Lehrer:innen am Berufsbildungszentrum protestieren gegen zwei Entlassungen und sprechen von einer Kultur der Angst. Was ist passiert?
Als Marc Kummer am Donnerstagabend des 8. Mai die Kammgarnbühne betritt, gibt es Grund zu feiern. Seit 150 Jahren gibt es das Berufsbildungszentrum in Schaffhausen. Das Fest in der Kammgarn ist der Auftakt fürs Jubiläumsprogramm. In der Nacht darauf wird es eine Party für die Studierenden geben, und am Slow-Up wird das «BBZ-Mobil» mit dem Volk mitfahren.
An diesem Abend in der Kammgarn also sagt Marc Kummer, seit fünf Jahren Rektor des BBZ, ins Mikrofon: «Die Berufsbildung lebt vom Miteinander.»
Es sind versöhnliche Worte. Und das BBZ hat tatsächlich eine schwierige Zeit hinter sich. Nachdem der ehemalige Regierungsrat Christian Amsler den langjährigen Schulleiter Ernst Schläpfer vor die Tür gestellt hatte, musste erst eine Interimslösung her. Dann kamen Kummer und ein fünfköpfiges Schulleitungsteam und begannen, das BBZ zu reformieren.
Im Schatten der Scheinwerfer aber brodelt es wieder. Im Kollegium ist die Stimmung schlecht. Die Rede ist von einer Angstkultur, von einem Mangel an Mitsprache, ja von Verletzungen von Fürsorgepflichten. Der Schulbetrieb funktioniere zwar weiterhin. Aber die Stimmung ist so schlecht, dass jetzt wieder eine externe Aufarbeitung im Raum steht.
Der Auslöser: Zwei Personalvertreter am BBZ haben innert kurzer Zeit ihre Stelle verloren. Dutzende Lehrpersonen – im einen Fall über 100, im anderen 70 – verlangen in Petitionen, dass die beiden an der Schule bleiben können. Das Signal, das bei ihnen ankommt: Wer Kritik äussert und sich für Kolleg:innen einsetzt, wird sanktioniert.
So muss man nach Jahren, in denen es ruhig war ums BBZ, wieder fragen: Was ist da los an dieser Schule?
Der erste Knall
«Wer aufsteht, wird abgesägt – das kann man am BBZ gerade live erleben.» Als Nicola Kohler, ein Mann mit einer Stimme wie ein professioneller Händedruck, in der Redaktion Platz nimmt, wählt er deutliche Worte. Seit bald vier Jahren unterrichtet Kohler am BBZ. Davor war er während zweier Jahrzehnte in der Industrie tätig, doch das Unterrichten gebe ihm mehr Sinnhaftigkeit. Gegenüber der AZ sagt er: Ihm gehe es um das grosse Ganze, nicht um seine Personalie. Und doch dreht sich ein guter Teil des Konflikts am BBZ um Letzteres.
Denn Kohler ist nicht nur Lehrer, sondern auch Personalvertreter am BBZ. Er präsidiert die Schaffhauser Sektion des Schweizer Dachverbandes der Berufsschullehrpersonen (BCH) und vertritt damit all seine Kolleg:innen im Kanton. Zudem nimmt er in dieser Rolle beratend Einsitz in der Aufsichtskommission des BBZ. Diese besteht neben Kohler aus Vertretern der Industrie und der Schulleitung. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, Reglemente, Studienführer und Lehrpläne zu erlassen oder die Umsetzung von Bundesvorschriften zu überwachen. Verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen für Lehrpersonen, ist es Nicola Kohlers Aufgabe, in diesem Kontext darauf hinzuweisen.
Das tut er auch, als die Regierung 2024 die Berufsschullehrerverordnung überarbeitet. «Nichts von dem, was die Schulleitung und die Lehrpersonen in der Vernehmlassung vorgeschlagen haben, hat sich in dieser Verordnung niedergeschlagen», sagt Kohler heute. Der Frust darüber entlädt sich im Sommer an einer Kommissionssitzung mit Rektor Kummer und Regierungsrat Strasser.
