Der Schaffhauser Stadtrat Daniel Preisig tritt wegen eines Machtkampfs aus der SVP aus. Der Kantonalvorstand feiert das als Triumph. Die Stadtpartei prüft eine Abspaltung. Und nicht einmal Christoph Blocher kann beschwichtigen. Was ist da los?
Am 14. Dezember traf sich die Schaffhauser SVP zur traditionellen Waldweihnacht im Munotsaal des Hotels Kronenhof. Der Anlass ist eines der Highlights im Parteikalender, unter den Gästen war auch Christoph Blocher. Doch der SVP-Übervater brachte nicht nur Neujahrswünsche von Herrliberg. Blocher hatte aus der Schaffhauser AZ von einem Streit in der Partei erfahren, nun mahnte er in seiner Ansprache: «Schaut, dass ihr dieses Problem bereinigt!»
Zwei Tage zuvor zeigte die AZ auf, dass in der Schaffhauser SVP ein erbitterter Machtkampf zwischen Stadt und Land tobt. In den Hauptrollen: Stadtrat Daniel Preisig und Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter. Es geht um einen Stadt-Land-Graben, es geht aber auch um die persönlichen Animositäten zweier Alphatiere. Der Machtkampf war schon lange ein offenes Geheimnis. Nun aber war der emsige Parteisekretär Mariano Fioretti zwischen die Fronten geraten. Er hatte sich zu offensichtlich auf Preisigs Seite geschlagen.
Die AZ zitierte das Protokoll einer Versammlung des SVP-Kantonalvorstands von Ende November, an der unverhohlen darüber diskutiert wurde, wie man Fioretti als Sekretär absetzen könnte. Vordergründig ging es darum, dass er zu wenig modern sei und sich zu wenig auskenne mit den Möglichkeiten der Digitalisierung. Eigentlich aber, das wird aus dem Protokoll klar, ging es um etwas anderes. Am Parteisekretär sollte ein Exempel statuiert werden.
Blocher hält grosse Stücke auf den «ausserordentlich pflichtbewussten» langjährigen Sekretär Mariano Fioretti, der sich «unglaublich» für die Partei eingesetzt habe, wie Blocher gegenüber der AZ sagt. Dass ausgerechnet die Schaffhauser SVP, die in den vergangenen Jahren grosse Erfolge gefeiert habe, den Parteisekretär «abschiessen» wolle, könne er nicht verstehen. Für Blocher ist klar, dass es in der Sache nicht um die Fähigkeiten von Fioretti geht: «Das Argument mit der Digitalisierung können Sie vergessen. Das ist dummes Zeug.»
Blocher stellt sich also hinter Fioretti und rief an der Waldweihnacht seine Schäfchen zur Einigkeit auf. Doch keine drei Wochen danach kam es zum grossen Knall.
Am 2. Januar teilte Stadtrat Daniel Preisig mit, dass er aus der SVP ausgetreten sei. Und in seinem offenen Brief wurde Preisig deutlich: In den vergangenen Jahren habe sich die Zusammenarbeit mit der Leitung der Kantonalpartei zunehmend verschlechtert. Schliesslich seien die Differenzen «unüberbrückbar» geworden und hätten auch andere Personen beeinträchtigt. Sein Austritt aus der SVP sei deshalb «unumgänglich» geworden.
Noch am selben Tag verschickte Hermann Schlatter, der Präsident der städtischen SVP, eine Medienmitteilung, in der er sich über die «zahlreichen öffentlich ausgetragenen Angriffe» aus den Reihen der Kantonalpartei auf Daniel Preisig beklagte. Der Vorstand der Stadtpartei sei «enttäuscht», dass der Vorstand der Kantonalpartei nichts unternommen habe, um die Differenzen zu bereinigen.
Zwei Tage später wies Andrea Müller, die Präsidentin der Kantonalpartei, in einem SN-Interview die Verantwortung zurück und drehte den Spiess um: «Es ist schwierig, jemanden zu beschützen, der auf verschiedenen Ebenen immer wieder Knatsch verursacht.»
Das SVP-Jahr begann also mit einem Eklat.
Doch wie geht es nun weiter? Entspannt sich mit dem Parteiaustritt von Stadtrat Preisig auch der Konflikt zwischen Stadt und Land? Hört die Partei jetzt auf Christoph Blocher? Oder lässt sich der Graben nun erst recht nicht mehr zuschütten?
