In Gächlingen hat ein Gemeinderatsmitglied eine Banane aufgehängt und öffentlich zu Kunst erklärt. Unsere Rezension.
Anfang Februar vernahmen wir Sonderbares aus den Schaffhauser Nachrichten: Eine Art-Performance sorgt offenbar für Aufsehen. Und das für einmal nicht in der städtischen Schickeria, sondern im ländlichen Gächlingen. Der Finanzreferent der Gemeinde, so hiess es, habe eine Banane an die Wand geklebt und sie zu Kunst erklärt.
Was geht da vor in Gächlingen? Setzt das Dorf neue Standards in der hiesigen Kunstszene? Oder ist hier ein Behördenmitglied durchgedreht?
So oder so, unser Kunstsinn ist angeregt. Wir AZ-Feuilletonist:innen rücken aus, bereit für eine ernsthafte Betrachtung.
Der Künstler ist der Finanzreferent
Als wir mit dem Postauto in Gächlingen Dorf eintreffen, vibriert die Stimmung vor kreativer Energie. Zwar ist kein Mensch zu sehen, doch in den Vorgärten der Häuser hat es Windräder, Steinschmuck und Werkzeug, auf einem Hofplatz steht ein Traktor mit Schaffhauser Fähnchen. An beachtlich vielen Fassaden stehen Sitzbänkli und Stühle. Hier ist ein kunstaffines Publikum zu Hause, das den Diskurs sucht. Mitten im Dorfzentrum befindet sich auch gleich die Galerie – respektive die Gemeindeverwaltung. Wir betreten das Entree und da hängt sie auch schon: die Gächlinger Banane. Mit rotem Klebeband an der Glastür befestigt, wirkt sie wie ein schriller Akt des Protestes.
Bereits kommt uns der Künstler persönlich entgegen. Es ist Siegmar Deuring, Finanzreferent der Gemeinde. Der grosse Mann, Typ Unternehmer, grüsst und verweist auf einen veritablen Kunstkatalog, der auf einem Beistelltischchen liegt. Es ist die ausgedruckte Powerpointpräsentation, die er an der letzten Gemeindeversammlung zeigte. Darin stellt der Finanzreferent die Frucht an der Wand tatsächlich als «Kunstprojekt» und als «Installation im öffentlichen Raum in Gächlingen» vor.
Er lehne sich damit an den Konzeptkünstler Maurizio Cattelan an, erzählt Deuring. Dieser klebte ebenfalls eine Banane als Kunst an eine Galeriewand. Jenes Werk – nicht die Frucht selbst, sondern die künstlerische Idee – wurde im vergangenen November für 6,2 Millionen Dollar über das Auktionshaus Sotheby’s in New York verkauft.
Der monetäre Aspekt bleibt auch bei der Gächlinger Banane bestehen. Neben dem Kunstkatalog auf dem Beistelltisch steht ein blaues Sparschwein der deutschen Allianzversicherung. Der Finanzreferent will mit seinem Kunstwerk Geld für die Gemeinde sammeln. «Jeden Tag schüttle ich das Kässle», sagt Siegmar Deuring in seinem schwäbischen Akzent und mit breitem Grinsen. Wird die aufgehängte Banane gegessen, was bereits vorkam, oder verfault sie, hängt er eine neue auf.
Deuring ist ein Behördenmitglied, das sich offenbar zu amüsieren weiss. Doch leicht neigt man dazu, das aufrührerische Potenzial dieses Mannes zu unterschätzen. Hinter seiner gmögigen Art verbirgt sich die Kompromisslosigkeit eines Künstlers, der aufs Ganze geht.

Vom «Hemp»-gate übers «Bänkligate»
Wir konstatieren: Seit Charlie Chaplins Kult-Gag (Ausrutschen auf Bananenschale) ist die Banane Element des Slapsticks. Und wir behaupten: das Gelb der Gächlinger Frucht ist eine Referenz auf die Kunstbänkli-Aktion der Brüder Riklin. Indem die Künstler vergangenen Sommer in der Stadt Schaffhausen für über hunderttausend Steuerfranken Sitzbänke zersägten, sorgten sie für einen Aufschrei. Und so fragen wir uns: Steckt hinter Siegmar Deurings Gächlinger Banane die erzürnte Haltung eines Kunstverächters, der sich mit Blick auf die Brüder Riklin sagt: «Und das soll Kunst sein? Das kann ich auch selbst!»?
Diese Manier hat in Schaffhausen Tradition. Erinnern wir uns beispielsweise ans «Hemp-Gate»: 2015 zeigt die Künstlerin Alexandra Meyer das verschwitzte Herrenhemd «Herr Meyer II» im Museum zu Allerheiligen und erhielt dafür auch noch den Manor-Kunstpreis. Es folgten empörte Reaktionen, ein Leserbriefschreiber fragte in den SN, wo er seine Ehefrau für den Kunstpreis anmelden könne, diese bügle (und wasche!) schliesslich alltäglich Hemden. Und ungleich hitziger fiel die jüngste Kunstdebatte aus, das bereits erwähnte «Bänkligate»: Nicht nur «zerstörten» die Künstlerbrüder Riklin teure Sitzbänkli mit freundlicher Genehmigung der Stadt, sie «verschleuderten» auch Steuergelder. Stadtrat Daniel Preisig (parteilos, zuvor SVP) kostete das bei seiner Wählerschaft den Kopf als Kantonsrat.
Vor diesem Hintergrund also: Steht Siegmar Deurings Banane in einer Linie zum «Bänkligate»?
