In Diessenhofen predigt ein Pfarrer, der in Deutschland für die AfD politisiert. Gegenüber Journalisten behauptete er, kein Rechtsextremer zu sein. Recherchen der AZ zeichnen ein anderes Bild.
Am letzten Sonntag haben sich etwa drei Dutzend Gläubige in der evangelischen Kirche Diessenhofen eingefunden. Die Familie des Pfarrers Gottfried Spieth wird heute verabschiedet. Sie zieht schon einige Monate vor ihm in die neue Heimat an der deutsch-polnischen Grenze.
Denn dort sitzt Spieth seit den Neuwahlen 2024 in der «Stadtverordnetenversammlung», dem Stadtparlament von Frankfurt an der Oder. Er politisiert hier parallel zu seinem Pfarramt für die AfD, die «Alternative für Deutschland». Anfang Mai stufte der Bundesverfassungsschutz die AfD als «gesichert extremistische Bestrebung» ein. Dagegen hat die Partei Einsprache erhoben. Am Dienstag entschied das Bundesverfassungsgericht in einem separaten Verfahren, dass die AfD als «rechtsextremer Verdachtsfall» und «in Teilen gesichert rechtsextrem» eingestuft werden darf.
Die Thurgauer Zeitung hat im Juli als erstes Medium über die politischen Aktivitäten des Diessenhofner Pfarres berichtet. Spieth liess sich zitieren, dass er «mit Rechtsextremen nichts am Hut» habe. Die nationalen Medien folgten, der Blick nahm die Geschichte auf und das SRF besuchte Spieth in der Kirche in Diessenhofen. Dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen sagte Spieth, er selbst wolle versöhnen.
Anschliessend an den Gottesdienst zu Ehren der Familie Spieth gibt es einen Apéro vor der Kirche. Dort stehen an diesem Sonntag einige ältere Menschen beisammen. Eine Frau sagt, sie sei zuerst schockiert gewesen, als sie von Spieths AfD-Zugehörigkeit gelesen habe. Danach habe sie eigentlich nicht mehr in die Kirche kommen wollen. Aber dann habe sie die Zeitungsartikel über ihn gelesen, in denen Spieth «nicht so extrem» gewirkt habe. Nun komme sie wieder an seine Gottesdienste.
Recherchen der AZ zeigen nun, dass das verbreitete Bild des gemässigten Spieth falsch ist. Im vergangenen Jahr hat der Pfarrer auf Facebook zahlreiche antisemitische, völkische und rechtsextreme Posts abgesetzt.
Der Facebook-Account
Bis vor Kurzem war der Diessenhofner Pfarrer auf Facebook als «Spieth Gottfried Gerhard» zu finden. Gerhard war Gottfried Spieths Bruder, der 2013 verstorben ist. Auf dem Profilbild waren beide Brüder zu sehen, im Gespräch mit der AZ bestätigte Gottfried Spieth aber, dass er der aktuelle Inhaber des Accounts ist. Kurze Zeit später löschte er das Konto.
Auf Spieths Account wurde seit dem 29. März diesen Jahres nichts mehr gepostet. Zuvor war er dafür umso aktiver. Während des Sommers 2024 postete Spieth darauf häufig mehrmals täglich kurze Texte. In vielen davon ist die «Junge Freiheit» verlinkt, ein deutsches Medium, das als Sprachrohr der neuen Rechten gilt. Die Menge der Inhalte macht den Account unübersichtlich, die AZ hat sich lediglich die Posts von Mitte Juni 2024 bis März 2025 strukturiert durchgeschaut, mit einer Ausnahme stammen alle hier erwähnten Texte aus dieser Zeit. Mehrere davon sind eindeutig rechtsextrem.
An einer Stelle schreibt Spieth: «Das dritte Reich war eine komplexe Mischung und lässt sich nicht in seiner ganzen Breite auf einen kriminellen Nenner bringen (…)». In einem anderen Post wird infrage gestellt, ob die Verwendung des Worts «Massenmord» angebracht ist: «Die Alliierten konnten es sich im WK II (2. Weltkrieg, Anm. d. Red.) leisten, das dritte Reich mit solchen Maximalbegriffen zu brandmarken, weil sie aus der Position überlegener Stärke handeln konnten (…).»
Die Nationalsozialisten ermordeten schätzungsweise sechs Millionen Jüd:innen, dazu kamen Sinti, Roma, queere Menschen und politische Gegner:innen.
An der Spitze dieses mörderischen Regimes stand Adolf Hitler. Zu dessen Ernennung zum Reichskanzler 1933 schrieb Spieth im September 2024, damals bereits seit über sieben Jahren Pfarrer in Diessenhofen: «Hindenburg könnte (sic) und wollte nicht Gott spielen, als er AH (Adolf Hitler, Anm. d. Red.) ernannte. Das war demokratischer Pragmatismus, was er tat.» Die Soldaten der nationalsozialistischen Wehrmacht, die in der Schlacht um Stalingrad zwischen 1942 und 1943 kämpften, seien «überzivilisiert und verweichlicht» gewesen. Auch heute sieht Spieth für «das Volk» nur dann eine «Chance» wenn diese zu einer «instinkthaft-leidenschaftlichen Männlichkeit» und zur «kämpferischen Priorität des Männlichen» finde.
