Teil eins unserer Sommerserie: Bäuerin Margrit Schwyn bereitet mit uns ein Dessert zu, das für ihre Familie spezieller als Kuchen ist.
AZ-Sommerserie: Grosis Küche
Gerichte und Geschichten: In unserer aktuellen Sommerserie treffen wir Menschen, die auf ein langes Leben zurückblicken und ein Rezept mit uns teilen. Bisher erschienen: Margrit Schwyns Quarkschale, Maryann Pythouds Tex-Mex-Rezept, Helga Maurers Brennnessel-Spätzli und Anita Meyers Enkelzmittag.
Margrit Schwyn steht hinter ihrem Stand am Schaffhauser Bauernmarkt und winkt ab, als wir fragen, ob sie mit uns eins ihrer Rezepte kochen würde. Sie koche ja kaum mehr, seit ihr Mann nicht mehr da sei.
Ihre Enkelin, die neben ihr steht, meint: «Du könntest ja deine Salatsauce machen. Oder die Quarkschale.»
Also gut, einverstanden. Ein paar Tage später schauen wir bei Margrit Schwyn auf dem Aazheimerhof in Neuhausen vorbei. Die Wände der geplättelten Küche sind mit Kinderzeichnungen und Fotos geschmückt, auf der Ablage liegen säuberlich aufgereiht die Zutaten bereit, die Enkelin hat sie eingekauft: Eier, Quark, eine Dose Ananas.
Die Quarkschale ist keine komplizierte Sache. Es ist ihr Kult-Potenzial, das dieser süssen Köstlichkeit das gewisse Etwas verleiht. Auf dem Hof der Familie Schwyn gab und gibt es dieses Dessert nur an Weihnachten, oder wenn jemand Geburtstag hat. Es hat einen Hauch von alter Extravaganz.
Ein Bäuerinnenleben
Die 80-jährige Margrit Schwyn wuchs ohne Luxus auf. Als Bauerntochter und ältestes von fünf Kindern musste sie auf dem elterlichen Hof in Dörflingen viel mit anpacken. «Das kann man sich nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat», sagt sie. «Aber me hätt nüüt anders gwüsst».
Wir lassen die Zutaten für die Quarkschale erst einmal ruhen und gehen hinüber in Margrit Schwyns Stübchen. Setzen uns an den Esstisch auf die Eckbank, um etwas zu plaudern.
«Wir hatten damals nicht das Gefühl, ein hartes Leben zu haben», sagt Margrit Schwyn, wie sie an früher zurückdenkt. «Bei der Nachbarsfamilie arbeitete der Vater in der Knorri-Fabrik. Wir glaubten nicht, diese hätten es besser als wir.»
Hatten Sie manchmal Hunger?
«Nein, nein. Brot und Herdöpfel gab es immer. Und Griesspappe zum Znacht.»
Haben Sie schöne Erinnerungen an Ihre Kindheit?
«Ja, momoll. Wir konnten auch spielen. Wir haben draussen Hüpfkästchen auf den Boden gezeichnet und sind rumgesprungen. Unser Vater war sehr gut zu uns. Von ihm habe ich Ruhe und Gelassenheit gelernt, er war auch ein guter Bauer. Viele Jungen gingen bei ihm um Rat fragen. Im Winter hat er an Sonntagen mit uns Karten- und Brettspiele gespielt, Elfer-Raus oder das Leiterlispiel. Die Mutter weniger, die hat sich dann auch mal ausgeruht, sie war sehr gefordert mit der Hausarbeit.»
Im Sommer gab es auf dem Bauernhof am meisten Arbeit. Die junge Margrit war eingespannt und zog das kleinste Geschwister, den acht Jahre jüngeren Bruder, mit auf. Im Winter suchte sie sich jeweils in der Zeitung eine temporäre Stelle. Sie arbeitete nach Schulabschluss an ganz unterschiedlichen Orten: Mal bei einer Metzgerfamilie, in einem Arzthaushalt oder bei einem Bauern, im Altersheim Steig oder in der Essensausgabe in der Fabrikkantine der «Bindi» (der heutigen Arova-Hallen).
Das verdiente Geld durfte sie behalten. «Zum Glück», sagt sie, «denn damit habe ich als Braut die Aussteuer finanziert.» Sie zeigt in ihrem Stübchen umher: «Das Buffet, den Tisch, die Stühle, das habe ich alles selber bezahlt.»
Margrit Schwyn hatte ihren zukünftigen Mann an der Landwirtschaftsschule im Charlottenfels kennengelernt, wo damals alle, die bauerten, hingingen. «Und als dann mein jüngster Bruder mit der Volksschule fertig war, konnte ich heiraten», sagt sie.
Mussten Sie so lange warten?, fragen wir.
