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Deutschkurs für dem Freisinn

Foto: Robin Kohler

Foto: Robin Kohler

Wie viele ­Fehler hätten Sie gern in der ­Ver­fassung? Bald stimmen wir über einen neuen ab.

Was in eine Verfassung gehört und was nicht, darüber kann man sich streiten. Einigkeit dürfte aber in einem Punkt bestehen: Fehler gehören nicht in den wichtigsten aller Gesetzestexte.

Doch in ein paar Wochen stimmt die Stimmbevölkerung der Stadt Schaffhausen über den Versuch der FDP ab, einen Grammatikfehler, genauer einen Fallfehler, in der Verfassung der Stadt Schaffhausen zu verankern. Eher überraschend von einer Partei, welche in einem Positionspapier zur Volksschule fordert, das Erlernen der deutschen Sprache müsse ­Priorität haben.

Worum geht es also?

Am 29. Juni kommt die von der FDP lancierte Volksinitiative «Schaffhausen an den Rhein» zur Abstimmung, zusammen mit einem Gegenvorschlag. Letzerer enthält eine Reihe von Teilprojekten, um das Ziel einer verkehrsbefreiten und attraktiven Rheinuferpromenade zu erreichen. Die Initiative hingegen besteht aus nur einem Satz, der bei ihrem Obsiegen neu als Artikel 2abis in die Verfassung aufzunehmen wäre: «Das Gebiet um den Salzstadel und dem unteren Lindli ist eine attraktive Zone für den Genuss des Rheinufers.»

Lesen Sie den Satz nochmals. «Das Gebiet um den Salzstadel und dem unteren Lindli». Richtig wäre: das untere Lindli. Das Komitee hat einen Dativ statt eines Akkusativs verwendet. Vielleicht war der Satz einst mit dem Wort «zwischen» formuliert, da wäre der Dativ richtig. So aber ist er falsch. Und das ist niemandem aufgefallen – bis der Satz letzte Woche AZ-Korrektorin Bettina Bussinger vorgelegt wurde, als Zitat in einem Leserbrief.

Nun gut, nicht schlimm, Fehler machen wir alle (als Journalist:innen können wir darüber ein Lied im schönsten Falsett singen). Einfach zu korrigieren, oder? Nicht ganz.

«Eine interessante Frage»

Grundsätzlich darf ein Initiativtext nach Beginn der Unterschriftensammlung nicht mehr verändert werden – weder vom Initiativkomitee noch von den Behörden. Das sagt die renommierte Verfassungsexpertin Corina Fuhrer auf die «spannende Anfrage», und der Grund ist nachvollziehbar: Wir sollen über exakt das abstimmen, was die Unterzeichner:innen forderten.

Es sei aber selten, sagt Fuhrer, dass sich eine solche Frage stelle, denn in der Regel werden Volksinitiativen von der zuständigen Behörde, hier der Stadtkanzlei, formell geprüft, bevor die Unterschriftensammlung startet. Fuhrer findet ein Beispiel aus dem Kanton Zürich, wo eine Volksinitiative nach der Einreichung der Unterschriften noch angepasst wurde: 2024 korrigierte der Regierungsrat in der ÖV-­Initiative der FDP einen Fehler (­«Aufgaben» statt «Ausgaben»), mit dem Einverständnis des Initiativkomitees. Alle, die unterschrieben hatten, konnte man ja nicht gut befragen, doch die Sache ist heikel: Theoretisch ist ja denkbar, dass Unterzeichnerinnen die Formulierung «Aufgaben» wollten. Dennoch sind solche rein redaktionellen Änderungen eines Initiativtextes gesetzlich erlaubt – auch in Schaffhausen.

Nur: Falls am 29. Juni die Volksinitiative «Schaffhausen an den Rhein» angenommen wird und der Gegenvorschlag nicht, stünde der Fehler nicht mehr nur in einem Initiativtext, sondern in der Verfassung. Dafür kennen auch Expert:innen kein Präjudiz. Arnold Marti, ehemaliger FDP-Oberrichter und Co-Autor des Kommentars zur Verfassung des Kantons Schaffhausen, spricht von einer «interessanten Frage». Er weiss: Bund und Kantone haben mehr oder weniger ausführliche Regeln dafür, wie und ob Gesetzestexte korrigiert werden dürfen. Weil die Stadt keine besondere Regelung dafür hat, wäre analog zum Kanton das Ratsbüro für formelle Korrekturen zuständig und würde diese höchstwahrscheinlich auch vornehmen – auch wenn nicht restlos klar ist, ob es dies dürfte. Reklamieren und sich mit einer Beschwerde für mehr Fallfehler in der Verfassung einsetzen würde voraussichtlich ja auch niemand.

Zurück in der Realität, im Indikativ quasi, stellt sich das Problem wohl ohnehin nicht. Die Volksinitiative hat gegen den Gegenvorschlag, den alle Parteien unterstützen, schlechte Chancen. Die Verfassungsbestimmungen des Gegenvorschlags umfassen vier Absätze und keine Fehler, wie ein Blick ins Abstimmungsbüchlein zeigt.

Dem Genuss des Rheinufers, soviel steht fest, täte ein Fehler in der Verfassung keinen Abbruch.

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