Die Gaskugel am Lindli soll abgerissen werden, erhält aber eine Gnadenfrist. Warum man diesen Koloss jetzt unbedingt retten muss.
Der städtische Energieversorger SH Power will den kugelförmigen Gasspeicher am Lindli abreissen. Das liess der Arealverantwortliche vor drei Wochen in den Schaffhauser Nachrichten verlauten. Die Gaskugel sei schon seit mehreren Jahren nicht mehr in Betrieb – eine Altlast, die mit dem Umzug von SH Power in den neuen Werkhof im Schweizersbild verschwinden solle.
Dabei gäbe es viele gute Gründe, diese Kugel zu erhalten. Sie liegen sowohl in der Vergangenheit, der Gegenwart als auch in der Zukunft.
Identitätsstiftende Sphäre
Seit über 125 Jahren stehen an dieser Stelle auf dem Werkhof im Lindli Druckbehälter für die Gasversorgung. Der erste wurde um die Jahrhundertwende erbaut, war zylinderförmig und sollte das damals auf dem Areal produzierte «Stadtgas» speichern. Es wurde aus Holz oder Steinkohle gewonnen und diente anfangs vor allem der Beleuchtung. Mit dem Wachstum der Stadt und steigendem Gasverbrauch für Heizungen wurde bald ein zweiter Zylinder nötig. 1988 riss man beide ab und ersetzte sie im Jahr darauf durch den moderneren Kugelbehälter, der höherem Druck standhalten konnte. Die Lindlikugel war direkt an die Erdgaspipeline aus Baden-Würtemberg angeschlossen und stellte zusammen mit ihrer Schwesterkugel im Herblingertal die Notversorgung sicher. Sie ist eine Zeugin dafür, wie zentral das Gas für den Wohn- und Industriestandort geworden war. Für eine fossile Vergangenheit, die Schaffhausen gerne ausradieren und durch saubere neue Technologien ersetzen will. Umso wichtiger ist, dass die Kugel als Zeugin stehen bleibt. Schaffhausen war und ist eine Gasstadt. Und die Kugel ist Teil dieser Geschichte.
Zu einem ähnlichen Schluss kam vor fünf Jahren auch eine Bürgerinitiative in Freiburg im Breisgau, der sogenannte «Arbeitskreis Gaskugel». Das Projekt des Vereins: Eine verwandte Kugel, etwas grösser und älter als die am Lindli, in einem Park im Westen der Stadt sollte als industrielles Wahrzeichen vor dem Abriss gerettet und neu genutzt werden. Das erste Ziel hat der Arbeitskreis erreicht: Die Kugel steht nun unter Denkmalschutz. Und auch für die neuen Nutzungsideen sah es lange gut aus – im vergangenen Sommer bewilligte der Bund Fördermittel über drei Millionen Euro. Damit wollte der Verein unter anderem ein Auditorium in die Kugel bauen. Doch die Stadt Freiburg lehnte ab. Und so rostet die Freiburger Kugel, trotz Schutzstatus, weiter vor sich hin.
Schaffhausen darf nicht den selben Fehler machen und sein Erbe ungenutzt verfallen lassen oder abreissen.

Trance der unendlichen Leere
In der Schaffhauser Kugel ist heute ebenfalls kein Gas mehr. Man kann sogar rein.
Alles verschwindet, wenn man durch das Loch ins Innere der Gaskugel klettert. Der Verkehr, die Sonne, die Vögel, alles weicht der Dunkelheit in einer unendlichen Leere. Jeder Schritt, jedes Geräusch hallt tausendfach nach, fängt an zu oszillieren. Die Wellenförmigkeit des Schalls wird greifbar, eine Unterhaltung unmöglich, weil man sich bereits beim zweiten Laut selbst ins Wort fällt. Die Luft ist angenehm warm, riecht etwas feucht und metallisch, der Kugelboden ist fingerdick mit braunem Staub bedeckt. Das Gefühl von Raum und Zeit verschwimmt, nur ein fahler Lichtstrahl vom sogenannten Mannloch an der Kugelunterseite hält einen in der Realität. Klettert man wieder nach draussen ins Tageslicht, fühlt es sich an, als wäre man gerade aus einer Trance erwacht.
