Die Ersparniskasse schlittert seit Jahren von einem Problem zum nächsten – Betrug, mutmassliche Affären, personelle Fehlentscheide. Der Verwaltungsrat um SVP-Ständerat Hannes Germann scheint überfordert.
Simon Muster und Marlon Rusch
Am Donnerstag vor einer Woche platzte eine Bombe. Die Ersparniskasse teilte mit, dass sie sich per sofort von ihrer Direktorin trennt – «nach sorgfältiger gemeinsamer Beurteilung». Nun zeigen Recherchen der Schaffhauser AZ und der Wochenzeitung DIE ZEIT, gestützt auf Gespräche mit drei ehemaligen Mitarbeitenden und einem halben Dutzend Menschen aus dem engen Umfeld der Bank: Es brodelt schon seit Jahren bei der ältesten Privatbank der Region. Die Probleme sind strukturell, die Lage ist prekär – und die Verantwortlichen zaudern.
Der nette Direktor
Die Geschichte der ältesten Bank Schaffhausens begann vor 210 Jahren mit einer Eruption. In Indonesien brach ein Vulkan aus, Asche verdunkelte die Sonne und selbst am anderen Ende der Welt fielen die Ernten aus. Ein Pfarrer in Büsingen reagierte und gründete die Schaffhauser Hülfsgesellschaft, die sich um die Armen kümmern sollte. Zwei Jahre später, 1817, gründete das Hilfswerk die Ersparniskasse – die Bank der kleinen Leute und der Handwerksbetriebe, die Bank des Vertrauens.
Dieter S. verkörperte diese Philosophie wie kaum ein Zweiter. Der Schaffhauser begann 1968 als Lehrling bei der Ersparniskasse. Er studierte nie und schaffte es trotzdem bis ganz nach oben. Dieter S. war ein Bankdirektor alter Schule. Er kannte nicht nur die Namen seiner Kund:innen, sondern auch deren Hobbys. Man sah ihn nicht mit teuren Uhren im Nobelrestaurant, sondern mit einer Bratwurst im Breitestadion. Einmal pro Monat sei er mit der Lohntüte durch die Abteilungen gegangen, seine Angestellten schwärmten über seine Wertschätzung und seine Loyalität. Am Morgen sei er der Erste und am Abend der Letzte in der Bank gewesen. Seinetwegen blieben die Mitarbeitenden bei der Ersparniskasse, auch wenn sie lukrativere Angebote vom Zürcher Paradeplatz erhielten.
Dann aber, wenige Tage vor seiner Pensionierung nach 47 Jahren bei der Ersparniskasse, wurde Dieter S. fristlos entlassen. Es war das Jahr 2015, und die Bank hatte in einer internen Untersuchung festgestellt, dass der Direktor Anfang der Nullerjahre entgegen interner Richtlinien und am Verwaltungsrat vorbei einem Ehepaar einen Kredit und ein Darlehen in Millionenhöhe gewährt hatte. Später, als das Ehepaar das Geld nicht mehr zurückzahlen konnte, hatte Dieter S. Dokumente gefälscht, um sein Handeln zu vertuschen. Der Schaden belief sich auf 3,74 Millionen Franken (siehe AZ vom 26. Januar 2017).
Anstatt die Kund:innen und die Öffentlichkeit über den Betrugsfall zu informieren, versuchte die Bank, die Sache geheim zu halten, bis der Betrug in einem Gerichtsprozess öffentlich wurde. Die Strategie, Führungsprobleme totzuschweigen, sollte die Bank das nächste Jahrzehnt auch bei weiteren CEO-Skandalen versuchen.
Affären in der Regionalbank
Der Mann, der im Februar 2015 die Leitung der Ersparniskasse übernahm, sollte frischen Wind bringen. Der damals 43-jährige Beat Stöckli hatte bei der exquisiten Privatbank Wegelin Karriere gemacht; er sei einer aus dem Vorzimmer von Bankchef Konrad Hummler gewesen, einem konservativen Mäzen und Medienmacher, erinnern sich Weggefährten. Später übernahm Beat Stöckli die Schaffhauser Niederlassung der Privatbank Notenstein, die aus der 2012 von den USA zerschlagenen Bank Wegelin hervorgegangen war.
