Zwei Dörfer fürchten um ihr Trinkwasser und bekämpfen ein kantonales Bewässerungsprojekt. Der Kanton hat die Nase voll und will solchen Widerstand in Zukunft mit einem neuen Gesetz vermeiden.
Am Rhein zwischen Bibermühle und Hemishofen trägt ein Bagger das Ufer ab. Neben dem Bagger steht ein Mann in Leuchtweste und schaut jedes Mal ganz genau hin, wenn die Schaufel ins Erdreich eintaucht. Immer wieder stoppt er den Baggerfahrer per Handzeichen, steigt den Hang hinunter, holt mit der Hand irgendetwas aus der Erde, wirft es weg, und signalisiert dem Baggermann, er soll weiterbaggern. Der Mann mit der Leuchtweste ist von der Kantonsarchäologie. Er sucht nach Überresten der Napoleonischen Rheinarmee, die am 1. Mai 1800 hier mit 30 000 Mann per Schiffbrücke den Rhein überquert haben soll. Bisher habe er allerdings noch nichts Vielversprechendes gefunden, sagt der Archäologe.
Doch der Übergang der Franzosen vor 225 Jahren ist nicht der eigentliche Grund, wieso gebaggert wird. Die Firma, bei der der Mann im Bagger angestellt ist, will hier ein unterirdisches Pumpwerk mit fünf Unterwasserpumpen bauen, mit denen jährlich 570 Millionen Liter Wasser aus dem Rhein entnommen und auf die Felder in Hemishofen, Ramsen und Buch verteilt werden können. Das wohl grösste Bewässerungsprojekt, das der Kanton je gesehen hat, zieht sich bereits seit 20 Jahren hin. Nächstes Jahr, sagen die Verantwortlichen, soll das Pumpwerk in Betrieb gehen.
Die meisten Landwirt:innen des oberen Kantonsteils sehen darin die Erlösung. Doch seit einigen Jahren erfährt das Projekt auch massiven Gegenwind. Die Gegner:innen machen sich Sorgen um den Boden und ums Trinkwasser.
Ausserdem ist noch offen, wer das 8,3-Millionenprojekt überhaupt bezahlt.
Den Fischen fehlt das Wasser
Der obere Kantonsteil hat ein Problem: Trockenheit. Es regnet wenig, die Böden sind grösstenteils sandig und durchlässig. Trotzdem bauen die Landwirte hier viel Gemüse wie Salat, Spinat, Kartoffeln oder Bohnen an. Gemüse ist im Verhältnis zur Anbaufläche lukrativer als etwa Getreide oder Mais.
Allerdings braucht es auch mehr Wasser.
Die Landwirte des Bibertals bewässern ihre Felder deshalb bereits seit den 1980er-Jahren relativ intensiv. Einen grossen Teil dieses Wassers entnehmen sie dem Flüsschen Biber. Der pensionierte Bucher Landwirt und ehemalige Gemeindepräsident Rudolf Tappolet war 1986 einer der ersten in der Gegend, der vom Kanton eine Konzession zur Wasserentnahme aus der Biber erhalten hat. Heute hat er sein Land samt Bewässerung an einen Nachfolger verpachtet. «Für unsere Generation war immer klar: Wasser ist Leben. Aber wir sind immer sparsam damit umgegangen. Uns kann niemand vorwerfen, wir hätten übermässig bewässert.»
Doch bereits Anfang des neuen Jahrtausends zeigte sich: Wenn man das Wasser auf die Felder spritzt, fehlt es anderswo. Die Mündung der Biber in den Rhein ist im Sommer ein kühler Rückzugsort für wärmeempfindliche Fische wie zum Beispiel Äschen. Die Wasserentnahme aus der Biber gefährdet diesen Lebensraum. Deshalb regte der Kanton die Landwirte 2004 an, sich zusammenzuschliessen und das Wasser statt aus der Biber zu nehmen, aus dem Rhein ins Bibertal zu pumpen. Dafür versprach der Kanton finanzielle Unterstützung.