Am 5. Dezember versenden Patrick Strasser und das Kommissionspräsidium einen Brief an das gesamte Schulpersonal. Darin zeigen sie sich «besorgt über die Arbeitsweise» des Präsidenten und des Vorstandes von BCH Schaffhausen – es werde Misstrauen gegen die Leitung geschürt, und dies in einem Ton, der das Gefühl schwinden lasse, «es mit einem konstruktiven Gesprächspartner zu tun zu haben». Der Brief liegt der AZ vor.
Was danach geschieht, liest sich wie eine klassische Eskalation. Der Vorstand von BCH Schaffhausen reagiert schriftlich auf den offenen Brief und stellt sich hinter seinen Präsidenten. Zwei Tage später folgt Post von 55 Lehrpersonen, die ihrem Vertreter ebenfalls den Rücken stärken: Die Anschuldigungen seien «pauschalisiert und in dieser Form haltlos». Vielmehr würde der Schulalltag am BBZ nicht in so ruhigen Bahnen verlaufen wie dargestellt. Auch diese Briefe liegen der AZ vor.

Am 20. März 2025 erfährt Kohler schliesslich, dass er per Ende Schuljahr seinen Posten räumen muss.
Gekündigt wird ihm im engeren Sinn zwar nicht: Kohler befindet sich noch in der Ausbildung, weshalb er – wie es immer wieder Praxis am BBZ ist – nur einen befristeten Arbeitsvertrag hat. Kohler spricht in diesem Kontext von Kettenarbeitsverträgen. Dass die Schulleitung seinen Vertrag nun – trotz laufendem Studium und, wie er sagt, entsprechender Zusage seitens Abteilungsleitung – nicht verlängert, irritiert Kohler enorm: «Ich habe für meine Arbeit immer ausgezeichnete Beurteilungen erhalten. Im Herbst 2024 wurde ich zudem mit Zweidrittelsmehrheit als Lehrpersonenvertreter in die Aufsichtskommission gewählt.» Offiziell begründet die Schulleitung die Nichtverlängerung seiner Anstellung mit einer Formalität: Im Sommer 2026 tritt die neue Bildungsverordnung in Kraft, und die sieht vor, dass Lehrpersonen nebst der Lehrtätigkeit auch ein Teilzeitpensum in der Industrie leisten, was Kohler nicht tut. «Ich habe angeboten, eine entsprechende Stelle zu suchen. Da wurde mir aber ohne Begründung gesagt, diese Option gebe es für mich nicht», sagt Kohler.
Was im Kollegium für zusätzlichen Unmut sorgt: Nur kurze Zeit später, Anfang April, widerfährt einer Dozentin an der HF Pflege – bis Ende 2024 die zweite Personalvertreterin am BBZ – dasselbe.
«Immer wieder vertröstet»
Wir nennen die betroffene Frau in diesem Bericht Jenny Stauffer*. Sie will gegenüber der Öffentlichkeit anonym bleiben, arbeitet sie doch seit über 20 Jahren im Kanton – erst als Pflegefachfrau in einer Institution im Kanton Schaffhausen, seit mehr als fünf Jahren als Dozentin an der Höheren Fachschule Pflege, die ans BBZ angeschlossen ist. Auch sie vertrat ihren Fachbereich in der Aufsichtskommission – sogar auf Empfehlung von Schulleiter Kummer.
Stauffer fing einst als Dozentin ohne pädagogische Ausbildung am BBZ an und startete bald das berufsbegleitende Studium. «Die Schulleitung legte mir die pädagogische Ausbildung nahe und stellte mir nach Studienabschluss einen unbefristeten Vertrag in Aussicht», sagt sie am Telefon. «Darum war ich zuversichtlich. Als die Ausbildung abgeschlossen war und ich nachzufragen begann, wurde ich aber immer wieder vertröstet.»
