Gewiefte Gastgeber

25. Oktober 2025, Fabienne Niederer
Home is where your heart is: In diesem Fall ist Schaffhausen das Zuhause, das den Tourist:innen seine Türen öffnet. Foto: Robin Kohler
Home is where your heart is: In diesem Fall ist Schaffhausen das Zuhause, das den Tourist:innen seine Türen öffnet. Foto: Robin Kohler

Teil 2 unserer Airbnb-Recherche reicht über die Grenzen der Neustadt hinaus – und enthüllt weitere Details, die bis zur Wirtschaftsförderung führen.

Vergangene Woche berichteten wir von kleinen, klobigen Schlüsselboxen, die an Haustüren in der Neustadt montiert sind, und von kühnen Kaufangeboten in Briefform, die hiesige Hausbesitzer:innen erreichten. 

Die Geschäftsidee ist so altbekannt wie gewieft: Fünf Wohnungen der beiden Häuser, die der Immobilienmagnat Michael Steiner bereits gekauft hatte, wurden bald in uniforme, nach typischer Airbnb-Manier ausgestattete Unterkünfte umgewandelt. Preis: gut 100 bis knapp 300 Franken pro Nacht. Wie die Recherchen in der AZ von letzter Woche zeigen, mussten die meisten der vorherigen Mieter:innen nach Steiners Übernahme gehen. Das sorgte für Kritik: Das Unternehmen Steiners lasse in der Neustadt günstigen Wohnraum verschwinden, so Gianluca Looser vom Mieterinnen- und Mieterverband Schaffhausen. 

Wie aber sieht es über die Neustadt hinaus in der Altstadt aus?

Der Überblick

Wir klopften zuerst beim kantonalen Volkswirtschaftsdepartement an – dieses zieht die Kurtaxe ein, die alle Gäste bezahlen müssen. Seit rund sechs Jahren gilt eine Vereinbarung, die der Kanton mit Airbnb getroffen hat: Die Kurtaxe wird den Gästen direkt bei der Buchung abgezogen und an die Behörden weitergeleitet. Theoretisch könnten daraus Rückschlüsse auf die Anzahl Gäste gezogen werden. Laut Departementssekretär Daniel Sattler ist dem aber nicht so: Er habe nur Einsicht in die kurtaxenpflichtigen Übernachtungen insgesamt. Wie viele davon von Airbnb stammen, lasse sich nicht eruieren.

Also schauten wir uns woanders um und schliesslich stellte uns der Datenanalyse-Anbieter «AirDNA» einen Datensatz zur Verfügung. Die Zahlen zu unserem Randkanton bestätigen dabei, was wir bereits für den Rest der Schweiz wissen: Die Anzahl an Airbnbs nimmt zu. Im August 2025 kletterte die Zahl der Airbnb-Angebote im Kanton Schaffhausen auf einen neuen Höchstwert von 157 (siehe Grafik auf Seite 4).

Erwartungsgemäss befinden sich die allermeisten dieser Unterkünfte in der Stadt Schaffhausen, mit ein paar Ausreissern in Neuhausen und Stein am Rhein. Auch der Tagespreis erhöht sich stetig (siehe Grafik auf Seite 5): Kostete eine Nacht in einem Schaffhauser Airbnb vor sechs Jahren noch durchschnittlich 70 bis 89 Franken (je nach Saison), so kostet sie im Jahr 2025 bereits 128 bis 141 Franken im monatlichen Durchschnitt.

Neue Unterkünfte scheinen regelrecht aus dem Boden zu schiessen. Wer aber steckt hinter den ganzen Angeboten, den hergerichteten Ferienwohnungen und Business-Apartments?

Der Profi

Wer sich durch die hiesigen Airbnb-Angebote klickt, trifft immer wieder auf denselben Namen mit demselben freundlichen Gesicht: Airbnb-«Host» Reto. In seinem Benutzerprofil gibt er sich als privaten Gastgeber aus, den man als Besucher auf seine Interessen «Filme», «Skifahren» oder «Gastro-Szenen» ansprechen soll, um den Smalltalk anzustossen. Beim Feld «Arbeit» schreibt er nur: «Leidenschaftlich».

Laut den rechtlichen Bestimmungen der Buchungsplattform bedeutet ein privates Profil: Die Unterkünfte werden lediglich als Nebenerwerb angeboten, sind also keine Haupteinnahmequelle, und stammen nicht aus einer professionellen Verwaltung. Schnell wird jedoch klar, dass diese Rechnung kaum aufgehen kann.

