Christina Pusterla und Corinna Marquardt leben getrennt von den Vätern ihrer Söhne. Und wollen sich jetzt in einer Gruppe mit anderen Alleinerziehenden vernetzen.
Mateo und Moritz sitzen in einem kleinen Meer aus Spielzeugtraktoren und handeln aus, wer mit welchem spielen darf. Die zwei Kleinkinder kennen sich noch nicht lange. Zusammengebracht hat sie der Umstand, dass ihre Mütter Corinna Marquardt und Christina Pusterla zur gleichen Zeit die gleiche Idee hatten. Und die Tatsache, dass sich ihre Familien in einer ähnlichen Situation befinden: Die Mütter leben getrennt von den Vätern der Söhne.
Pusterla hat sich eine Liste ausgedruckt und legt sie auf den Esstisch.
Christina Pusterla Ich habe vorhin noch schnell ChatGPT gefragt, was es für Alternativen zum Wort «alleinerziehend» gibt. Irgendwie störe ich mich daran. Der Vater meines Sohnes erzieht ja auch, einfach weniger häufig.
AZ Haben Sie einen anderen Begriff gefunden, der besser zu Ihrer Situation passt?
Pusterla Nicht wirklich. Aktuell sagt man wohl «Ein-Eltern-Familie», aber auch das stimmt meiner Meinung nach nicht. Die Väter unserer Kinder sind ja auch Eltern.
Sie wollen einen «Treffpunkt Alleinerziehend» gründen. Was hat Sie dazu bewogen?
Corinna Marquardt Ich habe von einer Freundin, die alleine mit ihrem Kind lebt, von einem solchen Angebot in ihrer Region gehört. Da habe ich beim Familienzentrum angefragt, ob so was hier ebenfalls existiert. Man hat mir gesagt, das sei zwar nicht der Fall. Aber jemand anders habe sich auch bereits erkundigt.
Pusterla Ich habe mich beim Familienzentrum gemeldet, weil mir der Winter so endlos vorgekommen ist. Moritz’ Vater und ich leben seit letztem Juni getrennt. Der Sommer ging noch, da war hier in der Siedlung immer bis 20 Uhr jemand am Sandkasten. Aber dann kam der Winter. Es wird um 17 Uhr dunkel, Moritz‘ Energie ist dann aber noch lange nicht aufgebraucht. Ich war so viel alleine mit ihm. Ich kannte in Schaffhausen niemanden in einer ähnlichen Situation und habe gedacht: Vielleicht sitzt 500 Meter von mir entfernt ein Elternteil und denkt auch, der Abend geht nicht vorbei.
Marquardt Für mich sind die Sonntage manchmal seltsam. Viele sind dann in der klassischen Vater-Mutter-Kind-Konstellation unterwegs. Wenn ich dann mit Mateo alleine etwas unternehme, fühle ich mich fast etwas beobachtet.
Sie wollen also ein Angebot an gemeinsamen Aktivitäten für Eltern schaffen, die mit ihren Kindern alleine sind?
Pusterla Nicht unbedingt. Ich will vor allem vom Gedanken wegkommen, wir seien in einer krassen Ausnahmesituation. Das kann gar nicht sein. Aber ich habe schon auch andere Fragen, zum Beispiel: Wie lernt man eigentlich wieder Leute kennen?
Im romantischen Sinn?
Pusterla Schon auch, ja. Einerseits bin ich noch gar nicht so richtig bereit, die Trennung ist noch frisch. Andererseits hätte ich vielleicht gern noch mehr Kinder. Das sitzt mir ein bisschen im Nacken, ich bin jetzt Ende 30, das heisst, es müsste eher früher als später ein künftiger Vater auftauchen. Gerade wenn jemand anderes auch schon ein Kind hat, was ja schön ist, ist es zum Teil fast unmöglich, sich überhaupt zu treffen. Und die Chance, dass zwei Leben mit kleinem Kind so zueinander passen, dass das für alle Gewinn und Freude ist, stelle ich mir relativ klein vor. Aber natürlich soll es in dieser Gruppe nicht primär um mein Liebesleben gehen. Wir wissen selbst noch nicht, was dort dann konkret passiert. Wir hoffen, dass einige Menschen in ähnlichen Situationen kommen. Dann schauen wir, was die Bedürfnisse sind. Was auch immer zustande kommt, es müssen Sachen sein, die alle entlasten. Das Familienzentrum hat mir gesagt, dass es gut wäre, sagen zu können, dass wir das jetzt einmal im Monat machen. Aber ganz ehrlich, das schaffe ich nicht. Ich fand schon die Organisation für dieses Treffen nicht nur einfach. Die Flyer verteilen zu gehen war zum Beispiel eine Herausforderung.