Stauffer und Kohler haben einige Parallelen. Auch Stauffer erzählt von ausgezeichneten Leistungsbeurteilungen für ihre Arbeit und davon, dass sie als Personalvertreterin auch den Mut habe, Missstände anzusprechen. Als sie am 2. April erfährt, dass ihr befristeter Vertrag nicht verlängert wird, erhält sie aber eine andere Begründung von der Schulleitung als Kohler: eine Reorganisation aufgrund der sinkenden Studierendenzahlen der HF. «Dabei werden im gleichen Atemzug zwei neue Personen eingestellt, die meine bisherigen Unterrichtsstunden übernehmen – mindestens eine davon auch mit befristetem Vertrag», sagt Stauffer. Für sie ist klar: Die Kündigung ist persönlich.
Stauffers Personalie hat unter anderem eine kleine Anfrage im Kantonsrat ausgelöst. EVP-Kantonsrätin Regula Salathé benennt darin «erhebliche strukturelle und arbeitskulturelle Missstände» an der Höheren Fachschule: ein «problematisches Machtgefälle durch befristete Arbeitsverträge, der Verlust langjähriger Fachpersonen trotz gleichzeitiger Neueinstellungen, eine hohe Fluktuation, nicht eingehaltene Anstellungsversprechen sowie mangelnde Transparenz und Kontrolle bei internen Prozessen». Schenkt man der Kantonsrätin Glauben, geht es um mehr als um Jenny Stauffer allein.
«Angst, auszubrennen»
Die AZ hat in den vergangenen Tagen mit vier weiteren Lehrpersonen des BBZ gesprochen. Die meisten von ihnen arbeiten seit vielen Jahren an der Schule. Für alle kamen die faktischen Entlassungen von Kohler und Stauffer überraschend – und hinterlassen Spuren. Der Tenor: Der Umgang der Schulleitung mit den beiden führe zu Unbehagen, Unverständnis und grosser Verunsicherung im Kollegium. Eine Lehrerin bezeichnet die Stimmung seither als «katastrophal», ein anderer spricht von einem «bedrückenden Gefühl in der Brust» und einem schleichenden Verlust der Identifikation mit dem Arbeitgeber. Mehrere berichten, dass sich Kolleg:innen zunehmend zurückhalten – bei schulinternen Anlässen ebenso wie in der offenen Meinungsäusserung. Und einige sprechen von einer Angstkultur, die durch die beiden Abgänge weiter befeuert werde.
«Nicola und ich, wir waren der Funke im Pulverfass.»
Jenny Stauffer
Daneben äussern die Befragten auch Kritik an ihren Arbeitsbedingungen: Sie berichten von spürbar höherem Druck, von mehr Aufgaben und einer stärkeren Hierarchie zwischen Schulleitung und Lehrpersonal. In den Wochenmails – dem schulinternen Kommunikationskanal – würden seitens Schulleitung teils subtile Drohungen mitschwingen. Lehrpersonen würden darin etwa aufgefordert, sich direkt an Vorgesetzte zu wenden, statt «in den Gängen Gerüchten zu glauben oder sie weiterzuverbreiten» (Zitat von der AZ überprüft). Der Schulleiter Marc Kummer wird in diesem Kontext von einzelnen als schwierig beschrieben: als jemand, der nach aussen geschickt und professionell auftrete, intern aber aufbrausend und verletzend sein könne.
Die Sorge geht über das persönliche Wohlbefinden hinaus: Viele fürchten weitere Fluktuationen und einen Verlust von Erfahrung, der die Schulqualität gefährden könne. «Gerade wenn das BBZ mit den Löhnen interkantonal nicht mithalten kann, ist das Arbeitsumfeld entscheidend», sagt ein Lehrer. Die AZ weiss von mindestens einer Kündigung, welche in diesem Kontext eingereicht wurde: «Der Entscheid dazu fiel mir sehr schwer», berichtet die besagte Person, «aber ich kann diese Entwicklung inhaltlich und strukturell nicht mehr mittragen. Ich habe Angst, unter diesen Bedingungen auszubrennen.»