Allein in der Region Schaffhausen bietet Reto zehn Unterkünfte an, die meisten davon in der Altstadt. Insgesamt findet man auf seinem Profil knapp 30 Inserate, die in der ganzen Schweiz verteilt sind. Ein Blick ins kantonale Grundbuch verrät ausserdem: Nicht eine der Wohnungen, die Reto hier anbietet, gehört ihm. Offenbar tritt er nur als Gastgeber auf. Reto ist es auch, der für die MST Real Estate AG – die Firma von Michael Steiner – in der Neustadt als Host figuriert, das heisst: Zwei der Wohnungen auf Retos Airbnb-Profil gehören zu Steiners Neustadt-Häusern. 

Reto nennt alle seine Unterkünfte passenderweise «R-Apartments». Dieses Schlagwort, gemeinsam mit dem Vornamen, führt schliesslich zum Unternehmen, das hinter den Vermietungen steckt: Die Elevate Schweiz GmbH, geführt von Reto Kurt Baumgartner. 

Die Grafik zeigt den Durchschnitt der Anzahl angebotener Unterkünfte nach Monaten; deutlich zu sehen ist der starke Anstieg nach der Pandemie. Daten: AirDNA
Die Grafik zeigt den Durchschnitt der Anzahl angebotener Unterkünfte nach Monaten; deutlich zu sehen ist der starke Anstieg nach der Pandemie. Daten: AirDNA

Die Firma aus Solothurn verspricht auf ihrer Website «the perfect blend of work and holiday». Sie hat sich auf edle Business-Apartments spezialisiert, die mit Fischgrätparkett und Stuckdecken die Geschäftsleute anziehen sollen. Wir kontaktieren Baumgartner über seine Mitarbeiterin und erhalten eine Handynummer. Auf unsere Anfrage hin zeigt er sich offen: «Wir haben verschiedene Geschäftszweige, diese Wohnungen sind einer von ihnen», erklärt er am Telefon. Als wir von ihm wissen wollen, ob das Anbieten von Geschäftswohnungen lukrativ sei, reagiert er mit Gelächter: «Wenn man es schafft, es hocheffizient zu machen, dann rentiert es sich, ja.» Je nach Personalaufwand könne sich das jedoch ändern, ausserdem gebe es starke saisonale und regionale Schwankungen. 

Die meisten seiner Gäste seien Geschäftsleute, so Baumgartner, aber auch Tourist:innen buchten die Wohnungen. Er bestätigt, die Unterkünfte für die Schaffhauser Hausbesitzer:innen zu verwalten. «Der Grund, weshalb wir in Schaffhausen so viele Wohnungen haben, ist, weil wir eine gute Zusammenarbeit mit der lokalen Wirtschaftsförderung sowie dem Tourismusbüro führen.» Die Wirtschaftsförderung erhalte regelmässig Anfragen von Geschäftsleuten, die hier arbeiten und eventuell auch langfristig nach Schaffhausen übersiedeln wollen. «Man ist sehr stark dabei, internationale Firmen anzuziehen, und da kommen die Leute oft als ersten Schritt zu uns.» Häufig entspräche ein Hotel nicht dem Bedürfnis der Mitarbeitenden, die auch mit der Familie hierherkommen. «Wir sind darum wie eine Art Partner für die Organisationen und machen den Gästen ein gutes Angebot», so Baumgartner. 

Auf die Frage, weshalb Baumgartner auf Airbnb als Privatperson «Reto» und nicht als gewerblicher Gastgeber auftaucht, gibt der Firmenchef «pragmatische Gründe» an: «Das ist historisch so gewachsen», heisst es am Telefon. «Mit der Zeit haben sich sehr viele gute Bewertungen angesammelt, es ist darum ein relevantes Profil. Wenn wir das jetzt, wo die Firma gewachsen ist, umstellen würden, würden wir all diese Bewertungen verlieren. Auf ein gewerbliches Profil umzustellen, hat bisher nicht funktioniert.» 

Der Hausbesitzer

Fast ein Dutzend Unterkünfte in derselben Stadt, alle vom gleichen Anbieter: Hier macht eine Firma Geld mit Airbnb. Aber auch private Hausbesitzer nutzen die Plattform für ihre Interessen. So ein Vermieter, der für diese Geschichte anonym bleiben möchte. Wir entdecken sein Inserat und vereinbaren ein Telefongespräch.