Während sein Vorgänger als primus inter pares an der Front Kunden beraten hatte, sah Beat Stöckli eine andere Rolle für sich vor: der starke Mann an der Spitze. Der neue CEO liess interne Kritik abprallen und sah sich vor allem als Netzwerker. Ehemalige Mitarbeitende berichten, man habe ihn nicht oft in der Bank gesehen, er sei ständig mit einem seiner Luxusautos unterwegs gewesen. Die Arbeit, die seine vielen Mandate beim Munotverein, beim Lions Club oder bei der evangelisch-reformierten Kirche bereiteten, hätten teilweise seine Sekretärinnen bei der Bank übernehmen müssen. Stöckli sei ein glänzender Jurist gewesen, habe aber keine Sozialkompetenz gehabt und andere Menschen vor allem nach ihren akademischen Titeln und der Qualität ihres Fuhrparks beurteilt.
In der Ära S. war die Ersparniskasse eine Wohlfühloase. Die Weihnachtsessen und Skitage seien legendär gewesen, erzählen ehemalige Mitarbeitende. Beat Stöckli habe die Skitage gestrichen und aus den Weihnachtsessen steife Pflichtveranstaltungen gemacht. Und der Direktor habe, nach Aussagen von mehreren Quellen, verschiedene intime Beziehungen zu Angestellten gepflegt.
Mit dem neuen Direktor Stöckli stieg die Fluktuation unter den Mitarbeitenden sprunghaft an. Gerade die Direktionsassistentinnen, die eng mit Stöckli zusammenarbeiten, blieben oft nicht lange. Aber auch langjährige Kundenberater:innen – das Rückgrat einer Regionalbank – verliessen das Unternehmen.
Mitarbeitende berichteten der AZ bereits im Sommer 2023, Beschwerden über Beat Stöcklis Amtsführung seien von der externen Compliance-Abteilung mit dem Argument runtergespielt worden, es sei schwierig, gegen den CEO vorzugehen.
Dann aber, im Herbst 2023, teilte die Ersparniskasse mit, dass Beat Stöckli die Bank per Ende Jahr verlassen werde. Dem Abgang vorausgegangen war eine Krise in der Pädagogischen Hochschule, die zu einer sehr hohen Personalfluktuation geführt hatte und von der AZ aufgedeckt worden war (siehe AZ vom 19. Mai 2022). Mittendrin: der untätige Hochschulratspräsident Beat Stöckli.
«Die Leute in der Bank sind wütend. Sie fühlen sich nicht ernst genommen vom Verwaltungsrat»
Ein ehemaliger Mitarbeiter
Stöckli sagte damals gegenüber der AZ, man habe den Vertrag mit der Ersparniskasse «in gegenseitigem Einvernehmen» aufgelöst. Zu diesem Zeitpunkt kursierten jedoch längst Gerüchte über seine Beziehungen zu Mitarbeiterinnen in der Stadt.
Heute schreibt Beat Stöckli auf Anfrage, er blicke mit Dankbarkeit auf die Zeit bei der Ersparniskasse zurück und sei der Bank bis heute verbunden. Die «Gerüchte und Unterstellungen» seien falsch. Zu Vorkommnissen aus seiner Zeit als CEO nehme er nicht mehr öffentlich Stellung.
Eine CEO ohne Stallgeruch
Im Sommer 2024 übernahm mit der damals 50-jährigen Betriebsökonomin Ruth Mojentale eine neue Direktorin die Leitung der Ersparniskasse mit ihren 38 Angestellten und einer Bilanzsumme von inzwischen über einer Milliarde Franken. Sie sei «eine langjährige passionierte Bankerin und ausgewiesene Führungskraft», schrieb die Bank. Doch in der Schaffhauser Finanzbranche rieb man sich die Augen. Die neue CEO hatte zuvor vor allem jahrzehntelang im Backoffice der Credit Suisse gearbeitet und dort Finanzprodukte entwickelt. Eine kleine Regionalbank wie die Ersparniskasse jedoch lebt von den persönlichen Beziehungen, vom Netzwerk. Ruth Mojentale hatte bis anhin keinen Bezug zu Schaffhausen, keinen Stallgeruch.
