Nicolas Perrin stand an den Spitzen der SBB Cargo und der Ruag. Dann musste er gehen. Jetzt ist er pensioniert und stellt sich Fragen.
Nach drei Stunden in der qualmigen Luft des «Federnhutes» glaubt man Nicolas Perrin vor allem eines: Er hat es gut machen wollen.
Nicolas Perrin hat die Kneipe als Treffpunkt ausgewählt, weil er gerne hier war, als er noch in Schaffhausen gelebt hat. Und weil er die Beizerin quasi seit immer kennt, von seiner Zeit bei den Verkehrskadetten her. Der adrette Mann wirkt neben der rauchenden Wirtin in ihrem Reich etwas verloren, wie er sich das Hemd unter dem Wollpullover zurechtzupft.
Dabei ist er sich die Öffentlichkeit gewohnt. Perrin hat nach seiner Kindheit in Neuhausen eine Karriere gemacht, die auf dem Papier glanzvoll klingt. Wenige Personen in der Schweiz waren so lange in Top-Positionen bei Bundesbetrieben beschäftigt: Perrin ist zum CEO der SBB Cargo aufgestiegen, um dann von dort als Verwaltungsratspräsident zum Rüstungskonzern des Bundes Ruag zu wechseln.
Faktisch war es aber eine Karriere im Niedergang: Bei der SBB Cargo wurde unter der Ägide Perrins Sparrunde um Sparrunde gefahren, rote Zahlen um rote Zahlen geschrieben. Und die Ruag wurde in Perrins Zeit von einer Serie aus Skandalen geschüttelt, an deren damals vorläufigem Ende er das Unternehmen verlassen musste.
Eigentlich ist es ein unmöglicher Moment, um Nicolas Perrin zu porträtieren. Denn der 66-Jährige ist aktuell in einem seltsamen Zustand. Sein Leben bricht gerade von mehreren Seiten her auseinander. Nach dem Abschied von seiner Karriere holt er auch noch nach, was in den Turbulenzen der letzten Berufsjahre untergegangen ist: Er trauert um seine Frau.
Und dann ist da noch der Zustand der Welt, der ein Verrat an allem ist, womit Perrin einst aufgewachsen ist.
«Behütete Kindheit»
Perrins Karriere war eine in der Krise. Aber auch eine, die so nur möglich war wegen des Wirtschaftsbooms der Nachkriegsjahre: Nicolas Perrin ist ein Boomer durch und durch. Während im Neuhausen der 60er- und 70er-Jahre die Hochhäuser aus dem Boden schossen, wurde Perrin in einem Einfamilienhaus gross. Es war «eine sehr behütete Kindheit». Sein Vater war bei der SIG Verpackungsmaschinen-Ingenieur. Und Bahn-Fan. Nicolas wurde Verkehrskadett, Kanti-Schüler, Bauingenieurstudent. Perrin gehörte zu den ersten Generationen, die auf dem Hönggerberg studierten, dem Campus, den die ETH Zürich dort auf die grüne Wiese baute, um in besseren Labors besseren Fortschritt produzieren zu können.
Auch der Beginn von Perrins Karriere war vom Fortschritt geprägt und von einem Staat, der Geld in die Hand nahm. Nach dem Studium ging er zum Kanton Basel-Landschaft und plante dort eine neue Bahnstrecke. Er machte seine Sache offenbar sehr gut und wurde von der SBB für ein viel grösseres Projekt «ein bisschen abgeworben»: Für das Team, das die Zürcher S-Bahn planen sollte. Das, sagt Perrin, sei die vielleicht schönste Zeit seiner Karriere gewesen. «Ich durfte dabei sein, als eine ganze Region geprägt wurde.»
Das heilige ÖV-Feuer
So wie Perrin seine eigene Karriere schildert, ist er die SBB-Leiter eher hinaufgespült worden, als dass er sie mühsam hätte erklimmen müssen. «Immer wenn ein Projekt fertig war und es vielleicht Sinn gemacht hätte, die SBB zu verlassen, tat sich intern ein neues Türchen auf.»
