Abbau oder Verlagerung?

20. Dezember 2024, Luca Miozzari
Foto: Peter Pfister
Foto: Peter Pfister

Der Kanton streicht Zugverbindungen nach Beringen. Was das für die Menschen im Chläggi bedeutet, wer profitiert und wer verliert.

Seit dem Fahrplanwechsel am Sonntag fahren täglich weniger Züge von und nach Beringen. Zu den Stosszeiten, also zwischen sechs und halb neun Uhr morgens und zwischen vier und sieben Uhr abends, fährt die S-Bahn nicht mehr wie bisher im Viertelstundentakt, sondern nur noch im Halbstundentakt, so wie während des restlichen Tages.

Die öffentliche Hand streicht Züge – es ist eine ungewohnte Nachricht in einem Land, in dem ÖV-Verbindungen fast überall stetig ausgebaut werden. Und dann geschieht der Abbau erst noch in einer der Regionen im Kanton, die als Zentren des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums gelten.
In der Budgetdebatte des Kantonsrats hat diese Massnahme dementsprechend für reichlich Diskussionen gesorgt.

Beim Kanton verwehrt man sich dagegen dem Begriff «Abbau» – es sei eine «Verlagerung», so der kantonale ÖV-Koordinator.

Was ist es nun – ein Abbau oder eine Verlagerung? Wie kam es dazu? Und was bedeutet das für die Menschen in Beringen und im Klettgau?

Der gekappte Zug

2011 beschloss die Stimmbevölkerung des Kantons Schaffhausen einen Kredit über 75 Millionen Franken, an dem sich Bund und Gemeinden zu je einem Fünftel beteiligten. Unter dem Titel «S-Bahn Schaffhausen» wurden mit diesen Mitteln verschiedene Bahninfrastrukturprojekte angegangen, etwa die Elektrifizierung der Strecke zwischen Schaffhausen und Erzingen, der Ausbau der Bahnhöfe Schaffhausen, Herblingen und Thayngen und der Neubau der Station Beringerfeld. Im Gegenzug versprach die Vorlage einen Viertelstundentakt in den Stosszeiten, und zwar zwischen Schaffhausen und Erzingen, nach Jestetten und nach Thayngen.

Diese Versprechen wurden, abgesehen vom Viertelstundentakt nach Thayngen, auch speditiv eingelöst. Ab Dezember 2013 verkehrten in den Hauptverkehrszeiten S-Bahnen alle 15 Minuten zwischen Schaffhausen und Erzingen. Doch bereits zwei Jahre später wurde der Kurs in Beringen gekappt. Zwischen Beringen und Erzingen fuhren ab Ende 2015 auch zu Stosszeiten nur noch Züge im halbstündigen Grundtakt.

Gemäss René Meyer, Leiter der Koordinationsstelle öffentlicher Verkehr beim Kanton, sei der durchgehende Viertelstundentakt nach Erzingen nicht mehr nötig gewesen, weil in Schaffhausen der sogenannte Hinketakt nach Zürich abgeschafft wurde. Heisst: Die Anschlusszüge nach Zürich verkehrten fortan exakt jede halbe Stunde, womit sie für Fahrgäste aus Erzingen, Trasadingen, Wilchingen, Hallau und Neunkirch auch mit halbstündlichen Zugverbindungen sicher erreichbar wurden.

Ein zusätzlicher Grund für die Kürzung kurz nach der Einführung dürften die klammen Kassen des Kantons gewesen sein. Mit dem Sparprogramm EP14 wurde nämlich, bevor die S-Bahnen überhaupt auf den Schienen waren, bereits beschlossen, dass «Einschränkungen gemacht werden müssen». Die Einsparung von 100 000 Franken sollte laut der Sparvorlage an der am wenigsten «schmerzhaften» Stelle vorgenommen werden – und offenbar kam man zum Schluss, dass dies im Chläggi der Fall sei.
Seit Sonntag ist dieser bereits gekürzte Zug nur noch im Halbstundentakt unterwegs. Das hat zwei unmittelbare Gründe.

Umsteigen ist keine Option

Erstens, die Kosteneffizienz. Im Gegensatz zum halbstündlichen Grundtakt zwischen Schaffhausen und Erzingen wurde der nun abgeschaffte Zwischenzug (Schaffhausen-Beringen) in den Stosszeiten wenig genutzt. Letzterer beförderte laut Fahrgastzählungen jeweils durchschnittlich 14 Passagiere, während im selben Zeitraum im Grundtakt jeweils durchschnittlich 60 Passagiere unterwegs waren.

Das wiederum hängt mit den Anschlüssen von und nach Beringen aus dem Chläggi zusammen. Die Buslinie 21 von Beggingen über Schleitheim, Siblingen, Löhningen, Beringen und Neuhausen nach Schaffhausen fuhr bisher zu Stosszeiten ebenfalls in zwei Varianten. Jeweils halbstündlich fuhr ein Bus zwischen Schaffhausen und Beggingen und dazwischen ebenfalls halbstündlich einer zwischen Siblingen und Beringen. Dieser kürzere «Umsteige-Bus» auf den Bahn-Zwischentakt wurde ähnlich schlecht genutzt wie die Umsteigezüge. Während der lange 21er-Bus zwischen Siblingen und Beringen durchschnittlich 30 Fahrgäste zählte, beförderte der kurze Zwischentakt im Schnitt deren sechs.

«Die Bevölkerung im Chläggi steigt nicht gerne um», resümiert ÖV-Koordinator Meyer. «Die Grundtakte sowohl auf der S-Bahn als auch auf der Linie 21 sind gut nachgefragt, während der Zwischentakt mit Umsteigen fast leer gefahren ist.»