Mit der neuen Direktorin wollte die Bank eine neue Strategie umsetzen, welche die etwas verstaubte Regionalbank modernisieren sollte. Ehemalige Mitarbeitende berichten jedoch, Mojentale habe einen «speziellen» Führungsstil gepflegt und in der Ersparniskasse Strukturen wie bei einer Grossbank einführen wollen. Dies habe die internen Abläufe schwerfällig und kompliziert gemacht und zu einem massiven Mehraufwand und «purem Chaos» geführt. Das Finanzportal Inside Paradeplatz schrieb bereits im Sommer 2024 von einem «Chefinnen-Tsunami» bei der Ersparniskasse. Ein Jahr später, im Sommer 2025, war von einem «massiven Aderlass» die Rede. Eine Quelle sagte zum Finanzportal: «Jeder, der kann, rennt davon.»
Nachforschungen der AZ und der ZEIT zeigen, dass im ersten Halbjahr 2025 ein Drittel aller Mitarbeitenden die Ersparniskasse verlassen hat. Darunter – nach dem Exodus unter Beat Stöckli – erneut langjährige Mitarbeitende, bis hinauf in die Geschäftsleitung.
Nun hat die Bank die Reissleine gezogen, zum dritten Mal innert zehn Jahren. Am vergangenen Donnerstag teilte sie mit, man habe sich darauf geeinigt, das Arbeitsverhältnis mit CEO Ruth Mojentale per sofort aufzulösen. Mit Claudio Steffenoni übernimmt vorübergehend ein langjähriger Verwaltungsrat.
Der untätige Verwaltungsrat
Bereits zum dritten Mal in Folge verlässt eine CEO die Ersparniskasse nach einer Führungskrise. Und erneut reagiert die Bank zögerlich.
Bisher hat sich das Zaudern und der Aderlass beim Personal nicht im Geschäftsgang der Bank niedergeschlagen: Ende Juli wies die Ersparniskasse auf einen Halbjahresgewinn von 1,39 Millionen Franken hin. Die Bank beweise «Stabilität in einem anspruchsvollen wirtschaftlichen Umfeld».
Dass die Probleme bei der Ersparniskasse aber keine zufälligen Episoden, sondern Teil eines strukturellen Problems sind, zeigt die Geschichte um eine führende Mitarbeiterin aus dem Bereich Human Resources.
Vor einigen Jahren pflegte die Frau eine intime Beziehung mit dem damaligen Bankdirektor Beat Stöckli. Die Beziehung war innerhalb der Bank ein offenes Geheimnis. Und sie barg einen offensichtlichen Interessenkonflikt: Angestellte müssen sich vertraulich an ihre HR-Abteilung wenden können, wenn sie Probleme mit ihren Führungspersonen haben. Bei der Ersparniskasse wurde das Verhältnis jedoch geduldet. Mindestens ein Mitarbeiter soll sich beim Verwaltungsrat beschwert haben, doch dieser habe keinen Handlungsbedarf gesehen.
Heute pflegt dieselbe HR-Mitarbeiterin gemäss Informationen der AZ erneut eine Beziehung zu einem Mitglied der Ersparniskasse-Geschäftsleitung. Wieder sei diese Beziehung in der Bank ein offenes Geheimnis; wieder ziehe die Bankleitung keine Konsequenzen und beschwichtige. Ein ehemaliger Mitarbeiter sagt gegenüber der AZ und der ZEIT: «Die Leute in der Bank sind wütend. Sie fühlen sich nicht ernst genommen vom Verwaltungsrat.»
Während die Ersparniskasse immer wieder ihre CEOs austauscht, herrscht im Verwaltungsrat auffallende Konstanz. Bis vor kurzem sassen dort drei Männer, die zusammen mehr als ein halbes Jahrhundert Amtszeit auf sich vereinen: Urs Krebser, 69, studierter Biotechnologe und ehemaliger Cilag-Direktor; Bauunternehmer Carlo Klaiber, 70 Jahre, und Hannes Germann, 69 Jahre, SVP-Ständerat und seit 13 Jahren Verwaltungsratspräsident. Auch die zwei weiteren Mitglieder des Verwaltungsrats sind Männer, auch sie kommen nicht aus der Bankenbranche.
In den vergangenen zehn Jahren musste sich der Verwaltungsrat drei Vorwürfe gefallen lassen:
Er verschwieg einen millionenschweren Betrugsfall und setzte so das Vertrauen – das Kapital jeder Bank – aufs Spiel.