Der stille Triumph der Parteigranden
Montagabend, 6. Januar, Dreikönigstag. Die Schaffhauser SVP hat zur Parteiversammlung geladen, und fast alles, was in der hiesigen Volkspartei Rang und Namen hat, strömt kurz vor acht ins Schützenhaus auf der Breite. Heute ist ein besonderer Abend, dabei verspricht das Programm eigentlich wenig Spektakel. Die SVP will Parolen fassen für die Abstimmungen vom 9. Februar. Es geht um die Schaffhauser Strassenverkehrssteuer und die nationale Umweltverantwortungsinitiative der Jungen Grünen, zwei Geschäfte, zu denen die Volkspartei eine klare Meinung hat. Eine Pro-forma-Geschichte. Die 90 Männer und Frauen, die den grossen Saal des Schützenhauses fast bis auf den letzten Stuhl füllen, sind wegen des letzten Traktandums hier: Varia.
Kommt es heute zur grossen Chropfleerete?
Die Stimmung ist aufgeräumt, als Parteipräsidentin Andrea Müller die Versammlung eröffnet, die Anwesenden begrüsst und sagt, die Medien seien heute «komischerweise» ziemlich gut vertreten im Saal. Erste Lacher. Die Erwartungen steigen.
In den nächsten 25 Minuten fasst die Schaffhauser SVP zwei Abstimmungsparolen, wobei es vor allem darum geht, etwas Häme über den politischen Gegner zu leeren, der «mal wieder die Welt retten» will. Dann, es ist gerade mal halb neun, geht Andrea Müller zum letzten Traktandum über: Varia. Das Wort ist frei.
Die Parteigranden sitzen an ihren Tischen, nippen an ihrem sauren Most und ihrem Rivella und schauen gespannt nach links und rechts. Dann können sie zuschauen, wie vor ihnen ein dreiminütiges absurdes Schauspiel über die Bühne geht.
Als erster steht Erhard Stamm auf, der Präsident der SVP Bargen, und sagt einen Satz, den nur versteht, wer die Hintergründe kennt: Es sei merkwürdig, so Stamm, dass die Medienmitteilung von Hermann Schlatters Stadtpartei zu Preisigs Rücktritt nicht auf der Website der Schaffhauser SVP zu finden sei.
Es ist eine Anspielung: Die Medienmitteilung wurde ursprünglich, wie alle Medienmitteilungen der Stadtpartei, auf der Website aufgeschaltet. Dann hat der Vorstand der Kantonalpartei interveniert und befohlen, die Medienmitteilung wieder von der Website zu löschen. Der Vorwurf von Erhard Stamm: Repression.
Als nächstes erhebt sich Erich Schudel, der Präsident der SVP Klettgau. Schudel sagt, er finde es gut, dass die Medienmitteilung nicht mehr auf der Website aufgeschaltet sei, er habe sich darüber «aufgeregt», dass man die Meldung ohne Absprache veröffentlicht habe.
Als sich Schudel wieder hingesetzt hat, ergreift Hermann Schlatter, der Präsident der SVP Stadt, das Wort. Er ist sichtlich angespannt und sagt, die Medienmitteilung sei durchaus abgesprochen worden – nämlich mit dem Vorstand der Stadtpartei.
Erich Schudel kontert noch einmal kurz und sagt, parteiinterne Angriffe gehörten nicht an die Öffentlichkeit.
Man kann die Anspannung im Saal spüren. Drei Minuten lang flackert der Konflikt auf, wegen dem heute Abend alle da sind. Dann herrscht Stille im Saal, die Frauen und Männer nippen weiter erwartungsvoll an ihren Getränken – bis Parteipräsidentin Andrea Müller nach nur wenigen Sekunden dazwischen geht und die Diskussion entschieden abklemmt: «Wenn es keine Wortmeldungen mehr gibt, schliessen wir hier die Versammlung.» Später, so Müller, könne man ja unten im Restaurant noch zusammen ein Bier trinken. Sie selber werde sich einen Schnaps genehmigen.
Dann ist die Parteiversammlung nach einer halben Stunde geschlossen und die Anwesenden schauen sich irritiert um. Wars das jetzt tatsächlich? Wird der Elefant im Raum einfach totgeschwiegen?