Zufall war diese Karriere aber kaum. Ein ehemaliger Arbeitskollege sagt über Perrin, er habe für die Arbeit gelebt, in ihm habe ein «feu sacré» für den öffentlichen Verkehr gebrannt. Auch heute setzt er sich aufrechter hin, wenn er mit schwärmerischer Entspannung über seine frühen SBB-Jahre spricht. Seine spätere Frau lernte er auch im Büro kennen, er war ihr Vorgesetzter, sie musste wegen der Beziehung den Job wechseln. «Ich habe eine Mitarbeiterin verloren, aber eine Partnerin gewonnen.» Die Freizeit habe er von da an vor allem mit ihr und den Hunden verbracht. Solange sie in Schaffhausen wohnten, hätten sie sich gerne auf dem Randen oder auf dem Rhein herumgetrieben, für die Kadetten organisierte Perrin bis 2011 die Stafette rund um den Kanton. 2017 zogen er und seine Frau nach Luzern und später, das sei ihr gemeinsamer Traum gewesen, nach Steckborn direkt an den See.
Eines der Türchen in Perrins Karriere öffnete sich deshalb, weil sich das Verhältnis von Staat und Privatwirtschaft wandelte. In den Anfangsjahren von Perrins Karriere etablierte sich eine Sicht auf die Wirtschaft neu, die im Nachkriegsboom fast vollständig zurückgedrängt worden war: Weniger Staat, mehr Markt. Ende der 90er wurde der Güterverkehr in der Schweiz liberalisiert und die SBB gründete eine Tochterfirma, mit der sie sich in diesem neuen Markt behaupten wollte: Die SBB Cargo. Perrin kletterte dort weiter, bis er an der Spitze ankam. 2007 wurde er CEO.
Damit begannen die Krisen, die nie mehr ganz abreissen würden.
«Eher reaktiv»
Kaum war Perrin als CEO angetreten, trat die Belegschaft in Bellinzona in den Streik, weil ein Unterhaltswerk für Lokomotiven geschlossen werden sollte. «Wir wollten nach betriebswirtschaftlicher Logik optimieren und waren nicht genug sensibel gegenüber den politisch-sozialen Gegebenheiten im Tessin», sagt Markus Jordi, damals wie heute Personalverantwortlicher der SBB. «Das war ein kollektiver Fehler der Konzernleitung. Hinstehen musste aber Nicolas.» Perrin spricht heute vor allem darüber, wie unangenehm er es fand, dass er in jener Zeit Polizeischutz brauchte.
«Ich würde meine Hand ins Feuer legen für Nicolas Perrin.»
Markus Jordi, Personalchef SBB
Zwei Qualitäten werden Perrin reihum zugeschrieben. Einerseits ist er «einer der profundesten Kenner des Schweizer Logistikwesens», so Markus Jordi. Er war schon in der Konzernleitung, als Perrin für den Posten rekrutiert wurde und ist heute mit ihm befreundet. Das Andere, was man von allen Seiten über Perrin hört, ist, dass er eine integre Haut ist: «Ich würde meine Hand ins Feuer legen für Nicolas Perrin. Er hat nichts Heimtückisches an sich. Das ist für einen Manager auf diesem Level nicht selbstverständlich», so Jordi.
Selbst der Mann, der bei der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV für die Cargo zuständig ist, beschreibt Perrin ähnlich. Philipp Hadorn sagt, Perrin sei einer, der korrekt mit dem Gegenüber umgeht: «Ich mochte ihn persönlich.» Er sei zurückhaltend aufgetreten, zugänglich gewesen, habe auf Augenhöhe kommuniziert: «Ich hatte immer das Gefühl, er nimmt die Sozialpartnerschaft ernst und ist an guten Lösungen fürs Personal interessiert.» In Bellinzona wurden die Schliessungspläne schliesslich verworfen.
Was der Gewerkschafter Hadorn hingegen kritisiert: «Perrin war eher der reaktive Typ, kein Visionär. Er hat sich vor den Karren spannen lassen.»
«Optimiert und optimiert»
Denn die Mission, welche Politik und Konzernleitung Perrin gegeben hatten, war klar, messbar und hart: Schwarze Zahlen. Perrin habe sich diese Sicht der Dinge verordnen lassen, anstatt der Tatsache ins Auge zu sehen, dass die Cargo mittelfristig nicht rentabel zu führen sei, sagt Hadorn. «Und sich dann politisch dafür einzusetzen, Subventionen für den Güterverkehr auf Schienen zu sichern.» Wie er, Gewerkschafter und damals SP-Nationalrat, das getan habe.