Wegen des Zeitaufwandes?
Pusterla Nicht primär. Ich habe gemerkt – und war davon ehrlich gesagt auch selber etwas überrascht –, wie viel Mut es gebraucht hat, in die Läden zu gehen und zu sagen, wir sind alleine und wir sind auf der Suche nach anderen. Das ist doch komisch, dass das Mut braucht. Wir haben ja nichts falsch gemacht.
Das verstehe ich, ich finde es selbst auch bis heute nicht immer einfach zu sagen, dass ich von meiner Mutter alleine grossgezogen wurde. Warum ist das so schwierig?
Marquardt Man wird einfach immer noch schräg angeschaut, wenn man sagt, man sei alleinerziehend. Das ist immer noch ein Tabuthema.
Pusterla Es ist ja auch negativ. Ich hätte lieber, es wäre anders. Ich habe manchmal immer noch das Gefühl, ich hätte versagt. Wenn ich nicht versagt hätte, hätte ich eine «intakte» Familie. Mein Kopf weiss, dass das nicht stimmt. Aber emotional habe ich das Gefühl, es sei so. Es sind einfach viele Dinge, die nicht so sind, wie ich sie gerne hätte. Und ich mache mir Sorgen, dass meinem Sohn etwas fehlt. Andererseits denke ich, wir können unseren Kindern vielleicht auch andere Dinge zusätzlich mitgeben. Hatten Sie das bei Ihrer Mutter nicht auch das Gefühl?
Doch, mir fällt es manchmal schwer, darüber zu sprechen, weil ich Angst habe, missverstanden zu werden. Weil ich selbst ambivalent bin. Ich will die Situation nicht glorifizieren, für meine Mutter waren es sicher sehr anstrengende Jahre und es gab Momente, in denen ich es nicht lustig fand. Aber ich hatte eine gute Kindheit und finde, es gab auch Vorteile.
Pusterla Was fanden Sie einen Vorteil?
Meine Mutter sagt immer, wir hätten früher Verantwortung tragen müssen als andere. Das mag stimmen, tönt aber so düster. Dabei wurde für unsere Grundbedürfnisse immer gesorgt, wir mussten uns vielleicht mal für ein Hobby selbst organisieren. Es gibt Sachen, bei denen ich es nicht schaffe, meiner Mutter zu verklickern, dass sie nicht tragisch waren. Ich konnte zum Beispiel offenbar nicht rollerbladen lernen, weil sie keine Zeit hatte in dem Moment, in dem ich das wollte. Ich kann mich nicht erinnern, sie findet das bis heute schlimm. Wir hatten dafür aber weniger Regeln und durften manche Dinge autonomer entscheiden als andere Kinder. Das war auch cool. Und dann habe ich eben ein halbes Jahr später rollerbladen gelernt.
Pusterla Ah, Sie konnten dann sogar noch rollerbladen lernen?
Ja.
Moritz kommt zu seiner Mutter an den Esstisch.
Moritz Im Bett ist eine Maschine. (Er zeigt auf seinen Traktor und auf Mateo, der daneben steht.)
Pusterla Mateo, die Regel ist keine Räder in meinem Bett.
Mateo nimmt den Traktor aus dem Bett.
Marquardt Was Sie beschreiben, stimmt bei Mateo sicher auch: Er muss, aber darf auch gewisse Entscheidungen selbst treffen. Wenn ich zum Beispiel duschen gehe, kann er entscheiden: Spielt er alleine weiter oder kommt er mit duschen? Und es gibt coole Situationen, in die er vielleicht nicht käme, wenn ich nicht alleinerziehend wäre. Zum Beispiel nehme ich ihn mit an meine Handballmatches und ich habe den Eindruck, er geniesst es. Ich bekomme ihn jeweils fast nicht mehr aus der Turnhalle raus.
Pusterla Da kann ich sicher etwas von dir lernen. Ich mache vielleicht zu häufig den Fehler, dass ich Moritz permanent Aufmerksamkeit geben will, alles andere auf den kinderfreien Tag verschiebe und dann an diesem Tag wieder zu nichts komme, ausser ein paar Dinge zu erledigen. Ich mache mir halt einfach Sorgen, dass ihm doch etwas fehlt.

Was zum Beispiel?
Pusterla Einerseits habe ich Angst, dass er ein Bedürfnis hat, das ich nicht finanzieren kann. Der Druck ist gross, das System zur Berechnung der Alimente begünstigt die Hauptbetreuenden leider nicht wirklich. Und dann will ich einfach, dass er gross wird mit dem Gefühl, gewollt, geliebt und wunderbar zu sein. Dass er keine Verantwortung trägt für die Trennung seiner Eltern. Und dass er eine unbeschwerte Kindheit hat. Dann sagen noch immer alle, dass die Kinder alles spüren und dann bin ich noch gestresster. Ich habe Angst, dass er mir einst sagen wird: Du warst immer müde und gestresst.
