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Angst vor Kahlschlag

Die neuen, provisorischen Parkplätze an der J.J. Wepferstrasse. Foto: Robin Kohler

Die neuen, provisorischen Parkplätze an der J.J. Wepferstrasse. Foto: Robin Kohler

Auf dem Geissberg regt sich Unmut. Bewohner:innen fühlen sich zu wenig über die Baupläne beim Spital informiert – und fürchten um ihren Wald.

Vier Pensionierte stehen im waldigen Pärkli des Kantonsspitals und machen ihrem Ärger Luft. «Das sind doch Buebetrickli», sagt jemand, ein andermal ist von «Behördenformalismus» die Rede. Immer wieder kommt es zu Kopfschütteln, Kartenauszüge werden auf den runden Holztisch in ihrer Mitte gelegt. Die vier Pensionierten sind vom Quartierverein Geissberg und es geht um das Spitalareal.

Der Unmut der Quartierbewohner:innen hat sich über längere Zeit aufgebaut. Seit weit mehr als zehn Jahren läuft das Hin und Her um den Neubau des Spitals. Durch mehrere Projektstopps, Spitalratswechsel, juristische Tauziehen und vor allem anhaltende Finanzierungsprobleme schleppte sich das Projekt dahin. Nun will der Kanton mit anpacken, der Kantonsrat hat sich geschlossen hinter eine 130 millionenschwere Finanzspritze für das Projekt (70 Mio. à fonds perdu, 60 Mio. Darlehen) gestellt. Voraussichtlich im November kann das Volk ja zu seinem neuen Spital sagen. Was lange wie ein Luftschloss über dem Geissberg und wie ein Damoklesschwert über dem Spitalrat schwebte, könnte nun endlich Realität werden. Der grosse Schritt steht bevor. Doch die Quartierbewohnerinnen fühlen sich aussen vor gelassen.

Salamitaktik am Wald

Für die Leute vom Geissberg war die jahrelange Geschichte des Spitalneubaus nicht nur unübersichtlich, sondern auch verunsichernd: Sie wissen nicht, wie sich ihr Quartier verändern wird. Denn nur eines ist klar: Die baulichen Umwälzungen werden massiv sein.

Die Vertreter:innen des Quartiervereins – Dora Dickenmann, Urs Huber-Wäspi und Hansjörg Baumann vom Vorstand und Mitglied Heinz Lacher – äussern dabei weniger Besorgnis um das, was kommt. Sondern um das, was ihnen genommen wird: Sie fürchten um ihren Wald.

Was ihr Misstrauen erregte: 2017 wurde vor dem Spitalatbau an der Grafenbuckstrasse Wald gerodet, um 85 temporäre Parkplätze zu schaffen. 2024 wurden entlang der J.J. Wepfer-Strasse Bäume gefällt und durch 63 temporäre Parkplätze ersetzt. Auch der Bau des bereits ausgesteckten Spital-Parkhauses wird Bäume kosten. Ebenso die neue Akutpsychiatrie, die auf den Geissberg verlegt werden könnte – dorthin, wo einst Aufforstungen angedacht waren. Und in der Tat beträchtlich: eine Rodungsfläche von 18513 Quadratmetern war ursprünglich für den Spitalcampus vorgesehen, so gross also wie fast drei Fussballfelder.

Heinz Lacher, Hansjörg Baumann, Dora Dickenmann und Urs Huber-Wäspi vom Quartierverein Geissberg im Spitalpark. Foto: Peter Pfister

Heinz Lacher ist beim Treffen im Pärkli des Kantonsspitals der Wortführer. Der pensionierte Hochbautechniker setzt sich akribisch mit dem Areal auseinander. Bei der Stadt hat er bereits zwei Einwendungen gegen deren Zonenplan gemacht. Auch der Kantonsregierung schaut er auf die Finger: Er gelangte erfolgreich an Kantonsrat Patrick Portmann, der eine kleine Anfrage zu den Waldrodungen einreichte. Mit den Antworten der Regierung ist Heinz Lacher nur bedingt zufrieden. Seiner Meinung nach nimmt es der Kanton zu wenig genau beim Waldgesetz und treibt die Ersatzaufforstungen nicht schnell genug voran. Störend für Lacher: Die Parkplätze auf dem gerodeten Waldstück beim Spitalaltbau sollen zwar wieder rückgebaut werden – die Fläche wird laut Regierung aber «nicht wieder an Ort und Stelle aufgeforstet», sondern bleibt Bauzone. Aufgeforstet werden soll anderswo. Eine der vorgesehenen Ersatzflächen im weit entfernten Eschheimertal hat Heinz Lacher sogar auf eigene Faust überprüft – und findet persönlich, dass da bereits Wald sei, und es kaum etwas aufzuforsten gebe. Er ist ausserdem überzeugt: Für die kürzlichen Fällungen an der J.J. Wepferstrasse hätte es eine kantonale Bewilligung gebraucht, weil die Bäume älter als 20 Jahre waren.