Auch offene Umsturzfantasien teilt der Pfarrer auf Facebook. Der Aufstieg der AfD vergleicht er mit dem Jahr 1933 – dem Jahr der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Diese sei zwar im Massstab deutlich gröber und krasser gewesen als die Wahlerfolge der AfD, aber die Parallele sei unverkennbar. «Das spürte die herrschende westdeutsche Klasse. Und deshalb ist sie – mit Recht – so aufgeregt. Sie spürt: Ihre Zeit ist abgelaufen. Sie hatte von Siegers Gnaden 80 Jahre lang Zeit, diese BRD zu prägen und nach ihrem Gusto zu gestalten. Jetzt ertönt der Schwanengesang. Und das ist gut so.»
Rassismus und Antisemitismus
Mitglieder der Kirchgemeinde beschreiben Spieth im Gespräch mit der AZ als einer, der gerne geschwollen daherredet, manchmal müsse man sich anstrengen, um zu verstehen, was der Mann predigt. Ähnlich verklausuliert klang es bis vor Kurzem auf seinem Facebook-Account. Freiheit sei etwa «das Eintauchen in den grossen Strom der heimatlichen Geschichte».
Spieth äussert sich auf Facebook auch zeitpolitisch. Angela Merkel, die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin, habe zwar neue aussenwirtschaftliche Spielräume eröffnet, aber sie sei schlecht für den «Gen Pool» gewesen – eine klare Anspielung auf die grosse Anzahl aufgenommener geflüchteter Personen im Zuge des syrischen Bürgerkriegs 2015. Sogenannte «Rassentheorie» spielte auch sonst eine prominente Rolle auf Spieths Account. Zum Erfolg der deutschen Männerfussballnationalmannschaft steht: «Ethnobiologen und Rassenkundler werden hier noch bessere Antworten finden als ich. Anscheinend ist aber ein gewisser Gen Mix sogar produktiv.»
«Auch hier sieht man wieder Spieths völkisches Denken, seinen Maskulinismus und die offene Befürwortung von rechtsextremen Terrorakten.»
Natascha Strobl, Expertin für
Rechtsextremismus
Unter den vielen Posts finden sich zudem zahlreiche antisemitische Aussagen. «Philosemitisch», ein Begriff, der eine positive Einstellung zum Judentum beschreibt, wird abwertend benutzt; es wird eine «Judaisierung des Christentums» und die «dynamische jüdische Prägung und Verklammerung» der USA beklagt. Islamismus hingegen sei «eine unheilige Allianz zwischen radikalen Muslimen und ultraliberalen Europäern/Amerikanern, durch logenartige Netzwerke vorbereitet und in die Wege geleitet.»
Am 15. September 2024 veröffentlicht Spieth auf Facebook einen Text, in dem vieles vom bisher Aufgeführten zusammenkommt – der Nationalismus, das Völkische, die Faszination mit männlicher Stärke und Umsturzfantasien. Über einen Artikel zu Geflüchteten schreibt er: «Der germanische Zorn ist nicht verschwunden, er schläft. Wehe, wenn er aufgeweckt wird! 10 bis 20 nichtassimilierte Biodeutsche, im Bunde mit moderner (Wehr-) Technik, sind zu (fast) allem in der Lage. Was Israel recht ist, sollte uns billig sein. Wenn, wenn unsere jetzt noch unterdrückten maskulinen Instinkte losgelassen werden (…).»
Die AZ hat Gottfried Spieth mit allen hier zitierten Posts konfrontiert. Im persönlichen Gespräch mit der AZ streitet er nicht ab, der Verfasser der Posts zu sein. Rassismus, Antisemitismus oder rechtsextremes Gedankengut könne er darin aber nicht erkennen (siehe Box 1).
