Zünftig nicht mehr männlich

7. März 2025, AZ-Redaktion
Zu besonderen Anlässen holen die Zünfter das Zunftsilber aus dem Museum. Foto: Robin Kohler
Zu besonderen Anlässen holen die Zünfter das Zunftsilber aus dem Museum. Foto: Robin Kohler

Erstmals in ihrer Geschichte lässt die Gesellschaft zun Kaufleuten am Samstag, 8. März, Frauen an ihrem Hauptbott teilnehmen. Ein Novum, das sich in den Zünften zunehmend abzeichnet.

von Hanneke Keltsch

Die Zeit bleibt zwar niemals stehen, aber sie verläuft auch nicht überall gleich schnell. Während es in der Politik inzwischen zum guten Ton gehört, den Frauenanteil in einem Gremium kritisch zu beäugen, gibt es sie noch: die reinen Männerbastionen. Zu den ältesten und geschichtsträchtigsten gehören im Kanton Schaffhausen die Zünfte. Die meisten von ihnen halten es schon seit Jahrhunderten gleich: Frauen müssen draussen bleiben.

Doch so starr Traditionen sind, so unerbittlich ist der Fluss der Zeit. Und so sorgte Anfang Februar die Zürcher Zunft zur Meisen national für Aufsehen, weil sie nach einer zweijährigen Testphase beschlossen hat, ihre Statuten anzupassen und Frauen künftig als gleichberechtigte Mitglieder aufzunehmen. In der Steiner Zunft zum Kleeblatt geschah das bereits vor zwei Jahren. Ende vergangenes Jahr ging man sogar noch einen Schritt weiter und wählte die erste Frau zur Zunftschreiberin.

Beginnt also gerade die Zeit der grossen Öffnungsbewegung bei den Schaffhauser Zünften? Die kurze Antwort: Jein.

Eine lange Geschichte

Die längere Antwort beginnt im Jahr 1411. Damals formierten sich in der Stadt Schaffhausen Handwerker zu Zünften, um sich beruflich auszutauschen und ihre Interessen zu vertreten. Dazu gehörten in der Anfangszeit auch vereinzelt Handwerkmeisterinnen, etwa in der Weber- und Schneiderzunft. Doch bereits damals zeigte sich: Männer bleiben lieber unter sich. Ab dem 16. Jahrhundert wurde Frauen der Zugang zu den Zünften in Schaffhausen vollständig verwehrt.

Über mehrere Jahrhunderte konzentrierte sich in den Gesellschaften und Zünften wirtschaftliche und politische Macht, Zunftmitglieder waren im grossen und kleinen Rat vertreten und prägten das Stadtleben.

Mit der Einführung der Gewerbefreiheit 1855 verloren sie diesen Einfluss und ihre einstige Bedeutung. Seither haben die Zünfte einen tiefgreifenden Wandel durchlaufen. Aus politischen und wirtschaftlichen Interessengemeinschaften sind reine Traditionsvereine geworden, die heute vor allem für den Erhalt von Bräuchen und das gesellige Beisammensein stehen. Ihre einstige Macht haben sie längst verloren, ihre Strukturen mussten sie anpassen.

Doch über die Jahrhunderte blieb eines konstant: Zünfte sind Männersache. Nun gerät auch diese Gewissheit ins Wanken.

Traditionsreicher Pragmatismus

Während in Städten wie Bern oder Basel die Aufnahme von Frauen in die Zünfte bereits seit längerer Zeit obligatorisch ist, liegt es in Schaffhausen ganz im Ermessen der zwölf Gesellschaften und Zünfte, selbst zu entscheiden, ob sie auch Frauen in ihre Reihen aufnehmen.

«Also, ich kann nur für meine Zunft sprechen» – mit diesem Satz beginnen fast alle Zunftmeister in Schaffhausen das Gespräch. Die Meinungen zur Frauenfrage sind unterschiedlich, doch eines eint sie: Keiner möchte einer anderen Zunft vorschreiben, was sie tun soll.

Es gehe nicht nur um den Einbezug von Frauen, sondern um eine generelle Weiterentwicklung, meint etwa André Müller von der Zunft zun Becken. «Das Ziel ist es, eine Balance zwischen Tradition und Moderne zu finden.» Modern bedeute jedoch nicht nur, Frauen in die Zunftreihen aufzunehmen, sondern die Zunft auch für Familien attraktiver zu gestalten.

«Frauen sind bei uns schon lange Teil der Zunftgemeinschaft, einfach ohne Stimmrecht», sagt Eugen Da Pra, Zunftmeister der Zunft zun Schmieden. Das Thema werde von den Medien zu stark aufgebauscht. «Die Debatte zu Frauen in den Zünften ist aktuell und zeitgemäss, aber man muss das Thema langfristig betrachten und in jeder Zunft für sich die richtige Entscheidung treffen.»

«Ich sehe den Grund nicht, warum Zünfte Männerbünde sein müssen.»

Sabrina Schmid

Beide Zünfter vertreten eine pragmatische Haltung zur Frauenfrage und vermeiden es, sich klar auf eine Seite zu schlagen. Sie betonen jedoch, dass es innerhalb ihrer Zünfte unterschiedliche Meinungen gebe.

Neben den Pragmatikern gibt es nämlich auch noch die Traditionalisten. Öffentlich äussern wollen die sich zwar nicht, aber Obmann Richard Jezler, sozusagen der Schaffhauser Oberzünfter, fasst deren Argument gegen die Öffnung der Zünfte für Frauen so zusammen: «Es war immer so und soll auch so bleiben.»