Marquardt Ich mache mir da tatsächlich weniger Sorgen, ich habe mittlerweile gelernt, die Sachen zu nehmen, wie sie kommen. Aber es ist auch für mich immer noch ein Prozess, die Vorstellungen vom «perfekten Familienleben» abzulegen. Manchmal gibt es konkrete Details, die mich etwas wurmen, aber es fällt mir gerade keines ein.
Pusterla Ich habe gerade eine Kinderbuchkrise. Überall sind diese Vater-Mutter-Kind-Konstellationen zu sehen und ich habe Angst, dass er das vermisst.
Marquardt Da kann ich dir sonst einige gute Bücher empfehlen.
Mateo kommt mit einem grossen Spielzeugbagger in der Hand zu seiner Mutter getappt.
Mateo Mann?
Marquardt Wo der Mann ist?
Mateo zeigt auf den Traktor.
Marquardt Ah, ein Mann für den Traktor.
Einen Spielzeugmann für den Traktor gibt es im Repertoire der Pusterlas nicht, Mateo setzt sich ohne zurück auf den Boden und spielt weiter.
Pusterla Viele Dinge sind sicher nicht so schlimm, wie ich meine. Einmal wollte ich Moritz früher abholen, weil ich dachte, jetzt ist der arme Kerl schon wieder weg. Aber dann wollte er noch gar nicht abgeholt werden. In meinem Kopf weiss ich auch, dass er von der neuen Situation profitiert. Ich habe den Eindruck, dass er von seinem Vater jetzt mehr hat, als vor der Trennung. Weil dessen Vaterzeit jetzt so deklariert und relativ kurz und selten ist, gibt er richtig Gas.
Und wie ist es für Sie, dass Sie jetzt den Alltag schmeissen und er einzelne Tage tolle Sachen mit Moritz unternimmt?
Pusterla Das ist schwierig für mich. Er muss beispielsweise nie einkaufen gehen mit einem Kind, das nicht einkaufen gehen will. Davon wegzukommen, was Moritz’ Vater alles hat und ich nicht, ist eine Herausforderung. Das gelingt mir oft noch nicht.
Marquardt Das Thema Bewertung von Care- Arbeit belastet mich schon auch. Dieser Aufwand, den man da hat, wird einfach immer noch viel zu wenig anerkannt. Ich geniesse es, mit meinem Kleinen fast alles gemeinsam zu machen. Aber es ist einfach ein Unterschied, ob man kurz alleine einkaufen geht oder mit Kind, welches dann vielleicht noch die Regale ausräumt. Ich finde es aber auch cool, zum Beispiel lasse ich ihn dann immer bezahlen.
Moritz klettert seiner Mutter auf den Schoss.
Moritz Ich will öppis luege.
Pusterla Dänn lueg doch öppis. Schau hier, mein Handy, da läuft was. – Das ist jetzt genau so eine Situation, die mich stresst. Es wäre mir lieber, ich hätte ihm das Handy nicht gegeben. Mir wäre lieber, er würde auf ein Bilderbuch schauen, anstatt auf das Smartphone.
Marquardt Manchmal ist es einfach so. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das in jeder Familie vorkommt.
Pusterla Wenn wir jetzt noch 10 Minuten sprechen wollen, muss ich ihm einen Bildschirm oder etwas zu Futtern geben und das belastet mich. Das hat vielleicht auch nichts mit alleinerziehend zu tun. Diese krassen Standards beschäftigen alle Mütter, die ich kenne.
Marquardt Je mehr ich weggekommen bin, von der Vorstellung, die perfekte Familie bieten zu müssen, desto eher gelingt es mir, die Momente mit meinem Kind noch intensiver aufzusaugen. Wir haben es doch superschön miteinander. Ich habe mir auf den Spiegel geschrieben, «lebe, liebe, lache» und «du bist genug».
Pusterla Ja, diese Postkarten habe ich auch.
Marquardt Das heisst nicht, dass ich am Sonntagabend dann nicht doch manchmal wieder weine. Manchmal muss man seinen Gefühlen einfach auch freien Lauf lassen, das gehört zum Prozess dazu.
Pusterla Aktuell hat einfach alles so den «Anstrengend-Filter». Ich bin so kaputt. Ich glaube, viele dieser Themen gehen auch Leute etwas an, die Kinder gemeinsam grossziehen. Bei uns ist vielleicht die Not noch etwas grösser, etwas zu unternehmen oder zu verändern. Ich will nicht nochmals einen Winter so viel alleine sein. Wenn wir ein paar Leute in Schaffhausen sind, die es wegen des Treffs etwas leichter haben, dann ist das Ziel erreicht.