Er erklärt uns: Seit diesem Frühling bietet er eine seiner Wohnungen, ein kleines Studio in der Altstadt, vorübergehend als Airbnb an und wohnt selbst im obersten Stockwerk des Gebäudes. «Ich muss schon sagen: Wenn jemand nur eine oder zwei Nächte kommt, bedeutet das viel Aufwand.» Trotzdem wolle er, anders als viele andere Anbieter, keine Minimaldauer für den Aufenthalt festlegen, und biete die Unterkunft auch nicht lückenlos an. «Kurz bevor oder nachdem ein Gast kommt, blockiere ich die Wohnung, damit ich keinen Stress habe und alles wieder herrichten kann.» In den Lücken bleibe das Zimmer für Verwandte und Freunde frei, die ihn in Schaffhausen besuchen wollen. Das sei für ihn finanziell tragbar: «Ich muss nicht dieselbe Rechnung machen, wie das beispielsweise ein Hotel muss, ich habe ganz andere Ausgaben.» Ausserdem ergebe sich ein praktischer Nebeneffekt: «Ich kann dem Mietobjekt viel besser schauen, als wenn ein Langzeitmieter darin wohnen würde.»

Die Grafik zeigt den Anstieg der Übernachtungspreise in Airbnb-Unterkünften sowie des Ertrags. Der Ertrag wurde wie folgt berechnet: Totaler Ertrag aller Airbnb-Unterkünfte geteilt durch verfügbaren Übernachtungen – er ist also von der Belegung abhängig. Daten: AirDNA
Die Grafik zeigt den Anstieg der Übernachtungspreise in Airbnb-Unterkünften sowie des Ertrags. Der Ertrag wurde wie folgt berechnet: Totaler Ertrag aller Airbnb-Unterkünfte geteilt durch verfügbaren Übernachtungen – er ist also von der Belegung abhängig. Daten: AirDNA

Nachdem sein Sohn Anfang des Jahres aus dem Studio ausgezogen sei und sich zunächst keine Nachmieter gefunden hätten, führe er die Unterkunft nun vorübergehend, «solange es geht und solange die Nachfrage nicht zunimmt», als Airbnb-Wohnung.

«Mir geht es vor allem um die Leute, die ich bisher kennengelernt habe», sagt der Vermieter. «Die kommen von überall her. Und wer weiss? Vielleicht ergibt sich ja dann auch für mich mal etwas, wenn ich verreisen will.»

Der Standort Schaffhausen

Zurück zu Reto Baumgartner: Auf Nachfrage bestätigen uns sowohl Schaffhauserland-Tourismus als auch die lokale Wirtschaftsförderung, dass eine Zusammenarbeit mit Anbietern wie ihm bestehe. Bei Schaffhauserland-Tourismus ist Baumgartner als Mitglied eingetragen, deshalb könne er seine Wohnungen auf der Tourismus-Seite bewerben. Auch Christoph Schärrer, kantonaler Wirtschaftsförderer, bestätigt den Kontakt zum Immobilienverwalter Baumgartner: «Es ging um sein neues Angebot betreffend der ‹Serviced Apartments› für die Zielgruppe Geschäftsleute, die für einen befristeten Zeitraum möblierte Wohnungen im Raum Schaffhausen suchen.» Genau so, wie man auch mit anderen Anbietern für diese Zielgruppe, darunter auch Hotels, in Kontakt stehe.

Anruf beim kantonalen Mieterinnen- und Mieterverband Schaffhausen. Dessen Präsidentin, Linda De Ventura, hat als Kantonsrätin vor knapp einem Monat eine Kleine Anfrage eingereicht, um beim Kanton den aktuellen Stand des beschlossenen Aktionsplans gegen Wohnungsknappheit zu erfragen: Denn auf Geheiss des Bundesrats erarbeiteten die Kantone im Februar 2024 Massnahmen, die unter anderem günstigen Wohnraum sichern sollen. Die Antwort der Regierung steht noch aus.

De Ventura sagt: «Die Angebotsmieten sind in den letzten Jahren im Vergleich mit den anderen Kantonen überdurchschnittlich gestiegen, 2024 um 5,4 Prozent, und 2023 holte der Kanton Schaffhausen mit einem Anstieg von 12,6 Prozent sogar den unrühmlichen Spitzenplatz», so De Ventura. Die aktuelle Entwicklung der Airbnbs verfolge der Verband deshalb kritisch: «Die Stadt Schaffhausen sollte aus unserer Sicht ein Reglement für Business-Apartements und Airbnb-Wohnungen erlassen, so wie dies schon in anderen Städten gemacht wurde. Dafür müsste der Stadtrat oder der Grosse Stadtrat aktiv werden.» Wenn das nicht geschehe und sich die Situation weiter zuspitze, müsse man prüfen, ob man diese Regulierung mit einer städtischen Initiative fordern solle.

Klar ist: Bisher sind die kantonalen Regulierungen für Airbnb und Co. sehr locker gefasst.

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