Weizen versus Velo: Wie der Kanton einen geplanten Radweg streichen will und
so die Schulwege im Klettgau verlängert.
Wer mit dem Fahrrad von Hallau nach Neunkirch fahren möchte, hat drei Möglichkeiten. Entweder man benützt einen der offiziellen Velowege: Die etwas längere, aber touristisch hübsche Strecke über Oberhallau oder den gut ausgebauten Weg über den Murgarten südlich des Dorfes. Die dritte Möglichkeit ist die direkteste: Schnurgerade geht es über die Kantonsstrasse gen Städtli. Welche würden Sie wählen?
Wer die Strecke nicht mit Autos, LKWs und Traktoren teilen möchte und genügend Zeit hat, wählt sicherlich die von der Strasse abgegrenzten Velowege. Wer es eilig hat, bevorzugt die schnelle Variante. So werden das auch die rund 75 Hallauer Oberstufenschüler:innen sehen, die ab nächstem Sommer zur neuen Schulanlage GOSU (Gemeinsame Oberstufe Underchläggi) nach Neunkirch pendeln werden, zusammen mit rund 70 weiteren Teenagern aus Wilchingen, Osterfingen und Trasadingen.
Das sind rund 150 potenzielle Unfallopfer, denn die Strecke ist als Raserstrecke bekannt.
Die früheren Velostreifen Markierungen sind nicht mehr zu sehen und werden auch nicht erneuert: Die Veloführung entspricht nicht der Norm (hat sie noch nie), die Fahrbahn ist zu schmal. Dass wegen der bevorzugten Nutzung des gefährlichen Strassenabschnitts als Schulweg der Bau eines separaten, von der Fahrbahn getrennten Velowegs nötig wäre, ist daher allen klar. Auch aufgrund des bekannten Fahrverhaltens von Teenagern: Diese fahren lieber nebeneinander als hintereinander.
Das Problem wurde also erkannt und floss in die Teilrevision des kantonalen Strassenrichtplans ein. Es wurde abgeklärt, ob der Bau eines abgetrennten, parallel zur Kantonsstrasse verlaufenden Veloweges eine Lösung wäre. Sowohl der Regierungsrat als auch eine Spezialkommission beschäftigten sich mit dem Anliegen, schlussendlich sprachen sich aber beide gegen den Bau eines neuen Velowegs entlang der 2.7 Kilometer langen Strasse aus. Ihre Begründung: Die bestehenden Velowege über Oberhallau und den Murgarten, also die mit dem Umweg und mit mehr Auf und Ab – seien ausreichend. Im Bericht und Antrag der Spezialkommission steht entsprechend: «Schlussendlich hat die Meinung überwogen, dass in Anbetracht eines vorhandenen Velowegs ein neuer zusätzlicher Veloweg nur sehr wenig Zeitersparnis zur Folge haben würde und angesichts des grossen Bedarfs an Kulturland und Fruchtfolgeflächen nicht gerechtfertigt ist.»
Mehr noch: Die Kommission hat dem Beschluss die Empfehlung angefügt, die Strecke solle für Velos gesperrt werden. Mit der offiziellen Begründung, es handle sich um eine «Raserstrecke». Mit anderen Worten: Die Velofahrer:innen sollen weichen, unter anderem weil sich die Autofahrer:innen nicht ans Tempolimit halten. Das empfohlene Velo-Verbot ist zwar nicht Bestandteil des Strassenrichtplans und eine Durchsetzung wäre sehr schwierig. Trotzdem: Kantonsrat Daniel Meyer (aufgewachsen in Wilchingen, ein Jahr Schulweg-Pendeln nach Osterfingen) spricht von einer «Verzweiflungstat», weil die Strasse ganz klar gefährlich sei und es wohl als einfacher angesehen werde, die Velos einfach von der gefährlichen Strasse zu verbannen, als einen sicheren Veloweg zu schaffen.
Zwischen Autos und Traktoren
Es ist leicht nachvollziehbar, dass ortskundige Velofahrer:innen weiterhin die schnurgerade Stecke wählen würden, zumal das Ziel in Sichtweite ist. Gerade, wenn sie beispielsweise von Trasadingen kommen und schon eine Steigung hinter sich bringen mussten. Ein Velo-Verbot würde das Problem also nicht lösen. Das sieht auch Regierungsrat Martin Kessler aus Trasadingen (drei Jahre Schulweg-Pendeln nach Wilchingen) so. Den Bau eines separaten Velowegs befürwortet er trotzdem nicht. Die Umsetzung würde rund 4 Millionen Franken kosten und 6000 Quadratmeter Land bedürfen: «Das beurteilt der Regierungsrat als nicht verhältnismässig.
