Der Klebstofffabrikant Marcel Ebnöther schenkte der Stadt Schaffhausen eine riesige Sammlung antiker Objekte. Ein kostbares Erbe mit kontaminierter Geschichte, die verschwiegen wird.
Oktober 2023, Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen. Kulturell interessierte Leute mit robusten, leichten Schuhen spazieren von einer Vitrine zur nächsten. Ich folge ihnen, und wir fahren unsere Gesichter ans Glas wie eine Superkamera und sehen uns verrückte kleine Figuren aus Ton an, die Oralsex haben oder Flöte spielen. Die Figuren sind tausend, zweitausend Jahre alt. Sie stammen aus dem über zehntausend Kilometer entfernten Peru, von einer fremden, fantastisch wirkenden Kultur namens Moche, und jetzt schauen sie uns schweigend durch eine Glasscheibe an.
Wie all diese Kostbarkeiten in einem kleinen Schweizer Museum gelandet sind, erfahren wir nicht. Wir erfahren auch nicht, warum man nichts darüber erfährt. «Dr. Marcel Ebnöther (1920–2008)», steht knapp auf einer Tafel neben den Figuren. «Fabrikant – Reisender – Sammler […] Innerhalb von zwanzig Jahren erwirbt er über 6000 archäologische Objekte.»
Als ich aus dem Museum abziehe, ärgere ich mich über diese Leerstelle. Teil von Geschichte ist schliesslich immer auch ihre eigene Entstehungsgeschichte. Und so folgen wir in diesem Bericht dem Leben und Kaufen des geheimnisvollen Leimfabrikanten und Sammlers Marcel Ebnöther. Vor dreissig Jahren machte er der Stadt Schaffhausen ein Geschenk, das zu wertvoll war, um es abzulehnen.
Walter Alva und die Räuber
Als Erstes lese ich Berichte darüber, wie Figuren und Schmuckstücke von Kulturen wie den Moche in den Handel kamen: durch Grabräuber.
Am 25. Februar 1987 um Mitternacht schreckte Walter Alva aus dem Schlaf. Das Telefon klingelte. Der Polizeichef der Stadt Chiclayo im Norden Perus am anderen Ende der Leitung war in Aufruhr. Er berichtete, wie seine Leute einen Bauern aufgegriffen hatten, einen ärmlichen Campesino, der seinen Schnaps mit antikem Schmuck aus Gold bezahlen wollte.
Walter Alva, ein Archäologe Mitte dreissig, stieg in seinen Wagen und raste zum Polizeiposten. Die Beamten legten ihm über dreissig Gold- und Keramikstücke vor. Die Dinge waren, das erkannte Walter Alva ziemlich schnell, Vermächtnisse der längst untergegangenen Kultur der Moche. Die Moche waren Teil einer jahrtausendelangen Entwicklung lateinamerikanischer Hochkulturen, an deren Endpunkt die Inka standen. Ein Weltreich, dem europäische Invasoren ein blutiges Ende setzten.
Der Campesino hatte der Polizei erzählt, dass er den Goldschmuck in Sipán gefunden hatte, einem abgelegenen Dorf. Walter Alva und ein paar Polizisten fuhren in einem Dienstwagen nach Osten. Sie folgten dem Lauf eines Flusses durchs Lambayeque-Tal, das durchsät war mit tausenden von Feldern. Wie ihre Vorfahren der Moche vor eineinhalb tausend Jahren zogen sich die Leute an die Flüsse zurück, die die wüstenartige peruanische Küste wie feine Adern durchbrechen. Mit Hilfe von Bewässerungsanlagen bauten sie Mais oder Kartoffeln an und hielten Enten, Meerschweinchen und Lamas.
In der Gesellschaft der Moche standen die Bäuerinnen und Bauern zuunterst in der Hierarchie. Darüber befanden sich die Handwerker, und zuoberst thronten Adlige um einen Herrscher oder eine Herrscherin. Bei der Bestattung legte man den Fürstinnen und Fürsten unzählige Kostbarkeiten bei, neben bemalter Keramik auch kunstvoll gearbeitete Masken aus Gold, Silber, Kupfer oder Kobalt.