Erst allmählich wird klar, was sich hier gerade wirklich abgespielt hat. Die Protagonist:innen dieses Abends waren nicht diejenigen, die sich erhoben und das Wort ergriffen, sondern diejenigen, die mit einem Lächeln im Gesicht an ihren Tischen sassen und still ihren Sieg feierten: die Markus Müllers und Cornelia Stamm Hurters, die Pentti Aelligs und Arnold Islikers, die Granden von der Kantonalpartei, die den Machtkampf gegen die Stadt gewonnen hatten und im Schützenhaus mit ihrer reinen Präsenz demonstrierten, dass die Maschine SVP das Problem Daniel Preisig verarbeitet hat und ohne Störgeräusche weiterlaufen wird. Zur gleichen Zeit sass besagter Preisig, der Elefant im Raum, einen Stock weiter oben, im Turmzimmer des Schützenhauses, an einer Sitzung des Saunavereins. Jeder da, wo er hingehört.
Dabei ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Spaltet sich die Stadtpartei ab?
Einer aus der Stadtpartei, der an diesem Montagabend im grossen Saal des Schützenhauses besonders gequält wirkt, ist Präsident Hermann Schlatter. Er befindet sich in einer ziemlich unangenehmen Situation und erzählt der AZ, wie er «übelst beschimpft» worden sei aus den Reihen des Kantonalvorstands. Schlatter, der pensionierte Leiter der städtischen Steuerbehörde, ist ein besonnener Mann, nun aber kündigt er an, im Fall Fioretti, den der Kantonalvorstand brutal vorgeführt habe, eine «Mobbingklage» zu prüfen. Auf die Frage, warum er sich das ganze Theater überhaupt noch antue, sagt Schlatter: «Wenn ich den Bettel hinwerfen würde, wäre erst recht alles kaputt.»
Die SVP der Stadt Schaffhausen zählt 180 Mitglieder, die gleichzeitig auch Mitglieder der Kantonalpartei und der SVP Schweiz sind. In den nächsten Tagen werden sie einen Brief von Hermann Schlatter erhalten, in dem er seine Sicht der Dinge darlegt. Es wird jetzt viele Gespräche brauchen, damit die Stadtpartei einen Umgang findet mit der neuen Situation.
Offen diskutiert wird bereits, dass die städtische SVP sich von der Kantonalpartei abspalten und eine eigene Kantonalsektion gründen könnte. Dasselbe ist vor vielen Jahren im Kanton Wallis passiert, wo es heute eine SVP Unterwallis und eine SVP Oberwallis gibt. Mariano Fioretti sagt, man habe diesbezüglich Abklärungen mit der SVP Schweiz getroffen. Eine Abspaltung wäre grundsätzlich möglich.
Die SVP Schweiz ist jedoch keineswegs angetan von den Schaffhauser Separationsideen. Der Luzerner Nationalrat Franz Grüter ist bei der SVP für die Sektionen zuständig und sagt gegenüber der AZ, die Situation im Wallis sei eine völlig andere, dort habe die Sprachgrenze eine Rolle gespielt bei der Aufspaltung in zwei Sektionen: «In Schaffhausen ist das aus meiner Sicht keine Option.» Natürlich sei es «speziell», dass ein Stadtrat aus der Partei austrete; dass zwei Alphatiere aufeinanderprallen und dann eines die Partei verlässt, sei aber nichts Aussergewöhnliches. «Mich haut die Geschichte nicht aus den Socken. Der Streit in Schaffhausen ist kein Evelyn-Widmer-Schlumpf-Fall.»
Christoph Blocher schlägt ähnliche Töne an: Das Problem in Schaffhausen sei, dass sich Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter und Stadtrat Daniel Preisig «nicht gern kritisieren lassen». Jetzt, nach Preisigs Parteiaustritt, müsse die Landschaft die Grösse haben, die Stadt wieder zu integrieren. Dafür brauche es eine Persönlichkeit, die den Konflikt moderieren könne. Doch Blocher räumt auch ein: «Ich sehe in Schaffhausen gerade niemanden, der über den Dingen steht.»
Im April wird an der SVP-Delegiertenversammlung erst einmal über den Antrag der SVP Klettgau abgestimmt, das Parteisekretariat neu auszuschreiben. Es geht um den Job von Blochers Protegé: Mariano Fioretti.