Die Demontage des Mariano Fioretti

14. Dezember 2024, Marlon Rusch

In der Schaffhauser SVP tobt ein erbitterter Machtkampf. Nun hat es den Getreusten aller Getreuen erwischt: Parteisekretär Mariano Fioretti. Die Freundschaft zu Stadtrat Daniel Preisig ist ihm zum Verhängnis geworden.

An einem Montagabend Ende November bekommt Mariano Fioretti, die Allzweckwaffe der SVP, eine Abreibung von der eigenen Partei. 

Um 20 Uhr trifft sich der Kantonalvorstand im Restaurant zum Alten Schützenhaus auf der Breite. Zwölf Leute erscheinen, die Führungsriege der Schaffhauser SVP, und vorerst nimmt die Sitzung ihren gewohnten Gang – bis zu Traktandum sieben, «Neubesetzung Sekretariat». 

Zwei Wochen zuvor ist bei Parteipräsidentin Andrea Müller ein ungewöhnlicher Antrag aus der Kreispartei Klettgau eingegangen. Dort stand: «Die Position des Sekretärs der SVP Kanton Schaffhausen sei neu aufzustellen.» Das Sekretariat erscheine derzeit «nicht ideal besetzt», es führe kein Weg daran vorbei, die Stelle neu auszuschreiben. Der genaue Absender des Antrags bleibt unklar. Er ist nicht unterschrieben.

Über Traktandum 7 diskutiert die SVP-Führungsriege an diesem Montagabend im Schützenhaus eineinhalb Stunden lang. Der Grossteil der anwesenden Parteigranden peitscht sich gegenseitig auf. Sie dreschen regelrecht ein auf ihren Parteisekretär.

Es wird kritisiert, Fioretti führe die Adresskartei nicht richtig; er bewirtschafte die Websites nicht wie gewünscht; er fehle an wichtigen Sitzungen; er sei überfordert mit den sozialen Medien. Wenn Fioretti das «Einmaleins eines Sekretärs» nicht im Griff habe, müsse man eben jemanden suchen, der den Ansprüchen genüge, sagt etwa Lara Winzeler von der SVP Reiat. Parteipräsidentin Andrea Müller behauptet, die beiden früheren Parteipräsidenten hätten den Bettel hingeworfen, weil sie es mit Sekretär Fioretti und seinen dauernden Ausreden «nicht mehr ausgehalten» hätten. Nationalrat Thomas Hurter ist der Meinung, wenn Fioretti «nicht bereit sei, sich zu ändern», könne man gleich über den Antrag aus der SVP Klettgau abstimmen und sich weitere Gespräche ersparen. Seine Frau, Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter mahnt, es sei wichtig, dass man Fioretti «das rechtliche Gehör» gewähre, damit die Partei nicht noch unerwartete Zahlungen leisten müsse, falls es zu einem arbeitsrechtlichen Verfahren komme. 

Es ist ein Tribunal, das im Schützenhaus abgehalten wird. Und der Angeklagte, Mariano Fioretti, muss das Ganze als Sekretär auch noch ordentlich protokollieren. Das noch nicht genehmigte Protokoll liegt der AZ vor. Um 22.19 Uhr wird die Sitzung geschlossen. 

An diesem Abend offenbaren sich mehrere Abgründe in der wählerstärksten Schaffhauser Partei. Sie haben sich aufgetan zwischen Stadt und Land, zwischen Stadtrat Daniel Preisig und Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter, zwischen Zukunft und Vergangenheit.  Und diese Abgründe verschlucken nun ausgerechnet jenen Mann, der für diese Partei in den vergangenen zwölf Jahren so viel getan hat wie kaum ein Zweiter.  

Das Rückgrat der Volkspartei  

Eigentlich ist Mariano Fioretti in der SVP so beliebt wie noch nie, zumindest bei den Wählerinnen und Wählern. Kürzlich, bei den Gesamterneuerungswahlen, erhielt er von allen Kandidierenden der SVP die meisten Stimmen, sowohl für den Grossen Stadtrat wie auch den Kantonsrat. 