Sofort fangen Ideen an zu sprudeln. Was wäre, wenn man dort drin Musik machen könnte? Eine Lasershow? Ein Trampolin? Eine Bar?
Anderswo sind solche Ideen bereits Realität.
Kugelförmiger Hamam?
In Solingen wird eine etwas kleinere Gaskugel als Planetarium genutzt. Und in Villingen-Schwenningen wurde gar einst ein Konzert in einer Kugel gespielt. «Fünf, sechs, ja sieben Mal reflektierte der Schall im kugelrunden Inneren und es entstand der Eindruck eines zeitlos verharrenden Raum-Tones», berichtet ein Besucher in einem Aufsatz von diesem Erlebnis.
Auch für die Schaffhauser Kugel existieren bereits ausgefallene Ideen. Eines der Architektenteams, die sich vor zwei Jahren im Rahmen einer Testplanung mit dem Gaswerkareal auseinandergesetzt haben, schlug etwa vor, die Kugel als Hamam, also ein türkisches Dampfbad, zu nutzen. Oder als Hotel, Co-Workingspace und Event-Lokal. Dafür sollte ein Segment aus dem Kugelmantel entfernt und die Kugel dadurch zum Rhein hin geöffnet werden, in der Mitte käme ein Boden rein.
Das sind Gedankenspielereien, die frühestens in 10 bis 15 Jahren Realität werden könnten. Nämlich dann, wenn das ganze Areal umgebaut wird. Aber gibt es die Kugel dann überhaupt noch?
Die Kugel bleibt (vorerst)
SH Power handle mit seinen Abrissplänen im Rahmen des politischen Auftrags, sagt Stadtrat und Immobilienreferent Daniel Preisig auf Anfrage der AZ. Bereits mit der Volksabstimmung zum Neubau des SH Power-Werkhofes vor zehn Jahren sei auch Geld für den Abbruch der Kugel gesprochen worden.
Anders als in den SN dargestellt, werde die Kugel aber nicht sofort abgerissen, sondern der Stadtrat habe SH Power angewiesen, damit noch abzuwarten. In der Vorlage zur Rheinuferpromenade, über welche die Schaffhauser Stimmbevölkerung am 29. Juni abstimmen wird, ist auch ein Planungskredit für das Gaswerkareal enthalten, wo die Kugel steht. Erst wenn die Planungsergebnisse vorliegen, soll entschieden werden, was mit dem ausgedienten Gasspeicher passiere. Sofern sie der neuen Strassenführung nicht in die Quere komme, und es eine «finanzierbare» neue Nutzung gebe, könne er sich vorstellen, die Kugel stehen zu lassen, so Preisig.

Die Zukunft des sphärischen Stahlbaus bleibt damit ungewiss. Dass die öffentliche Hand in Schaffhausen äusserst abrissfreudig ist, wenn es um Altbauten geht, hat sie bereits mehrfach unter Beweis gestellt (siehe etwa «Stark im Abbrechen» in der AZ vom 16. März 2023). Parallelen gibt es etwa zum Hallenbad auf der Breite. Auch dort haben Stadtrat und Parlament ihre Rückbau-Absichten vor der Volksabstimmung bewusst verschleiert, um weniger Angriffsfläche zu bieten und den KSS-Neubau nicht zu gefährden.
Umso wichtiger ist es, dass eine neue Nutzung der Kugel nicht noch Jahrzehnte auf sich warten lässt. Denn niederschwellige Ansätze, für die nicht gleich ein Teil der Kugel entfernt werden muss, sind schon heute möglich.
Immobilienreferent Daniel Preisig sagt: «Wenn jemand eine gute Idee hat, steht die Kugel auch für die Zwischennutzung zur Verfügung.»
Wer jetzt noch keine Idee hat, dem oder der sei empfohlen, einmal den Kopf durch das Loch an der Kugelbasis zu stecken und in die Hände zu klatschen. Vielleicht lässt sich dadurch ein Stück Schaffhauser Vergangenheit retten. Und so die Möglichkeiten für zukünftige Ideen offen halten.