Das Kunstprojekt «hybride Stadtbank» der Riklin-Brüder geht in die Halbzeit. Bereits jetzt ist klar: Die Aktion ist gescheitert.
Nora Leutert und Mattias Greuter
Montagmorgen, Walther-Bringolf-Platz. Eigentlich hätten gleich die Brüder Frank und Patrik Riklin erscheinen sollen, um sich zur Halbzeit ihres Kunstprojekts «hybride Stadtbank» mit der Bevölkerung auszutauschen. Stattdessen: Leere. Die gelben Sitzbänkchen stehen verlassen da. Nur ein Zettel ist daran befestigt: Das Treffen sei kurzfristig «aus privaten Gründen» abgesagt. Es werde «gegebenenfalls» zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt, heisst es von Seiten der Stadt. Mehr wird dazu nicht gesagt, auch von den Künstlern nicht. Dieser Montagmorgen ist bezeichnend für das Kunstprojekt, das so dahinplempert. Es läuft noch bis im August. Doch bereits jetzt ist Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen.
Eigentlich standen die Zeichen gut. Die Stimmung war aufgeheizt. Der Stadtrat plante auf das Jahr 2024 ein geheimes «soziales Kunstprojekt» und wollte selbst gegenüber der parlamentarischen Geschäftsprüfungskomission keine Details dazu offenlegen. Die Geheimniskrämerei sorgte für politischen Aufruhr – und zwar erst recht, als bekannt wurde, wen die Stadt für das Projekt engagiert hatte: die berühmten St. Galler Brüder Riklin, die mit ihrem Atelier für Sonderaufgaben seit 1999 kontroverse und gefeierte Konzeptkunst realisieren. Die bürgerlichen Grossstadträt:innen echauffierten sich über die hohen Honorarkosten der Künstler (90 000 Franken) und liefen gegen das Projekt erfolglos Sturm. So wurde dem Kunstwerk eine breite Bühne bereitet. Perfekte Bedingungen eigentlich für die Künstler. Alles fieberte der Enthüllung am 28. August 2024 entgegen. Die AZ schrieb kurz davor erwartungsvoll: «Das erste sichtbare Zeichen der Riklin-Brüder auf dem Platz ist vorerst noch recht unspektakulär: Es werden Sitzbänke aufgestellt».
«Einfach so verpufft»
Doch bei Sitzbänken sollte es im Wesentlichen auch bleiben. Zwar fuhren Frank und Patrik Riklin an der Vernissage pompös auf einem Holzkarren ein, gezogen von den fünf Stadtratsmitgliedern persönlich. Und Letztere sägten die gelben Sitzbänke mit heulenden Kettensägen medienwirksam entzwei. Damit war der Höhepunkt der Aktion aber bereits am ersten Tag erreicht. Die Erwartungen, die im Vorfeld geschürt wurden, blieben in der Luft hängen.
Die Idee der Riklins: Die halbierten Bänke sollen in die Wohnräume von teilnahmefreudigen Schaffhauser:innen «ausgewildert» und zugänglich gemacht werden, um den Bringolf-Platz zu erweitern und neue Begegnungen zu initiieren. Das Ganze sahen die Künstler als «radikale Aktion, die auch als Gegenbewegung zur globalen Einsamkeitsepidemie verstanden werden kann». Doch wie man es drehte und wendete: Die Idee hörte sich eher banal an.
Es gab natürlich auch positive Stimmen. Und manche Schaffhauser:innen haben es wirklich versucht. Sie sind dem Kunstprojekt gegenüber aufgeschlossen: So etwa Hansjürg und Annemarie Ogg, die bei sich zu Hause ein Bänkchen aufstellten und sich in einem Leserbrief in den Schaffhauser Nachrichten für mehr Offenheit aussprachen. Die Stadt hatte sogar ein Zitat der Oggs auf eine Stellwand am Walther-Bringolf-Platz gepinselt, zum erforderlichen «Mut vor der Türe und hinter der Türe». Mittlerweile zieht Hansjürg Ogg auf Anfrage der AZ ein ernüchterndes Fazit: «Uns gefiel die Idee, aber sie hat nicht gehauen. Bei uns kamen leider nur wenig Leute vorbei, das Projekt ist einfach so verpufft.»
Fehlende Verbindlichkeit
Natürlich muss man sich fragen: Narren die Riklin-Brüder Schaffhausen einfach? Der Stadtrat hatte sich schliesslich wortwörtlich vor den Karren spannen lassen und wurde zur eigentlichen Hauptsensation des Kunstprojektes. Stadtrat Daniel Preisig (parteilos, zuvor SVP) musste wohl deswegen bei den Kantonsratswahlen im vergangenen Herbst den Hut lassen. Das prominente Mitwirken des Stadtrats war von den Künstlern als kontroverses Element geplant – das wird klar, wenn man ihre Medienunterlagen liest. Darin dreht sich viel darum, dass sie den Stadtrat dazu bringen konnten, «am helllichten Tag» «nigelnagelneue» Bänke zu zersägen. Tatsächlich klingen einige Überlegungen der Riklins nach einer Verballhornung: «Was wie ein Schildbürgerstreich aussieht, ist ein vorsätzlich-subversiver Akt der Verunüblichisierung», heisst es in ihren Begleittexten etwa. Oder, die Stadtbänke kämen «einem «Haar-Conditioner» gleich, der soziale Verkrustungen, zwischenmenschliche Blockaden, Ängste und Vorurteile vor dem Unbekannten entwirrt».