Für das ausgezeichnete Resultat gibt es einen Grund: Fioretti ist das Rückgrat der Schaffhauser Volkspartei. Der 55-Jährige sitzt nicht nur in den beiden Parlamenten, sondern dort auch in den einflussreichen Geschäftsprüfungskommissionen (GPK), die den Auftrag haben, die Arbeit der Regierung zu überwachen. Fioretti ist bekannt für polemische Wortmeldungen; dafür, dass er sich für kein politisches Scharmützel zu schade ist; seiner Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass vor einigen Jahren eine Parlamentarische Untersuchungskommission eingesetzt wurde, die schliesslich verbrecherische Missstände bei der Schaffhauser Schulzahnklinik festgestellt hat. Daneben ist Fioretti Stadtschulrat, Kassier der städtischen SVP und seit 12 Jahren Sekretär der Kantonalpartei. 

Die SVP-Allzweckwaffe Mariano Fioretti im Stadtparlament. Bild: Robin Kohler

Er ist ein Sekretär alter Schule. Muss irgendwo ein Plakat aufgestellt, ein Brief verschickt, eine Zahlung gemacht oder eine Bratwurst grilliert werden, ist Mariano Fioretti zur Stelle. Sein Haus ist die Parteizentrale, das dreirädrige Kampagnenfahrzeug der SVP steht bei ihm in der Garage, wenn er Ferien macht, nennt er das «Büroverlegung». 

Es ist eine Win-Win-Situation: Fioretti erhält einen kleinen Lohn von seiner Partei und verdient mit Sitzungsgeldern aus seinen zahlreichen Ämtern noch etwas dazu. Die SVP hat für wenig Geld einen Mann, der den Laden zusammenhält; der sein Leben der Partei verschrieben hat und all das erledigt, wofür sich die anderen zu schade sind. 

Gleichzeitig sind einige der Bedenken, die am Montagabend im Schützenhaus geäussert werden, tatsächlich nicht aus der Luft gegriffen: Fioretti ist nicht die Zukunft der Partei. Er ist kein Social-Media-Spezialist. Seit der SP-Mann Simon Stocker auch dank eines intensiven digitalen Wahlkampfs in den Ständerat gewählt wurde, wünschen sich auch in der SVP viele einen moderneren Sekretär. (Dass die SP zeitweise 200 Stellenprozente für ihr Sekretariat aufwendete, während Fioretti nur für 30 Stellenprozente bezahlt wird, wird dabei hingegen ausser Acht gelassen.) Es wäre falsch, wenn die SVP keine Debatte über die Zukunft ihres Sekretariats führen würde. 

Doch an diesem Montagabend im Schützenhaus geht es im Grunde um etwas ganz anderes. 

Das Tribunal ist nur die Spitze des Eisbergs. Auch an anderen Stellen verliert Fioretti an Einfluss. Im Kantonsrat, wo er Ende 2024 nach acht Jahren wegen einer Amtszeitbeschränkung aus der GPK ausscheidet, verweigert ihm die Partei den Einsitz in einer anderen ständigen Kommission. Und auch als er sich für einen Sitz im Erziehungsrat bewirbt und argumentiert, er bringe langjährige Erfahrung als Stadtschulrat mit und habe über zehn Jahre lang parlamentarische Bildungspolitik betrieben, stellt sich die SVP quer und entsendet jemand anderen. 

Allein diese beiden Entscheide sind bemerkenswert, zuvor hat die Partei Fioretti jahrelang zu diversen Ämtern verholfen, damit er sein Einkommen aufbessern kann. Und jetzt wollen ihm einflussreiche Kreise auch noch das Sekretariat wegnehmen, seinen einzigen regulären Job. 

Für Fioretti geht es bei den aktuellen Entwicklungen aber nicht nur um seine Einnahmequellen. Er ist in eine persönliche Krise gestürzt, fühlt sich gemobbt, kann nicht mehr schlafen. Ausgerechnet seine SVP lässt ihn fallen. 

Wieso?

Preisig non grata

Die Antwort hat vermutlich einiges mit zwei Menschen zu tun: Stadtrat Daniel Preisig und Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter.

Für Teile der Partei, gerade in den Landgemeinden, ist Preisig zu urban und zu progressiv. Der SVP-Stadtrat lässt sich auch mal für linke Kulturprojekte einspannen, hat ein ökologisches Elektrobus-Projekt vorangepeitscht und investiert gern viel Geld in allerlei Bauprojekte. Preisig findet, angesichts der ausserordentlich guten Finanzlage von Kanton und Stadt Schaffhausen müsse man abkommen vom traditionellen Spar-Dogma der SVP. Und das habe der Kanton nicht begriffen. Preisig kritisiert den Regierungsrat immer wieder offen für seine angebliche Untätigkeit.