Das sagt Gottfried Spieth zu den Vorwürfen (Box 1)
Gottfried Spieth sagt, seine Facebook-Posts seien nicht «Meinungsabgaben im engeren Sinne», sondern «Blitzlichter und assoziative Verlautbarungen, mit denen ich die Grenzen des bürgerlich Sagbaren ausloten wollte». Er habe seine Facebook-Seite von seinem verstorbenen Bruder übernommen. «Die Posts widerspiegeln fiktive Familiengespräche im Elternhaus, Geschwister- und Verwandtschaftskreis.» Rassismus oder Antisemitismus könne er in diesen Texten nicht erkennen und Rechtsextremismus sowieso nicht. «Dieses Prädikat passt nicht zu mir, dafür sind die Posts auch zu akademisch geschrieben. Ich würde sie vielleicht rechtsintellektuell nennen. Meine friedenspolitischen Vorbilder sind Olof Palme, Bruno Kreisky und Willy Brandt.» (Sozialdemokratische Regierungschefs von Schweden, Österreich und Deutschland aus den 70er- und 80er-Jahren, Anm. d. Red.). Manches bedaure er, sagt Spieth. «Der Fokus aufs Maskuline hätte nicht sein müssen. Mein Post, in dem ich zur Vorsicht mit kriminalistischen Maximalbegriffen wie etwa «Massenmord» rate, bezieht sich nicht auf Nazi-Deutschland, sondern auf das gegenwärtige Russland», sagt Spieth. (Im fraglichen Post ist explizit vom 3. Reich die Rede, weiter unten im betreffenden Text dann auch vom «östlichen Gegenspieler» Anm. d. Red.)
Das sagt Expertin Natascha Strobl (Box 2)
Die AZ hat alle im Text zitierten Posts von Gottfried Spieth an die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl geschickt. Strobl ist Expertin für Rechtsextremismus und die Neue Rechte und hat mehrere Bücher zum Thema geschrieben. Für die AZ hat Strobl die Posts des Diessenhofner Pfarrers angeschaut und aufgeschlüsselt, welche Kriterien eines rechtsextremen Weltbildes diese erfüllen. Als Gesamtbeurteilung schreibt sie: «Gottfried Spieth erfüllt so ziemlich alle Kriterien eines gefestigten rechtsextremen Weltbildes.» Weiter schreibt Strobl, sein Stil erinnere an jenen Björn Höckes.
Zu dem Post, in dem Gottfried Spieth die Verwendung des Wortes «Massenmord» kritisiert, schreibt sie, damit relativiere er den Holocaust. Zudem schreibt sie: «Die Aufklärung als ‹geistige Judaisierung des Christentums› zu bezeichnen, ist zutiefst antisemitisch. Auch die Ablehnung der Menschenrechte ist offen rechtsextrem». Zu weiteren Posts sagt sie: Spieth offenbare damit «sein negatives Menschenbild und seine Ablehnung der Demokratie und des Parlamentarismus» und: «Spieth denkt in traditionellen Geschlechterbildern und legt ein ultramaskulinistisches, männerbündlerisches Denken an den Tag.» Spieths Kritik, dass Merkel den «Gen Pool» verschlechtert habe, offenbare «zutiefst völkisch-rassistisches Denken». Zum Text, in dem Spieth schreibt, dass der «germanische Zorn nicht verschwunden» sei, sagt Strobl: «Auch hier sieht man wieder Spieths völkisches Denken, seinen Maskulinismus und die offene Befürwortung von rechtsextremen Terrorakten.»
Die Arbeit als Pfarrer
In der Thurgauer Zeitung konnte man lesen, Spieth sei ein guter Pfarrer gewesen. Nach dem Gottesdienst zu Ehren der Familie Spieth erzählen allerdings mehrere Gemeindemitglieder, dass man Spieth die Kinder- und Jugendarbeit entzogen habe. Der Grund dafür war gemäss der Diessenhofer Kirchenpräsidentin Jael Mascherin, dass Spieth nicht gut mit Jugendlichen ausgekommen sei.
Die Recherche der AZ wirft nun auch die Frage auf, ob der Pfarrer sein Gedankengut, dass er auf Facebook breitschlug, auch in die Jugendarbeit fliessen liess. Diese Frage wird von der Kirchenpräsidentin weder bejaht noch verneint. Stattdessen antwortet sie kryptisch: «Die Kirche toleriert nirgends extremistisches Gedankengut, schon gar nicht in der Jugendarbeit.» Mascherin sagt, sie habe nichts von Spieths Facebook-Account gewusst, bis die AZ sie darauf aufmerksam gemacht habe.
Wie bereits gegenüber anderen Medien vertritt die Kirchengemeinde auch gegenüber der AZ den Standpunkt, dass eine Kündigung Spieths nicht möglich sei: «Er ist eine von den Kirchenbürgern gewählte Person und die politische Meinungsfreiheit gilt auch für ihn», so Mascherin. Die Kirchgemeinde sei aber der Ansicht, dass die Politik der AfD mit der Kirche unvereinbar sei. Mit Spieth wurde vereinbart, dass er zwei Monate früher als geplant – auf Ende Jahr hin – in Pension geht. Bis dahin steht Gottfried Spieth am Sonntag auf der Kanzel.
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Dieser Text entstand mit finanzieller Unterstützung des AZ-Recherchefonds «Verein zur Demontage im Kaff». Der Fonds fördert kritischen, unabhängigen Lokaljournalismus in der Region Schaffhausen, insbesondere investigative Recherchen der Schaffhauser AZ. Spenden an den Recherchefonds: IBAN CH14 0839 0036 8361 1000 0 oder per Twint.