Ja, sagt Deuring. Doch der selbsternannte Künstler handelte nicht lapidar aus Kunstverachtung. Er wolle nicht die Banalität der Bänkli-Aktion hervorheben und sich damit messen, sagt er. Sein Kunstverständnis ist komplexer, als man meint. Die Banane ist für Deuring höchst dringlich, ja, existenziell. Deuring griff aus Not zur Kunst.
Ein politisches Werk
Dazu müssen wir kurz den künstlerischen Kontext anschauen: Gächlingen ist eine typisches Dorf mit Ackerbau, Viehzucht und überschaubarem Gewerbe. Und es wächst wie keine andere Schaffhauser Gemeinde: Durch die günstigen Miet- und Baulandpreise zogen in den vergangenen Jahren viele junge Familien mit Kindern hierher. Deshalb mussten ein Kindergarten und eine Schule gebaut werden. Gleichzeitig fehlt es an Steuereinnahmen durch grosse Firmen, wie man sie im städtischen Raum hat. Gächlingen ist trotz Finanzausgleich knapp bei Kasse. Wegen der Erhöhung des Steuerfusses um acht Prozent wurde das Dorf von den SN kürzlich als «Steuerhölle» betitelt (siehe dazu AZ vom 9. Januar 2025).
Finanzreferent Siegmar Deuring steckt also ein wenig in der Klemme. Was soll er tun? Die Steuern immer weiter erhöhen? Dann würde er über kurz oder lang wohl abgewählt. Er entschied sich für etwas anderes: Guerilla-Kunst.
Siegmar Deuring war einst CEO von Trapeze und leitete damit selbst ein börsennotiertes Unternehmen in Neuhausen (hier vor allem bekannt durch den selbstfahrenden Bus). Sein künstlerischer Antrieb für den Bananen-Stunt war durchaus Ärger: über die «Dekadenz» der Stadt. Dort wird mit den Riklin-Bänkli teures Mobiliar zersägt, während man solches in Gächlingen kaum finanzieren kann. Konkret fehlt es in Gächlingen etwa an einer Kinderschaukel. Für diese sammelt Deuring nun Geld mit der (von ihm eigenfinanzierten) Banane, im Gegenzug gibt es ein Kunstzertifikat und eine Banane. Damit appelliert der parteilose Deuring ganz in neoliberaler Tradition an die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Er zitiert John F. Kennedy: «Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst».
Die 1200 Franken, die es für die Kinderschaukel braucht, wären natürlich selbst für Gächlingen ein Klacks. Doch es geht Deuring um die symbolische Botschaft und darum, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, aufzurütteln und auf die Situation der Landgemeinden aufmerksam zu machen. «Ich will nicht betteln, sondern habe den Anspruch, dass man meine Kunst entweder versteht oder nicht», so Deuring.
Reüssiert er?
So müssen wir abschliessend beurteilen: Funktioniert das Kunstwerk oder nicht?
Wir kommen zum Schluss: Ein regionales Rüebli oder eine Kartoffel hätten wir mehr goutiert als eine Banane. Das wichtigste jedoch bei einem solchen «Objet trouvé» (einem unbearbeiteten Gegenstand, der zu Kunst erklärt wird) ist: Das Format des Künstlers. Hat er die Grösse und ist er genug etabliert, dass ein solches Werk als Kunst anerkannt wird?
«Ich habe nichts zu verlieren», sagt Siegmar Deuring. Es ist ihm egal, wenn man ihn für durchgeknallt hält. Bei der Verwaltung des Volgs, der eine Filiale im Dorf hat, hätten sie ihm zwei mal den Telefonhörer aufgelegt, als er anfragte, ob sie ihm Bananen für ein Kunstprojekt sponsern würden. «Die dachten, da ruft ein Irrer an», so Deuring. «Aber ich bin da relativ schmerzfrei». So kaufte er Bananen im Coop und setzte seine künstlerische Vision im Gemeindehaus um.
Der Finanzreferent gibt alles, um mit seiner Banane Kultstatus zu erreichen. Er erzählt: «Im Schützenverein gibt es ein Preisschiessen auf eine Scheibe. Darauf sind meistens Jagdmotive. Ich wollte wissen, ob sie stattdessen nicht auf ein Bananen-Abbildchen schiessen möchten. Da hat man mich gefragt, ob ich schon etwas getrunken habe. Das ist meistens so. Sobald man mit Dingen kommt, die die Leute nicht greifen können, beginnt es schon zu flattern.» Genauso wolle er beim lokalen Beizer nachfragen, ob er Bananensplit auf die Dessertkarte nehme. Und: «Sobald es wärmer wird, wird bei jeder Bushaltestelle eine Banane hängen», verspricht Deuring und erhofft sich überregionale Bekanntheit. Er sagt aber auch: «Ich bin da schon so selbstreflektiert, dass ich sage, ok, gut: Ich habe mich blamiert, aber es war es wert.» Immerhin kam schon eine stattliche Summe von über 1000 Franken zusammen.
Auch wenn uns das Konzept der privatfinanzierten Kindergarten-Infrastruktur und der gemeinderätlichen Guerilla-Kunst nicht auf einer höheren Ebene überzeugen: Das nötige Format für solch einen Stunt bringt der Künstler definitiv mit.
Update: In den Tagen nach dem Besuch der AZ in Gächlingen kamen noch mehr Batzen von Kunstkäufer:innen im Sparschwein zusammen, mittlerweile wurde bereits die 2000-Franken-Marke geknackt, dank Grossinvestor:innen wie den Landfrauen und mehreren Firmen. Die Kinderschaukel ist damit gesichert, das Projekt läuft bis zur nächsten Gemeindeversammlung im Juni weiter. Die sechsstelligen Beträge von Kunstsammler:innen aus dem Ausland liessen noch auf sich warten, richtet Deuring aus.