Wer war Heinz?

19. Januar 2025, Marlon Rusch
Bild: Annick Ramp

Alle kannten das Stadtoriginal Heinz Möckli, den Mann ohne Schuhe, der allen helfen wollte. Doch die wenigsten wissen, wer er wirklich war. Ein Nachruf.

«Wir verstehen kein Wort, doch wir wären gern wie du.»

Aeronauten – Heinz, 2015

Heinz ist tot. Die Nachricht verbreitete sich in den vergangenen Tagen wie ein Feuer. Heinz Möckli war das Original unter den Schaffhauser Originalen. Schon seine Erscheinung war ikonisch: nackte Füsse, bauchfreies Top, schlohweisses Haar, im Mund ein Stümpli. Am 5. Januar 2025 verstarb er 71-jährig.

Auf seinen Tod reagierten auf Facebook über tausend Menschen, hunderte schrieben Geleitworte, teilten ihre Trauer, ihre Dankbarkeit, ihre Erinnerungen. Die Episoden, die sie schilderten, ähneln sich: Heinz, wie er im Ausgang Lollipops verteilte. Heinz, wie er im Ausgang Streit schlichtete. Heinz, wie er die Leute nach dem Ausgang in den hintersten Krachen nach Hause fuhr. Das Wort «Legende» fiel dabei ziemlich oft. 

Der Mann, an den sich die Menschen erinnern, war eine Bühnenfigur; seine Bühne war das Schaffhauser Nachtleben. Doch wer war der Heinz abseits der Scheinwerfer? 

Ein schwieriger Start

Heinz Möckli kam am 22. Februar 1953 zur Welt. Seine Mutter war damals gerade zwanzig und hatte einen jungen Burschen kennengelernt. Heute ist sie über neunzig und sagt: «Es het grad s erst mol klöpft.» Später bekam Heinz eine Schwester. Doch zu Hause war es schwierig. Der Mann sei eifersüchtig gewesen, erzählt die Mutter, er sei ihr «bis ufs WC nogloffe.» Sie durfte niemanden besuchen, also habe sie eben den Wirtekurs gemacht und zuerst den Reiathof übernommen und später die Neue Welt – fortan, als Beizerin, seien die Leute zu ihr gekommen. 

Was sie heute in träfen Pointen beschreibt, muss viel Schmerz ausgelöst haben. Während sie im Service das Geld verdient habe, sei ihr Mann, ein Schreiner, lieber am Biertisch gesessen. Auf der Gasse erzählt man sich, Heinz’ Vater habe seine Probleme nicht nur mit Worten zu lösen versucht. Nach zwanzig Jahren, so die Mutter, habe sie «d Finke glupft» und ihren Mann verlassen. 

Während dieser zwanzig Jahre wurde Heinz erwachsen, eingeengt in einer Familie, in der es wenig Herzlichkeit gab. Denn auch die Mutter hatte ihr Bürdeli zu tragen und genug zu tun mit ihren eigenen Konflikten. Zu Hause blieb vieles unausgesprochen und wurde unter den Teppich gekehrt, wo es weitergärte und sich allmählich einfrass in die Seele des sensiblen Buben.

Schräg vis-à-vis an der Bocksrietstrasse wohnte der spätere Unternehmer Giorgio Behr, fünf Jahre älter als Heinz Möckli. Als die Schaffhauser AZ den materiell ärmsten und den reichsten Mann Schaffhausens an Weihnachten 2015 zusammenführte, um mit ihnen über Glück zu reden, erinnerte sich Giorgio Behr, wie er den 10-jährigen Heinz Möckli in den Sechzigerjahren in den Garten eingeladen habe, um mit ihm Holzboote zu bauen und sie im Bassin schwimmen zu lassen. Heute sagt Behr, Heinz sei damals ein umgänglicher Aussenseiter gewesen. Andere, die Heinz damals kannten, schildern ihn ähnlich: ein kleiner, höflicher, zurückhaltender Bub, der jedem Streit aus dem Weg gegangen sei.

Später wohnte die Familie im Wirtshaus Neue Welt. Heinz hatte ein Zimmer mit separatem Eingang und ging oft nur runter, um einen Teller Essen zu holen. Durch sein Zimmer habe sich eine riesige Carrera-Bahn geschlängelt. Er selber sagte 2016 im Beobachter, mit 16 sei er schwer depressiv geworden, ein komischer Kauz, der keinen Halt gehabt habe. Auch seine Mutter erinnert sich, Heinz sei seinen eigenen Problemen ausgewichen, sei immer verschwunden, bevor es Ärger gegeben habe: «Wie kannst du mit jemandem streiten, der immer unterwegs ist?» 

Vermutlich wurde damals der Heinz geboren, der später zu einer Legende werden sollte: der Mann, der allen helfen wollte und dabei das Wohl der anderen über sein eigenes stellte. 

