Wer füllt den vakanten Ständeratssitz? Die Parteien bringen sich in Stellung und die grosse Unbekannte bleibt der Altbekannte.
Das Bundesgericht hat die Wahl von Simon Stocker annulliert, Schaffhausen hat aktuell nur noch einen Ständerat. Am 29. Juni wird deshalb neu gewählt, während der Herbstsession soll der Kanton wieder in Vollbesetzung in Bern abstimmen können.
Die SP geht wieder mit Simon Stocker an den Start, die Wahlkampfmaschine am Walther-Bringolf-Platz ist bereits angelaufen. «Wir haben aber immer damit gerechnet, dass die Bürgerlichen einen Kandidaten bringen und versuchen, den Sitz anzugreifen», sagt Parteipräsidentin Romina Loliva. «Das würden wir ja auch machen.»
Die Ausgangslage besteht bisher aus einem Gegenkandidaten, einer prominenten Absage und einem schweigenden Fragezeichen.
Der Unterlegene
Thomas Minders Abwahl war eine spektakuläre Blamage: Er wurde als Bisheriger von einem Linken in einem bürgerlichen Kanton weggeputscht. Seit dem Bundesgerichtsurteil ist Minder auf Tauchstation und für die Medien im Land nicht erreichbar. Die andere Wange nach dieser Watsche auch noch hinzuhalten, hätte biblisches Format. In bürgerlichen Kreisen kursiert allerdings das Gerücht, dass Minder genau das plant und tatsächlich nochmals antreten will. Die SVP weiss wohl, was er vorhat, gemäss Parteipräsidentin Andrea Müller stehen sie im Kontakt, mehr sage sie aber nicht. «Thomas Minder ist für uns eine Blackbox», sagt hingegen Loliva von der SP. «Wir sehen die Chancen etwa bei 50:50, dass plötzlich Minder-Plakate in der Stadt auftauchen.»
Die FDP
Das Gegenteil von Minder macht hingegen die FDP. Mit ihrer Rolle im Wahlkampf 2023 hatte sie nicht gerade ihren Anspruch auf einen Sitz im Bundesparlament zementiert. Sie hatten mit Nina Schärrer eine kaum bekannte Aufbaukandidatin in den ersten Wahlgang geschickt und ihre Kandidatur dann, als in diesem ersten Wahlgang klar wurde, wie sehr Minders Sitz wackelte, gegen ihren Willen zurückgezogen – auf Druck der SVP hin. Schärrer sitzt mittlerweile im Neuhauser Einwohnerrat und im Kantonsrat und kandidiert nicht nochmals. Die FDP – erst letzte Woche hat Britta Schmid den langjährigen Kantonalpräsidenten Urs Wohlgemut abgelöst – ist noch mitten im Rummel um das Bundesurteil vorgeprescht und hat eine Findungskommission für eine Ständeratskandidatur angekündigt. Nur wenige Tage später empfiehlt sie Severin Brüngger zur Wahl.
Brüngger kommt aus der Stadt, ist seit 2021 Grossstadtrat und seit 2022 Kantonsrat. Er hat sich in dieser Zeit vor allem als wirtschaftsliberaler Hardliner positioniert. Auf der Website der FDP beschreibt er sich so: «Ich möchte mithelfen, den Kantonsrat bürgerlich zu halten». Dabei bliebe es auch im Ständerat: «Ein starker, aber schlanker Staat ist mir wichtig, jeder Steuerfranken soll zweckmässig ausgegeben werden», sagt Brüngger. Ihm kommt ein einziger Vorstoss in den Sinn, bei dem er von seinem Kernthema abgewichen ist; damals ging es um die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals.
Die SVP
Minder war offiziell parteilos, gehörte im Ständerat aber der SVP-Fraktion an. Die Partei hat mit seiner Abwahl auch einen halben Sitz verloren. Am Dienstagmorgen dieser Woche sagte Parteipräsidentin Müller noch, was genau die Partei nun mache, sei nicht spruchreif, interne Gespräche liefen. Geeignete Kandidat:innen gibt es in den Reihen der SVP einige, zum Beispiel die zwei Regierungsrät:innen der Partei.
