Die Winzer und der heilige Gral

30. Juni 2025, Fabienne Niederer
In den Rebbergen von Osterfingen probieren Jonas Wehner (l.) und Christoph Stoll einen Schluck ihres Null-Prozent-Weins. Foto: Robin Kohler
In den Rebbergen von Osterfingen probieren Jonas Wehner (l.) und Christoph Stoll einen Schluck ihres Null-Prozent-Weins. Foto: Robin Kohler

Alkoholfreier Wein wird zum Hoffnungsträger einer rückläufigen Branche. Und in Schaffhausen? Eine Spurensuche.

Kürzlich bei einem Schaffhauser Weinhändler: Eine Freundin von mir trinkt keinen Alkohol, zu ihrem diesjährigen Geburtstag war ein edler, alkoholfreier Wein darum die Idee, die mich retten sollte. Auf der Suche nach dem perfekten Geschenk stand ich also in diesem kleinen Weingeschäft und schaute mich um. Schon strahlte mir der Verkäufer entgegen und führte mich direkt zum alkoholfreien Bereich: Ein breites Regal war da, vom Holzboden bis unter die Decke gefüllt mit Weinflaschen. Tropfen aus Südfrankreich und aus Deutschland. Allesamt mit null Prozent. Doch kein einziger aus der Region.
Kürzlich bei einem Schaffhauser Weinhändler: Eine Freundin von mir trinkt keinen Alkohol, zu ihrem diesjährigen Geburtstag war ein edler, alkoholfreier Wein darum die Idee, die mich retten sollte. Auf der Suche nach dem perfekten Geschenk stand ich also in diesem kleinen Weingeschäft und schaute mich um. Schon strahlte mir der Verkäufer entgegen und führte mich direkt zum alkoholfreien Bereich: Ein breites Regal war da, vom Holzboden bis unter die Decke gefüllt mit Weinflaschen. Tropfen aus Südfrankreich und aus Deutschland. Allesamt mit null Prozent. Doch kein einziger aus der Region.

Erst diesen Frühling meldete das Bundesamt für Landwirtschaft (BLV): «Im Jahr 2024 ist der Weinkonsum gegenüber dem Vorjahr um knapp acht Prozent und damit signifikant gesunken.» Das Amt sprach gar von einem «besorgniserregenden Trend». Bis zu dem Zeitpunkt hatte sich der Bund eher Gedanken um unsere Leber gemacht. Nun bemängelt er, dass wir nicht mehr genug bechern?

Die Sorgen gelten natürlich etwas anderem: dem Überleben der Weinbranche. Es sind Sorgen, die auch die Weinbauern in Schaffhausen teilen. Auch hier verzeichnet man teils holprige Verkaufszahlen. Und diese zwingen die Winzer:innen zum Nachdenken: Wenn die Menschen ihr Interesse am Zechen verlieren, suchen sie ihr Glück dann im alkoholfreien Wein?

Von Hundert auf Null

Die AZ hat in Schaffhauser Rebbergen und Kellereien nach den Gründen für die aktuellen Abwärtstrends gesucht – und nach dem Geheimnis der null Prozent.

Schauen wir aber zuerst kurz ins Glas: Die Produktion von alkoholfreiem Wein ist gesamtschweizerisch noch immer ein Nischengeschäft, auch wenn es auf dem Papier nach der idealen Lösung klingt. Denn er ist mehr als nur Traubensaft: Wein, für den sich keine Abnehmer:innen finden, lässt sich mit einem speziellen Verfahren in die alkoholfreie Variante umwandeln. Doch ganz so simpel – wie so oft im Leben – ist es nicht. Das Entalkoholisierungsverfahren entzieht dem gegärten Wein nicht nur seine Prozente bis in die letzten Dezimalstellen, sondern auch Aromastoffe und vor allem Flüssigkeit, nämlich bis zu 20 Prozent des Ursprungvolumens.