Ein eigener Weg

Ohne Real- oder Sekabschluss machte er eine Lehre als Werkzeugmacher bei der SIG, wechselte später zur Firma Schöttli und arbeitete dort fast zehn Jahre lang weiter auf seinem Beruf. Parallel aber verabschiedete er sich sukzessive aus der bürgerlichen Gesellschaft. Zu Hause hielt er es nicht mehr aus und da er sein eigenes Geld verdiente, konnte er sich früh eine eigene Wohnung nehmen. 

Die Bude beim Ehrbar-Innenhof in der Schaffhauser Altstadt war bald ein Treffpunkt, wo man zusammen kiffte, über Musik fachsimpelte und über Gott und die Welt diskutierte. Dort lernte 1974 auch Metin Demiral, der spätere Café-Türk-Frontmann und Orient-Betreiber, Heinz Möckli kennen. Heute sagt Demiral, Heinz sei schon mit Anfang zwanzig eine markante Figur gewesen. «Und er hatte eine Pioneer-Anlage und Bose-Boxen.» Die Anerkennung schwingt heute noch mit. 

Leute, die damals mit Heinz unterwegs waren, erzählen wilde Geschichten von jungen Männern, die Tolkien lasen, sich für Psychologie und den Buddhismus interessierten und mit rauchbaren Kräutern und LSD experimentierten. Mal stürzten sie sich mit Skateboards, die damals in der Schweiz noch kein Mensch kannte, steile Strassen runter, Heinz voraus. Mal kletterte er von der Plattform des frisch errichteten Cholfirst-Fernsehturms weiter hoch bis auf die Spitze. Schon damals hatte Heinz, der später stundenlang barfuss und einbeinig auf der Balustrade im Orient oder auf dem Geländer im TapTab balancierte, ein beeindruckendes Körpergefühl. Trotz meist vernebelter Sinne. 

Einmal, in einem groben Meskalin-Rausch, von dem sich einige seiner Freunde nicht mehr erholt hätten, habe er einen Polizisten gerufen, weil er dachte, in seinem Auto züngle eine Giftschlange. Es habe sich dann herausgestellt, dass die Schlange nur in seinem Kopf züngelte. Heinz verbrachte ein paar Nächte in der Klinik Breitenau. 

Auch diese Geschichte klingt vermutlich amüsanter als sie damals war. In den Siebzigerjahren ging man in der Breitenau rigoros vor, um pubertären Jugendlichen das «Rauschgift» auszutreiben. Ein Polizist, den man in die USA geschickt habe, um eine FBI-Ausbildung zu absolvieren, sei wie ein Sheriff durch die Schaffhauser Gassen patrouilliert und habe Kiffer hopps nehmen wollen, erzählt man sich. Einer wie Heinz war damals noch keine Legende, sondern vielmehr ein Kleinkrimineller. 

Seit damals ist das Stümpli im Mund das Markenzeichen von Heinz Möckli. Mit Ende zwanzig hat ihn die Firma Schöttli rausgeworfen. Seine Mutter sagt, es sei die Zeit gewesen, wo er «nicht mehr so pünktlich arbeiten ging». Statt einer Wohnung hatte er jetzt einen Wohnwagen, mit einem weissen Transporter machte er sich als Handlanger selbstständig. Wer etwas zügeln oder transportieren musste, rief Heinz an, und er stand da. Das Selbstverständnis als «Chrampfer», der sich selber nicht schont, war ihm stets wichtig.

Zu dieser Zeit begann Heinz, sich zu konservieren. Bis zu seinem Tod sollte er im Inneren der Bub bleiben, der er damals war. Als die Aeronauten ihm 2015 ein Musikalbum widmeten, sagte Frontmann und Alltagspoet Oliver «Guz» Maurmann in einem Interview mit dem St. Galler Kulturmagazin Saiten: «Heinz und andere haben in ihrer Jugend begonnen, das Paradies zu suchen. Und als sich die Welt weiterdrehte, haben sie das nicht bemerkt.»

Die Geburt eines Originals

Irgendwann in der Jugend hatte Heinz Möckli eine Eingebung. Seither glaubte er, im letzten Leben ein Schamane gewesen zu sein, der auf die Erde zurückgeschickt wurde mit der Aufgabe, den anderen Menschen zu helfen und ihnen Liebe und Herzlichkeit zu bringen. Aus dem inneren Drang, lieber die Probleme der anderen als seine eigenen zu lösen, entwickelte sich eine Mission. In der AZ sagte Heinz 2015, er sei zufrieden mit seinem Leben. Er brauche einen schwierigen Weg, «sonst wirst du oberflächlich». So wurde aus Heinz Möckli mit den Jahren das Stadtoriginal Heinz, eine lokale Legende. 1986 beschloss er, fortan keine Schuhe mehr zu tragen. 

Die Schaffhauser Fotografin Annick Ramp begleitete Heinz Möckli 2010 für eine Fotoreportage.