Es gibt bereits zwei Velowege von Hallau nach Neunkirch. Das wäre der dritte auf einem Korridor von knapp 1.5 Kilometern.» Er verweist auf weitere Kriterien wie Naturschutz, Gewässerschutz, Grundeigentum, Kosten-Nutzenverhältnis und Umsetzbarkeit, die gegen die Interessen der Velofahrer:innen abgewogen werden müssten.
Martin Baggenstoss von der Fachstelle Langsamverkehr des Tiefbauamts, mit zuständig für die Planung des Richtplans, erklärt den Entscheid so: Da bereits heute eine Alternative über den Murgarten ohne grosse zusätzliche Höhenmeter existiere, welche bezüglich der Direktheit den normativen Vorgaben noch knapp entspreche, habe man sich entschieden, diese Verbindung nicht aufzunehmen. Er fügt aber an: «Aus meiner Fachstellensicht hätte ich mir aber natürlich eine Verbindung gewünscht, die den Umwegfaktor «gut», und nicht nur «genügend» erhalten hätte.»
Sind die Fruchtfolgeflächen entlang der Kantonsstrasse also wichtiger als die Sicherheit von Schulkindern?
Für Kantonsrätin Eva Neumann aus Beringen macht es genau diesen Anschein: «Das hat mich erschüttert.» Sie ist überzeugt, dass das Thema zu wenig Aufmerksamkeit erfährt. Sie hat sich im Vorfeld für eine erneute Diskussion des Velowegs eingesetzt und ihre Klettgauer Ratskolleg:innen zu sensibilisieren versucht. Die Reaktionen seien unterschiedlich ausgefallen. Das sei doch schon genug diskutiert worden, hiess es. Das liess Neumann aber nicht gelten: «Das Thema ist wichtig. Gerne diskutiere ich es auch noch ein drittes Mal. Diejenigen, die sagen, das sei alles nicht nötig, haben weit an der Sicherheit der Kinder vorbeigedacht.»
Velo versus Weizenfeld
Im Vorfeld wurden auch Gespräche mit den Gemeinden Hallau und Neunkirch geführt.
Die Neunkircher Vertreter:innen stellen sich hinter die genannten Begründungen, die gegen einen neuen Veloweg sprechen. Den Schüler:innen sei der Umweg egal, der Schulweg sei ein wichtiger sozialer Schauplatz, wo keine Minuten gezählt werden. Ein weiterer Veloweg fördere ausserdem den Landverschleiss und würde zum bereits erwähnten Verlust von Fruchtfolgeflächen führen, die man ausgleichen müsste. Dazu sei die Gemeinde nicht bereit. (Das letzte Argument lässt sich insofern entkräften, als der Kanton verantwortlich ist für den Ausbau der Radwege. Die Gemeinden müssten also nicht die ganze Kostenlast tragen.)
«Das ist völlig an der Realität vorbeigedacht.»
Eva Neumann
Die Hallauer Seite hat sich klar für den Ausbau des Velowegnetzes ausgesprochen, gerade in Hinblick auf die zukünftig stärkere Nutzung durch die Schüler:innen. «Die Verbandsschulbehörde hat ihre Priorität kundgetan», sagt der Hallauer Gemeinderat und Präsident der Verbandsschulbehörde Guido Meier. Aber der Kantonsrat müsse nun entscheiden. Wenn alles so bleibe, wie es ist, könne die Schule nur präventiv bei Schüler:innen sowie deren Erziehungsberechtigten über die Gefahren aufklären und auf den bestehenden Veloweg hinweisen, ergänzt Meier.
Auch Martin Kessler appelliert an die Eigenverantwortung der Velofahrer:innen und stellt die Eltern in die Pflicht. «Wir wollen auch kein Veloverbot.»
Aber lassen sich die Jugendlichen davon abhalten, die Strasse zu benutzen? Das bezweifelt Eva Neumann. Man könne von Teenagern nicht erwarten, dass sie brav den Umweg fahren: «Das ist völlig an der Realität
vorbeigedacht.»
Im Übrigen habe die Strecke über den Murgarten auch ihre Tücken, so Guido Meier.
Ein Teil des Weges werde von LKWs genutzt und sei deshalb oft verschmutzt und rutschig.
Als noch problematischer erwähnt er die zwei vielbefahrenen Kreuzungen, über welche die
Fortführung des Velowegs ab dem Bahnhof Neunkirch führt. Das sei ein allgemeines Problem, das oft vergessen gehe, bestätigt auch Pro-Velo-Präsident Andri Hirsiger. In den Dörfern, wo die Radfahrer:innen wieder auf den Mischverkehr treffen, werde es oft unübersichtlich.
Und gerade dort seien auch jüngere Kinder im Primarschulalter unterwegs. «Hier wären zum Beispiel Geschwindigkeitsreduktionen eine Möglichkeit, die Strassen sicherer zu machen.»
