Das Schaffhauser Tierheim ist bedroht: Bis Ende Jahr müsste eine Viertelmillion Franken zusammenkommen. Doch das Geld ist nicht das einzige Problem, wie die Mitarbeitenden der AZ berichten.
Das Damoklesschwert über dem einzigen Tierheim im Kanton Schaffhausen hat einen Wert: 250 000 Franken. Kommt dieses Geld nicht bis Ende Jahr zusammen, wird das Tierheim Buchbrunnen – wenigstens vorübergehend – schliessen müssen. Dies gab der Schaffhauser Tierschutz, Trägerverein des Tierheims, vor zwei Wochen via Website bekannt. Es klang nach einem Hilferuf sondergleichen: Tiere, die teilweise schwer vermittelbar sind, drohen ihr Zuhause zu verlieren, dazu mehrere Mitarbeitende ihren Job – und Schaffhausen seine einzige Anlaufstelle für Findel- und Verzichttiere.
Die Meldung löste fast unmittelbar eine Solidaritäts- und Spendenwelle unter Tierfreunden und Haustierhalterinnen aus und machte die Forderung laut, dass der Kanton, die Stadt, die Gemeinden finanziell einspringen sollten.
Nur: Eine gesetzliche Grundlage gibt es dafür nicht. Und das Problem im Tierheim Buchbrunnen geht über die maroden Finanzen hinaus. Das Personal schlägt gar Alarm: Es fehlt ein Businessplan seitens Vereinsvorstand. Und ohne diesen würden Spenden jetzt in Strukturen laufen, die das Heim nicht langfristig erhalten würden. Sie berichten von einer Kluft zu diesem Vorstand, die geradeso tief ist wie das Finanzloch: Drei Mitarbeitende haben aufgrund der Überlastung und der über Jahre gärenden Differenzen mit dem Vorstand bereits gekündigt.
Was ist da los im Buchbrunnen?
Die Unterstützung fehlt
Es ist Wochenende, die ersten Medienberichte über die finanzielle Misere im Tierheim sind bereits erschienen, als die Crew des Buchbrunnen sich geschlossen mit der AZ trifft; wer persönlich nicht dabei sein kann, wird via Video zugeschaltet. Wenn die Mitarbeitenden von ihrem Alltag und von den Problemen im Verein erzählen, dringt eine über Jahre angestaute Wut durch. Sie berichten einhellig von denselben Problemen: von seit Jahren anhaltender, massiver Überarbeitung und viel zu wenig Zeit für die Heimtiere, von einer personellen Kluft zum Vereinsvorstand und von finanzieller Intransparenz den Mitarbeitenden wie auch den rund 400 Vereinsmitgliedern gegenüber.
Das Team, das sich um rund 50 Heimtiere plus Pensions- und Ferientiere kümmert, besteht aus fünf Personen, die sich zusammen 400 Stellenprozente teilen. Zu fünft sei das Team aber nie; meistens würden die Mitarbeitenden den Alltag zu zweit bewältigen. Dies führe dazu, dass gerade noch für die notwendigsten Arbeiten Zeit bleibe. «Für die Beschäftigung oder die Erziehung der Tiere bleibt keine Zeit übrig», sagt Andrea Winker, die bis 2005 die Lehre als Tierpflegerin im Heim machte und jetzt Teilzeit arbeitet. Auch bei Krankheitsausfällen, die sich aufgrund der Überlastung häufen, müsse man füreinander einspringen – ein Teufelskreis.
«Wir geben jeden Tag unser Bestes», hält Stefanie Hannig fest, die das Tierheim seit 2018 leitet. «Aber psychisch und physisch geht diese Situation an die Grenzen von jedem einzelnen von uns. Und der Vorstand spekuliert darauf, dass das Tierheim nur so funktionieren kann. Für weiteres Personal sei kein Geld da.»
Die Situation habe sich in den vergangenen Jahren verschärft. Die stellvertretende Leiterin Katja Ganz, die seit 2004 im Tierheim arbeitet, erklärt etwa, dass vor zehn Jahren ein weiterer Stall zur Tierunterbringung dazugekommen sei. «Auf mehr Tiere, die wir heute betreuen, kommt aber insgesamt weniger Personal.» Auch Joseph Sager, der ab 2021 die Ausbildung zum Tierpfleger im Buchbrunnen absolviert hat, hat den Alltag von Beginn weg als sehr stressig erlebt – mit dem zunehmenden Personalmangel sei es aber untragbar geworden. «Ein Totalabsturz», wie er die Lage seit sicher eineinhalb Jahren benennt.
Immer wieder sei das Team mit Verbesserungsvorschlägen – eine neue Website, Abläufe in der Lehrlingsausbildung oder in der Personalfindung – an den Vereinsvorstand herangetreten. «Wir haben uns nie gehört oder ernst genommen gefühlt», fasst Laura Schaad zusammen. «Die Unterstützung seitens Vorstand fehlt uns komplett.»