Der Job, den Perrin gehabt habe, sei ein undankbarer gewesen, sagt sein Freund Jordi. Aber dass er sich vor den Karren habe spannen lassen, stimme nicht. Perrin habe ans Unterfangen geglaubt: «Er wollte das Problem unternehmerisch lösen, die Cargo eigenwirtschaftlich betreiben. Dafür hat er optimiert und optimiert und optimiert. Am Ende hat es trotzdem nicht gereicht. Es war die Mission impossible.»
Perrin selbst sagt, wenn er bei der Cargo versucht habe, etwas Kreatives zu machen, sei er meistens aufgelaufen, schon in kleinen Dingen. «Zum Beispiel wollte ich mit den besten besprayten Wagen an die Art Basel fahren», sein Rechtsdienst habe ihm aber gesagt, das gehe wegen des Urheberrechts nicht.
2013 behielten jene, die sagten, die Cargo sei rentabel zu führen, Recht. Perrin sagt heute: «Die schwarze Null hat uns enorm viel Energie gekostet.» Der Handelszeitung sagte Perrin in jener Zeit, die Liberalisierung des Güterverkehrs sei nicht gut genug vorbereitet worden. Aber nach 2013, ist er heute noch überzeugt, wäre es möglich gewesen, die Cargo profitabel zu halten, «hätte die Nationalbank nicht den Euro-Mindestkurs aufgehoben».

Heute sieht Perrin es aber tatsächlich ähnlich wie der Gewerkschafter. «Meine Vision wäre ein Güterverkehrsnetz entlang der Hauptachsen.» Und: «Ich bin mittlerweile überzeugt, dass der Güterverkehr in der Schweiz in der heutigen Form subventioniert werden sollte.» Klar geworden sei ihm das aber erst mit der letzten Restrukturierung unter seiner Führung, 2018. Vielleicht, sagt er, hätte er danach härter für diese Vision lobbyieren sollen. Allerdings war da auch schon absehbar, dass er nicht mehr lange an der Cargo-Spitze stehen würde.
Denn 2017 war Perrin auf einer Morgenjoggingrunde über seinen Hund gestolpert und hatte sich den Schädel gebrochen. «Es dauerte ein halbes Jahr, bis ich wieder in normalem Tempo denken konnte.» Danach habe er aus dem operativen Geschäft aussteigen wollen. «Ich würde mich nie über meine Zeit bei der Cargo beklagen, es war eine gute Zeit. Aber es war auch ein Verschleissjob.» Im März dieses Jahres hat das Parlament schliesslich entschieden, der Cargo mindestens für eine Übergangszeit stärker finanziell unter die Arme zu greifen.
Anstelle seines CEO-Verschleissjobs tat sich für Perrin indes ein neues Türchen auf und zwar wieder, weil sich beim Bund die Verfechter von «weniger Staat, mehr Markt» durchgesetzt hatten. Wieder ging Perrin durch das Türchen und wieder hatte er sich damit einen schwierigen Job eingehandelt.
Der Wechsel
Das Rüstungsunternehmen des Bundes, die Ruag, hatte sich im Laufe der Jahrzehnte so viele Standbeine aufgebaut, sie war zu einem kleinen Tausendfüssler geworden. Zum Unternehmen gehörte neben der Munitionsfabrik zum Beispiel auch eine Abteilung für Raumfahrt oder Simulation & Training. 2018 entschied der Bundesrat, die Ruag zu spalten.
Eines der neuen Unternehmen, die Ruag MRO, sollte fortan hauptsächlich Dienstleistungen für das Schweizer Militär erbringen. Fast alle anderen Unternehmensteile – von Munitionsfabrik bis Raumfahrt – wurden einem neuen Unternehmen zugewiesen: Der Ruag International. Ursprünglich hatte der Bundesrat die Aufspaltung der Unternehmen mit der Cybersicherheit begründet. Nun aber wurde die Ruag International dem Finanzdepartement unterstellt, denn der Zweck, den sie hatte, war, kurzfristig Geld in die Bundeskassen zu spülen. Die Munitionsproduktion wurde mittlerweile an ein privates Rüstungsunternehmen in Italien verkauft, der Bereich Simulation & Training nach Frankreich, für andere Sparten werden teils noch Käufer gesucht.