Um das auszugleichen und 42 000 Franken an Kosten zu sparen, hat der Kanton gleichzeitig zum Rückbuchstabieren auf der Bahn das Busangebot angepasst. So verkehren in den Stosszeiten nun vier Busse pro Stunde zwischen Siblingen und Schaffhausen, der Umsteigebus wurde abgeschafft. Diese Busse fahren nicht mehr über Neuhausen, sondern nehmen direkt den Galgenbucktunnel nach Schaffhausen.

Der zweite Grund für die Einsparung des Zwischenzugs ins Chläggi ist, dass der Kantonsrat letztes Jahr den lange erwarteten Bahn-Viertelstundentakt nach Thayngen beschlossen hat. Für dessen Umsetzung braucht es jedoch zusätzliche Lokomotiven und Wagen. Und weil dieses Rollmaterial knapp bemessen und schwer zu beschaffen ist, trifft es sich gut, wenn man im Chläggi einen Zug einsparen kann. «Vielleicht bräuchte ich einen Zauberstab, aber aktuell habe ich keine Möglichkeit, Rollmaterial zu beschaffen», sagte Baudirektor Martin Kessler dazu im November im Kantonsrat.

Der Zugverkehr von und nach Beringen wird also auf die Strasse und nach Thayngen verlagert, weil er zu wenig genutzt wird und die Ressourcen anderswo benötigt werden.

Beringen reagiert gespalten

In Beringen hat man dazu gemischte Gefühle. Die Beringer SP-Kantonsrätin Eva Neumann gehörte in der Budgetdebatte im November zu den schärfsten Kritikerinnen der Fahrplanänderung. Sie hatte den Antrag gestellt, die 42 000 Franken, welche der Kanton mit dem abgeschafften Zug einsparen will, wieder ins Budget aufzunehmen. «Es wurde viel Geld in die Elektrifizierung, den Doppelspurausbau und einen zusätzlichen Bahnhof im Beringerfeld gesteckt. Nun wird der Zug gestrichen, und wir kriegen einen Bus. Das tönt wunderbar, ausser für die Leute, die die Situation kennen», sagte sie. Sie wies auf die Stauanfälligkeit beim Galgenbucktunnel und dem Engekreisel hin, was zu Verspätungen im Busverkehr führen werde.

Martin Schlatter, SVP-Vertreter aus Beringen, sagte hingegen: «Das Umsteigen funktioniert nicht.» Mit dem neuen Busfahrplan sei ausserdem die Enge besser angeschlossen, weil Busse dort halten, während der Zug durchfährt. Ähnlich klingt es aus dem Gemeinderat Beringen. Die Exekutive begrüsse die Verlagerung auf Busse, sagt Raumplanungsreferent Luc Schelker auf Anfrage und argumentiert ebenfalls mit dem verbesserten Angebot in der Enge.

Ganz positiv klang es an der Kantonsratsdebatte von weiter hinten im Chläggi. Der Umsteigetakt sei nie akzeptiert worden, sagte Andreas Schnetzler (SVP) aus Gächlingen. «Die Leute gehen lieber auf den Bus, der durchfährt, auch wenn es länger geht.»

Ausnahmslos unzufrieden waren die Parlamentarierinnen aus der Gemeinde Neuhausen, die nun vom 21er-Bus ausgelassen wird. «Es ist gewagt, zu behaupten, das sei kein Abbau», sagte etwa Franziska Brenn von der SP. Sie bemängelte, dass Beringen und Neuhausen nun bloss noch über einen Halbstundentakt verbunden seien. Und damit auch das neu gebaute Rhytechquartier an der Klettgauerstrasse. «Dort wohnen 400 bis 500 Menschen, der 21er-Bus bietet für sie keine Lösung.»

Schliesslich stimmte das Parlament 30 zu 28 Stimmen gegen den Antrag von Eva Neumann und gab so der Fahrplanänderung seinen Segen.

Bahnpolitik – ein Nullsummenspiel

Doch ist es nun ein Abbau oder nicht? Betrachtet man nur die Schiene, bedeutet die Umstellung fürs Chläggi zweifellos einen weiteren Schritt in einem Abbauprozess, der bereits zwei Jahre nach der Einführung der S-Bahn begonnen hat. Während vom ersten Abbauschritt 2015 vor allem die Dörfer des nordöstlichen Klettgaus betroffen waren, sind die Leidtragenden dieses Mal vor allem Pendler zwischen Beringen und Neuhausen und die Bewohnerinnen des «oberen» Neuhausens. Pikanterweise baut der Kanton damit genau dort Zugverbindungen ab, wo er grosses Wachstumspotential sieht. Im kantonalen Richtplan ist das Industriegebiet im Beringerfeld als «Entwicklungsschwerpunkt» definiert. Voraussetzung für diesen Status ist, laut demselben Richtplan, ein Anschluss mit der Bahn im 15-Minuten-Takt und dem Bus im 10-Minuten-Takt. Mit dem neuen Fahrplan erfüllt das Beringerfeld keine dieser Bedingungen mehr.

Gleichzeitig ist die Verlagerung von Bahn auf Bus eine Umverteilung der Ressourcen, von der viele Menschen profitieren. Allen voran die Fahrgäste entlang der Buslinie 21, die nun nicht mehr umsteigen müssen. Zwar dürfte es mehr staubedingte Verspätungen geben als auf der Schiene, dafür wohl weniger überfüllte Busse.

Am meisten freuen dürften sich die Thaynger, die nun endlich ihren Viertelstundentakt nach Schaffhausen erhalten. Sie sind die eigentlichen Gewinner in diesem Nullsummenspiel der kantonalen Bahnpolitik.