In Schaffhauser Bächen schwimmen giftige Substanzen. Das Kantonale Labor weiss davon – kann aber nichts tun.
Als klar wurde, dass Bundesrat und ehemaliger Autolobbyist Albert Rösti das Umweltdepartement übernehmen würde, stöhnte die Natur- und Umweltschutzszene der Schweiz auf. Nur jene mit einem unerschütterlichen Vertrauen in die angebliche Schweizer Kollegial-Exekutive blieben einigermassen optimistisch. Allzu viel Machtpolitik würde im BAFU dann auch wieder nicht möglich sein.
Die Optimistinnen behielten unrecht. Rösti nutzt jeden Spielraum, um seine Interessen gnadenlos durchzupeitschen. Das schlägt sich jetzt direkt in Schaffhauser Gewässern nieder.
Die Krux mit den Grenzwerten
Das Interkantonale Labor weiss schon lange, dass in den hiesigen Flüssen und Bächen Substanzen fliessen, die dort Schaden anrichten. Das kann man öffentlich verfügbar nachlesen, es ist ausführlich dokumentiert in einem Bericht zum «Zustand Oberflächengewässer im Kanton Schaffhausen» von letztem April. Denn das IKL misst an vier Stellen regelmässig die Konzentrationen eines ganzen Kataloges an Chemikalien: im Beggingerbach in Beggingen, im Zwärenbach in Schleitheim, im Landgraben in Trasadingen und in der Biber im Bibertal.
Das Wasser, das an diesen vier Stellen vorbeiplätschert, weist immer wieder so hohe Werte solcher Stoffe auf, «von denen wir wissen, dass sie Gewässerökosysteme schädigen», sagt Kurt Seiler, Leiter des IKL. Unter anderem schwimmen in den getesteten Bächen Substanzen mit den klingenden Namen Flufenacet, Lambda-Cyhalothrin oder ein besonders potentes Insektizid: «Bei Deltamethrin reicht schon ein Tropfen, um zum Bespiel für Flohkrebse giftig zu sein», sagt Seiler. Es attackiert die Nervenmembranen von Insekten – und weil sie eng verwandt sind, kann es auch Krebstiere dahinraffen.
Schädliche Konzentrationen von Deltamethrin, Flufenacet oder Lambda-Cyhalothrin werden in Schaffhausen zwar immer wieder gemessen. Dann passiert aber: Nichts. «Wir würden gerne auf diese Werte reagieren», sagt Kantonschemiker Kurt Seiler. «Allerdings fehlt uns dazu die Handhabung.»
Seilers Hände werden in Bern gebunden. In einer Verordnung zum Gewässerschutzgesetz sind Substanzen gelistet, die in den Ökosystemen der Gewässer Ungemach verursachen, und die deshalb gewisse Konzentrationen nicht überschreiten dürfen. Auf dieser Liste gibt es aber prominente Abwesende, zum Beispiel das sehr giftige Deltamethrin. Fehlt ein Grenzwert, fehlt die rechtliche Basis, um einzuschreiten. Seiler sagt, es «rumore» beim Thema schon eine ganze Weile: «Wir von kantonalen Umweltämtern sagen dem BAFU schon lange, dass dringend mehr Grenzwerte festgelegt werden müssen.»
Eine Recherche der SRF Rundschau zeigt nun: Das hätte auch tatsächlich passieren sollen. Die entsprechende Verordnung wird bald revidiert. Eine erste Fassung sah vor, für elf zusätzliche Stoffe Grenzwerte festzulegen. Dann aber verschwanden vier dieser Toxine wieder von der Liste. Darunter sind neben Deltamethrin auch Flufenacet und Lambda-Cyhalothrin, die beide ebenfalls regelmässig in Konzentrationen an den Schaffhauser Messstellen auftauchen, die Wasserorganismen Schaden zufügen.
Die Rundschau zitiert aus einem internen Bericht aus Röstis BAFU. Darin steht, dass diese Stoffe von der Liste gestrichen wurden, nachdem «Landwirtschaftsexperten» – gemeint sind Vertreter des Bauernverbandes und der kantonalen Pflanzenschutzdienste – interveniert hatten. Offensichtlich ist man sich auch im BAFU bewusst, dass man so den Gewässerschutz, den das Gesetz vorsieht, nicht umsetzt. Die Rundschau zitiert aus dem BAFU-internen Bericht: «Bei den vier Wirkstoffen (…), für welche keine neuen ökotoxikologischen Grenzwerte festgelegt werden, ist der gemäss Gewässerschutzrecht vorgegebene Schutz der Gewässer hingegen nicht sichergestellt.»
