Zerfleischung

22. Mai 2025, Nora Leutert
Parteisekretär Mariano Fioretti und Parteipräsidentin Andrea Müller vor der Versammlung, vorne Hannes Germann. Foto: Peter Pfister
Parteisekretär Mariano Fioretti und Parteipräsidentin Andrea Müller vor der Versammlung, vorne Hannes Germann. Foto: Peter Pfister

Die Delegiertenversammlung der Schaffhauser SVP hat über ihren Parteisekretär gerichtet und sich selbst zerrissen.

Vor den geöffneten Fenstern des Landgasthofs Ziegelhütte liegt ein lauer Frühlingsabend, leise bimmeln die Glocken der Angus-Rinder auf der Wiese. Doch drinnen in der Stube spielen sich rabiate Szenen ab. Um die 150 Delegierte und Mitglieder der SVP haben sich heute hier versammelt, unter ihnen viele kurzärmelige und karierte Hemden, aber auch Parteigranden wie die Regierungsmitglieder Cornelia Stamm Hurter und Dino Tamagni. Vor ihnen ist ein Tisch aufgebaut, an dem aufgereiht die Parteileitung sitzt. Wie eine Schlachtbank steht er da. Am äusseren Rand: Mariano Fioretti, der Parteisekretär, der in Ungnade gefallen ist.

Halten wir kurz inne. Worum geht es an diesem Abend eigentlich? Am Anlass selbst wird dies nicht offen ausgesprochen – ausser, dass Parteisekretär Fioretti kein Social Media kann und sich teilweise Fehler geleistet habe. Die Parteipräsidentin Andrea Müller und der Vorstand der kantonalen SVP kämen nicht mehr mit Fioretti zurecht, hört man zwischen den Zeilen deutlich heraus.

Im Hintergrund geht es um weit mehr als um eine ungenügende Leistung des Parteisekretärs. Nämlich um einen Machtkampf in der Schaffhauser SVP. Wie die AZ vergangenen Dezember publik machte, tobt ein Streit zwischen Stadt und Land – verkörpert durch den inzwischen parteilosen Stadrat Daniel Preisig und Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter. Und Mariano Fioretti? Der langjährige, beflissene Parteisekretär und Preisig-Freund war zwischen die Fronten geraten. Und offenbar hat er es sich auch mit Parteipräsidentin Andrea Müller verscherzt. Wie die AZ mit Einblick in ein Sitzungsprotokoll zeigte, diskutierte der Kantonalvorstand im November darüber, ob man Fioretti loswerden könne – wobei dieser selbst nicht nur anwesend war, sondern das Ganze auch noch protokollieren musste.

An der montäglichen Delegiertenversammlung in der Ziegelhütte nun soll über Fiorettis Schicksal entschieden werden. Dass ihn seine Vorgesetzten aus dem Amt befördern möchten, scheint klar. Die Frage an diesem Abend ist, in welchem Stil.

Blochers Botschaft

Von Anfang an ist die Luft im Saal dick. Parteipräsidentin Andrea Müller sagt bei der Begrüssung, sie sei angespannter als sonst und die Leute hocken still, während Parteisekretär Mariano Fioretti, um Professionalität bemüht, den Jahresbericht der Parteileitung verliest. Schliesslich kommt Traktandum 2.7: Die Zukunft des Parteisekretärs. Hannes Germann übernimmt das Mikrofon. Er ist heute als Friedensstifter da. Der ewige Schaffhauser Ständerat will die «SVP-Familie» zur Einigkeit rufen und warnt vor einer sofortigen «Abrechnung» mit Fioretti. Dabei setzt er seinen ganzen Glauben in: Christoph Blocher. Der SVP-Übervater, der grosse Stücke auf den treuen Schaffhauser Parteisekretär Fioretti hält, hatte der kantonalen SVP im vergangenen Dezember bei ihrer traditionellen Waldweihnacht die Leviten gelesen. Gegenüber der AZ sagte Blocher damals, es brauche jetzt eine Persönlichkeit, die den Konflikt moderieren könne, wobei er in Schaffhausen allerdings gerade niemanden sehe, der über den Dingen stehe.