Die SVP steht aber vor einem anderen möglichen Königsweg. Sie haben mit Thomas Hurter einen etablierten Nationalrat. Wechselt er in die kleine Kammer, gibt es für seinen frei werdenden Sitz im Nationalrat keine Neuwahl – dort wird anders als beim Ständerat mit Listen gewählt. Tritt ein Nationalrat während der Legislatur zurück, rückt der Nächstplatzierte der Liste nach. Bei der SVP wäre das Andreas Gnädinger aus Siblingen, der am Dienstagmorgen am Telefon sagt, er stünde bereit. Am Dienstagabend macht die SVP diese Ausgangslage jedoch zur Makulatur und kommuniziert, dass sie sich hinter Brüngger stelle, um eine «geeinte bürgerliche Stimme» sicherzustellen. «Die SVP hat sich für Brüngger entschieden, weil wir an die Zukunft denken müssen», sagt Parteipräsidentin Müller. «In Zukunft ist eine gute Zusammenarbeit der bürgerlichen Parteien wichtig und Severin Brüngger ist für uns ein absolut wählbarer Kandidat.»
Es wälzen aber nicht nur die Bürgerlichen Gegenkandidaturen.
PUSH
Einst wurden Urs Tanners Ambitionen Opfer der AL-Gilde, die zu den Sozialdemokrat:innen gewechselt hatte. Linda De Ventura wurde Tanner in der internen Ausmarchung für die Nachfolge von mittlerweile Alt-Nationalrätin Martina Munz vorgezogen. Tanner ist aus der Partei ausgetreten und hat in der Zwischenzeit eine eigene gegründet, die PUSH. Den Schaffhauser Nachrichten sagte Tanner, diese überlege sich eine Kandidatur. Diese käme aber nicht von ihm selbst, sagt Tanner auf Rückfrage, «einen weiteren alten weissen Mann braucht es nicht im Ständerat. Eine Perspektive, die hingegen fehlt, ist die einer jungen Person mit Migrationshintergrund». Tanner sagt, eine Aufbaukandidatur käme aber nur in Frage, wenn es mehr als einen bürgerlicher Kandidaten gebe – also nur dann, wenn tatsächlich Minder-Plakate auftauchen –, «aber man sollte meiner Meinung nach nie unterschätzen, zu welchen seltsamen Entscheidungen ein gekränktes Männerego fähig ist.»
Kampf um die Stadt
Wie auch immer sich Minder entscheidet, Schaffhausen hat ihn abgewählt. Stockers Hauptgegner heisst Severin Brüngger.
Und dieser Hauptgegner hat sich schon einmal daran versucht, der SP einen Bundesparlamentssitz abzujagen: 2023 hat Brüngger als Listenerster auf der Hauptliste der FDP für den Nationalrat kandidiert. Brüngger scheiterte sehr deutlich. Die SP-lerin Martina Munz wurde mit etwas über 8500 Stimmen wiedergewählt, Brüngger erhielt im gleichen Wahlgang knapp 2500 Stimmen. Damals wurde allerdings auch Thomas Hurter mit über 12 500 Stimmen wiedergewählt, dieses Mal tritt aus der SVP niemand an. Diese Stimmen werden frei und Brüngger hat die Unterstützung der wählerstärksten Partei. Brüngger kann diese Basis, mindestens in seinem Wahlkreis in der Stadt, auch abholen. Bei den Kantonsratswahlen 2024 war er der FDP-ler, der am meisten Stimmen von SVP-Listen zugeschanzt bekam.
Wie beim Regierungsrat?
Für Brüngger spricht auch ein jüngstes Beispiel, in dem die FDP mit SVP-Unterstützung gegen eine SP-Kandidatin gewonnen hat: Marcel Montanari wurde im letzten Sommer in den Regierungsrat gewählt. Damals war mit Bettina Looser aber eine sehr unbekannte Kandidatin für die Sozialdemokraten ins Rennen gegangen. Wenn Simon Stocker etwas nicht ist, dann unbekannt.