Dass die Umsetzung des Schutzes vernachlässigt wird, liegt daran, dass die Giftigkeit dieser Stoffe in Gewässern zwar ein Problem ist. Anderswo jedoch ist sie willkommen.
«Hocheffizient»
Lena Heinzer ist im Schaffhauser Landwirtschaftsamt für den Pflanzenschutz zuständig. Sie sagt: «Pyrethroide, zu denen Deltamethrin gehört, sind hocheffiziente Insektizide.» Deltamethrin wird in der Landwirtschaft zum Beispiel gegen Erdflöhe in Rapsfeldern eingesetzt. Auch werden Fassaden damit behandelt, um Spinnen zu entfernen. Heinzer sagt, die Auflagen für die Anwendung von Pyrethroiden in der Landwirtschaft seien in den vergangenen Jahren verschärft worden: «Es braucht für jede Behandlung eine Sonderbewilligung.»
2024 stellte das Landwirtschaftsamt Schaffhausen solche Bewilligungen für 1152 Hektaren aus. Gemäss Heinzer werden diese Pyrethroid-Sonderbewilligungen nicht weiter aufgedröselt – «Deltamethrin wird aber von diesen Stoffen sicher am seltensten verwendet.» Der am häufigsten verwendete sei hingegen Lambda-Cyhalothrin – auch dies ein Kandidat für die Grenzwert-Liste, der wieder entfernt wurde. Heinzer sagt, der Einsatz der Mittel würde regelkonform bewilligt und nach ihrer Erfahrung von den Landwirten verantwortungsbewusst beantragt: «Die Aufgabe der Fachstelle ist es letztlich nicht, zu hinterfragen, ob die Regeln gut sind», sagt Heinzer. «Wir müssen schauen, dass sie eingehalten werden. Beim Erstellen dieser Regeln sollte meiner Meinung nach mehr abgewogen werden zwischen den Vorteilen für die landwirtschaftliche Produktion und den Nachteilen für den Gewässerschutz.»
Eigentlich gibt es auch dafür, wie zwischen diesen Interessen abgewogen werden soll, bereits Regeln. Um ihre Anwendung wird allerdings hart gerungen.

Flohkrebs gut, alles gut
Das Problem für die Landwirtschaft ist dabei, dass die Gewässerforschung immer präziser wird. «Bei Deltamethrin zum Beispiel hielt man Konzentrationen, wie wir sie heute messen, früher für unproblematisch. Deshalb wurde das Mittel auch einmal zugelassen», sagt Seiler.
Aber dann wurde weitergeforscht, unter anderem an einer Institution, die zwar vom BAFU unabhängig ist, aber auch vom Bund finanziert wird. Im zürcherischen Dübendorf steht der Hauptsitz des Wasserforschungsinstitutes Eawag und daran angegliedert das Oekotoxzentrum. Dort wird unter anderem genau das erforscht: ab welchen Konzentrationen Substanzen in Gewässern Schaden anrichten können. So soll das Oekotoxzentrum eine Grundlage schaffen, um die Grenzwerte des Bundes festlegen zu können. Dabei ist es zum Teil zu drastischen Schlüssen gekommen. «Im Fall von Deltamethrin liegt das vorgeschlagene Qualitätskriterium unter einem Milliardstel Gramm pro Liter», sagt Marion Junghans, die die Gruppe Risikobewertung am Oekotoxzentrum leitet. Bei dieser Konzentration verendeten in einem Experiment der Herstellerfirma die Hälfte der Flohkrebse innert vier Tagen. Wenn die Flohkrebse sterben, folgt eine Kettenreaktion: «Sie sind wichtig, weil sie beispielsweise Laub im Bächen verwerten und damit Einfluss auf die gesamte Nahrungskette im Gewässer nehmen», sagt Junghans.
Den Schaden, der in der Schaffhauser Umwelt durch Pestizide konkret entsteht, erhebt das IKL nicht. «Wir machen keine biologischen Untersuchungen. Wir messen und vergleichen die Resultate mit wissenschaftlich hergeleiteten Werten, ab denen Schäden wahrscheinlich entstehen», sagt Seiler.
