Rune Dahl Hansen gehört zu den spannendsten Musikern der Region. Nun hat der 32-Jährige das Atelierstipendium des Kantons Schaffhausen erhalten. Ein Gespräch zwischen Umbruch und Aufbruch.
Gerade noch war der Schweizer Publikumsliebling des Synthie-Pop, Walter Frosch, mit dem Album «Star 10110» in der Tasche auf US-Tournee gegangen. Und nur wenige Monate davor streuten die Höllenhunde von YC-CY ein neues Album ins Netz. Und jetzt sollen beide Projekte vorüber sein, auf Eis gelegt sind sie. Das haben Mike Saxer und Rune Dahl Hansen, Masterminds hinter beiden Bands, dem Musikblog «Reverb Dream» verraten. Gleichzeitig haben die beiden an den Schaffhauser Kulturtagen mit Spear Flower ein neues Projekt auf die lokalen Bühnen gehievt.
Bewegung gibt es auch bei Dahl Hansen selbst: Er hat vor einem Monat das Atelierstipendium des Kantons Schaffhausen erhalten und wird demnächst nach Berlin reisen, um sein Soloprojekt weiterzuentwickeln. Zeit also, den Mann zu treffen, der ständig in mehreren Bands zugleich zu sein scheint. Wir spazieren die Altstadt hinunter zum Lindli. Im Laufen ist es einfacher zu reden. So knirscht der Kies unter unseren Schuhen, während wir in Bewegung bleiben.
AZ: Stimmt es, dass du jeden Tag versuchst, Lieder zu schreiben, Rune?
Rune Dahl Hansen: Ja. Obwohl ich nicht nur schreibe, sondern generell versuche, produktiv zu sein: ein Lied fertigmachen, es abmischen, ein Cover gestalten. Ich brauche jeden Tag eine Form von Produktivität, damit ich dann mit gutem Gewissen etwas anderes machen kann.
Das erinnert mich ans Schreiben eines Tagebuchs – daran, einen Prozess zu sehen, um ihn verstehen zu können und damit vielleicht sich selbst. Ist Songwriting ein ähnlicher Prozess für dich?
Für mich kommt dieser Prozess näher ans Fischen heran. Ich weiss nie, wann ein guter Tag ist. Ich bin ein verkopfter Mensch. Die besten Tage sind die, an denen ich nicht so viel nachdenke, sondern einfach mit etwas anfangen kann. Darum will ich jeden Tag etwas machen, um die guten Momente auch wirklich zu erwischen.
Verarbeitest du alle Fragmente, die so entstehen, zu Songs?
Nein, gar nicht. Es entsteht viel mehr Quatsch als Brauchbares. Und man belügt sich gern, um potenziell gute Ideen aufrecht zu erhalten – darum verschwende ich auch viel Zeit an schlechte Ideen. Wenn die richtigen Leute dann sagen, dass es scheisse ist, gibt es für mich immerhin keine Zweifel daran, dass ich eine Idee fallen lassen muss.
Wie kamst du dazu, Musik zu machen?
Ich war elf Jahre alt, als meine Familie von Dänemark nach Schaffhausen zog. Wir haben aber jede Schulferienwoche in Dänemark verbracht. Meine Freunde dort waren sehr mit Trends beschäftigt, mit Secondhandkleidern zum Beispiel. Der Hippie-Style hatte ein Revival, und dazu hat auch eine Gitarre gehört. Alle hatten zuhause eine Gitarre rumstehen und haben darauf «Smoke On The Water» gespielt. Nach einem Jahr waren die Gitarren für sie uninteressant. Mich haben sie nicht mehr losgelassen. Hier in Schaffhausen habe ich dann Stunden genommen, die mich aber schnell gelangweilt haben. Mein Lehrer hat mir an keinem Punkt vermittelt, dass ich selber Musik machen könnte. Weiterentwickelt habe ich mich erst über Schülerbands – und dann, später, mit den richtigen Leuten.
Du bist in Beringen aufgewachsen. Wie war das?
Es hat sich für mich immer so angefühlt, als wären meine Freunde in Dänemark ein Jahr voraus. Auch in Modefragen. Einmal hat mich ein Freund besucht, der enge Hosen getragen hat. Ich hatte das noch nie gesehen, das war total mindblowing! Ich habe das auch ausprobiert, in Beringen, und habe Sprüche gehört. Dafür tragen alle die Leute, die damals etwas sagten, jetzt Skinny Jeans.
Zeit verläuft auf dem Land anders.
Definitiv. Mir haben dort die Vorbilder komplett gefehlt. Ich war das älteste Kind in der Familie, ich habe zwei jüngere Schwestern. Ich habe mir alles selber zusammensuchen müssen, als ich endlich selber einen Computer mit Internet hatte.

