Neu herrscht im Wald ein Nachtjagdverbot. Weil Wildschweine vor allem nachts geschossen werden, hoffen Jäger:innen auf eine Ausnahme.
Die Jagdpolitik von Albert Rösti macht Schlagzeilen. Wenn es darum geht, ganze Wolfsrudel zu «entnehmen» oder Biber zur Strecke zu bringen, diskutiert das ganze Land mit.
Weniger laut ist die Debatte um ein anderes Tier, das in viel grösserer Zahl die Wälder besiedelt und das die grössten Schäden anrichtet: das Wildschwein. Die am 1. Februar in Kraft getretene neue Jagdverordnung verbietet die nächtliche Jagd im Wald. Sie trägt aber einen Grossteil zum Total der erlegten Wildschweine, der «Jahresstrecke», bei. Was bedeutet das Nachtjagdverbot für Wildschwein, Jägerin und Landwirt?
«Was man darf, wird immer weniger»
In der Dämmerung lässt sich die AZ von Jonas Keller, dem Präsident der Schaffhauser Jägerinnen und Jäger (nach seiner Schätzung ist das Geschlechterverhältnis ungefähr 20 zu 1 zugunsten der Männer), in die Jagdhütte seiner Jagdgesellschaft in Merishausen fahren. Ebenfalls im Auto sitzt Patrick Wasem, Ressortleiter Jagd und Fischerei beim Kanton Schaffhausen und privat ebenfalls Jäger, in einem anderen Revier. Den beiden ist es wichtig, in jagdpolitischen Fragen geeint aufzutreten – und die Meinungen decken sich grösstenteils. So auch zur neuen Einschränkung: «Einmal mehr wird die Schaffhauser Jagd eingeschränkt», sagt Keller, als der Ofen eingeheizt ist. Oder anders ausgedrückt: «Was man darf, wird immer weniger, und was man muss, immer mehr.» Patrick Wasem nickt.
Er erklärt: Der Kanton Schaffhausen hatte bereits ein Nachtjagdverbot. Es sah für Wildschweine – «Schwarzwild» in der Sprache der Jäger:innen – aber eine Ausnahme vor. Die neue Verordnung aus Bundesbern besagt nun aber: «Im Wald ist die Jagd während der Nacht verboten.» Ausserhalb des Waldes, also auf offenem Feld, bleibt das nächtliche Jagen erlaubt, und es gibt eine Ausnahme für die sogenannte Passjagd auf Raubtiere wie Fuchs und Dachs. Interessant für den Kanton ist der zweite Absatz der Bestimmung: «Die Kantone können für die Verhütung von Wildschaden Ausnahmen vorsehen.»
Wasem als Jagdverantwortlicher des Kantons sagt geradeheraus: «Der Kanton Schaffhausen ist offen dafür, eine Ausnahmebestimmung für Schwarzwild zu erlassen», es liefen bereits Abklärungen.
Wildschweine sterben hauptsächlich nachts
Um zu verstehen, warum das neue Nachtjagdverbot so kontrovers ist, müssen wir in seine Entstehung blicken – und in die Jagdstatistik.
Die Idee des Verbots ist naheliegend: Die Wildtiere sollen zumindest in der Nacht und zumindest im Wald ihre Ruhe haben. Das Anliegen kommt von Naturschutz- und Umweltverbänden, die das Nachtjagdverbot bereits in der letzten Revision den Jagdgesetzes unterbringen wollten. Sie scheiterte aber 2020 an der Urne. Die neue Version machte Schlagzeilen, weil die schnelle Umsetzung einer wissenschaftlich auf ziemlich wackligen Beinen stehenden Bestimmung erlaubte, ganze Wolfsrudel zur Strecke zu bringen. In der schweizweiten Aufregung über Bundesrats Röstis Wolfshatz ging das Nachtjagdverbot unter.
Ursprünglich war es gar nicht Teil der Jadgverordnung, die das Gesetz begleitet. Im Vernehmlassungsprozess brachte es erfolgreich die Konferenz für Wald, Wildtiere und Landschaft (KWL) ein, ein Zusammenschluss der für Wald und Wild Zuständigen der Kantone – inklusive Schaffhausen. So hat der Kanton Schaffhausen das Nachtjagdverbot, das ihm nun nicht passt, indirekt unterstützt.


Patrick Wasem erklärt, Schaffhausen sei mit 42 Prozent bewaldeter Fläche besonders betroffen. Wie relevant das Verbot ist, zeigt ein Blick die Statistik.