Also gründeten die Landwirte von Hemishofen, Ramsen und Buch die Bewässerungsgenossenschaft Bibertal. Rudolf Tappolet war von Anfang an überzeugt vom Projekt und schmiedete in seinem Dorf die nötige politische Mehrheit. Heute, fast 20 Jahre später, hat die Genossenschaft rund 30 Mitglieder, eine Baubewilligung und eine Wasserentnahme-Konzession. Doch gebaut ist die Bewässerungsanlage immer noch nicht. Das hat etwas mit Tappolets Amtsnachfolgerin zu tun.

Sorge ums Trinkwasser
Seit fünf Jahren steht in Buch Martina Jenzer an der Spitze der Gemeinde. Sie war einst Rudolf Tappolets Wunschkandidatin. Heute sagt er, er fühle sich von ihr im Stich gelassen.
Jenzer ist Agronomin und führt seit sechs Jahren den elterlichen Hof in Buch. Sie baut trockenheitsresistente Pflanzen wie Buchweizen, Hafer, Leinsamen und Mohn an und bewässert ihre Felder nicht. Sie ist die wohl prominenteste Gegnerin des Bewässerungsprojekts. Sie sieht in der Bewässerung nicht nur ein Fischproblem. Sondern vor allem auch ein Schadstoffproblem.
Gemüse hat nämlich noch einen weiteren Nachteil. Es braucht nicht nur viel Wasser, sondern auch viele Nährstoffe, also Dünger. Dünger enthält Stickstoff und dieser Stickstoff gelangt als Nitrat ins Grundwasser. Wird dieses Grundwasser als Trinkwasser genutzt, kann das Nitrat zu gesundheitlichen Problemen bei Menschen und vor allem Kleinkindern führen.
Buch ist von diesem Problem bisher nicht betroffen, weil die Wasserhähne dort mit Quellwasser gespeist werden. Die Nitratwerte in Ramsen und Hemishofen sind jedoch seit Jahren erhöht. Im vergangenen Jahr konnte das Wasser aus der Hemishofer Grundwasserfassung Seewadel nicht mehr direkt ins Netz eingespiesen werden, weil das Nitrat derart durch die Decke ging. Das sei auf «eine intensivere landwirtschaftliche Nutzung im Zuströmbereich» zurückzuführen, sagte damals Kurt Seiler, der Amtsleiter des interkantonalen Labors, den SN.
Jenzer vertritt seit Jahren die Ansicht, dass das Bewässerungsprojekt einen Anreiz für noch mehr grossflächigen Gemüseanbau im Bibertal führe. Und das wiederum sei schlecht für die Bodenqualität und das Grundwasser. Ausserdem macht sie sich Sorgen um den Rhein. «Wer heute an die Bibermühli fährt, sieht, dass jeder Kubik, welcher bei der aktuellen Wassertemperatur aus dem Rhein gepumpt wird, einer zu viel ist», sagte sie der AZ im Sommer 2022.
Wer bezahlt?
Auch in Hemishofen sitzt mittlerweile eine andere Generation an den Schalthebeln als noch vor 20 Jahren. Neben den Windrädern auf dem Chroobach hat Gemeindepräsident Giorgio Calligaro auch das Bewässerungsprojekt ins Visier genommen. Seit gut zwei Jahren spannen die beiden Gemeindeexekutiven von Hemishofen und Buch in ihrem Kampf gegen die Bewässerung zusammen.
Während ein Rekurs der Gemeinde Hemishofen gegen das Pumpwerk am Rhein gescheitert ist, haben Buch und Hemishofen 2023 gemeinsam ein zweites Verfahren gegen den Regierungsrat und die Bewässerungsgenossenschaft lanciert. Dabei zielen sie auf die Finanzierung des Projekts ab.
Der Kanton sieht in dem Projekt nämlich eine sogenannte «Bodenverbesserungsmassnahme» gemäss Landwirtschaftsgesetz. Solche Massnahmen werden vom Bund, dem Kanton und den Gemeinden gemeinsam finanziert. Der Anteil, den die Gemeinden Buch und Hemishofen stemmen müssten: rund 150 000 Franken. Für die beiden kleinen Gemeinden ist das relativ viel Geld. In Buch beträgt der Beitrag etwa einen Zehntel der gesamten jährlichen Ausgaben.
