Revierkampf

18. September 2025, Nora Leutert
Unternehmer Samuel Gründler in der Energiezentrale Schaffhausen Ost im Grubenquartier. Foto: Robin Kohler
Unternehmer Samuel Gründler in der Energiezentrale Schaffhausen Ost im Grubenquartier. Foto: Robin Kohler

Platzhirsch Samuel Gründler misst sich mit dem Staatsbetrieb SH Power. Dabei geht es auch um die Frage, wer die lauteste Röhre hat.

Wer soll in Schaffhausen den Boden aufreissen, Rohre verlegen und Wärme liefern? Die öffentliche Hand oder private Unternehmer? Darüber diskutiert die Stadt gerade. Im Grunde aber steht hinter dieser Debatte ein einziger Mann: Samuel Gründler. Der Privatunternehmer will Wärmeverbünde bauen, und er war zuerst da.

Vielleicht haben die städtischen Werke nur wegen ihm angefangen, auf klimafreundliche Wärme umzurüsten. Jetzt wollen sie ihr Revier verteidigen und brauchen dafür Geld: Am 28. September soll die Stimmbevölkerung dem Staatsbetrieb einen 110-Millionen-Kredit für den Ausbau der Wärmeversorgung zusprechen. Und Platzhirsch Samuel Gründler, dessen Pläne durch ein Ja blockiert würden, tritt ihm entschieden entgegen: Er heizt den trägen Abstimmungskampf auf – schaltet mit seinen Geschäftspartnern teure Publireportagen in der Tageszeitung, teilt gegen die Behörden aus, samstags steht er in der Altstadt und verteilt reisserische Flyer. Was treibt ihn an?

Harter Nacken

Samuel Gründler steht an diesem Montagnachmittag vor der neuen Zentrale im Grubenquartier, die er mit seinen Partnern aufbaut. Es ist seine Schicksalsschmiede: Drinnen erhebt sich ein schwindelerregender, vierstöckiger Maschinenraum, in der Mitte die Heizkessel, in denen Feuer lodert, daneben gewaltige Wärmespeicher und selbstverständlich viele, viele Rohre. Bauarbeiter klettern auf Gerüsten herum, überall hämmert und pocht es. Diese Woche noch soll die Energiezentrale in Betrieb gehen und Wärme in hunderte, und vielleicht dereinst in bis zu 2000 Haushalte und Institutionen im Grubenquartier liefern. Gründler reicht einen Helm und führt die Stahltreppen hoch: «Jetzt machts Freude», sagt er enthusiastisch. Eineinhalb Jahre hätten sie Blut und Wasser geschwitzt, doch nun zeige sich: keine Probleme, alles laufe bisher nach Plan. Er weist auf einige technische Details hin: «Etliche Optimierungen, die über den Stand der Technik hinausgehen. Wir machens besser als das Lehrbuch.»

Gründler ist eine erstaunliche Persönlichkeit. Steht man ihm gegenüber, kann man sich vorstellen, wie er in Amtsstuben regelmässig für rote Köpfe und Schnauben sorgt. Er kämpft gerne, das sagt er auch von sich selbst. Man kann ihn herausfordern, er lässt sich nicht aus der Reserve locken. Stattdessen spricht er entwaffnend geradeheraus. Er strahlt in seinem Fachbereich eine Dominanz aus, die ihm auch als Arroganz ausgelegt wird. Dabei stützt er sich auf seine Erfahrung.

Vor gut zehn Jahren übernahm er das Ingenieurbüro seines Vaters. Das Büro war Lokalpionierin für innovative Energielösungen, schon vor über 40 Jahren baute es den ersten Wärmeverbund, als noch niemand etwas davon wissen wollte. En vogue sind sie erst seit Kurzem. Samuel Gründler erkannte vor ein paar Jahren, dass die Kund:innen auf Wärmeverbünde umsatteln wollen und sich hier ein hochprofitables Geschäftsfeld abzeichnet. Und in Schaffhausen gab es dafür eine Nische, die brach lag. Also begann Gründler zu planen, mehrheitlich zusammen mit dem Marthaler Baggerunternehmer Matthias Stutz. Beim Energieverbund in den Gruben (Schaffhausen Ost) ist zudem die Gloor AG dabei. Es ist ihr gemeinsames Grossprojekt.

Samuel Gründler ist ein Macher, das sagen alle, die ihn kennen. «Ich habe mein Leben in den letzten vier Jahren diesen Wärmeverbünden gewidmet. Ich habe im Schnitt sicher 70 Stunden die Woche gearbeitet», sagt er, der nebenbei noch diverse ehrenamtliche Ämter – und Familie – hat. Verfolgt Gründler eine Mission, schafft er Fakten.