In Schaffhausen hat man dich das erste Mal 2011 auf einer grösseren Bühne gehört. Du warst Sänger und Gitarrist von MOSA Nature, euer zweiter Gig war als Vorband der Aeronauten. Dachtest du damals daran, mit Musik gross rauszukommen?
Lustigerweise war mir das absolut egal. Ich war in Beringen so isoliert von dieser Szene, dass sie mir fremd war. Mir hat einfach die Musik Spass gemacht und ich wusste lange nicht, was ich anderes wollte. Darum habe ich mich damals in diese Welt hineingezwungen und gehofft: Wenn alle Brücken hinter mir brennen, dann mache ich vielleicht nur noch das. Trotzdem dauerte es lange, bis ich Verbündete gefunden habe, die ähnliches wollten wie ich.
Dann hast du Mike Saxer kennengelernt und bist zu YC-CY dazugestossen.
Genau, Mike ist so ein Verbündeter. Wir haben eine ähnliche Einstellung zum Leben, und ich kann zwar nicht für ihn sprechen, aber ich glaube, dass wir uns manchmal ziemlich ähnlich fühlen. Er hat mich damals über Facebook angeschrieben, ob ich nicht Lust hätte, in einer Band zu singen. Ich kannte ihn nicht gut, Gregi und Remo nur ein bisschen. Aber es hat von der ersten Probe an mit allen gepasst. Und ich war zudem in einer sehr destruktiven Phase, habe in einer scheusslichen WG in Zürich gewohnt und war wütend auf alles – die Stimmung der Band hat gut zu meinem Zustand gepasst. Die Band fanden anfangs übrigens fast alle schrecklich, viele sind aus den Konzerträumen rausgelaufen, mit den Jahren wurde es dann immer besser. Aber es hat mega Spass gemacht. Wollen wir uns setzen?
Rune Dahl Hansen zeigt auf eine Sitzbank am Rheinufer. Wir sind an der Grenze zu Deutschland angelangt. Später wird er erzählen, dass seine Eltern vor einigen Jahren von Beringen ins Haus gleich hinter diesem Bänkli gezogen sind.
AZ: Was sagt es über die Schweiz aus, dass die Synthie-Band Walter Frosch hier zum Hit wurde und der Noise von YC-CY im Ausland?
Rune Dahl Hansen: Wir haben vielleicht nirgends in eine Schublade reingepasst. Und physisch derart anstrengende und asoziale Konzerte hatten in den Schweizer Clubs keinen Platz. Wir hier haben eine Dezibel-Obergrenze und weisen einander auf Scherben am Boden hin. In anderen Ländern zelebriert man das Chaos.
Für wen magst du lieber Musik machen?
Ich mache Musik, weil es mir Spass macht und etwas vom Sinnvollsten ist, was ich mit meiner Zeit machen kann. An Konzerten fühle ich mich oft ausgestellt, gerade weil ich nicht die Rampensau schlechthin bin. Zu gewissen Szenen und Orten fühle ich aber eine feste Verbundenheit, die mir Lust macht, etwas von mir zu geben.
Nun ist Walter Frosch, wie auch YC-CY, auf Eis gelegt. Warum?
YC-CY gab es fast zehn Jahre, irgendwann hatten wir dafür einfach zu wenig Energie. Mit Walter Frosch ist innert kurzer Zeit sehr viel passiert, aus dem Mike und ich viel gelernt haben. Wir haben alles probiert, was als Band in der Pop-Sphäre dazugehört: Wir haben sehr viel Musik herausgebracht, wir haben Promozeugs gemacht, Pressefotos, und so weiter. Wir haben zu allem ja gesagt, das war der Grundgedanke dieser Band. Und wenn wir jetzt darauf zurückblicken, war viel dabei, was wir nicht wieder so machen würden. Mit dieser Vergangenheit zu leben, ist immer schwieriger geworden.
Wie meinst du das?
Zum Einen war ein Teil der Szene, in der wir uns bewegt haben, nicht sehr ansprechend für uns. Wir hatten keinen Spass daran, die älteren, poppigen Lieder an den Konzerten zu spielen, die manche viel lieber hören wollten. Zum Anderen wurde die Musik selbst zunehmend einengend. Wir haben versucht, all unsere Bedürfnisse in diese Band hineinzuquetschen, und mussten merken: Das geht nicht. Wir wollten ein Rap-Album machen, eine Punk-Platte, alles unter dem Namen Walter Frosch. Die Band hatte sich da aber bereits als «New Wave»-Projekt etabliert. Walter Frosch hat sich festgefahren angefühlt.
Der Schlussstrich ist ein Befreiungsmanöver?
Für andere funktioniert es vielleicht, die immergleiche Musik zu spielen, auf der Bühne den Hans zu machen und damit Geld zu verdienen. Für uns tut es das nicht – wir müssen zu hundert Prozent hinter dem Projekt stehen können.