Als Walter Alva und die Polizisten Sipán erreichten, stiessen sie auf ein paar verwitterte Pyramiden aus Lehm. Die Erde rundherum war voller Löcher. In der Gegend gab es kaum Arbeit, und an den Märkten liess sich mit der Ernte nur wenig Geld verdienen. Deshalb plünderten Kleinbauern schon seit Generationen alte Gräber, in der Hoffnung, ein paar Amulette aus Gold oder wertvolle Keramik zu finden. Bei den Pyramiden in Sipán waren Huaqueros, Grabräuber, vor ein paar Wochen auf eine uralte Gruft mit antiken Schätzen gestossen, die sie auf dem Schwarzmarkt verkauften. Die Neuigkeit des Schatzes zog immer weitere Kreise, und immer weitere Schwärme von Huaqueros fielen über die Pyramiden her. Der Ort, schrieb ein Spiegel-Reporter später, sehe mit seinen vielen Erdlöchern aus «wie nach einem Bombenattentat».
Um die Huaqueros zu vertreiben, feuerten die Polizisten mit ihren Maschinengewehren in die Luft. Walter Alva schaute sich die minenfeldartige Gegend an. Er hoffte, dass manche Gräber noch unberührt waren, und stellte sofort ein Team zusammen, das mit archäologischen Grabungen begann. Während Monaten verliess er den Ort nicht, und stets trug er einen Revolver bei sich.
Dann, im Juli 1987, stiess Alva auf die Grabanlage eines mächtigen Moche-Fürsten, des Señor de Sipán. Er war mit sieben weiteren Erwachsenen und einem Kind begraben worden, Menschenopfer, die den Fürsten auf der Reise ins Jenseits begleiten sollten. Die Grabanlage war so gut erhalten, dass sie ein völlig neues Bild der Moche ergab. Walter Alva und weiteren Forscherinnen war es erstmals möglich, ihre Gesellschaft zu rekonstruieren, Klassensystem, Rituale, Religion, etc. Darüber hinaus waren die Beigaben aus Edelmetallen und Keramik so prunkvoll, dass sie auch im Fernsehen und in Zeitschriften etwas hergaben. Der Señor de Sipán erhielt den Übernamen «peruanischer Tutanchamun». Ein weltweiter Hype um die Moche-Kultur brach aus.
Doktor Ebnöther sammelt
Auf der Suche nach Moche-Objekten reiste Marcel Ebnöther 1987 in die peruanische Hauptstadt Lima. Er war Ende fünfzig, braungebrannt und drahtig wie ein Bergsteiger. Er war schon oft in Lima gewesen, die Moche waren ihm seit Jahren bekannt, über hundert Moche-Objekte hatte er bereits gekauft, und so wusste er, bei welchem Händler er auch diesmal fündig werden würde.
Die Siebziger- und Achtzigerjahre waren sehr gute Jahre, um antike Objekte in Peru zu kaufen (wie überhaupt in ganz Lateinamerika). Arme Bauern sahen die Chance ihres Lebens, mit der Plünderung von Gräbern etwas Geld zu verdiene. Kriminelle Banden schalteten sich ein, die Strassen in Lima wurden mit hunderttausenden Artefakten überschwemmt, und früher oder später landeten die geraubten Objekte in Europa oder den USA, in den Beständen historisch und kulturell interessierter Sammler.
Marcel Ebnöther, aufgewachsen in Sempach im Kanton Luzern, war Chemiker. In der Badewanne seiner Wohnung hatte er mit allerlei Substanzen experimentiert, und bald hatte er zwei Leime erfunden, die er in seiner Fabrik produzieren liess und die ihn reich machten: Brigatex (benannt nach seiner Tochter Brigitte) und Elotex (benannt nach seiner Ehefrau Elisabeth).
Ansonsten ist nur wenig über Ebnöthers Leben bekannt. Er war ein zurückhaltender, geheimnisvoller Mensch. Nicht einmal Bekannte wissen besonders viel über ihn zu erzählen, ausser von seiner Bescheidenheit, und so ist heute schwer zu sagen, woher sein Interesse für Archäologie und antike Hochkulturen kam. Jedenfalls verkaufte er seine Firma 1979. Seine neue Arbeit bestand darin, um die Welt zu reisen, von Antiquitätenhändlern zu Auktionshäusern, um seine Sammlung zu vergrössern. Jedes Jahr kaufte er hunderte Gegenstände. Bis zu seinem Tod würde er rund 6000 Objekte besitzen. Die meisten stammen aus Lateinamerika. Von den Inka, Maya, Moche oder Nazca. Er sammelte aber auch Artefakte aus dem Mittelmeerraum, besonders von den Etruskern und der Urartu-Kultur in der heutigen Türkei.