Sie wollen nach und nach schauen, wie der Treff dabei helfen kann. Gibt es aber schon einige konkrete Ideen?
Marquardt Weil unsere Zeit knapp ist, muss es sehr niederschwellig sein. Ein wöchentliches Spaghettiessen zum Beispiel.
Pusterla Genau, wir sind keine Beratungsstelle und keine Psychologinnen. Wir müssen uns auch selbst gut schützen, Zeit und Energie sind knapp. Aber vielleicht könnten wir mit anderen Eltern eine Whatsappgruppe gründen, in der man sich für Sachen verabredet.
Marquardt Alleine mit Mateo fehlt mir manchmal der Mut, etwas Tolles zu unternehmen. Obwohl ich letztes Jahr mit ihm eine Woche in den Urlaub geflogen bin und es sehr schön war. Aber trotzdem fehlt mir bei anderen Dingen manchmal der letzte Kick. Auch kleine Dinge sind schlicht einfacher, wenn man es gemeinsam besprechen kannst. Ganz simple Sachen wie: Wo parkieren, wo essen, was einpacken?
Pusterla Ich schlafe so wahnsinnig schlecht, seit ich mit Moritz alleine bin. Weil ich einfach permanent das Gefühl habe, zuständig zu sein. Es gibt einfach so viele Situationen, die mit einem Kleinkind neu sind und in denen ich keine Ahnung habe. Zu zweit keine Ahnung zu haben, war einfacher. Und manchmal hilft es sogar schon, dass jemand einem sagt: Das geht schon. Oder eine Freundin hat mir beispielsweise kürzlich erzählt, dass Pseudokrupp (Atemwegserkrankung bei Kindern, Anm. d. Red.) aktuell ein Problem ist. Daraufhin habe ich das Merkblatt des Spitals ausgedruckt. Du, Corinna, hast mich ja diesen Winter zwei Mal gefragt, ob wir einen Tag gemeinsam mit den Kindern in die Berge fahren. Aber ich hatte das Kind jeweils genau an diesen Tagen nicht. Ich glaube, wenn wir ein paar Personen mehr wären, hättest du sicher jemanden gefunden.
Der Treffpunkt Alleinerziehend fand ein erstes Mal am 1. März von 14 bis 16 Uhr im 1. Stock des Familienzentrums in Schaffhausen statt, Kinder können mitgebracht werden, eine Anmeldung ist nicht nötig. Wer interessiert ist, aber nicht teilnehmen kann, kann sich bei Christina Pusterla unter mail@christinapusterla.ch melden.
Ich war als Kind nicht arm. Das ist nicht selbstverständlich.
von Xenia Klaus
Meine Mutter hat mich und meinen Bruder alleine grossgezogen. Hier können Sie ein Interview mit zwei Frauen aus Schaffhausen lesen, die in einer ähnlichen Situation sind. Was mich und die Frauen verbindet: Zu dieser Familiensituation zu stehen, finden wir nicht immer einfach. Das ist erstaunlich, alleine im Kanton Schaffhausen gibt es gemäss einer Schätzung des Bundesamt für Statistik aktuell etwa 1300 Haushalte, in denen Kinder mit «nur» einem Elternteil – meist der Mutter – grosswerden. Speziell ist die Situation also nicht. Trotzdem fällt es mir manchmal schwer, darüber zu sprechen: Oft habe ich das Gefühl, in den Köpfen meiner Gegenüber forme sich beim Wort «alleinerziehend» automatisch das Bild einer schweren Kindheit. Unbegründet ist das nicht. In der Schweiz ist die Armutsgefährdung gemäss einer Studie im Auftrag der Caritas bei Alleinerziehenden etwa vier Mal grösser als bei anderen Familien.
Auf mich trifft das nicht zu: Ich hatte eine sehr behütete Kindheit. Das will ich in Gesprächen stets notorisch richtigstellen. Vielleicht, um mich von einem Stigma abzugrenzen – vor allem aber, um die Arbeit meiner Mutter sichtbar zu machen: Dass ich eine behütete Kindheit hatte, liegt daran, dass sie extrem viel geleistet hat. Sie soll immerhin heute Anerkennung dafür erhalten. Für künftige Generationen wünsche ich mir aber, dass das Bild der armen alleinerziehenden Mutter aus den Köpfen verschwunden sein wird – weil es ganz real überholt ist. Weil Männer inzwischen ihren Teil tun werden. Und die Politik endlich bezahlbare Kinderbetreuungsangebote geschaffen haben wird.