Das steht auch auf einen Aushang, den Schaad zusammen mit Joseph Sager und Andrea Winker Anfang Oktober im Tierheim anbrachte. Darin schreiben die drei, dass sie aufgrund der «komplett anderen Vorstellungen seitens Vorstand» per Ende Jahr gekündigt haben – «um sich selbst zu schützen, bevor man sich kaputtarbeitet». Sie könnten es nicht mehr vertreten, den Tieren nicht gerecht zu werden. Was bleibt, ist das schlechte Gewissen: «Ich weiss, dass wir am letzten Tag im Tierheim heulend Adieu sagen werden», sagt Andrea Winker, «wir wissen nicht, wohin die Tiere kommen, wenn es das Heim nicht mehr gibt. Ich bin jeden Tag mit meinen Gedanken dort. Aber ich kann nicht mehr – wir können nicht mehr.»
Keine finanzielle Transparenz
Überarbeitung und fehlendes Gehör beim Vorstand seien das eine. Dazu kommt: Vom Ausmass der finanziellen Notlage haben die Mitarbeitenden erst erfahren, als bereits drei Kündigungen eingereicht waren. Die Bestätigung und das 250 000 Franken schwere Damoklesschwert erhielten sie erst mit allen anderen Vereinsmitgliedern: an der Mitgliederversammlung vom 30. Oktober.
Klamme Finanzen ist man sich in der Freiwilligenarbeit wie auch im Tierschutz eigentlich gewohnt. Das Tierheim Buchbrunnen bildet da keine Ausnahme: Der Trägerverein hatte über ein Vierteljahrhundert hinweg Geld gesammelt, um sich den Traum eines eigenes Tierheims endlich zu verwirklichen. Die Pfeiler der Heimfinanzierung – Spenden, Legate und Mitgliederbeiträge – sind bis heute gleich geblieben. Auch das Jahr 2013 war keine Ausnahme. Ein heftiger Gewittersturm, der das Heim damals überflutete, ist noch heute vielen in Erinnerung: Neun Hunde, elf Katzen und 17 Kaninchen und Meerschweinchen ertranken im Heim, das komplett zerstört wurde, zwei Mitarbeitende wurden verletzt. Für den Wiederaufbau kamen damals innert kurzer Zeit rund 480 000 Franken Spenden aus der ganzen Schweiz zusammen.
Kanton und Gemeinden greifen dem Tierheim normalerweise nicht finanziell unter die Arme. Eine Ausnahme gab es, als das Tierheim zehn Jahre nach der Eröffnung sanierungsbedürftig war, weil ein neues Tierschutzgesetz die baulichen Bedingungen im Heim verschärfte. Ausserdem gibt es seit 2008 (aufgrund des neuen Hundegesetzes) eine Leistungsvereinbarung zwischen dem Kanton und dem Tierheim. Diese beschränkt sich aber auf rund 30 000 Franken jährlich und deckt damit nicht einmal die Ausgaben für Tierpflege, Tierarztbesuche und Medikamente.
Wie genau es um die Finanzen des Schaffhauser Tierschutzes steht, war und ist für die Öffentlichkeit allerdings nicht ersichtlich. Der Verein hat – anders als viele Tierschutzvereine – weder seine Statuten noch die Erfolgsrechnungen vergangener Jahre öffentlich aufgeschaltet. Die AZ hatte via einem Vereinsmitglied Einsicht in die Unterlagen der Mitgliederversammlung vom Oktober, die bis aufs Jahr 2017 zurückgehen. Sie zeigen: Der Verein verzeichnet seit Jahren ein Defizit im mittleren fünfstelligen Bereich – und dies, obwohl pro Jahr über 100 000 Franken aus den Reserven ins Budget flossen. Bei fast gleich bleibendem Personalaufwand nahmen vor allem die Einnahmen aus Spenden und Legaten mit der Pandemie rapide ab.
Auch die Tierheimcrew habe – ausser an den Mitgliederversammlungen – keinen Einblick ins Portemonnaie des Vereins erhalten. Selbst die Tierheimleiterin Stefanie Hannig hat somit nicht mehr Informationen über das Budget als jedes Vereinsmitglied. «Diese Intransparenz ist frappant», sagt sie. «Als Vorstand eines Tierschutzvereins hast du eine Verantwortung gegenüber deinen Mitarbeitenden, gegenüber jedem einzelnen Vereinsmitglied und jedem Tier, das bei uns im Heim sitzt. Dieser Verantwortung hätte sich der Vorstand längst stellen müssen.»
Es ist kein Zufall, dass die Vorwürfe an den Skandal rund um den Schweizer Tierschutz (STS) von vergangenem Sommer erinnern. Es ging um einen autoritären Führungsstil, eine Kultur der Intransparenz und um Streitereien bei der millionenschweren Organisation. Es gab weder Jahresbudgets noch aussagekräftige Erfolgsrechnungen – dafür einen überrissenen Umgang mit Spesen und Vergütungen. Solch harsche Vorwürfe stehen im Schaffhauser Tierschutz nicht im Raum, und personell ist der lokale Vorstand nicht mit dem STS verbunden. Aber: Die Misere im Dachverband ist mit ausschlaggebend für das finanzielle Loch im Tierheim Buchbrunnen – weil aufgrund des fehlenden Vertrauens weniger Spenden eingingen. Und ein Budget fürs kommende Jahr hat der Vorstand des Schaffhauser Tierschutzes offenbar bis heute nicht.
