Letten Stay Home

14. August 2025, Sharon Saameli
Liebe Zürcher:innen: Ihr wollt nicht die Rhybadi. Die Engel hört man nur am euch vertrauten Letten singen. Bild: Ursina Storrer
Liebe Zürcher:innen: Ihr wollt nicht die Rhybadi. Die Engel hört man nur am euch vertrauten Letten singen. Bild: Ursina Storrer

In Zürich munkelt man, die Rhybadi in Schaffhausen sei eine entspannte Alternative zu den überfüllten lokalen Bädern. Daher eine Warnung: Hier ist es keineswegs besser.

Liebes Zürich, wir müssen reden.

Es ist Sommer, und es ist heiss. So heiss, dass selbst der durchgetaktetste Alltag ins Schwitzen gerät und jeder noch so kapitalismusgetränkte Drive nach Vollendung (lies: Gewinnmaximierung) auf seine fleischlichen Bedingungen zurückgeworfen wird. So überlegen du dich auch wähnst, dämmert es dir, dass du in einem Punkt vielleicht doch bist wie alle anderen: Bei diesem Wetter flüchtest auch du dich ins Wasser. Und weil du dich, irgendwo auf dem Heimweg von deinem Minergie-A-Eco-Büro, nach der Natur sehnst, willst du nicht ins Chlorbad, sondern in ein echtes Gewässer.

Was bleibt dir? Der See, dessen Ufer zur Hälfte privatisiert ist. Die Sihl, in der zu viele Fäkalbakterien mitschwimmen. Bleibt also die Limmat. Und weil ganz Zürich denselben Einfall hat wie du, landest du schliesslich dort, wo alle landen: am Letten.

Doch diesen Sommer ist etwas anders. Zahlreiche Medien wollen dir, liebes Zürich, weismachen, dass es eine Alternative zum Letten geben soll. In Schaffhausen, dieser herzigen Stadt in der Nordostschweiz, soll es eine wunderschöne Badeanstalt geben: die Rhybadi.



Du hast das vor zwei Monaten zum ersten Mal im Blick gelesen. Dort zählt der Journalist die Rhybadi zu den sieben schönsten Badis der Schweiz. «Historischer geht es nicht», schreibt er über das grösste Kastenbad des Landes. Ein paar Tage später informiert auch die NZZBellevue-Redaktion über die «aus Zürcher Blickwinkel entspannte» Schaffhauser Badi, die «eine Stunde Zugfahrt» vom Zürcher Stadtzentrum entfernt liegen soll (je nachdem, ob die Deutsche Bahn fährt, stimmt das für die ansonsten 36 bis 38 Minuten lange Fahrt sogar).

Wieder ein paar Tage später zieht Watson mit einem Listicle nach, wo – das wollen wir nicht unterschlagen – auch die Badi Wilchingen aufgelistet ist, und schliesslich, Ende Juni, erreicht die Botschaft auch den Tamedia-Verbund. Seither kursiert die Rhybadi in den Titeln des grössten Schweizer Medienkonzerns als «eine Art Oase, in der das Credo ‹Miteinander statt nebeneinander, Harmonie statt Dissonanz› lautet».

Zuletzt genannt wurde die Rhybadi vergangenes Wochenende in der SonntagsZeitung, die das ehrwürdige Schaffhauser Rheinbad auf Platz 3 von 7 hievt. (Lustig: In einem ähnlichen SonntagsZeitungs-Artikel Ende Juni war die Rhybadi noch auf Platz 5 von 8; offenbar brauchen auch Rankings Sommergefühle.)

Das muss verlockend für dich klingen, liebes Zürich. Wahrscheinlich packst du nach der Lektüre dieser Schlagzeilen bereits deinen Freitag-Bag und deine Birkenstocks und machst dich auf den Weg in den hohen Norden. Aber als jemand, der in Zürich lebt und in Schaffhausen arbeitet, sei dir gesagt: Bleib zuhause. Nichts, auch nicht das älteste Flussbad der Schweiz, kommt an die Magie des Letten heran.



Wo sonst kannst du dich auf einem Mikrofasertüechli zwischen stahlhart kuratierte Körper in Designerbadehosen schieben, mit einem «Coconut Water Americano» in der Hand, und deinem Dolce Vita frönen? Wo sonst kannst du dem Lieblings-Underground-DJ deines gepumpten Sitznachbarn aus einer Musikbox zuhören – wo sonst liegt diese magische Mischung aus Sonnencrème, Vanille-Tabak-Vape und Selbstverwirklichung in der Luft? Wie langweilig muss daneben die «Harmonie» der Rhybadi wirken?

Stattdessen bietet das Limmat-Refugium zahlreiche Mutproben: für Einsteiger das Einmeter-Sprungbrett, für Lässige die blaue Brücke beim Dynamo, die so herzig wackelt, wenn zu viele Menschen auf ihr stehen. Und auf richtige Akrobaten wartet die verbotene Kornhausbrücke – ein acht Meter hoher Sprung und garantierte Diskussionen mit der Stadtpolizei.

Sei ehrlich mit dir, liebes Zürich: Die prüfenden Blicke, die dich am Letten streifen, die schüchtern dich nicht ein – sie spiegeln erst deine eigene Brillanz. Und in den Preisen des Gourmet-Foods vom Sternekoch erkennst du erst deinen Selbstwert:
Den Letten-Dog mit geräuchertem Sauerkraut gibt es auf Gault-Millau-Niveau und für nur 16.50 Franken, das Alpsäuli-Carpaccio für 24 Franken. Willst du dich da noch aufs Rhybadi-Niveau von Käsefritten für acht Stutz herunterlassen? Nein, willst du nicht.

Die Rhybadi bietet dir nicht, was du brauchst, liebes Zürich. Darum: Bitte. Bleib, wo du bist.

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