Für Stephan Keller, Geschäftsführer der Rötiberg-Kellerei in Wilchingen, sind das bereits genügend Argumente, die gegen eine alkoholfreie Produktion sprechen. «Was ich bisher in der Branche und von Kunden herausgehört habe, ist, dass die Begeisterung noch fehlt.» Weil man durch das Entziehen des Alkohols die schönen fruchtigen Aromen verliere, könne man den alkoholfreien Wein nicht mit dem gleichen Genusserlebnis trinken. Eine weitere Krux daran: «Viele Konsumenten kaufen einen solchen Wein im Glauben, er sei günstiger als herkömmlicher Wein, immerhin enthält er keinen Alkohol. Dabei ist das Gegenteil der Fall», sagt Keller. «Die Fragen für uns Produzenten lauten also: Ist der Konsument bereit, diesen Aufpreis zu bezahlen? Und wie kann man einen alkoholfreien Wein zu den Bedingungen herstellen, damit die ganze Aromatik erhalten bleibt?»

Es sind Fragen, an denen viele Produzent:innen noch immer herumrätseln – oder an die sie sich gar nicht erst herantrauen.

Die GVS Weinkellerei sagt auf Anfrage: «Alkoholfreie Weine werden wir kurz- und mittelfristig wohl nicht im Haus produzieren.» Und bisher habe es auch keine Produzent:innen gegeben, die hier in der Region hätten liefern können. Dennoch stellt auch Bereichsleiterin Ursula Beutler fest, dass die Nachfrage gesamthaft zwar noch klein sei, aber spürbar steige. Man sei daher «sehr daran interessiert, diese Entwicklung weiterzuverfolgen».

Durch die Membran

Trotz aller Hindernisse: Auch hier suchen die ersten Winzer im Bodensatz nach Hinweisen, wie es mit der Weinbranche weitergehen könnte. Christoph Stoll vom Weingut Stoll in Osterfingen ist der erste Produzent, der die Flaschen mit seinem eigenen «null.zéro.nullo»-Wein befüllt und für den Vertrieb bereitgestellt hat – gemeinsam mit seinem Mitarbeiter, dem Jungwinzer Jonas Wehner.

Während des Besuchs führen die beiden aus dem Dorf heraus, hoch in die Rebberge. Knapp fünfeinhalb Hektaren gehören Stoll, «das ist etwa ein Siebtel der gesamten Fläche in Osterfingen», ergänzt er, und deutet mit einer Handbewegung auf die weitläufigen Felder. Für ihn – wie für so viele Winzer:innen – ist der Weinanbau ein Generationenprojekt, eine Erbschaft. «Die ältesten Rebstöcke stammen aus 1974», bemerkt er stolz.

Stoll und vor allem sein Mitarbeiter Wehner erkennen, welche Nische sich mit alkoholfreiem Wein bedienen lässt. «Vor ein, zwei Jahren hat überhaupt niemand in der Schweiz alkoholfreien Wein angeboten. Selbst heute kann man die Schweizer Hersteller an einer Hand abzählen», so Wehner. Auch das zweiköpfige Team wusste um die Schwierigkeit, den ursprünglichen Geschmack des Weines zu erhalten, Stoll wollte darum anfangs noch auf die Bremse treten. Doch Wehner kennt den Markt im benachbarten Deutschland und hat Kontakte zu Weinbauern, die den Sprung bereits gewagt haben und mit Erfolg belohnt wurden. Er setzt zu einer technischen Erklärung an: «In der grossen Produktion hat sich ein Destillationsverfahren unter Vakuum durchgesetzt, eine Methode, bei der Alkohol relativ schonend verdampft wird.»

Die beiden experimentieren derzeit mit einer weniger gängigen Methode, der sogenannten osmotischen Destillation, bei der nicht mit Hitze gearbeitet wird, sondern mit einer Membran. «Diese Methode eignet sich besser für unsere kleineren Mengen an Wein.» Eine eigene Filteranlage besitzen sie noch nicht – das Ganze funktioniert als Leihgabe von befreundeten Winzern.

