den letzten zwei Jahren sind die Angebotsmieten über 17 Prozent gestiegen. Die Verbreitung von Airbnbs in vorher dauerhaft vermieteten und bezahlbaren Wohnungen verknappt den Wohnraum und hebt das Preisniveau.»
Die Neustadt und ihre lebendige, nachbarschaftliche Gassenkultur dürften so schnell aber keinen Schaden nehmen. Christian Erne sagt: «Für ein Quartier ist diese Entwicklung gefährlich. Aber es spricht für die gut funktionierende Community der Neustadt, dass solche Veränderungen schnell öffentlich werden.»
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