Im Gegenzug halten ihn ausserhalb der Stadt viele aus seiner Partei für einen arroganten Besserwisser. Kürzlich bei den Gesamterneuerungswahlen verpasste Preisig, der einst die Zukunftshoffnung der Partei war, sogar die Wiederwahl in den Kantonsrat. Viele, die die SVP wählten, hatten ihn von der Liste gestrichen.

Preisigs parteiinterne Gegner sind der Ansicht, er schimpfe bloss gegen den Regierungsrat, weil er selber 2020 von seiner Partei nicht als Regierungsrat nominiert wurde und stattdessen Dino Tamagni zum Zug kam. 

Dabei gehen einige von Preisigs Fehden weiter zurück. 2017 etwa war er als Vizepräsident der SVP massgeblich daran beteiligt, dass die Partei ihren Parteipräsidenten Pentti Aellig nicht als Regierungsrat nominierte, woraufhin stattdessen Cornelia Stamm Hurter gewählt wurde. Seither lässt Aellig keine Gelegenheit aus, Preisig öffentlich zu diskreditieren. Aellig hat ausserdem Andrea Müller als neue Parteipräsidentin portiert, die 2023 ins Amt kam und heute ebenfalls einen dezidierten Anti-Preisig-Kurs fährt. In der Führungsriege der kantonalen SVP gibt es zahlreiche Ränkespiele. Am meisten Feinde aber hat Daniel Preisig.

Seine mächtigste Feindin ist Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter, die starke Frau in der Schaffhauser Regierung. Sie und Preisig sind beide für die Finanzen zuständig (er in der Stadt, sie im Kanton), und sie sind beide Alphatiere, die glauben, wie wüssten besser Bescheid.

Eskaliert ist der Streit vor einigen Monaten. Als die SVP darüber diskutierte, ob sie den FDP-Regierungsratskandidaten Marcel Montanari im Wahlkampf gegen SP-Frau Bettina Looser unterstützen soll, war Stamm Hurter dagegen. Preisig stellte einen Antrag dafür. Daraufhin habe Stamm Hurter ihn «angefahren wie eine Furie», wie mehrere, die dabei waren, der AZ berichten. Cornelia Stamm Hurter habe Angst davor, dass ein dominanter Regierungsrat Montanari ihre eigene Dominanz im Regierungsrat infrage stellen würde, hört man aus Preisigs Lager. 

Cornelia Stamm Hurter. Bild: Robin Kohler

Bald nach der Eskalation wurde Preisig als Vizepräsident der SVP abgesetzt, was sein Lager wiederum als Strafaktion interpretiert, die von Stamm Hurters Lager orchestriert worden sei. 

Wie offen der Streit mittlerweile ausgetragen wird, zeigt eine E-Mail, die der Neuhauser SVP-Kantonsrat Arnold Isliker im November an die gesamte Fraktion geschickt hat und die der AZ vorliegt: «Gestern Abend hat DP (Daniel Preisig, Anm. der Redaktion) wieder einmal bewiesen, wie er die ganze Fraktion vor sich hertreiben kann. […] DP macht, was er will, er ignoriert Volksentscheide, spielt den Chef bei der VBSH, macht eigene Wahlpropaganda ohne SVP etc. […] Ein schlauer Fuchs. Wie lange wollen wir die heisse Kartoffel noch vor uns herschieben?» Es wird also relativ offen darüber diskutiert, Preisig aus der Partei werfen.

Zu Preisig hält heute vor allem die Handvoll Leute, die die SVP-Stadtpartei dirigiert und auch privat mit Preisig befreundet ist. Einer von ihnen: Parteisekretär Mariano Fioretti.

Der falsche Freund

In der Stadtpartei ist man sich einig: Fioretti wird nicht «fertiggemacht», weil er als Sekretär zu wenig modern sei. Das Problem sei seine Freundschaft zu Daniel Preisig. Und auch ein einflussreicher SVPler aus dem Klettgau bestätigt gegenüber der AZ, dass die Nähe zwischen den beiden kritisch betrachtet wird: «Mariano Fioretti lebt nicht für die SVP, er lebt für Daniel Preisig.» Der Parteisekretär lasse sich vom Stadtrat manipulieren und stecke für diesen die Prügel ein.