Doch egal ob Pragmatiker oder Traditionalist, die meisten Zünfter sind sich einig: Eine Veränderung der Zunft muss aus den Reihen der Mitglieder kommen, nicht vom Vorstand aufoktroyiert werden.

Wie die Basis zur Öffnung steht, wird sich in den nächsten Monaten gleich zwei Mal zeigen: Die Zunft zun Schmieden und die Gerberzunft werden Ende März beziehungweise Anfang April über eine Statutenänderung abstimmen, welche den Eintritt von Frauen ermöglichen soll. Wie die Abstimmungen ausgehen werden, können die beiden Zunftmeister nicht einschätzen. Doch sie seien zuversichtlich.

Frischer Wind

Während also Traditionalisten an der reinen Männergesellschaft festhalten und eine Öffnung als Gefahr für die gewachsenen Strukturen sehen, betonen die Pragmatiker die Notwendigkeit der Weiterentwicklung. Dabei geht es ihnen nicht nur um Frauen, sondern auch darum, die Zünfte für jüngere Generationen – und Familien – attraktiver zu machen.

Ein ähnlicher Ansatz zeigt sich bei der Zunft zun Schuhmachern. In der Vorsteherschaft habe man den Beschluss gefasst, die Zunft für verjüngen. Dafür wolle man auch offener mit externen Bewerbern umgehen. Von einer Öffnung für Frauen wird allerdings abgesehen. «Das Thema Frauen als Mitglieder wird bei uns mittelfristig vermutlich kein Thema werden», meint Zunftmeister und SVP-Grossstadtrat Res Hauser überzeugt. «Frauenrunden wollen ja manchmal auch keine Männer dabeihaben.»

Catharina Peyer findet diesen Vergleich unpassend: «Die erfolgreiche Integration der Frauen in der Zürcher Zunft zur Meisen beweist das Gegenteil», so die Jurastudentin und Zünfterin in Zürich. Die Schaffhauserin ist seit zwei Jahren Gast bei der Zunft zur Meisen in Zürich – und gehört damit zu den ersten Frauen in der traditionsreichen Gemeinschaft. In Schaffhausen ist der Familienname Peyer in der Gesellschaft zun Kaufleuten verankert, doch Peyers Mutter konnte dort bisher nicht Mitglied werden. Deswegen hat sie die zünftigen Traditionen vor allem über ihren Vater mitverfolgt, der allerdings in Zürich Zunftmitglied ist. «Ich finde das Sechseläuten sehr schön und fand es immer sehr faszinierend, dabei zu sein», erzählt Catharina Peyer.

«Es ist eine Frage der Zeit, bis sich die Zünfte öffnen werden.»

Urs Oechslin

Wenn, wie früher bei der Schaffhauser Gesellschaft zun Kaufleuten, nur der männliche Teil der Familie Mitglied werden könne, «vergibt man sich eine Chance, weil die Aufnahme von Frauen eine Bereicherung für alle Beteiligten ist», meint Peyer.

Doch auch bei den Kaufleuten tut sich etwas. Diesen Samstag, am Hauptbott der Gesellschaft, werden erstmals Frauen teilnehmen. Zudem wird es ab dann auch Frauen möglich sein, vollwertige Mitglieder zu werden – sofern sie den richtigen Nachnamen haben.

Auch die Steinerin Sabrina Schmid kann nicht nachvollziehen, warum gewisse Zünfte an den Ausschlussmechanismen festhalten. «Ich sehe den Grund nicht, warum Zünfte Männerbünde sein müssen.» Strukturen aufzubrechen und neue Wege zu gehen, bringe oft frischen Wind und positive Veränderung mit sich.

Schmid weiss, wovon sie spricht. Als Lokführerin ist sie sich gewohnt, sich in männerdominierten Bereichen zu behaupten. Vergangenen Dezember beschloss sie, der Steiner Zunft zum Kleeblatt beizutreten – am selben Tag, an dem ihre Cousine Julia Schmid als erste Frau zur Zunftschreiberin gewählt wurde. Dies, nachdem sie von Zünftern immer wieder angesprochen worden war, ob sie nicht auch in die Zunft kommen möge. Die Resonanz auf ihren Beitritt war durchweg positiv: «Ich wurde mit offenen Armen empfangen», erzählt Schmid. Die Reaktion sei ein Zeichen dafür, dass Zünfter inzwischen durchaus modern eingestellt und offen sind. «Man muss nicht wahnsinnig feministisch sein, um gut zu finden, dass Frauen jetzt auch mittun können.»

Wandel der Zeit

Das sieht auch Urs Oechslin so, Zunftmeister der Zunft zun Fischern. Doch er erinnert daran, dass die Zeit bei Zünften langsamer läuft als anderswo; dass Veränderungen in tektonischen Zeiträumen stattfinden. Auch in seiner Zunft. Bereits vor ein paar Jahren habe der Zunftvorstand versucht, die Statuten der Zunft zun Fischern so anzupassen, dass Bewerber ausserhalb der traditionellen Familien sowie Frauen aufgenommen werden können. Während heute männliche Nachfahren, Ehegatten von Zunfttöchtern oder besonders verdiente Männer beitreten können, lehnten die Mitglieder die Aufnahme von Frauen ab.

Oechslin sagt, er habe sich bereits bei der Zunft zur Meisen in Zürich informiert, wie diese die nötige Dreiviertelmehrheit für die Öffnung für Frauen erreicht hätten. Doch für den kommenden Zunftbott im April stünde bei den Fischern das Thema Frauenaufnahme nicht auf der Traktandenliste. Obwohl das Interesse seitens der Frauen sehr gross sei. «Es ist eine Frage der Zeit, bis sich alle Zünfte öffnen werden. Sie können sich dem gar nicht entziehen.»