Die PS-Profis

3. September 2025, Fabienne Niederer
Bild: Robin Kohler
Bild: Robin Kohler

Mit über 100 km/h schlittern die Rennfahrzeuge über die geteerte Strecke in Herblingen. Ein Besuch bei der Schweizer Meisterschaft der ganz kleinen Modelle – und bei einer eingeschworenen Männerdomäne.

Alex Mark lehnt gelassen am Türrahmen des gelben Containers, der die Rennstrecke überblickt. Ein goldenes Kreuz baumelt um seinen Hals, und zwischen seinen Fingern klemmt eine halb heruntergebrannte Zigarette, die er gelegentlich zum Mund führt. Draussen auf der Piste haben sich an diesem Freitag die ersten Piloten versammelt. «Übungsrunden», kommentiert Mark. «Zuerst dachte ich, ich hätte verschlafen, weil schon so viel los ist.» Seit der Mittagszeit hantieren die Teilnehmer an ihren Modellen, andere ziehen mit Headsets und Mikrofonen an der Absperrung vorbei, die Hände voll mit Ersatzteilen und flaschenweise Motoröl.

Der 55-jährige Mark ist der Präsident des Automodellclubs Schaffhausen, kurz AMCS, und damit stolzer Gastgeber des nahenden Showdowns: Im Schaffhauser Industriegebiet in Herblingen wird dieser Tage die Schweizer Meisterschaft der Modellautorennen abgehalten. Die Menschen reisen aus Zürich und St. Gallen an, aus Bern und dem Tessin, und verbringen das gesamte Wochenende neben der Rennstrecke.

In den Massstäben eins zu acht und eins zu zehn jagen die Wagen mit hundert Sachen oder mehr über die Rennbahn, angetrieben von einem Verbrennungsmotor, gelenkt per Fernsteuerung. Von der Strecke tönt das hohe Kreischen der Miniatur-Benziner. «An den Lärm gewöhnt man sich nicht wirklich, nach zwei Tagen vielleicht», sagt Mark. «Aber dann ist es auch zu spät.» Bis dahin werden die Kämpfe vorbei, die Meister gekrönt sein. Durch den Krach tönt irgendwann die Stimme eines Vereinskollegen, der den Kopf durch die Containertür streckt. Es gibt ein gröberes Problem mit der Zeitmessung. Mark stapft los.

Mark ist seit «acht oder neun Jahren» der Präsident des Vereins, davor war er schon jahrelang Mitglied. «Ich weiss es gar nicht mehr genau», sagt er trocken, als er sich an den Schreibtisch setzt. Hier befindet sich der Knotenpunkt für den gesamten Event: Zwei grosse Fenster bieten den perfekten Ausblick auf die Strecke, ein Computer und ein Laptop messen – idealerweise – die Geschwindigkeiten und Fahrzeiten, daneben steht ein Mikro, mit dem er mit dröhnender Stimme das Rennen kommentiert.

An einer Wand hängen drei gebastelte Foto-Collagen, die das Rennfeld nach verschiedenen Umbauten zeigen. Der Oberste des Lokalvereins kommt selbst aus Winterthur. «Ein Schaffhauser hatte aufgehört und ich war der einzige, der übernehmen konnte – und wollte.» Bis zum Abend hat Mark die Zeitmessung wieder zum Laufen gebracht.

Der Buebetraum

Den AMCS gibt es seit den 80er-Jahren. Mark erzählt eine Geschichte, die wir an diesem Wochenende von vielen Teilnehmern hören werden: Das Modellautofahren war ein Kindheitstraum, mit vierzehn hielt er zum ersten Mal eine solche Miniatur in der Hand. Er findet keine Worte dafür, wie sich das anfühlte, damals, als das Auto noch fast so gross wie sein gesamter Oberkörper war.