Auffällig war damals vor allem, wie schlecht Looser in der Stadt abgeschnitten hatte: Es lagen nur etwas über 1000 Stimmen zwischen ihr und Montanari. Just hier hatte Stocker ein Jahr zuvor extrem viele Stimmen gemacht, wohl weit bis ins bürgerliche Lager hinein. Mit Brüngger kommt jetzt einer, den man in diesem Lager kennt, er wurde von der FDP bei den Kantonsratswahlen 2024 im Wahlkreis Stadt auf den ersten Listenplatz gesetzt und entsprechend auch mit den meisten Stimmen gewählt.
Links der FDP wird es für Brüngger aber sofort schwierig. Die GLP wird wohl wieder Stocker unterstützen, alles andere wäre eine Überraschung. Bei den Kantonsratswahlen bekam Brüngger gerade mal knapp über 100 Stimmen von der GLP und der Mitte panaschiert. In Stockers Fall sind diese präzisen Daten zu seiner Tauglichkeit bei anderen Parteien schon etwas älter, bei den Wahlen für den Grossen Stadtrat 2008 war er aber der AL-Kandidat mit den meisten Stimmen von anderen Listen. Neben seiner Ständeratswahl zeigen aber auch seine Erfolge bei Stadtschulrats- und Stadtratswahlen, dass er weitherum wählbar ist.
In der Stadt wird es Stocker gegen Brüngger schwieriger haben als gegen Minder. Dafür ist Brüngger mit seinem Sunny-Boy-Reine-Lehre-Wirtschaftsliberalismus nicht unbedingt ein Kandidat, von dem man erwartet, dass er die bürgerliche Stammwählerschaft auf dem Land besonders gut mobilisieren kann. Stocker hat sich hier 2023 solide geschlagen.
Einer oder zwei?
Bei Ständeratswahlen gilt im ersten Wahlgang das absolute Mehr. Bleibt es bei nur zwei Kandidaten, ist es realistisch, dass einer der Kandidaten dieses erreicht. Kandidiert Minder hingegen doch noch, gibt es wohl einen zweiten Wahlgang, in dem das einfache Mehr gilt.
Nach dem Rückzug von Nina Schärrer nach dem 1. Wahlgang der Ständeratswahlen 2023 vergrösserte Stocker seinen Abstand auf Thomas Minder im 2. Wahlgang zwar noch, er profitierte damals also vom geschmälerten Kandidatenfeld. Parallel zu Schärrer hatte sich allerdings auch die Grüne Lisa Brühlmann zurückgezogen. Dieses Mal gilt wohl: «Wir denken, dass uns eine gespaltene bürgerliche Stimme in dieser Wahl nützen würde», sagt Loliva von der SP. Mit anderen Worten: Eine Kandidatur Minders wäre ein Geschenk für Stocker.
Der Politologe prognostiziert
Einige Faktoren dieser Ständeratswahl sind aber auch komplett unerprobt. Zum Beispiel: Wird Stocker nach nur eineinhalb Jahren im Amt wie ein Bisheriger behandelt, die im Normalfall einen deutlichen Vorteil haben? Der Politologe Michael Hermann sagt: «Wahrscheinlich schon. Meistens reicht schon die Wahl an sich, um jemandem einen Touch von «Würde im Amt» und damit Auftrieb zu geben.»
«Zudem», sagt SP-Präsidentin Loliva, «rechnen wir damit, dass es einen «Jetzt erst Recht»-Faktor gibt.» Auch das hält der Politologe Hermann für realistisch: «Mindestens bei Abstimmungen, die wiederholt werden müssen, sieht man, dass sie meistens noch deutlicher ausgehen als die erste Runde.» Komplett vergleichbar sei das zwar nicht, aber Hermann ist sich alles in allem recht sicher: «Meine Einschätzung ist, dass Stocker deutlich wiedergewählt wird.»