In seinem Haus in Sempach füllte er Vitrine um Vitrine. Er füllte sie und suchte Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen der sogenannten Alten Welt rund ums Mittelmeer und der Neuen Welt in Lateinamerika. Er war nicht nur von einzelnen Kulturen fasziniert, sondern vor allem auch vom Gedanken, die Kulturen gleichwertig einander gegenüberzustellen. Dieser Gedanke wurde zu seiner Mission als Sammler.
1987 kaufte er in Lima eine Flasche aus Ton, die wie der Kopf eines Moche geformt ist. Der Moche trägt ein Stirnband, auf dem Schlangen mit Ohren gemalt sind. Die linke Seite seiner Oberlippe ist mit einer tiefen Narbe versehen, weshalb man ihn «Narbenlippe» nennt. Narbenlippe ist einer der berühmtesten Moche-Krieger. Fast vierzig antike Tongefässe mit seinem Gesicht darauf wurden bis heute gefunden, was darauf hindeutet, dass er offenbar während Jahren Gegner um Gegner bei Ritualkämpfen besiegte. Erst schlug er ihnen mit einer Keule die Nase blutig, dann fesselte und entkleidete er sie. Bei einer Art Altar schlitzte ein Priester den Besiegten die Kehle auf, und das Blut wurde den Göttern gespendet, in der Hoffnung, drohende Naturkatastrophen und Hungersnöte abzuwenden oder gesunde Kinder zu bekommen.
Archäologe Alva bewahrt
Wenn es um Sammlungen geht, die in früheren Kolonien zusammengekauft wurden und nun europäischen Museen Publikum und Renommée sichern, sind es sehr oft die Museumsdirektorinnen und Kuratoren, die zu solchen Sammlungen gefragt werden. Sehr oft sagen diese Direktorinnen und Kuratoren, dass man als renommiertes Museum am besten wisse, was man zu tun habe (am besten nichts).
Wie sieht man die Sache in Peru?
Über Walter Alvas Kopf hängt ein Gemälde in bunten Farben, das ein Ritual aus einer Inka-Zeremonie zeigt. Wir haben uns zu einem Videoanruf verabredet. Wie Walter Alva vom Señor de Sipán erzählt, von einer Entdeckung, die die Geschichte von Peru verändert hat, und vom Revolver, den er am Gurt trug, um sich vor Grabräubern zu schützen, wie er sagt: «Ich wollte unsere Geschichte bewahren, dafür gab ich alles» – bei all dem würde man glauben, dass er erst vor Kurzem als Archäologe angefangen hat und nicht schon vor fast fünfzig Jahren.
«El Doctor», sagt Walter Alva und meint Marcel Ebnöther, sei weder aussergewöhnlich noch einzigartig. Seine Sammlung sei, wie ein Grossteil der Sammlungen in europäischen Museen überhaupt, das Ergebnis von illegalen Ausgrabungen.
«Alle Sammler, die Objekte aus Raubgrabungen kaufen, sind zumindest indirekt für die Zerstörung der Geschichte, für die Zerstörung der Identität eines Volks verantwortlich», sagt Walter Alva. «Ein Objekt, das aus einem Grab geraubt wurde, verliert jeglichen historischen Wert. Es gibt keinen Kontext mehr, aus dem wir etwas lernen können. Es ist nur noch ein schönes Kunstobjekt. Raubgrabungen», sagt Alva, «das ist, wie wenn ich eine Seite aus dem Buch reisse und das Buch wegwerfe. Ein einziges Grab, das wissenschaftlich erforscht wird, bietet uns mehr Informationen als Tausende von Fundobjekten einer Kultur.»
Der Archäologe spricht in langsamem Spanisch, als wolle er sichergehen, dass man am anderen Ende der Welt, in der Schweiz, auch wirklich mitbekommt, was er zu sagen hat.