Irgendwie rettete sich das Interesse durch die Pubertät und blieb, nach einem kurzen Unterbruch, im Erwachsenenalter bestehen – nun finanziert durch das eigene Gehalt, statt durch Sackgeld und Schenkungen der Eltern. «Ich habe eine grosse Werkstatt daheim, dort haben sich mittlerweile schon 120 Modellautos angesammelt», so Mark. «Normal sind eher drei oder vier.» Er überschlägt die Kosten seines Hobbys: «Ein Modellauto beläuft sich auf etwa 2000 bis 2500 Franken. Dazu kommen Motoren, Reifen, Benzin.» An einem Rennwochenende nehme man locker nochmals 1000 Franken in die Hand.

Auf die Rennstrecke begibt er sich für diese Meisterschaft nicht. Sein Interesse hat sich schleichend verlagert, hin zu den Töffs – natürlich auch in der kleineren Ausführung. «Das hat während Corona angefangen, als ich nach etwas Neuem suchte. Die zu fahren, ist nochmals viel anspruchsvoller.» Auf ein richtiges Motorrad setzt er sich derweil nicht mehr; als Teenager geriet er als Beifahrer in einen Unfall. Der Freund, der das Fahrzeug lenkte, überlebte nicht. Mark presst die Lippen zusammen. Hier, beim Modellrennen, zieht ein Crash keine gebrochenen Knochen nach sich, sondern höchstens eine mühsame Reparatur.

Als Mark am Samstagnachmittag nach den Qualifikationsrunden aus seinem Container tritt, sind die Würfel gefallen: Die besten Fahrer haben sich ihre Startplätze erkämpft und ziehen sich bis zum nächsten Morgen zurück.

Nikotin und Benzin

Am Sonntagmorgen hat sich der Platz in Herblingen gefüllt – insgesamt 49 Piloten haben für die Schweizer Meisterschaft ihre Pavillons aufgeschlagen und die Vans auf den umliegenden Parkplätzen abgestellt. Die Jacken über ihren Schultern markieren die Zugehörigkeit zu ihren Racing Teams. Überall steigt Qualm empor – von den heissgelaufenen Reifen, von angezündeten Zigaretten, von klobigen Vapes, die süssen Fruchtgeschmack ausdünsten. Über den Rauch legt sich Marks Stimme, die aus dem Lautsprecher scheppernd kommentiert, worauf alle gewartet haben und was heute endlich stattfindet: Die Finalläufe. An einer der Seitenbanden stützt ein Mann seine Hände ab. Er stellt sich als Theo vor. «Ich bin jetzt schon sehr nervös», meint er mit Blick zu den geteerten Schlaufen. Sein Start ist erst später angesetzt, die ersten Autos rasen aber bereits über die Strecke und schneiden quietschend die Kurven. Seine Vorbereitung unterdessen: «Rauchen. Nikotin.» 

In der Schaltzentrale sitzt Mark auf seinem Bürostuhl, auch er mit einer frischen Zigarette zwischen den Fingern. Er hat einen entspannten Blick aufgesetzt. «Die Faszination ist simpel: Autos halt», meint er, als er den Blick über den Pulk von Zuschauern schweifen lässt.

Er räuspert sich, bevor er die nächste Runde einläutet: «Zehn, neun, acht», ruft er durch das Standmikrofon. Die Piloten positionieren sich auf der Tribüne, «sieben, sechs, fünf», auf der Strecke stehen die Helfer bereit. Die Motoren heulen auf. «Vier, drei, zwei.» Der Lärm wird immer durchdringender, erst jetzt stellen die Helfer die Autos auf die Startposition, die sie sich in den Qualifikationsrunden erkämpft haben. Dani Ployer, die rechte Hand Marks, holt Schwung und lässt eine alte Schaffhauser Fahne niedersausen. Mit einem Ruck zischen die Modelle los. Sofort nehmen die Helfer die Beine in die Hand und sprinten von der Rennstrecke.

