Website-Icon Schaffhauser AZ

Biss die Polizei kommt

Mit solchen Wagen jagte die PTT illegale Radiomacher:innen. Foto: Museum für Kommunikation Bern

Mit solchen Wagen jagte die PTT illegale Radiomacher:innen. Foto: Museum für Kommunikation Bern

Junge Neuhauser machten um 1980 das wohl erste Schaffhauser Radio. Es hiess Vampir, war illegal und hat es in die Fichen geschafft.

Vielleicht waren es am Ende miese Verräter, die dem Radio Vampir einen Pflock ins Herz aus Autobatterie und Antenne trieben. Auf jeden Fall wurden die wahrscheinlich ersten Radiomacher von Schaffhausen an jenem schicksalhaften Montag Anfang Mai 1980 erwischt, noch bevor sie auf Sendung gingen. «Ich erinnere mich, wie ein Auto über das Feld auf uns zufuhr. Da sprintete ich los», sagt Daniel Furrer. Er rannte nach Hause, zog sich Sportkleider über und rannte zurück zu seinem Auto, um sich dort als Jogger auszugeben. Der vergossene Schweiss vermochte ihn nicht reinzuwaschen: Er und der zweite Radiopionier Peter Albrecht hatten wenig später Anzeigen am Hals wegen Verstosses gegen das Telegrafen- und Telefongesetz. Die Polizei beschlagnahmte, so die Akte bei der damals zuständigen Behörde für «Post-, Telefon- und Telegraphen-Betriebe» PTT: Eine Autobatterie, eine Sendeantenne, Kleinmaterial und zwei Tonbandkassetten mit den aufgezeichneten Sendungen. Ein «später beigezogener» Polizeihund spürte den Sender in einem nahen Feld auf.

Anfang des 20. Jahrhunderts entstand eine bahnbrechende Technologie, mit der Geräusche über grosse Distanzen übermittelt werden konnten: das Radio. Grundsätzlich können alle mit der entsprechenden Ausrüstung Radiowellen nutzen, um Töne über die Frequenzen zu schicken. Und alle mit einem Gerät können empfangen, was in der Luft liegt. Die Briten waren die ersten, die auf die Idee kamen, die nationale Öffentlichkeit über Radiowellen mit Informationen zu versorgen und dazu ein staatliches Unternehmen gründeten: die BBC. Im England der Zwischenkriegszeit machte man sich (zu Recht) Sorgen, dass über die Wellen auch feindliche Propaganda und Fake News ins Land gelangen könnten. Die Frequenzen sollten für die eigene Version der Welt reserviert bleiben. Auch in der Schweiz führte man bald ein Radio-Staatsmonopol ein. Für die Generation, die nach den Kriegen gross wurde, bedeutete das vor allem Langeweile. Denn lange gab es genau zwei Radiosender: DRS 1 und 2.

Das war zumindest die offizielle, legale Auswahl. Faktisch gab es bald schon viel mehr Programm. Auch in Schaffhausen.

Pfadibuben von der Tannenstrasse

Die rebellische Jugend der Nachkriegsgenerationen begann einen Guerillakrieg gegen das Staatsmonopol. Unzählige kleine Radios sendeten ab den 50er-Jahren illegal eigene Musik und politische Botschaften. Ein Programm in Zürich waren zum Beispiel die «Wellenhexen», ein feministisches Untergrundradio. Die meisten Pirat:innen kletterten auf Schweizer Hügel, um ihre Programme auszustrahlen. Der berühmteste unter ihnen, Roger Schawinski, sendete von Italien aus.

In Neuhausen hörten 1979 drei Fast-noch-Buben die Heldengeschichten der Rebell:innen am Mikrofon. Sie waren Kindheitsfreunde, aufgewachsen an und in der Nähe der Neuhauser Tannenstrasse, ehemalige Pfadfinder, wohlbekannt mit den Hügeln und Wäldern des Kantons. «Die Klassik und das Jodeln auf DRS langweilten uns zu Tode», sagt Daniel Furrer, Pfadiname Filou. «Die Radiopiraten hingegen waren cool», sagt Peter Albrecht, Pfadiname Knochen. Wie sie genau auf die Idee kamen, unter die illegalen Radiomacher zu gehen, gehört zu den vielen Details von Radio Vampir, die vom Vergessen weggewaschen wurden. Daniel Furrer zeigt auf Peter Albrecht. «Ich meine, du warst es, der auf die Idee kam und mich motivierte.» Albrecht zuckt mit den Schultern. «Ich weiss nicht mehr, wie wir darauf kamen.» Quasi vom Fach waren unterdessen beide: Albrecht lernte damals noch Elektromonteur, Furrer wurde Maschinenmechaniker. Es gab noch einen Dritten im Bunde, er entging bei der Hoppsnahme einer Anzeige und will auch heute nicht namentlich mit dem Radio Vampir in Verbindung gebracht werden.

Mentor Gautschi

Die Bande machte eine Szenegrösse ausfindig: Rolf Gautschi galt als die «Stimme von Zürich» (obwohl er vom aargauischen Spreitenbach aus sendete) und war mit seinem Radio City einer der ersten, der versuchte, aus der illegalen Spielerei ein Geschäft zu machen. Die drei Neuhauser, damals alle ungefähr 20, statteten ihm einen Besuch ab. Gautschi nahm die Nachwuchsarbeit ernst und die jungen Schaffhauser unter seine Fittiche. «Ich erinnere mich nicht an seine Person. Aber an seine Wohnung: Die hatten sie ihm ausgeräumt, sie war wirklich fast leer. Die Polizei hatte alles beschlagnahmt», sagt Peter Albrecht. Die Jungen lernten von ihm das Senden und taten sich eine eigene Ausrüstung zu. Gemäss PTT-Akte des Radios Vampir war diese «technisch minderwertig» und die «Frequenzstabilität völlig ungenügend».