Gegen diese Finanzierung haben die beiden Gemeinden eine Beschwerde eingereicht. In der Beschwerdeschrift argumentieren sie, der Regierungsrat habe über ihre Köpfe hinweg entschieden, ohne sie anzuhören. Ausserdem sei das Bewässerungsprojekt nicht als Bodenverbesserungsmassnahme zu betrachten. «Bewässerungsanlagen verbessern zwar den Bodenwasserhaushalt, aber nicht den Boden in seiner Substanz», so die Beschwerdeführerinnen. Im Gegenteil würden durch die Bewässerung «wertvolle Nährstoffe ins Grundwasser ausgewaschen». Deshalb gebe es auch keine gesetzliche Grundlage, das Projekt mit öffentlichen Geldern zu finanzieren.

In der Beschwerde sehen die beiden Gemeinden die wohl letzte Möglichkeit, das aus ihrer Sicht teure und gefährliche Projekt zu verhindern. Denn eine Baubewilligung und eine Konzession hat die Genossenschaft längst. Und das Kernstück der Anlage ist bereits gebaut: In Ramsen sind die Leitungen schon verlegt, es fehlen nur noch eine Pumpe und die Anschlüsse zu Hemishofen und Buch.
Ein sehr kleiner Sieg
Wer die Mitteilung der Gemeinde Hemishofen von vor zwei Wochen liest, könnte den Eindruck erhalten, den beiden Beschwerdeführerinnen sei nun der grosse Coup gelungen. «Obergericht hebt Beitragspflicht der Gemeinden im oberen Kantonsteil an die Bewässerungsanlage Bibertal mitsamt den Kantonsbeiträgen auf», so die Überschrift.
Tatsächlich haben die beiden Gemeinden vor Obergericht Recht bekommen. Der Regierungsrat habe eine «schwerwiegende Gehörsverletzung» begangen, indem er Buch und Hemishofen vor seinem Finanzierungsbeschluss nicht die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben hat, schreibt das Obergericht in seinem Urteil vom 28. März. «Als Folge davon ist der angefochtene Beschluss ohne materielle Prüfung aufzuheben», so das Gericht weiter.
«Ohne materielle Prüfung», das heisst: Das Gericht hat sich gar nicht damit auseinandergesetzt, ob das Bewässerungsprojekt nun als «Bodenverbesserungsmassnahme» gilt oder nicht. Damit hindert den Regierungsrat nichts daran, die beiden Gemeinden anzuhören, und dann noch einmal genau denselben Beschluss zu fällen. Allerdings könnten diese dann auch erneut Beschwerde einlegen.
Im einzigen der drei Dörfer, das offiziell noch hinter dem Projekt steht, lässt man sich vom Gerichtsurteil denn auch nicht beirren. Jonathan Sätteli, Bewässerungsunternehmer, bis im vergangenen Jahr Wasserreferent von Ramsen und amtierender Präsident der Bewässerungsgenossenschaft Bibertal, sagt auf Anfrage der AZ: «Das Projekt hat unbestritten eine gültige Baubewilligung und eine Konzession und ist förderungswürdig. Wie der Kanton die Finanzierung löst, geht uns nichts an.» Demnächst beginne der Leitungsbau in Buch und Hemishofen. Sätteli rechnet damit, dass die Anlage im kommenden Frühling in Betrieb gehen wird.
Dem Kanton reichts
Der Kanton scheint indes die Nase voll zu haben von Einwendungen und Beschwerden gegen Bewässerungsprojekte. Im neuen Landwirtschaftsgesetz, das der Regierungsrat vor drei Wochen dem Kantonsrat vorgelegt hat, gibt es eine prominente Änderung: Für die Finanzierung von «Bodenverbesserungsmassnahmen» sollen künftig nicht mehr Kanton und Gemeinden gemeinsam, sondern der Kanton alleine zuständig sein. Dies, so argumentiert die Regierung in der Vorlage, weil die Beiträge für die Gemeinden «teilweise sehr belastend und schwer zu budgetieren» seien.
Ein Teil der Taktik der Regierung dürfte auch sein, bei künftigen Bewässerungsprojekten weniger Einsprachemöglichkeiten zu bieten: Wer nicht mitbezahlt, kann sich nicht beschweren. Und das nächste Bewässerungsprojekt kommt bestimmt. So kam vor zwei Jahren etwa eine Studie von Bund und Kanton zum Schluss, dass auch im Klettgau die Landwirtschaft in ihrer heutigen Form ohne Bewässerung nicht mehr möglich sein wird.