«Die Raubgrabungen waren und sind illegal in Peru», fährt er fort. «Der Export von archäologischen Fundobjekten ist seit mehr als hundert Jahren illegal. Nur hatten wohlhabende Sammler in der Realität keine Probleme, ihre Käufe aus dem Land zu schaffen.»
Die Schweiz war eine wichtige Drehscheibe im internationalen Handel mit Kulturgütern. Lange Zeit gab es wenig gesetzliche Einschränkungen. Zwar versuchte die internationale Gemeinschaft schon 1970 mit einer Unesco-Konvention, den illegalen Handel mit Kulturgütern zu verbieten. Doch die Schweiz trat dem Abkommen erst Anfang der 2000er-Jahre bei.
Man müsse den historischen Kontext von Ebnöther sehen, der ganz anders als der heutige sei, sagt Walter Alva. Ausserdem müsse man anerkennen, dass Ebnöther seine Sammlung mit der Schenkung der Öffentlichkeit und somit auch für Nachforschungen zugänglich gemacht habe.
Das Geschenk
Um das Jahr 1990 herum, vor der Münsterkirche in Schaffhausen, traf Gérard Seiterle, der damalige Direktor des Museums zu Allerheiligen, zufällig auf Marcel und Elisabeth Ebnöther. Sie kannten sich vom Antikenmuseum in Basel, wo Gérard Seiterle früher gearbeitet hatte und Ebnöther im Stiftungsrat sass.
Die Ebnöthers erzählten, dass sie Anfragen diverser Museen erhalten hätten, die sich für die Sammlung interessierten. Schliesslich fragte Elisabeth Ebnöther: «Was würden Sie uns empfehlen?»
«Weiss ich gerade nicht», antwortete Seiterle. «Aber das Sagen habe ich nur hier.»
So gehen Gérard Seiterles Erinnerungen. Er führt eine Kaffeetasse an seine Lippen, die von einem schlohweissen Bart umrandet werden. Er sitzt im Café des Museum zu Allerheiligen, wo er zwar seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr das Sagen hat, aber immer noch durch die Hallen spaziert, als erwarte man ihn zu einem Vortrag über seine erstaunlichen archäologischen Erkenntnisse über die vielbrüstige Artemis von Ephesos, deren Zitzen eigentlich Stierhoden seien, wie er mir versichert.
Gérard Seiterle schlug Ebnöther vor, die Sammlung dem Allerheiligen zu vermachen. Ebnöther willigte ein. Allerdings mit einigen Einschränkungen. Die wichtigste Bedingung: Seine Sammlung muss «als Gesamtheit» zusammenbleiben. Man darf die Sammlung also nicht aufteilen und zum Beispiel nur Maya-Objekte zeigen. Nur in der Einheit, so sah es Ebnöther, bleibe der Sinn seiner jahrelangen Sammlerei erhalten, in einer Gegenüberstellung von Kulturen aus Alter und Neuer Welt. Ausserdem verlangte Ebnöther, dass das Museum stets einen Teil der Sammlung auf mindestens 500 Quadratmetern ausstellt. Und die Sammlung sollte offiziell «Sammlung Ebnöther» heissen. Die Bedingungen waren zeitlich unbefristet.
Andere Museen wollten diese Einschränkungen nicht hinnehmen. Ebnöthers Kulturenvergleich entsprach nicht dem, womit sich die Wissenschaft befasste. Die Sammlung wäre aufgeteilt worden. Ein Teil wäre vielleicht in einem Antikenmuseum gelandet und ein anderer in der Abteilung Ethnologie.
Der damalige Schaffhauser Stadtrat Thomas Feurer, als Kulturreferent für das Museum verantwortlich, akzeptierte Ebnöthers Bedingungen. 1991 wurde der Schenkungsvertrag unterzeichnet. Der Wert der Sammlung wurde auf 30 Millionen Franken geschätzt. Für eine Provinzstadt wie Schaffhausen war das Geschenk wohl einfach zu kostbar, um es abzulehnen.
«Damals interessierte man sich nicht für die Herkunft der Objekte – ob sie geraubt waren oder nicht», sagt Gérard Seiterle. «Man kaufte einfach.»