Immer wieder taucht im Zusammenhang mit der Demontage von Mariano Fioretti der Name Cornelia Stamm Hurter auf. Die Geschichte, die man sich erzählt, geht folgendermassen.

Nachdem im Frühsommer der Fall Fabienne W. um eine Gewalttat in einer Schaffhauser Anwaltswohnung Schlagzeilen gemacht hatte, wurde von verschiedener Seite eine Aufarbeitung der Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft gefordert. Die SVP-Regierungsrätinnen Cornelia Stamm Hurter (Vorsteherin der Polizei) und Dino Tamagni (Vorsteher der Staatsanwaltschaft) kamen unter Druck.

In der mächtigen Geschäftsprüfungskommission des Kantonsrats pochten Daniel Preisig und Mariano Fioretti darauf, dass eine unabhängige Untersuchung durchgeführt werde. Doch Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter wehrte sich vehement dagegen. Schliesslich einigte man sich darauf, dass der Regierungsrat selber beim Strafrechtsprofessor Andreas Donatsch eine Untersuchung der Polizeiarbeit in Auftrag gibt (das Gutachten liegt zwar seit Monaten vor, wurde von Stamm Hurter aber trotz eines Einsichtsgesuchs der AZ bis heute nicht herausgegeben). Im Zusammenhang mit der Uneinigkeit zwischen dem Regierungsrat und der GPK gerieten Cornelia Stamm Hurter und Mariano Fioretti heftig aneinander. Sie sagte wörtlich zu ihm, sein Verhalten werde noch «Konsequenzen» haben. 

Für die städtische SVP ist das eine unverhohlene Drohung, mit der die Regierungsrätin die unliebsame Geschäftsprüfungskommission zum Schweigen bringen wolle. Die Konsequenzen habe Fioretti spätestens am Montagabend im Schützenhaus zu spüren bekommen. Er werde von der Partei fertiggemacht, weil er sich der Regierungsrätin in den Weg gestellt habe. Damit wird suggeriert, Stamm Hurter habe den nicht unterschriebenen Antrag der SVP Klettgau initiiert, der Fiorettis Absetzung forderte.

Stamm Hurter sagt gegenüber der AZ, sie äussere sich nicht zu parteiinternen Vorgängen. Dass sie Fioretti gedroht oder irgendwelche Aktionen gegen Preisig oder Fioretti orchestriert habe, entspreche jedoch nicht der Wahrheit. 

Ihre Getreuen verhehlen derweil nicht, dass sie der Ansicht sind, die GPK spiele ihre Rolle im Kantonsrat zu aktiv. Gegenüber der AZ sagt einer der Getreuen von der SVP Klettgau, die Kommission habe sich in letzter Zeit als «Superkommission» aufgespielt. Nächstes Jahr, wenn Fioretti und Preisig nicht mehr in der GPK seien, würde sich die Gesamtsituation hoffentlich «entspannen». 

Und wie geht es nun weiter mit der Stadtpartei? 

Man darf wohl davon ausgehen, dass Daniel Preisig bald aus der SVP austritt. Die SVP-Stadtpartei hat sogar bereits darüber diskutiert, ob sie geschlossen aus der kantonalen SVP austreten soll. 

Über das Schicksal von Parteisekretär Mariano Fioretti entscheidet im Frühling die Delegiertenversammlung der SVP, wo über den Antrag abgestimmt wird, das Sekretariat neu auszuschreiben. Am Montagabend im Schützenhaus hat der Parteivorstand beschlossen, dass ein Ausschuss gebildet wird, um das Pflichtenheft des Sekretärs zu besprechen. 

Möglich erscheint aber auch, dass Fioretti nach dem Tribunal selbst kündigt. Ein SVPler aus der Stadtpartei sagt gegenüber der AZ: «Wenn du in einer Firma so mit einem Mitarbeiter umgehst, hast du eine Klage am Hals, der Mitarbeiter wird krankgeschrieben und du bezahlst noch zwei Jahre lang seinen Lohn.» Derzeit sieht es jedenfalls nicht so aus, als liesse sich der Graben in der SVP wieder zuschütten, ohne dass eine Seite aufgibt.