Nun ist es also Hannes Germann: Der Schaffhauser Standesvertreter kommt von Herrliberg herabgestiegen, um die Botschaft des Parteivaters zu überbringen. Im Beisein Blochers habe man auf «neutralem Terrain» mit den Betroffenen verhandelt. «Wir haben uns also nicht lumpen lassen», so Germann stolz. Blochers Diktum: Die Wahl eines neuen Parteisekretärs soll bis im November aufgeschoben werden. So könne man die Sache in Ruhe zu Ende zu denken.

Hannes Germann beruft sich an diesem Abend gutgläubig darauf, seine Vorstandskolleg:innen stünden geschlossen hinter Blochers Vorschlag. Doch das ist nicht so. Die Vorstandsmitglieder planen ihr eigenes Ränkespiel.

Märtyrer Fioretti

Die SVP Klettgau, mit ihr etwa Vorstandsmitglied Markus Müller, und andere Landsektionen revoltieren gegen Germanns Diplomatieversuch. Sie drängen darauf, bereits heute abzustimmen. Es wird nicht direkt ausgesprochen, doch befürchtet wird, dass sonst Parteipräsidentin Andrea Müller zurücktritt. Um dies zu verhindern, sind viele offenbar bereit, den Sekretär zu opfern: Den Mann, der sein Leben während Jahrzehnten wie kaum ein Zweiter in den Dienst der Partei stellte.

So findet sich der getreue Sekretär an diesem Abend vor einem grotesken jüngsten Gericht wieder. Man spricht über ihn wie über eine Plage, von der man nicht weiss, wie man sie loswerden kann. «Es ist eigentlich furchtbar, was wir machen», sagt Kantonsrat Erich Schudel und meint damit nicht den menschlichen Umgang mit dem Parteisekretär, sondern die Statuten der SVP: «Wir stellen jemanden als Sekretär an und wählen ihn damit für vier Jahre als Vorstand.» In vielen Wortmeldungen wird Fioretti indirekt vorgeworfen, dass er nicht von selbst seinen Platz räumt. Einige von Fiorettis Gegnern schildern anhand seiner Person und seiner fehlenden digitalen Kompetenzen einen Konflikt zwischen jung und alt.

Michael Kahler, Präsident der Jungen SVP fragt nach dem Lohn des Parteisekretärs, der seine Arbeit in einem 30-Prozent-Pensum erledigt. 40 000 Franken im Jahr ist die Antwort. Dafür würde er den Job auch noch machen, ruft Kahler und erntet Lacher. Aber auch Alt-Parteisekretärin Annelies Keller drischt auf Fioretti ein: «Es war eine schwierige Zusammenarbeit mit unserem Parteisekretär.» Nie habe er auf dem Land eine Parteiversammlung organisieren wollen, wobei man dafür nur das Telefon in die Hand nehmen und in einem Restaurant reservieren müsse. «Unsere erfolgreiche Parteipräsidentin hat mit Mühe und Not durchgedrückt, dass man auch mal aufs Land ging. Ich habe es in Stein am Rhein erlebt, wo die Stadtsektion dann einfach grosszügig fehlte.»

Die Stimmung schaukelt sich zwischen Bedrückung und Aufgekratztheit hoch – so, wenn etwa Vorstandsmitglied Markus Müller halb im Scherz sagt, dass es schön war, für die Verhandlungen mit Blocher einmal in Herrliberg gewesen zu sein. Auch sonst können sich viele ihr beschämtes und zugleich hämisches Grinsen untereinander nicht verkneifen.

Mariano Fioretti sitzt derweil mit versteinerter Miene am Tisch. Dass er heute aufgetaucht und überhaupt nicht schon längst krankgeschrieben ist, hat fast etwas Masochistisches. Er hat seinen Glauben in die Partei nicht aufgegeben und ist offenbar wie ein Märtyrer bereit, dafür unterzugehen.