Perrin wurde 2020 zum Präsident des Verwaltungsrats der Ruag MRO. «Der Start war schwierig. Im Umfeld zwischen der Armee und der Ruag hatte sich seit Langem eine unzulängliche Fehlerkultur entwickelt, in der Intransparenz und Silodenken dominierten», sagt er. An den Umgangston habe er sich erst gewöhnen müssen, Prozesse hätten so gut wie nicht funktioniert oder gar nicht existiert. Hinzu kam: «Der bisherige Verwaltungsrat und dessen Wissen wanderte fast in seiner Gänze zur Ruag International ab.» Nicolas Gremaud sass damals mit Perrin im neuen Verwaltungsrat und sagt es weniger verklausuliert: «Der Zustand der Ruag war desolat.»
Und Perrin, der Ingenieur, der sein ganzes Leben lang Bahnverkehr geplant hatte, wechselte in eine Branche, von der er inhaltlich wenig Ahnung hatte: «Ich bin zur Ruag gekommen und mir wurde erst einmal erklärt, das was wir hätten, sei eine Ausbildungsarmee. Es brauche zehn Jahre Vorbereitung, um sie kampfbereit zu bekommen. Ich bin aus allen Wolken gefallen.»
Diese Ruag schlitterte nach der Spaltung in eine Zeit der Krisen und nicht alle konnte man auf die Prozesse schieben. Einer der Skandale bei der Ruag war Perrins Personalie selbst.
Die grossen Krisen
Und zwar ging es um seine persönlichen Verbandelungen. Perrin ist der Schwager von Brigitte Hauser-Süess, der ehemaligen Beraterin der Bundesrätin Viola Amherd. Sie ist die Schwester seiner Frau Cornelia. Perrin sagt auch heute noch, er habe einen normalen Bewerbungsprozess durchlaufen. Amherd sagte 2024 in der NZZ dazu, Verwandtschafts-Beziehungen dürften kein Vorteil sein, aber auch kein Nachteil. Das habe sie schon auf der Gemeindeverwaltung in Brig jeweils so gehalten.
In jener Zeit, als sich die Skandalwelle gerade so richtig aufbäumte, lag Perrins Frau im Sterben. Er nahm sich eine dreimonatige Auszeit und begleitete sie in den Tod. Währenddessen forderte die damalige CEO der Ruag Länder wie Deutschland öffentlich auf, Schweizer Gesetz zu brechen und Kriegsmaterial an die Ukraine weiterzugeben. Perrin kam zurück in ein Unternehmen in Aufruhr und wechselte die CEO aus. «Ich glaube, ‹nur› die Skandale bei der Ruag hätte ich stemmen können. Aber mit der Parallelität zum Tod meiner Frau war ich überfordert. Die Trauerarbeit kam damals zu kurz.» Die Reissleine zu ziehen, den Posten zu verlassen und sich die Zeit dafür einfach zu nehmen: «Das geht in der Position, die ich hatte, schlicht nicht.»
Nicolas Gremaud sitzt bis heute im VR der Ruag MRO. Er teilt Perrins eigene Einschätzung, dass ein Abgang keine Option gewesen wäre: «Verantwortung zu übernehmen heisst, ein Unternehmen in einem geordneten Prozess zu verlassen. Ich habe Nicolas immer dafür bewundert, dass er bedingungslos Verantwortung übernommen hat.»
Es war schliesslich der nächste Skandal, der Perrin um seinen Posten brachte. 2016 hatte die Ruag ein Lager an alten Leopard-Panzern in Italien aufgekauft. Dabei gab es eine ganze Liste an Ungereimtheiten und nicht eingehaltenen Prozessen. Unter Perrin versuchte die Ruag, das Lager wieder loszuwerden.