Am Ende wirkt die «hybride Stadtbank» aber vor allem wie eine Diskrepanz zwischen Herangehensweise und Inhalt. Man spürt den riklinschen Humor, ihre Lust an der Kontroverse und an grossen Gedanken – aber die Idee kann nicht mithalten. Die Künstler, welche eine Gesprächsanfrage der AZ ablehnen, schilderten etwa im Schaffhauser Fernsehen ihre Vision, wie sie den Walther-Bringolf-Platz sprengen und auf Privaträume ausweiten wollten. Diese «surreale Wirklichkeit» setzten sie auch in Fotos um: darauf ist etwa eine Frau zu sehen, die Wäsche bügelt und dabei «von wildfremden Leuten überrascht» wird, die auf der hybriden Stadtbank bei ihr zu Hause Platz nehmen. Doch es gelang nicht, der Bevölkerung diese Vision zu vermitteln.
Ein künstlerischer Streich funktioniert dann erfolgreich, wenn auch tatsächlich ein inhaltlicher Diskurs in der Bevölkerung entsteht. Über Kunst oder über Identität beispielsweise, so wie es den Riklins schon oft in genialer Weise gelungen ist. Sie haben bereits in einigen Gemeinden poetische und skurrile Aktionen gestartet. So wollten sie etwa in Altstätten im St. Galler Rheintal mit einem Faden, der durch Häuser, Gärten, über Strassen und Felder führt, alle Haushalte miteinander verbinden. Eine radikale Idee. Eine solche Verbindlichkeit, im wahrsten Sinne des Wortes, fehlte in Schaffhausen. 26 Personen haben die Bänkchen laut Stadt bisher beherbergt, und es sei zu etwa 100 Besuchen gekommen. Die Bänkli, die sich Interessierte nach Hause liefern lassen können, sind ein bequemes Projekt. Sie berühren niemanden, der das nicht will. Niemand regte sich über die Idee dahinter auf, denn diese ist schlichtweg nett. Es gibt keinen Raum für Interpretation und grosse Gefühle. Die Empörung ging nicht über die Kosten hinaus.
Was mit diesem Kunstprojekt jetzt genau los ist, das haben viele Leute gar nicht richtig mitbekommen. Heute stehen fünf ganze und vier halbe gelbe Bänkchen auf dem Walther-Bringolf-Platz. Die ausgelieferten Halbbänke stehen derzeit nicht wie geplant in privaten Wohnräumen, sondern haben laut Website in einer Kreativagentur, in der Münsterkirche und im Turmzimmer des St. Johan Obdach gefunden. Über den Verbleib der weiteren Halbbänke ist nichts bekannt.
Zu klein
Wirklich gewonnen hat mit dem «sozialen Kunstprojekt» niemand. Die Riklins dürften die Nase voll haben von Schaffhausen. Ironischerweise hat man nun doch das Gefühl, es gehe stark ums Geld. Denn das Honorar der Künstler ist grossenteils aufgebraucht, diese sehen die Verpflichtung bei der Stadt, das Projekt jetzt weiterzuführen. Aber dort scheint man nicht gerade für das eingeschlafene Projekt zu brennen. Es dominiert Lustlosigkeit.
Das Kunstprojekt ist gescheitert. Und das jenseits der bürgerlichen Scheindebatte um die Kosten. Der Rahmen spielte zwar auch eine Rolle: Wie sich alles abspielte, wirkt etwas unglücklich und ungeschickt. Angefangen bei der stadträtlichen Geheimniskrämerei vor der GPK bis zur Grossbaustelle, die den Bringolf-Platz gerade absolut unwirtlich und zur Durchgangsstrasse macht. Auch hatten wir doch gerade die ebenfalls gelben «Wie geht’s dir?»-Bänkli, die seit einigen Jahren in verschiedenen Kantonen, auch in Schaffhausen stehen, und tatsächlich Teil einer Gesundheitskampagne gegen Einsamkeit sind. Der Stadtrat hätte vielleicht den sozialen Aspekt des Kunstprojekts von Anfang an mehr betonen sollen, räumt die zuständige Stadträtin Christine Thommen ein: «Die Idee ist, dass wir uns als offene und neugierige Stadtgesellschaft erleben können.»
Hätte man das ganze einfach als soziale Massnahme verstanden, hätte man vielleicht weniger grosse Erwartungen an das Kunstprojekt gestellt. Nimmt man Kunst und die profilierten Riklin-Brüder aber ernst, darf man diese durchaus haben. Und so überzeugt dieses Projekt nicht besonders als Auseinandersetzung mit Schaffhausen. Wer hier ab und zu ins gleiche Café geht, fühlt sich auch dort schnell wie in einem Wohnzimmer. Ein Projekt, das individuell in privaten Räumen stattfindet und nach «chli zeme höckle und käffele» tönt, ist nicht, was Schaffhausen braucht. Schaffhausen hätte etwas Riesiges, Kompromissloses gebraucht, über das alle reden. Besser ist diesbezüglich ein paar Schritte entfernt die monumentale Stadthausfassade von Künstler Yves Netzhammer: jeder ging sie anschauen, jede hat eine Meinung.
Schaffhausen wird oft belächelt; als Kaff, zu kleinstädtisch, um mit der Welt mitzuhalten. Doch dieses Mal ist es so: Das Kunstprojekt der Riklins ist zu klein für Schaffhausen.