In die Ecke gedrängte Beamte

Seit einigen Jahren treibt Gründler den Stadtrat vor sich her. Bis 2021 sass die Stadt gemütlich wiederkäuend auf ihrem Gasnetz und baute dieses sogar weiter aus, statt auf erneuerbare Energien umzusteigen. Doch dann kam als neuer Platzhirsch Samuel Gründler: Er überrumpelte den Stadtrat mit seinen Ambitionen. Aufgeschreckt rückte die Stadt bald schon mit einer eigenen Planung nach: dabei reservierte sie gewisse Gebiete für sich, um dort in Zukunft selbst einmal Wärmeverbünde zu planen. Seither und deshalb kommt sie sich mit Gründler ins Gehege. Unter Druck erteilte der Stadtrat Gründler schliesslich freihändig Konzessionen, um in gewissen Gebieten Rohre zu verlegen. Im Nachhinein stellte sich allerdings heraus, dass man diese Konzessionen für Dritte hätte ausschreiben müssen. Das wird die Stadt nach eigener Auskunft künftig auch machen. Doch Gründler gibt sich mit den Revieren, die ihm bereits zugefallen sind, nicht zufrieden. Er will mehr.

Draussen, vor der Zentrale in den Gruben. Samuel Gründler zeigt auf Wohnhäuser in der Umgebung: «Diesen Block dort oben dürfen wir anschliessen, jenen daneben nicht. Das macht doch keinen Sinn. Das hat einfach einer am Schreibtisch so eingezeichnet.»

Er meint damit die Gebiete Alpenblick/ Niklausen sowie Buchthalen, für die er unbedingt eine Konzession will. Der Stadtrat jedoch lehnte dies ab (der Stadtratsbeschluss liegt der AZ vor). Doch das will Gründler nicht akzeptieren. Er ist der Ansicht, er habe keine anfechtbare Absage bekommen, diese sei deshalb nicht rechtsgültig. Er spekuliert also einfach weiter auf diese Gebiete. Und um diese geht es ihm im Kern.

Gruben und Ungarbühl / Emmersberg (grün, blau) wurden dem Energieverbund Ost bewilligt, die orangen Gebiete würde er ebenfalls gerne von der Zentrale (rot markiert) aus beheizen. Dort plant die Stadt jedoch in grossen Teilen eigene Wärmeverbünde. Quelle: Energieverbund Ost
Gruben und Ungarbühl / Emmersberg (grün, blau) wurden dem Energieverbund Ost bewilligt, die orangen Gebiete würde er ebenfalls gerne von der Zentrale (rot markiert) aus beheizen. Dort plant die Stadt jedoch in grossen Teilen eigene Wärmeverbünde. Quelle: Energieverbund Ost

Vor ein paar Jahren noch sagte Gründler gegenüber der AZ, es gehe ihm bei seinem Kampf primär um die Energiewende (Ausgabe vom 30. Juni 2022). In der Tat: dass ihm die Ökologie am Herzen liegt, ist unbestritten. Gründler hat – vor dem Studium zum Energieingenieur – Biologie an der ETH und Fischbiologie in Schweden studiert, er kämpft im Schaffhauser Fischereiverein (und, bis vor Kurzem, im Schweizerischen Vorstand) allen Widerständen zum Trotz gegen das Fischsterben. Vor Kurzem aber ist er der FDP beigetreten, im vergangenen Wahlkampf unterstützte er Severin Brüngger – beide sind nicht für ihren Kampf fürs Klima bekannt. Gründler ist enttäuscht von der GLP. Er sieht seine Philosophie des freien Marktes, wo die beste Lösung obsiegen soll, aktuell einzig bei der FDP vertreten. Auch könne er zwischen lokalen und nationalen Themen unterscheiden: «Und sonst kann ich auch wieder austreten, da bin ich relativ emotionslos.»

Der Privatunternehmer richtet sich nach seinen persönlichen Massstäben. Er verhehlt nicht, dass es ihm bei der Abstimmung um den Rahmenkredit für SH Power um sein eigenes Geschäft geht. Um die Gebiete, die er rund ums Grubenquartier erschliessen möchte. Seine Zentrale sei darauf ausgelegt, sagt er. Nur so könnten laut ihm all seine Kund:innen von einem niedrigeren Tarif profitieren. Und um diese gehe es ihm. «Ich will in den Spiegel schauen können. Ich möchte mir nicht vorwerfen lassen, dass wir uns nicht für unsere Kunden eingesetzt haben.»

Zwei Hüte

Das tut Gründler gründlich. Er wird nicht müde, Spitzen gegen die Führung von SH Power zu setzen. Im Grundsatz wirft er ihr vor: Ihr fehle strategische Weitsicht und die Erfahrung aus dem Betrieb von eigenen Wärmeverbünden. Auf einer Timeline auf seiner Website zeigt Gründler auf, wie die Konfliktlinie mit der Stadt verlief: demnach wurde sein Projekt blockiert, ausgebremst und – so kann man es verstehen – kopiert. Tatsächlich zeigen die zeitlichen Abläufe, wie die Stadt versuchte, ihre bedrohte Position als Alphatier zu stärken.

Der kritisierte Werkreferent selbst, Stadtpräsident Peter Neukomm – nach dem wortwörtlich der Platzhirsch im Munotgraben benannt ist – möchte auf Anfrage der AZ festhalten, dass SH Power auf Stadtgebiet der grösste und wichtigste Betreiber von Wärmenetzen sei. Der Rahmenkredit sei zwingend nötig für eine schnelle Erschliessung diverser Quartiere. «Wir bedauern, dass die Städtischen Werke SH Power nun im Abstimmungskampf mit unlauteren Unterstellungen angegriffen werden. Aus unserer Sicht braucht es ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander.»