Nicht messbar
Das Verständnis davon, wie und ab welchen Konzentrationen die Toxine Ökosysteme schädigen, wird also immer umfassender. Das legt Argumente für den Gewässerschutz in die Waagschale. Die Risikobewerterin Junghans sagt, sie sei sich nicht sicher, ob Deltamethrin die Anforderung der Gesetzgebung nach heutigem Wissensstand überhaupt noch erfüllt. Denn der Grenzwert, den das Oekotoxzentrum für Deltamethrin vorschlägt, ist so tief, dass er mit heutigen Messinstrumenten nicht erfasst werden kann. «Eigentlich dürfen aber keine Pestizide auf dem Markt sein, die in schädlichen Mengen nicht nachgewiesen werden können», sagt Junghans. Sie bringt aber gleich selbst auch das Gegenargument der Landwirtschaft ein: «Für manche Kombinationen aus Schädling und Kultur ist Deltamethrin das letzte noch zugelassene Insektizid.»
Ein Grenzwert würde noch eine Flanke für die Entziehung der Zulassung öffnen. Seit 2023 kennt der Bund einen «Rückkopplungs»-Mechanismus: Werden die Grenzwerte «wiederholt» und «verbreitet» überschritten, müssten die Stoffe verboten werden. «Diese Regel wurde aber bisher noch nie angewandt», so Junghans. «Erst in diesem Jahr könnte das erstmals passieren.»
Auch im IKL weiss man, dass der Fortschritt in der Gewässerforschung andernorts Leben dafür schwerer macht: «Grundsätzlich ist es überall so, dass Stoffe zunehmend strenger beurteilt werden, weil die Toxikologieforschung immer mehr herausfindet», sagt Seiler. «Bei den Pyrethroiden wie zum Beispiel Deltamethrin ist es einfach extrem, wie viel strenger man diese heute beurteilt als noch vor einem Jahrzehnt.» Und noch etwas hat sich verändert: «Eine andere wichtige Stoffklasse, die Neonicotinoide, wurde verboten. Als Folge davon muss die Landwirtschaft auf andere Mittel ausweichen. Änderungen in den Anwendungen schlagen sich in den Werten nieder, die wir messen.»
Was heisst «einbezogen»?
Die Zulassungen für Pestizide sind also ein stetes Ringen zwischen den Branchen, die von ihrem Einsatz profitieren – vor allem die Landwirtschaft –, und dem Umweltschutz. Deshalb ist das Problem auch nicht nur der Inhalt der künftigen Regeln. Sondern ebenso, wie sie zustande kommen. Das BAFU unter Bundesrat Rösti stattet die Seiten mit sehr unterschiedlich langen Spiessen aus. Bauernvertreter erhielten offenbar privilegierten Zugang zu der Vorlage. Ein Anwalt beurteilt dies in der Rundschau als einen Verstoss gegen das Gebot der Rechtsgleichheit.
Gemäss Heinzer war der Pflanzenschutzdienst Schaffhausen nicht unter den Vertretern, die direkten Einfluss auf die Revision der Verordnung nehmen konnten: «Das BAFU hat Vertreter des Bauernverbandes und zwei kantonale Vertreter der Konferenz der Pflanzenschutzdienste zu einer Sitzung eingeladen und sie um ihre Einschätzung gefragt. Ein wichtiger Diskussionspunkt war offenbar die mengenmässige Herkunft einiger dieser Stoffe im Gewässer.»
«Irreführend»
Das Bundesamt für Umwelt hingegen schreibt in einer Stellungnahme: «Es ist nicht ungewöhnlich, dass bei der Vorbereitung einer Gesetzesrevision oder bei der Anpassung einer Verordnung Anspruchsgruppen konsultiert werden. (…) Vor dem Bauernverband und den kantonalen Pflanzenschutzdiensten hatte das BAFU auch die Konferenz der Umweltämter in die Erarbeitung der Vorlage einbezogen.»
Dem widerspricht allerdings der Leiter des IKL. Denn Kurt Seiler hat für die Konferenz der Umweltämter Einsitz in einem strategischen Gewässerschutzgremium des BAFU. «Diese Formulierung des BAFU ist irreführend. Wir wurden nicht mit einbezogen in die Ausarbeitung dieser Vorlage. Wir wurden lediglich informiert, dass für die elf Stoffe Grenzwerte festgelegt werden sollen. Und haben dann über die Rundschau erfahren, dass vier davon doch wieder aus der Vorlage gestrichen worden sind.»
Die eigentliche Vernehmlassung startet gemäss dem Bundesamt für Umwelt in der ersten Hälfte dieses Jahres. Dann wird sich auch der Kanton Schaffhausen offiziell äussern können.