All diese Probleme seien nicht neu – bereits vor einem Jahr habe es Forderungen nach externer Supervision gegeben, sagen mehrere. Doch die Aufsichtskommission, die Schulleitung und das Erziehungsdepartement seien bisher nicht darauf eingegangen.
Im Übrigen haben sich inzwischen auch mehrere Lernende zusammengetan. In diesen Tagen erreichen die Schulleitung Briefe aus der Schüler:innenschaft, die sich sowohl hinter Nicola Kohler als auch Jenny Stauffer stellen. «Für uns ist nicht nachvollziehbar, warum zwei super Lehrpersonen trotz Fachkräftemangel die Schule verlassen müssen», sagt ein Lernender gegenüber der AZ.
Zusammengefasst ergibt sich aus Sicht der Kritiker:innen also das Bild einer bereits aufgeladenen Stimmung, in welcher zwei unbequeme Personalvertretende gehen mussten. So auch das Fazit von Jenny Stauffer: «Nicola und ich, wir waren der Funke im Pulverfass.»
«Das löst Verunsicherung aus»
Die Schulleitung des BBZ hält sich gegenüber der AZ bedeckt. Rektor Marc Kummer lehnt ein Gespräch vollständig ab und verweist auf politische und rechtliche Aspekte des Falls. «Auch für alle weiterführenden Informationen» leitet er ans Erziehungsdepartement weiter. Dieselbe Antwort kommt vom Präsidenten der Aufsichtskommission.
Erziehungsdirektor Patrick Strasser – früher selbst Berufsschullehrer – nimmt sich Anfang dieser Woche Zeit für ein Gespräch. Zur Personalfrage könne er sich aber nicht äussern. Sowohl die Petitionen als auch die kleine Anfrage von Kantonsrätin Salathé sind noch hängig. Zudem haben Kohler und Stauffer personalrechtlich beide Beschwerde eingereicht.
Er müsse ein wenig ausholen, sagt Strasser am Telefon. «Die Schulleitung des BBZ hat in den vergangenen Jahren einen tiefgreifenden Entwicklungsprozess angestossen. Ich hatte immer grosse Freude daran zu sehen, mit welch positiver Energie sich auch viele Lehrpersonen daran beteiligt haben – sei es an den Schulentwicklungstagen oder jüngst bei der Jubiläumsfeier. Der Einsatz ist enorm. Aber ich will nicht verhehlen, dass aktuell ein Konflikt im Gang ist, der auf die Stimmung drückt und Verunsicherung auslöst.»
Strasser – selber Konfliktpartei – schätzt das Ausmass jedoch anders ein. «Die Stimmung am BBZ ist nicht so schlecht, wie manche dies darstellen. Im Umfeld des BCH-Vorstandes mag das zutreffen. Aber ich bin überzeugt, dass die Mehrheit froh wäre, wenn sie ihre Arbeit so fortsetzen könnte, wie sie es jetzt schon tut.» Dies betreffe im Übrigen auch die kleine Anfrage von Regula Salathé, die «nebst den berechtigten Fragen leider Behauptungen aufgestellt hat, als wären sie Tatsachen» – eine Aussage, die Strasser schon gegenüber Radio Munot gemacht hat. Zu den Vorwürfen gegen Rektor Kummer nimmt Strasser deutlich Stellung. Dieser habe am BBZ ein sehr schweres Erbe angetreten und grosse Arbeit geleistet. Das sei ihm anzurechnen. «Mit Marc Kummer habe ich einen sehr guten Austausch und nehme ihn als offen und sehr direkt wahr.»
Dennoch müsse man den laufenden Konflikt nun angehen. Die Aufsichtskommission empfiehlt eine externe, professionelle Begleitung des Prozesses; ein Vorschlag, den Strasser unterstützt. «Das ist der einzige Vorwurf, den ich mir machen muss: Ich hätte früher reagieren sollen. Ich konnte mir angesichts der positiven Erlebnisse am BBZ nicht vorstellen, dass durch eine kleine Gruppe so viel Verunsicherung entstehen kann.»
* Name der Redaktion bekannt