Mir ist schon länger aufgefallen, dass du in sehr vielen unterschiedlichen Gruppen Musik machst. Zusätzlich hast du das Solo-Projekt RDH gestartet. Woher kommt dieser Drang, sich immer neu erfinden zu wollen?
Ich brauche Veränderung, um das Musikmachen spannend zu halten. Ich interessiere mich für viel verschiedene Musik und es würde mich traurig machen, ein Leben lang mit nur einem Genre zu verbringen.
Trotz der verschiedenen Bandnamen und Projekte hat deine Musik eine gemeinsame Linie.
Das passiert nicht bewusst. Aber ich kann nicht vermeiden, dass alles auf irgendeine Art sehr melancholisch klingt. Das höre ich jedenfalls oft von den Leuten – für mich ist das alles gar nicht so traurig. Das ist einfach meine Grundstimmung. Melancholie ist ein wohliges Gefühl für mich. Und sie ist ein Messgerät: Wenn sich etwas so anfühlt, dann finde ich es meistens gut, unabhängig vom Genre oder der Kunstform.
Als ich nach einem deiner Musikprojekte, «Worldwide Online Suicide», gesucht habe, erhielt ich in der Suchmaschine stattdessen die Telefonnummer der Dargebotenen Hand.
Stimmt, das haben wir auch gemacht! Das war als einzelnes Tape gedacht, das wir lange nicht fertiggestellt haben. Wir haben es nur veröffentlicht, damit es nicht auf der Festplatte herumliegt. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt aber schon das Interesse daran verloren.
Mit «A Life In Disguise» hast du 2023 unter dem Titel RDH dein erstes Solo-Tape herausgegeben. Die vier Tracks wirken genauso melancholisch, futuristisch auch, manchmal dystopisch. Wie kam das zustande?
Ich hatte einfach Lust darauf, Ambient-Lieder zu machen. Ich habe die Skizzen beim Spazieren angehört, oft war das Wetter ähnlich wie heute, und das hat sich irgendwie richtig angefühlt. Ich wollte kein grosses Ding daraus machen. Die Idee war vielmehr zu kommunizieren, dass ich von Bandprojekten losgelöst existiere und dass ich offen bin für Kollaborationen. Wie auf einer Dating-App, quasi (lacht). Beim ersten Tape war alles noch sehr unbeschwert, fürs zweite stellen sich schon wieder Fragen: Was will ich genau machen, wie fest will ich wieder in diese professionelle Musikwelt eintauchen?
Eines deiner Lieder auf dem Tape heisst «I Will Die Poor». Spielst du damit auf die Musikbranche an?
Viele Tracks sind einfach nach den Samples benannt, die reingeschnitten sind. In dem von dir genannten Audiosample werden Leute in den 70er-Jahren an der Wall Street gefragt, wie sie ihr Geld anlegen. Die einen haben keine Ahnung von Investments, die anderen sagen, sie würden die Hälfte ihres Geldes damit verdienen. Aber natürlich hat der Name auch einen Bezug zu meinem Leben. Weil das wahrscheinlich so sein wird.
Welchen Umgang hast du heute mit der Musikindustrie?
Wir haben diesen Zirkus besonders stark mit Walter Frosch erlebt, vieles war für uns ganz neu und wir haben einfach versucht, uns ans Tempo der anderen Bands aus der Pop-Szene anzupassen. Die ganze Selbstvermarktung war uns aber schnell zu viel. Das alles hatte so einen faulen Beigeschmack, ich glaube, daran haben wir uns die Finger verbrannt. Heute sind Mike und ich beide vorsichtiger und selektiver. Im Dschungel der Musikbranche haben wir aber auch viele tolle Menschen kennengelernt. Ein solches Netzwerk möchte ich in Zukunft mit mehr Bedacht aufbauen.
Nun steht der Aufenthalt in Berlin bevor. Arbeitest du an RDH weiter, oder wird Berlin wieder etwas ganz Neues?
Ich werde vermutlich dasselbe machen wie jetzt: an verschiedenen Projekten und Kollaborationen arbeiten, bestimmt auch RDH und Spear Flower. Eine Freundin von mir aus Prag ist nach Leipzig gezogen, und wir wollen zusammen eine Band oder eine Platte machen. Und ich will all die Halbbekanntschaften, die ich gemacht habe, weiterverfolgen. Wer weiss, was daraus entstehen kann?
Wo willst du musikalisch noch hin?
Eine Freundin von mir macht Videospiele. Ich fände zum Beispiel spannend, dazu oder zu Filmen Soundtracks zu machen. Ansonsten stehe ich gerade voll am Punkt eines Neustarts. Und ich freue mich zu sehen, was aus diesem Moment wird.
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