Während man anderswo sehr politisch war, hätten sie keine Agenda gehabt, sagen Furrer und Albrecht. Abgesehen davon, mit cooler Technik coole Musik zu senden. Zu Besprechungen traf man sich in Neuhausen im Zentral oder im Terminus. Das Radio Vampir habe sich sogar einmal ein eigenes Tischtuch genäht, ein Logo gab es auch: ein Vampir, schwarze Schrift auf weissem Hintergrund, daneben Bluttropfen. «Ich erinnere mich noch vage, wie wir dann bei mir zuhause auf dem Boden rumsassen und unsere Sendungen zusammenstellten», sagt Daniel Furrer. Aus den eigenen Musiksammlungen wählten sie aus, was sie während circa 45 Minuten auf Schaffhausen würden niederprasseln lassen. Pink Floyd zum Beispiel oder Uriah Heep, eigentlich alles, was in war und Hauptsache keinen Schlager. Einmal hätten sie ein Interview mit dem deutschen One-Hit-Wonder Peter Kent aufgenommen, den sie per Zufall in Singen trafen.

Dann zottelten die Radio-Vampir-Macher mit den aufgenommenen Tonbändern auf die umliegenden Hügel und Wälder. Diessenhofen sei zum Beispiel ein guter Ort gewesen, alternativ auch der Engeweiher oder das Felsentäli. Weil sie für die Aktionen viel Material auf die Hügel tragen mussten und das wie echte Bosse nicht selber machen wollten, heuerten sie Freunde als Träger an und nannten sie Sherpas. Einer von ihnen war Alain Wacker, auch ein Neuhauser, auch ein Pfadibub. Er kannte den dritten Vampirpionier aus dem Gymnasium. Wacker war damals schon Student der Elektrotechnik und hätte vielleicht das Potenzial gehabt, in der Hierarchie des Radio Vampirs aufzusteigen. Die Szene der illegalen Kleinstradios sei damals so gross gewesen, dass morgens in der Vorlesung jeweils besprochen worden sei, wer am Vorabend erwischt worden war. Neben dem Tragen mussten die Sherpas wie Wacker auch beim Erspähen von herannahenden Feinden des freien Radios warnen.

Daniel Furrer (l.) hat das Radio Vampir mitgegründet. Alain Wacker (r.) hat es als Träger und Späher unterstützt. Foto: Robin Kohler

Denn die Radiopiraten waren in einem Dilemma. Um gehört zu werden, mussten sie die potenziellen Hörer:innen informieren, wann gesendet werden würde. Das Radio Vampir tat das per Flugblatt. Aber der Staat nahm sein längst gebrochenes Monopol noch sehr ernst und hetzte den Personen, die mit den Anlagen in den Wäldern sassen, die Behörde «Post-, Telefon- und Telegraphen-Betriebe» PTT mit Peilsendern auf den Hals; manchmal flogen diese sogar mit Helikoptern über die Hügel. «Eine Saudümmi» habe der Staat damals getan, sagt Albrecht.

Bussen und Ficheneinträge

Das Radio Vampir traf es recht schnell. «Wir waren vielleicht fünf, sechs Mal auf Sendung», sagt Peter Albrecht. Offenbar hatten sie sich in dieser kurzen Sendezeit schon eine gewisse Hörer:innenbasis erarbeitet, zumindest spricht ein Schaffhauser Nachrichten-Beitrag vom 7. Mai 1980 zum Polizeieinsatz davon, dass «viele» Schaffhauser Hörer:innen vergeblich aufs Radio Vampir gewartet hätten.

Albrecht und Furrer kassierten schliesslich per Entscheid der «Sektion Funküberwachung» Bussen von 1800 Franken, so steht es in ihrer PTT-Akte. Und einen Ficheneintrag: «Ich habe Jahre später meine Akte angefordert. Zum Wenigen, das nicht geschwärzt war, gehörte ein Hinweis auf Funktechnologie», sagt Furrer. Albrecht hat sich hingegen nie darum gekümmert, ob er eine Fiche hatte. «Mich hat nach dem Polizeieinsatz aber der Lehrmeister zu sich zitiert und gefragt, was ich verbrochen habe.» Als er gesagt habe, es ginge um einen illegalen Radiosender, «hat mein Lehrmeister gesagt: ‹Ah, das ist gut, ich dachte schon, es wäre etwas schlimmes›.» Nach den Bussen gaben die Vampire ihr Radio auf, der Lehrlingslohn konnte keine weitere Ausrüstung finanzieren. Und wohl auch keine weiteren Bussen.

Die Akte im PTT-Archiv und eine Meldung in den SN über das Ende des Radio Vampirs sind heute die einzigen vorzeigbaren Beweise, dass es überhaupt einmal existierte. Das und ein Sender, gelagert im gerade renovierten Keller von Peter Albrecht. Die Tonbändchen mit den Sendungen: verloren. Fotos: nie gemacht, man ist ja nicht blöde und fotografiert sich bei Straftaten.

1983 begann der Staat schliesslich offiziell, die Wellen mit Privaten zu teilen, und in Schaffhausen ging das Radio Munot auf Sendung. Der ehemalige Träger Alain Wacker gewann an der Feier anlässlich dessen ersten Geburtstages einen Fiat Panda. Die Vampire selber machten nie mehr Radio.

Die mobile Version verlassen