Kantonsförster Urban Brütsch verneint dies auf Anfrage der AZ: Bei der Fläche handle es sich rechtlich nicht um Waldareal, das Alter der Bäume für sich genommen sei nicht ausschlaggebend.

Nichtsdestotrotz: Heinz Lacher wittert eine Salami-Taktik, mit welcher der Kanton den Geissbergwald abtranchiert und zerstückelt, um Bauland zu generieren und dem Waldgesetz durch Umzonung auszuweichen.

Zu wenig einbezogen

Was dabei vor allem klar wird: Bei Anwohnenden des Geissbergs herrscht Misstrauen gegenüber dem Vorgehen der Behörden. Das hat eine Vorgeschichte: Der Abriss des Pflegezentrums 2024 hat eine grosse Narbe hinterlassen. Die Quartierbewohnerinnen und andere Teile der Bevölkerung fühlten sich davon verschaukelt, wie die Stadt das Areal des ehemaligen Pflegezentrums vom Kanton übernahm – nämlich abgerissen. Was den Quartierverein an dem Abbruch besonders störte: Dass nicht nur das grosse Gebäude, sondern gleich das gesamte Areal auf Vorrat dem Erdboden gleichgemacht wurde. Auch den beliebten Park mit Pavillon, Froschteich und alten Bäumen konnten die Bewohner:innen nicht vor den Baggern retten.

Die Geschichte des Pflegezentrums
2020 sagte das Stimmvolk Ja zum Umzug der Pädagogischen Hochschule in die Kammgarn und besiegelte damit zugleich ein Tauschgeschäft: Die Stadt verkaufte ihre Kammgarn-Etagen an den Kanton und konnte ihm im Gegenzug das Pflegezentrum abkaufen – und zwar, und das war nicht allen bewusst, definitiv rückgebaut.

Das Areal liegt heute brach und dient der Stadt als Baulandreserve. Wie die Kantonsregierung nun publik machte, hat die Stadt das Areal vorübergehend an das Kantonsspital vermietet. Das Kantonsspital bestätigt auf Anfrage der AZ, dass es während der Bauarbeiten temporär als Parkplatz sowie als Aushubdeponie genutzt werden soll.

Der Kampf um das Pflegezentrum-Areal hat den Quartierverein Geissberg politisiert. Dora Dickenmann, Co-Präsidentin des Quartiervereins, sagt: «Es ist so viel passiert. Wir sehen unser Naherholungsgebiet gefährdet.» Sie und ihre drei Kollegen sagen, es gehe ihnen nicht darum, den Neubau in Frage zu stellen, im Gegenteil: «Der Neubau ist – soviel wir wissen – im Quartier unumstritten», so Dickenmann. Was sie kritisieren, ist die Informationspolitik der Behörden.

Stadt, Kanton und Spitäler würden sich die Verantwortung über die Zuständigkeit gegenseitig zuschieben, so Dora Dickenmann: «Man hat nicht wirklich das Gefühl, dass sie an einem Strang ziehen.» Vorstandskollege Hansjörg Baumann ergänzt: «Wir müssen den Behörden ständig Informationen aus der Nase ziehen und es fühlt sich an, als würden wir immer hinterherhinken. Wir sind Laien, wir wissen nicht, wann es sinnvoll ist, dass wir einbezogen werden.»

Heinz Lacher zieht einen historischen Vergleich: Als Heinrich Moser Mitte 19. Jahrhunderts seinen Damm bauen wollte, habe er die Leute mitgenommen. Er habe ihnen aufgezeigt, wieso sein monumentales Bauprojekt die Schaffhauser Industrie ankurble – und habe nicht versucht, etwas rein formalistisch durch die Hintertür umzusetzen.

Was also wollen die Leute vom Geissberg?

Heinz Lacher sagt: «Wir wollen auf Augenhöhe informiert werden. Wir wollen sehen, dass man so wenig wie möglich rodet und so viel wie möglich aufforstet. Die Spitalneubauten sollen massgeschneidert in den Wald gesetzt werden, so dass es sich weiterhin um ein Waldspital handelt.» Kein Roden auf Vorrat also und eine transparente, proaktive Information. Alles andere sorge für Zweifel daran, dass es auf dem Geissberg ein Gesamtkonzept in Einklang mit der Natur gebe, sagt Heinz Lacher.

Das Baugesuch für den Spitalneubau soll im September 2025 eingereicht werden, wie die Spitäler Schaffhausen gegenüber der AZ mitteilen. Darin enthalten müssen auch die nun geplanten Rodungen und Aufforstungen sein. Der Start der baulichen Erneuerung ist für Juni 2026 geplant.

Kantonsrat Patrick Portmann plant nun eine Volksmotion «kein Kahlschlag auf dem Geissberg». Sie ist ein Warnschuss, dass man den Zuständigen bei der Planung des Spitals genau auf die Finger schaut.

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