Ployer kehrt zur Schaltzentrale zurück, die ausgeblichene Flagge geschultert. «Wenn es irgendwo brennt, bin ich der, der herumrennt und fragt, wo man helfen kann», sagt er. Mark und Ployer kennen sich seit Jahren. Ein kurzer Blick, ein knapper Satz genügt, damit einer der beiden wieder in die Sonne hinaustritt und sich dem nächsten Problem widmet. «Das, was wir machen, will sonst niemand tun», so Ployer. «Aber sonst gäbe es keine Rennen.» 

Die Strecke in Herblingen ist zwischen Industriebauten und Bürokomplexen eingenistet, im Rücken liegt nur der Wald. «Wegen des Lärms ist es schwierig, eine gute Ecke zu finden», sagt Ployer. «Heute kannst du deshalb kaum mehr neue Strecken bauen, in der ganzen Schweiz gibt es nur vier oder fünf.» Er deutet zu einem grossen Gebäude, das von einem Baugerüst umhüllt ist. «Das haben schon viele Fahrer bemerkt. Sie haben Angst, dass dort Wohnungen reinkommen und sich die Bewohner dann über die Lautstärke beschweren.» 

Die Männerdomäne

Nach seinem Rennen kommt Theo, der nervöse Fahrer von zuvor, wieder am Container vorbei. «Ich war selber schuld, ich habe einen Fahrfehler gemacht», sagt er. Anders als viele Konkurrenten hat er nicht das ganze Wochenende hier verbracht. «Es ist schon stressig genug mit der Frau, mit so einem Hobby. Da muss man heim abends», sagt er und trabt in Richtung der Zelte davon.
Die konkurrierenden Teilnehmer sind allesamt Männer. Selbstverständlich wären auch Frauen willkommen, versichern Mark und Ployer. Hier, in der Realität, sind die Rollen aber klar verteilt: Die Partnerinnen und Ehefrauen feuern die Fahrer von den Seitenlinien aus an. Sie warten beim Boxenstopp, wo sie die Modelle verarzten und mit einer neuen Ladung Benzin füttern. Eine Ehefrau, die als Begleitung aus der Westschweiz hergekommen ist, erklärt: «Selbst zu fahren, interessiert mich nicht. Ich bin hier, um meinen Mann zu unterstützen.»

The winner takes it all – and leaves

Im Container sagt Mark die letzte Runde an, seine Stimme hallt über den Platz. Etwas abgelegen werkelt derweil ein Teilnehmer, Martin, an seinem Wagen. «Früher hätte ich jeden Termin abgeblasen, um ans Rennen fahren zu können», erzählt er. «Ausser meine Hochzeit.» Nach über 40 Jahren mit dem Hobby weiss der Veteran längst nicht mehr, wie viel Zeit er schon in die kleinen Autos gesteckt hat. Es ist der Wettbewerb, der das Blut schneller durch die Adern pumpt.

Heute gehe er es dennoch lockerer an. «Jetzt gehe ich auch mal an einen Geburtstag, selbst wenn da ein Rennen stattfinden würde», erzählt er. Und ergänzt dann: «Jetzt, wo ich so überlege: Unser Hochzeitstag fiel auch auf einen Renntermin.»

Als die letzten Autos die Strecke verlassen haben, geht es plötzlich schnell: Um kurz vor fünf werden die Sieger auf die Podeste gebeten und erhalten ihre Urkunde. Nicht einmal eine Stunde später sind fast alle Teilnehmer verschwunden. «Die Leute müssen heimfahren, ihr Zeug putzen und am Montag wieder bei der Arbeit erscheinen», so Mark. Der knappe Abschied stört ihn nicht. Gegen sieben Uhr schliesst er seinen Container ab und läuft zum Parkplatz, wo sein richtiges Auto steht. Auch davon hat er mehrere zuhause. An diesem Abend ist es eine limitierte Sonderausgabe eines alten Renault Clio – nur 3500 Stück haben sie davon hergestellt.

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