«Ich hätte mich gar nicht getraut, vorher zu fragen. Wäre ich nicht zu Hause geblieben, hätten meine drei jüngeren Schwestern einspringen müssen und hätten keinen Beruf lernen können. So konnten wenigstens sie eine Lehre machen.»
War das für Sie eine Bürde?
«Ich habe das nie so empfunden. Schneiderin wäre ich zwar gerne geworden, aber ich habe auch gerne gebauert. Kommt ja nicht drauf an. Da hat man nicht so drüber nachstudiert.»
1968 kam Margrit Schwyn frisch verheiratet auf den Aazheimerhof, wo die Familie ihres Mannes bauerte. Erst noch angestellt bei den Schwiegereltern, half sie ihrem Mann beim Bauern und kümmerte sich um den Haushalt und schliesslich um ihre beiden Kinder. Das meiste, was auf den Tisch kam, war ab Hof und aus dem grossen Garten.
Die alten Rezepte
Wir gehen zurück in die Küche. Die Quarkschale sei ein ganz altes Rezept, sagt Margrit Schwyn und zeigt uns eine vergilbte Seite. Sie habe diese in ihrer Anfangszeit auf dem Aazheimerhof vor bald 60 Jahren erhalten, in den Back- und Kochkursen, die sie bei den lokalen Bäuerinnen besuchte. Die alten Rezepte seien besser als all die neuen – «bei den neuen muss man so viele Dinge einkaufen, die man danach gar nicht mehr brauchen kann.» Und die Jungmannschaft wolle eh immer die alten Klassiker.
Für ihre Kinder und Enkel sei dieses Dessert etwas Spezielles. Kuchen, das habe es sonntags am Tisch oft gegeben. Davon habe sie auch heute noch ganz viele in der Gefriertruhe. Um einen Kuchen zu backen, dafür hatte man auf dem Hof das meiste zur Hand. Aber solch ein Dessert – dafür musste man die Zutaten, vom Quark bis zur Ananas-Konserve, einkaufen, das kostete früher etwas. Und sicherlich schmeckt es für ihre Familie nach seligen Kindheitserinnerungen.
Sorgsam hebt Margrit Schwyn Quark in ihre uralte Küchenmixer-Maschine, fügt Zucker, Eigelb und Gelatine hinzu. Den Likör lasse sie immer weg, sagt sie. Sie muss etwas studieren, denn sie hat das Rezept schon seit Ewigkeiten nicht mehr zubereitet. «Wenn die wüssten, dass ich Quarkschale mache, kämen sie alle daher gerannt», sagt die Grossmutter verschmitzt.
«So lange man jeden Tag aufstehen kann, muss man zufrieden sein.»
Margrit Schwyn
Wieso sie nicht öfter koche, wollen wir von Margrit Schwyn wissen. «Was Sie alles fragen», meint die 80-Jährige nachsichtig. Es ist halt so, sagt sie einmal mehr und hebt die leeren Hände zur Verdeutlichung.
Sie habe im Alter weniger Hunger, und es sei einfach anders, wenn man alleine sei. Sie habe es auch im Rücken und sowieso überall. Die schweren Harasse mit Äpfeln, die sie als Bauersfrau hier auf dem Hof herumtragen musste, machten sich noch heute bemerkbar. Früher habe sie manchmal solche Rückenschmerzen gehabt, dass sie nur noch stehen oder liegen konnte, sie habe dann jeweils im Stehen essen müssen – so, dass ihr Sohn, als er als junger Mann aus der RS nach Hause kam, die Obstbäume fällte.
Die Bäuerin und Marktfrau zuckt mit den Schultern: «So lange man jeden Tag aufstehen kann, muss man zufrieden sein.»

Ohne viel Erklärung
Margrit Schwyn schneidet die Ananas-Scheiben klein, schlägt das Eiweiss fest und hebt die Masse untereinander. Eigentlich käme die Creme jetzt in den Kühlschrank, um fest zu werden. Doch wir probieren sie jetzt schon: Sehr süss, aber erstaunlich erfrischend. Die Ananas schmeckt wie Zitrone. Ideal für eine kleine Pause im Schatten an einem heissen Sommertag.
Weitere Tipps und Tricks aus der Küche will uns Margrit Schwyn nicht geben. Sie tut die Dinge so, wie sie sich eben über die Jahrzehnte eingespielt und bewährt haben.
Zum Abschied aber gibt sie uns nicht nur eine Holländer- und eine Linzertorte aus dem Gefrierer mit, sondern auch ihr bedeutendstes Rezept: «Zufriedenheit ist das Wichtigste. Wenn man immer hadert, man könnte es noch schöner und besser haben, was nützt das? Jammerst du nur, hast du irgendwann niemanden mehr, der mit dir schwatzt.»

Margrit Schwyns Rezept kann zum Nachkochen hier heruntergeladen werden.