Kurt Zublers Ultimatum
Zwei Wochen, bevor die erste grosse Dauerausstellung der Sammlung Ebnöther im August 2001 eröffnet wurde, verfasste der Archäologe Kurt Zubler einen Text mit dem Titel «Die Kehrseite». Es war der letzte Baustein der Ausstellung, die Zubler als Projektleiter entworfen hatte. Und dieser Baustein war seiner Meinung nach unverzichtbar.
Kurt Zubler sitzt auf einem Sofa im Dachstock seiner Wohnung auf dem Schaffhauser Emmersberg. Auf eine Armlehne hat er eine Mappe mit Dokumenten gelegt, die er von damals aufbewahrt hat.
«Als ich als Projektleiter zugesagt habe, hatte ich eine einzige Bedingung», erzählt Zubler. Dann holt er aus: Er arbeitete seinerzeit als Archäologe beim Kanton. Die Sammlung Ebnöther war ein intensiv diskutiertes Thema im Team, und man war sich einig, dass man solche Sammlungen ablehnte. Mit dem Einzug solcher Sammlungen in ein öffentliches Museum würde man sie bloss legitimieren.
Zubler zieht einen Brief vom Januar 2001 aus der Mappe. Er stammt von einem Kantonsarchäologen, der sich an den Stadtrat wandte. Er bringt die damalige Ablehnung auf den Punkt: «Seit Jahr und Tag erklärt man Bauherren, Politikern und Archäologieinteressierten, dass wir weder Schatzgräberei betreiben noch Gold suchen […] Wie sollen wir dies in Zukunft plausibel machen? Die Ebnöther-Sammlung ist das absolute Gegenteil dessen, weil sie das Resultat reiner Schatzgräberei ist, welche das kulturelle Erbe von Drittweltstaaten zerstört!»
«Meine Bedingung war», wiederholt Kurt Zubler, «dass die Ausstellung die Raubgrabungsproblematik der Sammlung thematisieren muss.» Deshalb schrieb er den Text mit dem Titel «Kehrseite», der auf eine grosse Blache gedruckt werden sollte. Zubler greift wieder in die Mappe, zieht den Originaltext der «Kehrseite» hervor und legt ihn auf einen Tisch.
Darauf steht: «Auf Schmuggelpfaden gelangen [Kulturgüter] durch ausgeklügelte Reinigungssysteme aus der Illegalität in den legalen Handel. Verheerende Schäden verursacht die grosse Nachfrage des Kunstmarktes am kulturellen Erbe Lateinamerikas. In zahllosen illegalen Ausgrabungen wird die kulturelle Hinterlassenschaft ganzer Landstriche verwüstet.»
Oder: «Der weltweite Umsatz im Handel mit gestohlenen Kulturgütern wird heute auf mehrere Milliarden Franken pro Jahr geschätzt; er steht damit zusammen mit dem illegalen Drogen- und Waffenhandel an der Spitze der unrechtmässigen Handelsgeschäfte.»
Darunter setzte Zubler ein Zitat des peruanischen Archäologen Walter Alva: «Im Grunde mit der spanischen Eroberung im 16. Jahrhundert beginnend, setzt sich die Grabräuberei bis zum heutigen Tag fort. Die armen Bauern werden dazu verleitet, die Gräber ihrer Vorfahren auszurauben, um den unersättlichen, immer weiter wachsenden Kunst- und Sammlermarkt in Europa und Amerika zu bedienen. So gehen täglich und unwiederbringlich wichtige historische Informationen verloren, um den Lebensunterhalt der einen zu sichern und die Habsucht der anderen zu befriedigen.»
Diesen Text legte Zubler der damaligen Museumsdirektorin Elisabeth Dalucas vor. «Sie lud mich sofort zu einem Gespräch», sagt Zubler. «Der Text sei unmöglich, sagte sie. Das gehe nicht, man könne den Schenker Ebnöther nicht so blossstellen. Ich sagte: Wenn der Text nicht so erscheint, lege ich meine Arbeit nieder.» (Elisabeth Dalucas reagierte nicht auf meine Anfrage.)
