Polizeipatrouillen auf dem Rhein sind dank 500 PS künftig verdammt schnell unterwegs. Ihr neues Boot kostet fast 500 000 Franken. Braucht es das?
Auf dem silberfarbenen Bug des in der Sonne gleissenden Bootes steht Neptun persönlich, flankiert von zwei Nixen, und gleitet über das Wasser. Er legt am Hafen von Stein am Rhein an, wo ihn eine überschwängliche SVP-Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter in Empfang nimmt, um das brandneue Boot der Feuerpolizei mit einer Flasche Champagner auf den Namen «Neptun» zu taufen.
Die skurrile Szene hat im Juni 2023 tatsächlich stattgefunden. Tele Top hat sie für die digitale Ewigkeit festgehalten. Zum Schluss sagte Cornelia Stamm Hurter strahlend in die Kamera: «Das ist das erste Mal, dass ich eine Bootstaufe machen durfte, das ist natürlich eine besondere Ehre. Und es wird wahrscheinlich in meiner politischen Karriere auch das einzige Mal gewesen sein.»
Die Neptun hat wenig Tiefgang und viel PS. Sie kostete rund eine Viertelmillion, also ungefähr einen Jahreslohn von Cornelia Stamm Hurter.
Doch die Finanzdirektorin irrte sich an jenem heissen Sommertag. Sie darf bereits im Mai 2025 erneut Champagner über einen glänzenden Schiffsbug fliessen lassen. Denn nach der Feuerpolizei ist die Schaffhauser Polizei dran. Ihr nahe der Eisenbahnbrücke nach Feuerthalen stationiertes Patrouillenboot (siehe Bild unten) ist 38 Jahre alt und soll ersetzt werden.
10 Meter und 500 PS
Budgetiert waren für die «Ersatzbeschaffung Polizeiboot» ursprünglich 400 000 Franken, sie wurde öffentlich ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt das renommierte Luzerner Unternehmen Shiptec, das sich gegen die Beringer Firma Steinemann durchgesetzt hatte und in deren Referenzen sich Kursschiffe, Superjachten und Polizeiboote für mehrere Kantone ebenso finden wie Patrouillenboote für die Armee.
Während der Pandemie wurde auch Material für den Bootsbau teurer, sodass Cornelia Stamm Hurter am 3. Oktober 2023, vier Monate nach der Bootstaufe in Stein am Rhein, beim Gesamtregierungsrat einen Zusatzkredit von 83 428 Franken beantragen musste.
Und an der Marathonsitzung vom Montag dieser Woche beschloss der Kantonsrat weitere gut 40 000 Franken. Der Grund dafür ist die kleine Skurrilität, dass erst nachträglich festgestellt wurde, dass das neue Boot nicht an den alten Platz passen wird und der Steg angepasst werden muss.
Etwas mehr als eine halbe Million also gibt der Kanton Schaffhausen für ein neues Polizeiboot aus – doppelt so viel wie für das Boot der Feuerpolizei. Diese erhält übrigens zusätzlich das alte Polizeiboot und wird es für 26 700 Franken umrüsten.
Warum ist das Polizeiboot so teuer? Und warum hat es zwei Motoren mit zusammen 500 PS – mehr als dreimal so viel wie das Boot der Feuerpolizei? Ist das wirklich nötig?
«Wir kennen den Rhein»
Die Suche nach Antworten führt ins Büro von Hauptmann Martin Tanner, Chef der Verkehrspolizei. Tanner ist seit Jahrzehnten in Uniform auf dem Rhein unterwegs und hat das neue Boot bestellen dürfen – und freut sich darauf. Den Eindruck, ein Luxusboot eingekauft zu haben, zerstreut er mit eloquentem Pragmatismus.
Immer wieder verwendet er die Bezeichnung «Arbeitsschiff» und sagt: «Mir müend chöne schaffe.» Ein relevanter Unterschied zum alten Boot: Das neue sei «ganzjahrestauglich». Denn heute, so Tanner, seien fast das ganze Jahr über Leute auf dem Rhein unterwegs. Das alte Boot wird aber über den Winter eingelagert und im Frühling wieder gewassert.
«Zwei Motoren zu haben, ist auch ein Sicherheitsgewinn», erklärt Martin Tanner weiter. Wer auf einem Fliessgewässer je einen Motorschaden hatte, wird ihm beipflichten. Ausserdem, so Tanner, könne bei Bedarf einfach einer der beiden Motoren ausgebaut und repariert oder ersetzt werden, was bei einem Innenborder nicht möglich sei – wenn der Motor kaputt ist, fährt das Boot nicht. Ebenfalls pragmatisch hat Tanner auf Ausrüstungsbestandteile verzichtet, die andere, vergleichbare Boote haben: «Ich sagte, wir brauchen kein Radar. Wir kennen den Rhein.»
Tanner zeigt auf den Bootsplan, den er auf dem Tisch ausgebreitet hat: «Es ist eigentlich das gleiche wie das alte, nur grösser.» Fotografieren kann man das neue Boot noch nicht, doch beim Hersteller finden wir ein Foto des Rohbaus eines sehr ähnlichen Boots, das für einen anderen Kunden gebaut wurde.
Absurd hohes Tempo möglich
«Auf dem heutigen, rund 38-jährigen Boot haben wir wenig Platz. Das kann schnell auch gefährlich werden», erklärt Tanner. «Bei einem Rettungseinsatz sind vielleicht vier Polizeitaucher in Vollausrüstung auf dem Boot, plus der Bootsführer und ein zusätzlicher Polizist – plus im besten Fall die gerettete Person.» Das alte Boot misst 7,75 auf 2,5 Meter, das neue wird 9,6 Meter lang und 3,65 Meter breit gebaut.
Und was ist mit den 500 PS? Das Boot wird 40 Knoten (74km/h) schnell fahren können, auf dem Wasser eine absurd hohe Geschwindigkeit. Selbst wenn die Fliessgeschwindigkeit des Rheins abgezogen wird, fährt es theoretisch in 20 Minuten von Schaffhausen nach Stein am Rhein – das ist gleich schnell wie mit dem Polizeiauto. Kein anderes Boot kann nur ansatzweise so schnell den Rhein befahren, denn so viel PS darf niemand haben – es sei denn, man hat, wie die Polizei, eine Ausnahmebewilligung der Regierung.
Martin Tanner beschwichtigt: Es gehe nicht in erster Linie um Tempo, obwohl dieses auch ein Argument sei: Schneller am Unfallort zu sein, könne Leben retten. Wichtig sei aber die Power: «Ich denke an den hohen Wasserstand dieses Jahr: Wenn ich ein Boot oder einen 15 Meter langen Baumstamm von einer Wiffe ziehen muss, wird es mit dem alten Boot von der Leistung her knapp.»
Das Boot ist aufwändig geplant und auf höchste Qualitätsansprüche ausgelegt – das zeigt sich im Plan ebenso wie im Preis. Es stimmt aber auch, dass es ein «Arbeitsschiff» ist und – wenn auch in ziemlich gehobener Ausführung – einer grösseren Version des alten Boots gleicht. Ist eine halbe Million dafür gerechtfertigt? Ja, fanden die Geschäftsprüfungskommission und das Parlament. Kritische Fragen zur Investition gab es im Rat keine.
Das neue Boot werde voraussichtlich im Mai geliefert, sagt Martin Tanner. Er verspricht eine standesgemässe Bootstaufe. Ob sich der Gott des Meeres auch die Ehre geben wird und was der Champagner kosten darf, ist nicht bekannt.