Im ersten Versuch wurden knapp 160 Liter des neuen Weins produziert, aktuell, im zweiten Versuch, bereits 600 Liter. «Die Gastronomie hat schon länger Interesse, aber gerade bei Privatkunden merken wir: Das Bedürfnis fällt ihnen oft erst auf, wenn man den neuen Wein anbietet», so Stoll. «Ich war tatsächlich auch erstaunt, wie viele Leute positiv darauf reagierten und den Wein mitnahmen.»

Die Sache mit dem Aroma

Stoll und Wehner tüfteln also auf einem Gebiet, auf das sich viele ihrer Branchenkolleg:innen noch nicht gewagt haben. Ob sich der ganze Aufwand auszahlen wird, bleibt abzuwarten.

Ein paar Gemeinden weiter hat indes ein deutlich grösserer Player das Feld betreten, das dürften aufmerksame Anwohner:innen bemerkt haben: Auf dem Gelände des Weingiganten Rimuss-Strada in Hallau entsteht ein neuer Anbau, speziell für das Entalkoholisieren und die Aromagewinnung von Wein. Letzteres kann der Betrieb im Lizenzmodell nutzen. In den nächsten Jahren sind ihm damit die Exklusivrechte an dem «mutmasslich besten» Verfahren für alkoholfreien Wein sicher – so nennt es der Rimuss-Strada-Geschäftsführer Micha Davaz überzeugt. Bereits im Frühjahr 2026 soll die erste Ladung des neuen Tropfens bereitstehen.

Zwar gibt es die Rimuss-Party-Linie noch immer, das ist seit eh und je der Traubensaft, der mit Kohlensäure ergänzt wird. Einige seiner neueren Rimuss-Produkte entstehen allerdings bereits auf Basis von entalkoholisiertem Wein. Diese Schaumweine sind die trockeneren, erwachsenen Geschwister des Partysekts, bisher musste dafür auf externe Lieferanten zurückgegriffen werden. «Eine solche Entalkoholisierungsanlage finanzieren wir nicht einfach im Glauben daran, dass der Wein sofort durch die Decke geht. Die Rimuss-Produkte liefern uns eine Grundauslastung für die Anlage. Jetzt kaufen wir den entalkoholisierten Wein also noch ein, in Zukunft können wir diesen Teil aber selbst abdecken.»

Auch wenn die Weinbranche in der Deutschschweiz vergleichsweise gut dastehe, sei der Wandel sehr real, der Druck spürbar. Rimuss-Strada arbeitet, allein in der Klettgau-Region, mit über 100 Weinbauern zusammen, die dem Hersteller ihre Trauben liefern. Dieser Verantwortung sei man sich bewusst. «Und wir wollen Lösungen haben, um weiterhin ein Abnehmer dieser Trauben bleiben zu können.»

Auf der Suche nach dem Gral

Mit seiner patentierten Anlage, die den Alkohol nicht nur entzieht, sondern eine anschliessende «Aromarückgewinnung» beinhaltet, glaubt Rimuss-Strada nun eine Lösung gefunden zu haben. Quasi den heiligen Gral des alkoholfreien Weins also.

«Es gibt solche, die der Meinung sind, alkoholfreier Wein sei nicht mehr richtiger Wein, während andere darin eine grosse Chance sehen», so Davaz. «Ein deutscher Experte sagte vor Kurzem sogar, er sei überzeugt davon, dass in zehn Jahren jedes Weingut eine alkoholfreie Alternative im Angebot haben wird. Ob das tatsächlich so kommt, weiss ich nicht – aber es gibt eine Richtung an.»

Der alkoholfreie Wein, den ich meiner Freundin in die Hand drückte, kommt aus Süddeutschland, aus der Nähe von Frankfurt am Main. So wie die Segel gesetzt sind, könnte sich das schon bis zu ihrem nächsten Geburtstag ändern – dann kann ich ihr einen Wein aus der Schaffhauser Weinregion mitbringen.