Letztes Jahr – die Jagdstatistik läuft jeweils von April bis März – wurden im Kanton total 293 Wildschweine erlegt, der tiefste Wert der letzten zehn Jahre. Tagsüber werden fast ausschliesslich bei den herbstlichen Treibjagden Wildschweine erlegt. 182 Tiere schossen die Jäger:innen mit einem Nachtsichtzielgerät, also in der Nacht. Unter diese fallen allerdings auch Wildscheine, die nachts auf dem Feld gejagt wurden, was weiterhin erlaubt ist. Insgesamt wird ziemlich genau die Hälfte aller Wildschweine im Wald erlegt. Wie viele Tiere im Wald und in der Nacht erlegt werden, zeigt die Statistik nicht. Patrick Wasem hat die Abschüsse einzeln ausgewertet, um das Nachtjagdverbot im Wald beurteilen zu können. 20 bis 25 Prozent der Wildschweinabschüsse, sagt er, erfolgen nachts im Wald.
Die Sache mit den Wildschäden
Gemessen am letzten Jahr wären also mit Nachtjagdverbot rund 66 Wildschweine nicht geschossen worden, das sind statistisch gesehen 33 tote Bachen, die etwa 160 bis 190 Frischlinge nicht zur Welt gebracht haben.
Wildschweine, die zumindest in der Nacht im Wald vor der Jagd geschützt sind, das klingt gut und müsste auch Jägern, die sich als Naturschützer sehen, einleuchten. Tatsächlich bekundet Jagdpräsident Jonas Keller grundsätzlich Sympathie für das Anliegen – bringt allerdings ein «aber» an: «Die Jagd wird in der Nacht ausgesperrt, aber alle anderen, Hündeler, Reiter und Jogger, dürfen den Wald auch nachts nutzen.» Er sagt, er selber jage ab und zu in der Nacht. Nicht alle, aber immer mehr Jäger:innen besitzen ein Nachtsichtzielgerät. Jonas Keller bezeichnet es als «grundsätzlich positiv», wenn das Wild in der Nacht seine Ruhe hat. Doch die Landwirtschaft habe hohe Erwartungen an die Jagd.
Dabei geht es vor allem um das präventive Verhindern von Wildschäden, wie wenn sich etwa eine Rotte Wildschweine durch ein Maisfeld pflügt. Zahlen müssen solche Schäden die Jäger:innen: Die Hälfte zahlt die Jagdgesellschaft, die das jeweilige Revier pachtet, die andere Hälfte kommt aus der Kantonskasse. Der Kanton verlangt aber zusätzlich eine zehnprozentige Abgabe auf die Pachtgebühren von den Jagdgesellschaften; somit werden die Wildschäden effektiv grösstenteils von den Jäger:innen getragen.
Das heisst: Die Landwirtschaft will, dass möglichst viele Wildschweine erlegt werden, sodass sie keine Schäden anrichten und die Überlebenden sich weniger auf die Felder trauen. Und die Jäger:innen haben ein handfestes finanzielles Interesse daran, viel zu schiessen.
Deshalb stört sich Jonas Keller daran, dass die Politik neue Einschränkungen erlässt, die Jagd aber unverändert für Wildschäden aufkommen muss. In beiden Nachbarkantonen Thurgau und Zürich bezahlt die öffentliche Hand den Landwirt:innen einen Teil der Wildschäden und entlastet so die Jäger:innen.
Jagdpräsident Jonas Keller und Jagd-Ressortleiter Patrick Wasem sind überzeugt: Wenn wir den Wildschweinen im Wald ihre Nachtruhe lassen, werden die Wildschäden ansteigen – sie geben allerdings zu, dass dies eine Mutmassung ist und die Jagd nur einer von mehreren Faktoren.
Wenn die Jäger:innen und der zuständige Beamte sich einig sind, stehen die Chancen gut, dass der Regierungsrat eine Ausnahme erlässt, sodass Wildschweine im Wald weiterhin auch nachts gejagt werden können. Zuständig ist das Departement des Innern unter Neo-FDP-Regierungsrat Marcel Montanari, der bestätigt, dass man daran sei, die Frage zu prüfen.
Seit dem erstem Februar hallen keine Schüsse mehr durch den nächtlichen Wald. Und am 1. März beginnt ohnehin die bis Ende Juni dauernde Schonzeit für Wildschweine im Wald, weil im Frühling eine neue Generation Frischlinge zur Welt kommt. Ob sie auch nach der Schonzeit in den Genuss einer ungestörten Nachtruhe kommen, ist offen.