Schliesslich wurde der Text der «Kehrseite» auf eine riesige Blache gedruckt und gleich am Anfang der Ausstellung platziert. Dazu stellte Kurt Zubler eine Vitrine mit Raubgut, in die er auch einen Blick-Artikel über die Verhaftung von Grabräubern hängte. Und eine Luftaufnahme von einem Raubgräberfeld in Peru, das aussah wie ein Minenfeld.
Zur Eröffnung der Ausstellung kamen 400 Gäste. Regierungsrat und Stadtrat erschienen in Vollbesetzung. Mann um Mann hielt eine feierliche Rede, um die «Kunstsammlung von internationaler Bedeutung» (Stadtpräsident Marcel Wenger) hervorzuheben. Zum Abschluss legte ein Tango-Paar einen Auftritt hin. Nicht anwesend war Marcel Ebnöther. Nachdem er einige Jahre zuvor schwer verunfallt war, hatte er sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen.
Die Prähistorikerin Geneviève Lüscher schrieb in der NZZ über die Ausstellung, Sammlungen dieser Art seien «aus ethischen Gründen eine überaus heikle Angelegenheit». «Die aus ihrem Zusammenhang gerissenen Objekte geben keine Auskunft mehr über die Bestattung, über die Jenseitsvorstellungen, über Grabriten und Totenkult. Vom informationsreichen Kulturobjekt sind sie […] zum ästhetischen Kunstgegenstand mutiert.» Die Kritikerin lobte allerdings, dass die Ausstellung auf die Problematik hinwies, und dass Marcel Ebnöther die Sammlung einem öffentlichen Museum schenkte und nicht einfach verkauft hatte. «Nachdenklich geworden», schloss sie, «steht man dann vor der beigestellten Vitrine, in der die Tagesausbeute einer peruanischen Grabräubergruppe und das mit einer Trennscheibe abgesägte Steinrelief eines etruskischen Sarkophags liegen!»
Kurz nach der Eröffnung wechselte Kurt Zubler wieder zur Archäologie. Der Blick-Artikel über die Festnahme von Grabräubern sei bald einmal aus der Vitrine entfernt worden, sagt er und zuckt mit den Schultern. Und als die Dauerausstellung 2013 überarbeitet wurde, verschwanden jegliche Hinweise auf die problematische Seite der Sammlung.
Esther Tisa, Leiterin der Provenienzforschung im Museum Rietberg in Zürich, erklärt die Verantwortung von Museen so: «Als Museum sollte man sich mit der Geschichte seiner Sammlungen beschäftigen. Also mit der Frage, wo und unter welchen Umständen die Objekte gekauft wurden. Wichtig ist auch, die Perspektiven der Herkunftsländer einzubeziehen. Wir vermitteln dieses Wissen in Ausstellungen, Publikationen und auf der Webseite. Das ist heute ein gängiger Standard.»
Werner Rutishauser: «Dreck aus Jahrhunderten»
Werner Rutishauser jagt das Treppenhaus im Museum zu Allerheiligen hoch. Vor einer dicken Tür zieht er die Bremse, tippt einen Code ein, das Schloss knackt, und im nächsten Moment steht er im Depot von Ebnöthers Sammlung, zwischen Vitrinen und Regalen, die mit Krügen, Masken, Flöten, Dolchen, Schwertern, Speeren, Helmen und Statuen aus fremden Zeiten und fremden Orten gefüllt sind.
Seit über zwanzig Jahren ist Werner Rutishauser Kurator der Sammlung Ebnöther. Er organisiert Sonderausstellungen und Führungen, arbeitet am Inventar und schaut, dass Wissenschaftlerinnen Zugang haben. Den heutigen Wert der Sammlung schätzt Rutishauser auf bis zu 50 Millionen Franken. «Die Leute sind immer giggerig auf Zahlen», sagt er. «Solche Zahlen langweilen mich.»
Als Rutishauser als Kurator anfing, wusste er nur wenig über präkolumbische Hochkulturen wie die Moche. Als Archäologe hatte er in der Türkei, in Italien und in Ägypten gearbeitet. Er begann, zu Grabungen in Süd- und Mittelamerika zu reisen. In Peru sei er ausgeraubt worden, erzählt er, einer habe ihn erschiessen wollen, und dann habe ihn eine Magenverstimmung lahmgelegt, von der er sich bis heute nicht ganz erholt habe. Marcel Ebnöther hat er nie kennengelernt (Ebnöther verstarb 2008 nach Jahren der krankheitsbedingten Zurückgezogenheit).
