Der Autozulieferer Aptiv verlegt seinen Hauptsitz an den Rhein. Der Grund: Schaffhausen ist billiger als die notorischste Steueroase Europas.
Es ist ein grosser Coup für den Wirtschaftsstandort Schaffhausen: Der Autozulieferer Aptiv hat auf Anfang Jahr seinen Hauptsitz von der irischen Hauptstadt Dublin an den Rhein verlegt. Der Konzern hat vergangenes Jahr einen Umsatz von rund 20 Milliarden US-Dollar erzielt und beschäftigt weltweit rund 160 000 Menschen.
Seinen Umzug hat der Konzern nicht an die grosse Glocke gehängt, sondern gab ihn lediglich Ende vergangenen Jahres gegenüber seinen Aktionär:innen bekannt. So steht es in Unterlagen, die das Unternehmen bei der US-Steuerbehörde SEC eingereicht hat und die der AZ vorliegen. Darin verkündete Aptiv-CEO Kevin Clark, dass der Konzern zwar weiterhin in New Jersey in den Vereinigten Staaten zu Hause sei, aber seinen Steuersitz von Dublin in die Schweiz verlegen werde. Clark schreibt weiter, dass die Aptiv Technologies AG, die seit Juni 2023 in Schaffhausen domiziliert ist, «beträchtliche Erträge» durch das Verwalten der Patente von Aptiv erwirtschaftet. Aptiv hat seine Büros an der Spitalstrasse und beschäftigt gemäss Angaben von vergangenem Jahr rund 25 Angestellte in Schaffhausen.
Die Verlegung des Hauptsitzes ist gleich aus zwei Gründen bemerkenswert. Erstens, weil mit Aptiv nun ein weiterer US-Konzern seinen Hauptsitz in Schaffhausen hat; US-amerikanische Firmen wie Tyco, Garmin oder Groupon zahlen heute bereits mehr als 16 Prozent aller Steuereinnahmen im Kanton. Und zweitens, weil der Vorgang unterstreicht, dass Schaffhausen als Steuerparadies im internationalen Wettbewerb ganz vorne mitmischt.
Attraktiver als Irland
Für lange Zeit galt die irische Hauptstadt als die europäische Steueroase schlechthin. In Schaffhausen verglich der Regierungsrat den hiesigen Wirtschaftsstandort in der Vergangenheit gerne mit Irland – um zu zeigen, dass man weiter an Attraktivität gewinnen müsse. Insbesondere US-amerikanische Techkonzerne fühlten sich wohl an der Ostküste Irlands: Apple, Google, Intel, Meta, Amazon – sie alle haben ihren Hauptsitz in Dublin, zum Teil seit Jahrzehnten. Dublin lockte mit rekordtiefen Steuersätzen und lukrativen Steuergeschenken. Fast ein Drittel aller Steuereinnahmen von Irland gehen auf eine Handvoll US-Konzerne zurück.
Der Fall von Apple ist dabei besonderes notorisch: 2016 entschied die EU-Kommission, dass Apple insgesamt 13 Milliarden (plus Zinsen) nachzahlen müsse. Grund dafür war ein Steuerdeal mit den irischen Behörden, die den Techkonzern für zehn Jahre faktisch komplett von allen Steuern entlastete. Im vergangenen September bestätigte der Europäische Gerichtshof den Entscheid der EU-Kommission nach einem langen Rechtsstreit.
Aptiv verlegte seinen Hauptsitz erst vor sechs Jahren aus den Vereinigten Staaten nach Dublin; nun ist Schaffhausen offensichtlich zur noch attraktiveren Option geworden. Auf seiner Website schreibt das Unternehmen: «Aptiv hat ein neues Zuhause in Schaffhausen, Schweiz, gefunden – eine Stadt, die unser Engagement für Innovation, Nachhaltigkeit, Vielfalt und Integration widerspiegelt.» Die Gründe hinter dem Umzug dürften allerdings handfester sein. In den Unterlagen der US-Börsenaufsicht zählt der Aptiv-CEO die Vorteile der Schweiz auf. Kurz: es geht um Steuererleichterungen und «verstärkte Anreize durch den Kanton Schaffhausen».
Er bezieht sich dabei auf ein millionenschweres Steuergeschenk, über das die AZ im August 2024 als erstes Medium berichtete. Gemäss dem Jahresbericht des Unternehmens für das Jahr 2023 erhielt es vom Kanton Schaffhausen eine Steuererleichterung von schätzungsweise 330 Millionen Franken für den Zeitraum von zehn Jahren. Zudem zügelte Aptiv mindestens 950 Patente sowie rund 50 Markennamen nach Schaffhausen, was einen weiteren Steuervorteil von schätzungsweise 1,8 Milliarden Franken bedeutete (AZ vom 15. August 2024).
Eigentlich hätte die Einführung der OECD-Mindeststeuer, welcher die Schweizer Stimmbevölkerung im Juni 2023 zugestimmt hat, genau solche Steuergeschenke verhindern sollen. Doch die Schweiz hat – im Gegensatz zur EU und somit Irland – einen Teil der Steuerreform nie umgesetzt, nämlich die internationale Ergänzungssteuer. Weil auch die Vereinigten Staaten diese Steuer nicht umgesetzt haben, so schrieb die AZ damals, führe das dazu, dass Schaffhausen trotz Mindeststeuer weiterhin sehr attraktiv für US-Konzerne bleiben werde, die hier ihre Beteiligung an anderen Unternehmen steuergünstig parkieren wollen.
Die Unterlagen der US-Steuerbehörden bestätigen nun diese Interpretation. Aptiv schreibt darin, dass die Schweiz ein stabiles und unternehmensfreundliches Umfeld biete, «was angesichts des Risikos, dass die Vorschriften der Europäischen Union in Bereichen wie Steuern (einschliesslich der Umsetzung der zweiten Säule der OECD-Steuerreform) […] restriktiver werden, besonders vorteilhaft sein dürfte».
Mit anderen Worten: Aptiv geht davon aus, dass sich hier künftig mehr Steuern sparen lassen als in Irland.
Weil mit Donald Trump nun ein Präsident an der Macht ist, der sich dezidiert gegen das internationale Steuerabkommen positioniert – Trump hat am ersten Tag ein Dekret erlassen, welches das Steuerabkommen für nichtig erklärt – und Ländern, welche die internationalen Ergänzungssteuern auf US-Firmen anwenden wollen, mit Vergeltungsmassnahmen droht, dürfte sich an dieser Situation so schnell auch nichts ändern.
Das hat man auch auf der irischen Insel registriert. In der irischen Wirtschaftswochenzeitung Business Post zieht ein Wirtschaftsanwalt als Reaktion auf den Umzug von Aptiv in die Schweiz ein ernüchterndes Fazit. Irland bleibe zwar attraktiv, aber «unsere niedrigen Unternehmenssteuern sind nicht mehr der entscheidende Faktor, der er einmal war».
Derweil wird das Klima für Konzerne im Steuerparadies Schaffhausen immer gemütlicher.