Die Stadt wehrt sich

Ganz alleine ist er dabei nicht, die Stadtsektion stellt sich wie bereits im Vorfeld hinter ihn. Sie unterstützt den offiziellen Antrag, die Wahl auf November zu verschieben. Einige von ihnen verurteilen den Umgang mit dem Parteisekretär scharf, über den an diesem Abend gesprochen werde, «wie über eine Sau, die abgeschlachtet wird», so empört sich der altgediente SVP-Mann Peter Scheck. Grossstadtrat Thomas Stamm sagt: «Meines Wissens wurde Mariano immer mehr mit Vorwürfen eingedeckt. Mittlerweile scheint es, als könne er machen, was er will, alles ist falsch. Ich bin erschüttert, mit welcher Gnadenlosigkeit hier ein Parteifreund rasiert wird.» Bauunternehmer Edgar Zehnder sagt: «Es macht mir Angst, was ich hier höre. Ich führe seit über 20 Jahren über hundert Leute und so wie ihr jetzt mit unserem Parteisekretär umgeht, so bin ich nicht mit einem einzigen Mitarbeiter umgegangen.»

Unterstützung kommt auch aus einzelnen Landsektionen wie der SVP Reiat. «Unwürdig», «jämmerlich» und «beschämend für eine so grosse Partei» sei es, wie sich die Versammlung aufführe und wie man mit dem Sekretär und seinen Verdiensten umgehe.

Doch die Meinungen sind längst gemacht. Daran ändern weder die Ermahnungen der Bürgerlichen alter Schule noch die Diplomatieversuche eines zunehmend entnervten Hannes Germann etwas. Selbst das Wort Christoph Blochers ist in der Schlacht um Mariano Fioretti nicht mehr heilig: «Christoph Blocher in allen Ehren, er hat viel geleistet. Aber ich weiss nicht, was ihn die Sektion Schaffhausen angeht», sagt Jung-SVPler Michael Kahler und erntet Applaus. So ist es an diesem Abend nicht nur der Parteisekretär, der zerrissen wird. Sondern auch die alten Gewissheiten der Schaffhauser SVP. Bürgerliche Gepflogenheiten scheinen genauso nichts mehr wert, wie die Verdienste für die Partei.

Nach eineinhalb Stunden ist die Luft zum Schneiden dick und ein Punkt erreicht, an dem klar ist, dass dieser Abend wohl nicht «ein reinigendes Gewitter» sein wird, wie es Hannes Germann erhoffte, sondern grosse Verletzungen hinterlassen wird. Die Parteigranden rund um den Kantonalvorstand und Cornelia Stamm Hurter werden daraus bestärkt hervorgehen.

Als sich die Situation noch weiter zuspitzt, werden die Medien an diesem Abend schliesslich auf Antrag aus dem Saal in der Ziegelhütte gewiesen. Hinter den verschlossenen Türen wird die Versammlung ihrem Parteisekretär den endgültigen Stoss versetzen.

Wie gehts weiter?
Die Delegiertenversammlung der SVP hat Mariano Fioretti mit einer Mehrheit von 93 zu 12 Stimmen abgesetzt. Der Sekretariatsposten wird neu ausgeschrieben, die Wahl von Fiorettis Nachfolge auf September hinausgeschoben. Fioretti ist zwar nicht mehr im Amt, aber noch immer von der SVP angestellt. Ob er in den nächsten Monaten weiter für die Partei arbeitet, wird sich zeigen. Die unterlegene Stadtsektion der SVP indessen entscheidet dieser Tage, wie es bei ihr weitergeht. Im Vorfeld diskutierte sie offen über eine Abspaltung von der Kantonalpartei, sollte der Streit nicht beigelegt werden können. Mehr wird nach der Mitgliederversammlung am heutigen Donnerstagabend, 22. Mai, bekannt sein.