«Herr Ebnöther wollte Gutes tun», sagt Werner Rutishauser. «Er wollte sicher nie Raubgüter kaufen. Es ging ihm darum, eine Brücke zwischen Alter und Neuer Welt zu bauen. Er war modern. Mit der Schenkung hat er seine Sammlung der Öffentlichkeit und der Forschung zugänglich gemacht. Sein Name liegt mir schon auch am Herzen.»
Rutishauser bläst in eine muschelförmige Flöte. Eine heller Klang ertönt. Als er die Flöte absetzt, wischt er sich Staub von den Lippen. «Dreck aus ein paar Jahrhunderten», sagt er und eilt zum nächsten Objekt.
Von den allerwenigsten konnte er den genauen Fundort ermitteln. Selbst wenn er auf Kaufverträge und Adressen von Händlern stiess. Rutishauser erzählt, wie er vor einiger Zeit einen Händler in Lima ausfindig machte, der Ebnöther mehrere antike Objekte verkauft hatte. Der Händler habe sich blumig an Ebnöther erinnert. Als sich Rutishauser nach weiteren Informationen erkundigte, etwa nach den Namen der Typen, die dem Händler die Dinge verkauft hatten, die er anschliessend an Ebnöther weiterverkaufte, sei der Händler ziemlich nervös geworden. Er habe Schauergeschichten erzählt von Kollegen, die erschossen worden seien, und plötzlich habe er ihn für einen Agenten von Interpol gehalten.
Ich frage Werner Rutishauser, warum es – im Gegensatz zu früher – nirgends im Museum Informationen zu Marcel Ebnöthers Sammeltätigkeit gibt. Kein einziges Wort über den Kunstmarkt, den Ebnöther wie viele andere Sammler nährte. Ob bewusst oder unbewusst war Ebnöther Teil einer transatlantische Wundermaschine, die Raubgüter in schöne Kunstobjekte verwandelte, die aus wissenschaftlicher Sicht nahezu wertlos sind.
Warum das Schweigen?
«Ich wollte eine Vitrine zum Thema Raubgrabungen machen», sagt Werner Rutishauser. «Alles war schon vorbereitet. Aus Platzgründen wurde die Vitrine aber gestrichen.» Er kündigt an, sobald die Dauerausstellung erneuert werde, werde man auf die Herkunftsgeschichte der Objekte eingehen. «Die Provenienzdebatte erlebt gerade einen Hype», sagt Rutishauser. «Zu oft geht es nur noch darum und nicht um die Objekte selber.»
Er überlegt. Dann sagt er: «Wir sollten alle Objekte aus der Sammlung Ebnöther in einer Online-Datenbank aufschalten. Dann kann die ganze Welt darauf zugreifen. Und zum Beispiel auch Anträge auf Rückführungen stellen.» Wobei, wie er im nächsten Atemzug sagt, auf ein präkolumbisches Objekt zeigend: «Wenn das nach Peru zurückgeht, wäre es eines von hunderten. Es würde wohl nicht ausgestellt, weil es niemanden wirklich interessiert. Ich frage mich, ob eine Rückführung unter diesen Umständen sinnvoll ist. Vielleicht können wir einen Dauerleihvertrag mit den Herkunftsländern vereinbaren. So könnten solche Objekte vorerst bei uns bleiben.»
Epilog: Zurück nach Peru
«Als wir auf die Raubgrabungen eingegangen sind», sagt Kurt Zubler, der die erste Ebnöther-Dauerausstellung zusammenstellte, «ging es nicht darum, Ebnöther zu demontieren. Wir machten die grundsätzlichen Prinzipien sichtbar: Wie konnte es passieren, dass die Dinge bei uns gelandet sind? Und warum war das falsch?»
«Ich denke, dass viele Objekte aus Ebnöthers Sammlung zurück nach Peru kehren werden», sagt der Archäologe Walter Alva. «Viele sind von einzigartigem Wert. Wie viele es genau sein werden, hängt vom guten Willen des Museums ab. Wir haben keine rechtlichen Möglichkeiten, die Objekte zurückzufordern.»