Schon in den Siebzigern hatte Heinz begonnen, seine Freunde nach dem Ausgang nach Hause zu fahren. Irgendwann gingen die Freunde nicht mehr in den Ausgang, also fuhr Heinz eben andere Leute nach Hause. Jedes Wochenende war er stundenlang mit dem Auto zwischen der Stadt und den Dörfern unterwegs, man musste ihn nur anrufen, dann stand er da. Natürlich nahm er kein Geld.

 Im Top CC kaufte er Traubenzucker-Schleckstengel, die er immer dabei hatte und tagsüber in der Stadt den Kindern schenkte und nachts im Club den Jugendlichen. Wenn sich irgendwo auf der Gasse Streit anbahnte, versuchte Heinz zu schlichten und legte das eine oder andere Mal einen schweren Typen aufs Kreuz, der die Kraft dieses dürren Männleins mit dem schlohweissen Bart unterschätzte.

2013, als sein Wohnwagen abgebrannt war, startete sein Jugendfreund Metin Demiral eine Spendenaktion, bei der 15 000 Franken für einen neuen Wagen zusammenkamen. Der Blick titelte: «Heinz Möckli hat eine neue ‹Villa›» und Heinz sagte, er habe vor Rührung fast nicht mehr schlafen können. 

Doch mit den Jahren und Jahrzehnten wurde seine Existenz schwieriger. Während er selber älter wurde, blieben die Menschen in der Ausgangsszene jung. Man verstand sich immer weniger, was nicht nur damit zu tun hatte, dass man Heinz irgendwann tatsächlich nicht mehr verstand, wenn er am Töggelikasten stand – immer hinten, mit einer wirren, aber gefährlichen Schusstechnik – und einem pausenlos irgendwelche Geschichten ins Ohr nuschelte. 

Es wurde irgendwann komisch, dass dieser alte Mann nachts junge Frauen nach Hause fuhr, vor allem auch, weil er schon seit der Jugend ein schlechtes Gespür für Nähe hatte. Freunde von früher sagten, er sei schon immer ein «Tööpli» gewesen, bei Frauen wie bei Männern gleichermassen. 

Eine zeitlang hatte er eine Freundin, doch diese zog irgendwann nach London. Dass er auch später gern eine fürsorgliche Partnerin gehabt hätte, wusste seit einer Kontaktanzeige im Blick die ganze Schweiz. Gleichzeitig sagte er im ­Beobachter: «Für meine Aufgabe musste ich allein bleiben.»

Mit der Zeit wurde seine Hilfsbereitschaft immer öfter ausgenutzt. «Er wollte den Leuten auch helfen, wenn man ihnen nicht mehr helfen konnte», sagt eine Freundin, die ihn gut kannte. Das wenige Geld, das er als Handlanger verdiente, und sein Nebenverdienst mit Stümpli, die er manchmal verdealte, reichten gut für sein asketisches Leben. Das Geld, das übrig blieb, «verlieh» er regelmässig an junge Leute, die sich bei ihm eingenistet hatten, und es nie zurückzahlten.

Das Ende

Sichtbar abwärts ging es mit Heinz seit der Corona-Pandemie. Damals verlor das Stadtoriginal seine Bühne. Die Clubs waren zu, die Menschen, denen er half, waren zu Hause. Es gab keine Handlanger-Jobs mehr. Also sass auch Heinz zu Hause, bekam Diabetes, was niemanden verwunderte, da er sich seit den Siebzigerjahren am liebsten von Cola und Gummibärchen ernährte. Freunde spekulieren, vielleicht habe der Krebs schon während der Pandemie in ihm zu wuchern begonnen. Man habe jedenfalls schon vor ein paar Jahren gemerkt, dass da körperlich etwas nicht in Ordnung sei. Doch zum Arzt sei Heinz natürlich nicht gegangen. 

Nach dem Ende der Pandemie lief er nie mehr richtig an. Er wohnte nun in einer Wohnung, das Leben im kalten, zugemüllten Wohnwagen war irgendwann doch zu beschwerlich geworden und hatte ihm Rheuma beschert. Man sah ihn sommerlang nicht am Rhein. Er fuhr nicht mehr Auto, weil er Angst hatte vor einem bestimmten Polizisten, der ihn wegen der Stümpli auf dem Radar habe. 2016 hatte er deswegen erstmals handfesten Ärger bekommen. Die AZ titelte: «Heinz in Handschellen».

Dann wurde Heinz im September 2024 auch noch bei sich zu Hause überfallen. Offenbar wollte man ihm Geld abnehmen und schlug ihn zusammen. Auf der Gasse vermutet man, er habe die jungen Täter:innen gut gekannt. Danach kam er nie mehr richtig auf die Beine. Nachdem zum Jahreswechsel im Spital ein Krebs diagnostiziert wurde, der bereits stark metastasiert hatte, war es fast schon vorbei. Ein paar Tage später ist Heinz Möckli friedlich eingeschlafen. 

Adieu, Heinz. Bis im nächsten Leben.

Bild: Annick Ramp