Umweg zumutbar
Das Velo ist seit Generationen für die meisten Schüler:innen auf dem Land tägliches Fortbewegungsmittel. Sichere und zusammenhängende Velowege mit einer intuitiven und vor allem direkten Verkehrsführung sind wichtig, um die Schule zu erreichen. Für die Kids aus Hallau wird diese nun wohl nicht optimal gewährleistet sein, sondern nur noch knapp den Vorgaben entsprechen, sollte der direkte Veloweg nicht ausgebaut werden. Wenn sie sich an die Radwege halten, müssen Schüler:innen aus Hallau und Trasadingen dann nämlich einen Umweg fahren.
Von Hallau her kommend, müssten sie nach rechts abbiegen, die Steigung bereits vor Augen, den Hügel hoch und wieder runter strampeln, bevor die Strecke in den von Wilchingen kommenden Veloweg mündet. Für die kürzere Strecke von der Rimuss-Kellerei bis zum neuen Schulhaus braucht die Durchschnittsvelofahrerin gemäss dem Streckenrechner von Schweiz Mobil 15 Minuten.
600 Meter und vier Minuten mehr sind es, wenn sie den vom Kanton vorgeschlagen Veloweg Murgarten benutzt.
Das macht pro Tag, Mittagspause einberechnet, 16 Minuten Zeitverlust. Das klingt auf den ersten Blick nicht dramatisch, aber im morgendlichen Stress und mit dem Ziel bereits vor Augen, ist es definitiv verlockend, einfach geradeaus zu fahren.

verbotene Kantonsstrasse (rot). Grafik: Andrina Gerner
Das gleiche gilt über Mittag, wenn die Entscheidung zwischen einer acht Minuten kürzeren Pause und dem direkten Weg fällt. Dass sie den Umweg fahren, ist den Schüler:innen wahrscheinlich zumutbar. Dass sie es aber eher nicht tun werden, ist selbst denjenigen klar, die den Vorschlag mit dem Umweg formuliert haben. Es verkehren täglich rund 2900 Fahrzeuge auf der Kantonsstrasse.
Wie viel Veloverkehr dort aktuell unterwegs ist, ist nicht bekannt. «Wir werden die Situation aber im Auge behalten», sagt Martin Baggenstoss. Der Kanton hat dafür einen klaren Auftrag: Seit 2023 ist das Veloweggesetz in Kraft, das die Kantone dazu verpflichtet, bis 2027 zusammenhängende, direkte und sichere Velowegnetze zu planen und diese bis 2042 zu bauen. Das Freizeitnetz ist bereits gut aufgestellt, das bestätigen sowohl Andri Hirsiger als auch Martin Baggenstoss: «Die Lücken im Alltagsverkehr werden im Richtplan abgebildet und in den nächsten Jahren schrittweise geplant.»
«Wir arbeiten daran»
Auf dem Papier klingt das alles vorbildlich, für Andri Hirsiger geht die Umsetzung aber zu langsam voran. Das Problem seien fehlende Beharrlichkeit seitens der Politik und langwierige Rechtsverfahren, sagt er: «Viele eigentlich bereits beschlossenen Projekte wurden nie umgesetzt. Diese sollten endlich vom Papier in die Realität gelangen. Man sollte nicht schon beim ersten Widerstand aufgeben.»
Auch Eva Neumann drängt auf eine schnelle Umsetzung: «Wo ein Wille, da ein Weg.» Die Diskussionen rund um den an sich kurzen Abschnitt des Velowegnetzes zwischen Neunkirch und Hallau zeigen den Interessenskonflikt zwischen den verschiedenen Nutzer:innengruppen von Land und Wegen,
der sich auf dem Land anders darstellt als in der Stadt.
Die Interessen gegeneinander abzuwägen, sei sicherlich nicht einfach, sagt Andri Hirsiger: «Fruchtfolgeflächen sind wichtig, aber der Veloverkehr eben auch. Ausserdem sind beide Themen von nationaler Bedeutung und damit gleich zu gewichten.» Er weist darauf hin, dass das Veloweggesetz im Kanton Schaffhausen mit fast 70 Prozent Ja-Stimmen deutlich angenommen wurde: «Niemand hat etwas gegen Velowege», so Hirsiger.
Aber wenn es um die konkrete Umsetzung gehe, rege sich oft Widerstand und das Gefühl, dass einem etwas weggenommen werde. «Dabei würde eine grosse Mehrheit der Bevölkerung profitieren.»
Doch die Realität zeige, dass die Bedürfnisse der Velofahrer:innen zwar wahrgenommen
werden, dann aber in den meisten Fällen doch zu ihren Ungunsten entschieden werde. Die
Vorlage kommt nach den Sommerferien im Kantonsrat zur Abstimmung.