Die eidgenössische Finanzkontrolle untersuchte den Fall, ihr Bericht – so wurde es überall kommuniziert – beinhalte keine «zwingenden» Gründe für den Abgang Perrins. Und tatsächlich steht in diesem Bericht, dass es in der Zeit Perrins als VR-Präsident zwar Schnitzer gab. Das Kernproblem der Panzer hätten er und die neu geschaffene Firma aber geerbt. «Ich hatte zu diesem Zeitpunkt letztlich die Verantwortung und die musste ich dann tragen», sagt Perrin, der auf Ende 2024 schliesslich von seinem Amt zurücktrat. Sein ehemaliger VR-Kollege Gremaud sagt, Perrin habe erleichtert gewirkt. Er selbst sagt, er wäre gerne noch etwas geblieben, aber nur getäuscht habe der Eindruck nicht. «Es war auch gut, dann gehen zu können.»
Mittlerweile hat die Ruag einen noch viel grösseren Korruptionsskandal am Hals, dazu äussere er sich nicht, sagt Perrin. Das müssten jetzt andere übernehmen, jene, die aktuell die Verantwortung tragen.
«Positiver Liberalismus»
Nicolas Perrin ist nicht einfach ein Boomer, sondern gehört einer spezifischen Subkategorie seiner Generation an: Der wohlmeinende Altliberale. Perrin selbst sagt, die Bezeichnung sei «sicher nicht nur verkehrt».
«Entweder man müsste investieren, um unsere Armee einsatzfähig zu machen. Oder man sagt, man will keine Armee.»
Nicolas Perrin
Thomas Feurer, ehemaliger Stadtpräsident von Schaffhausen für die Ökoliberalen, kennt Perrin schon lange. Verbunden habe sie die Liebe zum Rhein und zum Randen, zu Weidlingen und Schiffen. Und «vielleicht auch eine ähnliche politische Haltung», Feurer nennt sie einen «positiven Liberalismus». «Aber unsere Generation muss sich jetzt die Frage stellen, ob der noch standhält.» Auch Nicolas Perrin habe die Unbeschwertheit, die ihn als jungen Menschen ausgezeichnet habe, etwas verloren, sagt Feurer. «Einerseits wohl durch den Tod seiner Frau. Aber die Welt ist für uns auch sonst nicht mehr so lustig wie früher.»
Das unehrliche Rumgeeiere
Bei Perrin klingt die Krise des «positiven Liberalismus» so: «Die Weltlage», sagt er, «bedrückt mich. Manchmal blicke ich aufs politische Geschehen und frage mich, wieso gerade meine Frau sterben musste. Was Trump und Putin momentan veranstalten, hätte ich nie für möglich gehalten.» Bauchweh mache ihm auch die Schweiz: «Entweder müssten wir investieren, um unsere Armee einsatzfähig zu machen. Oder man sagt, man will keine Armee. Das kann man auch vertreten. Das aktuelle Rumgeeiere finde ich hingegen unehrlich.» Nach der Sicherheitspolitik kommt der Klimawandel, der ihm Sorgen mache, und dann der Umgang mit Migrant:innen – vor allem deshalb, weil «Europa die Arbeitskräfte zukünftig brauchen wird und das doch eine Win-Win-Situation sein könnte».
Das Paradox der wohlmeinenden Altliberalen ist, dass sie feurige Nachkriegs-Sozialdemokraten sind. Sie glauben an den Kapitalismus und an die liberale Demokratie. Sie glauben auch an Spielregeln, und an die Eigenverantwortung, sich an diese zu halten. Auch deshalb, weil immer nur logisch war, dass diese Welt sonst kollabieren würde.
Das Privileg der wohlmeinenden Altliberalen war, dass sie es gut machen konnten, ohne je aus dieser Ordnung ausbrechen zu müssen: Indem sie der gemischten Wirtschaft dienten, Infrastruktur planten, eine gute Ehe führten, den GAV respektierten, vom Haus am See träumten, das Haus am See bauten, sich um schwarze Zahlen bemühten, das Land verteidigten, loyal waren. Und – das ist vielleicht die Bürde ihrer Generation – indem sie auch dann noch Verantwortung trugen für diese Ordnung, das Unternehmen und die Partnerin, wenn alles viel zu viel wurde.
Jetzt ist Nicolas Perrin in so etwas Ähnlichem wie der Pension. Im Auto vor dem Restaurant Federnhut in Schaffhausen wartet sein Hund auf einen Spaziergang, bevor sie gemeinsam zurück nach Steckborn fahren. Seine Frau sei die bessere Tierhalterin gewesen. Aber er gebe sich Mühe, sagt Perrin.