Er liess zu, dass sein CEO mutmasslich Beziehungen zu Angestellten pflegte und das Betriebsklima belastete. (Im Herbst 2023 etwa gab Germann gegenüber der Schaffhauser AZ zu, er habe «ein paar Geschichten» über seinen CEO Beat Stöckli gehört; er wolle davon aber «nichts wissen».)
Und als Stöckli weg war, setzte der Verwaltungsrat im entscheidenden Moment auf eine Bankerin mit dem falschen Profil – und reagierte erst, als ein grosser Teil der Belegschaft die Bank bereits verlassen hatte.
In einem herkömmlichen Unternehmen geriete ein Verwaltungsrat nach den dramatischen Abgängen von drei CEOs hintereinander unter Druck der Aktionäre. Germann aber sitzt fest im Sessel. Als ihn die SN diesen Mittwoch fragte, wie das Aktionariat auf die Turbulenzen in der Bank reagiert habe, antwortete Germann: «Einzige Aktionärin ist die gemeinnützige Stiftung der Ersparniskasse. Von dieser Seite gibt es keinerlei Problem.» Was Germann und die SN aber unerwähnt liessen: Auch auf dieser Seite steht er selbst. Germann ist nicht nur Präsident der Ersparniskasse, sondern gleichzeitig auch Stiftungsratspräsident. Und damit sein eigener Chef.
Bei Fachleuten wirft ein derartiges Konstrukt Fragen auf. «Bei einer solchen Struktur kann die Stiftung ihre Aufsichtsfunktion als Aktionärin nicht zufriedenstellend wahrnehmen», sagt etwa Claude Humbel, der sich als Assistenz-Professor für Privatrecht an der Universität Luzern auf Fragen zur Compliance von Unternehmen und Stiftungen spezialisiert hat. Stiftungen könnten zwar Unternehmen besitzen, es sei aus Governance-Gesichtspunkten jedoch nicht empfehlenswert, dass dieselben Personen in den Führungsgremien Einsitz nehmen: «Das Potenzial für Interessenkonflikte ist bei solchen Konstellationen hoch.»

Hannes Germann sieht das anders. Aus seiner Sicht gebe es durch die Konstellation keinen Interessenkonflikt, weil der Stiftungszweck einzig darin bestehe, eine Bank zu betreiben und die Gewinne für soziale Zwecke zu verwenden.
Zu den Vorwürfen bezüglich der Amtsführung des ehemaligen CEO Beat Stöckli schreibt Germann heute, Stöckli habe gerade in den schwierigen juristischen Dossiers und bei der Konsolidierung der Bank ausgezeichnete Arbeit geleistet. Fragen zum Umgang der Bank mit den intimen Beziehungen zwischen Geschäftsleitungsmitgliedern und Angestellten lässt Germann unbeantwortet. Dafür schreibt er: «Unruhige Gewässer mit Turbulenzen rütteln naturgemäss auf, sind immer auch eine Chance für das Unternehmen. Darum bin ich überzeugt, dass die Ersparniskasse letztlich gestärkt aus diesen Turbulenzen hervorgehen wird.»
Es scheint, als könnten den Verwaltungsrat auch die neusten Turbulenzen nicht aus der Ruhe bringen. Es gibt bei der Ersparniskasse nur einen Mechanismus, der Verwaltungsräte gegen deren Willen absetzen kann: die Altersguillotine bei 70 Jahren. Im Mai 2025 musste deswegen der Bauunternehmer Carlo Klaiber nach 18 Jahren den Verwaltungsrat der Ersparniskasse verlassen. Und auch Hannes Germann feiert nächstes Jahr einen runden Geburtstag.
Diese Recherche erscheint heute in einer kürzeren Version auch in der Schweiz-Ausgabe von DIE ZEIT.
Journalismus kostet. Hier geht’s zum Probeao.
Dieser Text entstand mit finanzieller Unterstützung des AZ-Recherchefonds «Verein zur Demontage im Kaff». Der Fonds fördert kritischen, unabhängigen Lokaljournalismus in der Region Schaffhausen, insbesondere investigative Recherchen der Schaffhauser AZ. Spenden an den Recherchefonds: IBAN CH14 0839 0036 8361 1000 0 oder per Twint.