Samuel Gründler indessen schiesst aus allen Rohren. Dabei hat er auch noch zwei Hüte auf: Er berät mit seinem Ingenieurbüro Gemeinden, Gewerbe und Industrie, aber auch Privatkunden und empfiehlt ihnen die beste Wärmelösung. Und wenn er einen Wärmeverbund von SH Power für teuer hält, dann sagt er das auch. 

Man kann Gründlers Frust gegenüber dem Behördenapparat nachvollziehen. Aber letztlich geht es um den öffentlichen Grund und Boden, den er aufreissen will. Gründler erwidert, er wolle dies ja nur, weil seine Wärmeverbünde einem Bedürfnis in der Bevölkerung entsprechen.
Was ihn antreibt, ist ein starker Glaube an Fairness – respektive an das, was er selbst dafür hält. Die Frage ist nur: Überschätzt er sich?

Ruf und Risiko

Denn natürlich geht es vor allem um extrem viel Geld. Gründlers verschiedene Wärmeverbund-Aktiengesellschaften, an denen er beteiligt ist, speisen sein Ingenieurbüro mit Aufträgen und zahlen dafür. Sein Büro hat 17 Angestellte, die Hälfte arbeitet laut Gründler dieses Jahr am Wärmeverbund in der Gruben mit. Als Mitbesitzer der Aktiengesellschaften werde er aber nicht reich, sagt er: «In den nächsten 15 bis 20 Jahre müssen wir die Bankschulden zurückzahlen. Erst danach unsere eingebrachten Eigenmittel. Bis der Wärmeverbund frühestens einen Gewinn ausschütten kann, wird es mindestens 30 Jahre dauern.»

Grosse Wärmeverbünde sind ein risikoreiches Unterfangen. Ja, sagt Gründler, er sei schon risikoaffin. «Ohne Risiko könntest du keine Wärmeverbünde bauen. Sonst müsste man so viel auf den Energiepreis draufschlagen, dass man keine Kunden findet. Aber durch unsere jahrzehntelange Erfahrung können wir das Risiko gut kalkulieren. Darum schlafe ich gut.»

Kritische Stimmen sagen, Gründlers Expansionsgelüste in der Gruben seien vermessen. Sie bezweifeln, dass er es baulich überhaupt stemmen könnte, auch noch ganz Alpenblick / Niklausen und insbesondere Buchthalen zu beliefern. Die Stadt ihrerseits will letzteres Quartier fernwärmetechnisch nachhaltig mit einer Rheinwasseranlage erschliessen. Gründler indessen heizt anfangs noch ausschliesslich mit weniger ökologischen Holzschnitzeln. Diese will er bald mit Wärmepumpen ergänzen, der Kanton hat ihm bereits die nötige Konzession zur thermischen Grundwassernutzung erteilt. Darüber, ob Holzschnitzel im Winter tatsächlich so unökologisch sind, lässt sich laut Gründler streiten: «Im Vergleich zum begehrten Winterstrom ist das Holz lokal verfügbar.» Er ist fest von seiner Strategie überzeugt. Und: «Wenn jemand eine bessere hat, soll dieser bauen dürfen. Die beste Lösung sollte gewinnen.»

Erstunterzeichner Martin Hongler übergibt Stadtpräsident Peter Neukomm am 23. Mai 2024 die Volksmotion «Wärmeverbünde JETZT!». Foto: Robin Kohler
Erstunterzeichner Martin Hongler übergibt Stadtpräsident Peter Neukomm am 23. Mai 2024 die Volksmotion «Wärmeverbünde JETZT!». Foto: Robin Kohler

Für Letzteres hatte sich vergangenes Jahr auch die Volksmotion «Wärmeverbünde JETZT!» eingesetzt. Ihr geistiger Vater, Martin Hongler, hatte die Trägheit und Abwehrhaltung von SH Power bei der Energiewende kritisiert. Auf Nachfrage sagt Hongler, nun auf die städtischen Werke einzudreschen und Zweifel an der Institution zu säen, halte er für schlechten Stil. Er sieht es unideologisch: «Für mich sind Wärmeverbünde nicht besser oder schlechter, wenn sie privat oder vom Staat erstellt werden. Das Ziel war von Anfang an, dass es schnell geht.» Und das sei nur möglich, wenn man SH Power den Rahmenkredit zuspreche.

Platzhirsch Samuel Gründler ist offenbar anderer Meinung. Draussen, an der Betonwand der Energiezentrale in den Gruben hängen zwei überdimensionale Plakate: Das eine empfiehlt ein «Nein zum Rahmenkredit», das andere nennt nur drei Worte: «Innovativer, schneller, günstiger». Der Komparativ wird bei Gründler gross geschrieben. Und genau das ist dieser Revierkampf zwischen SH Power und Privatunternehmer Samuel Gründler im Grunde: ein Rohrvergleich.