Diplomatische Antworten
Oberste Chefin des Schaffhauser Tierschutzes und somit des Tierheims ist Monika Hübscher, ihrerseits Polizistin bei der Schaffhauser Polizei, die – wie alle anderen im Vorstand – den Verein als Hobby und somit unentgeltlich leiten. Hübscher kündigt am Telefon an, sie werde sich aufgrund ihrer Position als Vereinspräsidentin nicht zu jedem Kritikpunkt äussern können. Und wenn sie es tut, dann mit diplomatischem Worten. Zu den Konflikten zwischen Tierheimcrew und Vorstand beispielsweise hält sie lediglich fest, es sei richtig, dass die Meinungen immer wieder auseinandergingen und dass aufgrund der knappen finanziellen Ressourcen auch bei der Anzahl Personaleinstellungen gespart worden sei.
AZ Frau Hübscher, warum braucht der Verein genau jetzt 250 000 Franken?
Monika Hübscher Diese ungefähre Summe gibt einen ersten finanziellen Boden und zeitliche Luft, um Sponsoring für wiederkehrende Beiträge zu generieren und Fachpersonal einzustellen.
Gibt es für das Folgejahr überhaupt ein Budget?
Leider habe ich kein Budget 2025 erhalten; mehr darf ich dazu nicht sagen. Wir müssen momentan vorbehaltlich mit den gleichen Zahlen wie 2024 rechnen.
Das Defizit war dem Vorstand bekannt. Was hat er dagegen unternommen?
Als Verein sind wir auf Legate und Spenden angewiesen. Diese sind in den letzten Jahren zunehmend weniger geworden. In den drei Jahren, seit ich Präsidentin des Schaffhauser Tierschutzes bin, versuchte der Verein bei allen Positionen einzusparen.
Sind Sie mit dem Spendenaufruf jetzt nicht zu spät dran?
Ich muss Ihnen Recht geben: Die Zahlen im Budget waren mir ungefähr bekannt. In den vergangenen Jahren kamen zwar immer wieder Legate rein; auf die haben wir jetzt aber zu lange gehofft. Das war ein Fehler. Es sind viele «Baustellen» im Personalbereich und in der Öffentlichkeitsarbeit in den letzten Jahren liegen geblieben, mitunter auch aufgrund fehlender Personalressourcen innerhalb des Vorstands. Die Kündigungen bedauere ich sehr, waren es doch fachlich und menschlich tolle Mitarbeiter, die zum Wohl der Tiere und des Teams manche Überstunden geleistet haben. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich als Präsidentin die Reissleine nicht schon eher gezogen habe.
Showdown im Dezember
Immerhin für den Dachverband STS geht es seit Kurzem vorwärts: Die Stiftung Zewo hat die bedeutendste Tierschutzorganisation des Landes Anfang November von ihrer «schwarzen Liste» genommen und rät somit auch nicht mehr von Spenden an den STS ab. Nun sollen neue Statuten und ein «Kulturwandel» her; man wittert den Befreiungsschlag.
In Schaffhausen soll es derweil eine ausserordentliche Mitgliederversammlung richten. Am 10. Dezember wird sich herausstellen, ob der Vorstand das Steuer noch rechtzeitig herumreissen kann; im Raum steht aber auch ein Generationenwechsel im Vorstand selbst. Stand jetzt arbeiten Stefanie Hannig und Katja Ganz ab 1. Januar zu zweit im Heim, da ohne Geld auch kein neues Personal eingestellt werden kann. Die beiden zeigen sich skeptisch, ob Spenden allein das Heim noch retten können. «Wir wissen nicht, was wir den Leuten jetzt sagen sollen, die solidarisch mit uns sind», sagt Tierheimleiterin Stefanie Hannig. «Wir müssen sie auf die Misere – den Personalmangel, die schlechte Kommunikation, die fehlende Transparenz – aufmerksam machen. Und es ihnen überlassen, ob sie spenden wollen oder nicht.»
Vereinspräsidentin Monika Hübscher sagt derweil, ihr Fokus liege nun nicht mehr auf den Fehlern, sondern auf der Zukunft. Es sei ein Reformprozess im Gange mit dem Bestreben, das Tierheim auf Vordermann zu bringen und längerfristig auch andere Tierschutzprojekte anzugehen. Er beinhalte, so Hübscher, unter anderem Stellenbeschriebe und Betriebskonzepte, die das Tierheim bis anhin nicht hatte. Ein erster Schritt dieses Prozesses sei bereits getätigt worden: Der Schaffhauser Tierschutz hat einen neuen Internetauftritt, den Ronja Hübscher (die Tochter von Monika Hübscher, seit Ende Oktober ebenfalls Vorstandsmitglied) innert weniger Wochen aufgebaut habe. Monika Hübscher zeigt sich zuversichtlich, dass eine Summe zusammenkomme, mit der die Schliessung des Tierheims abgewendet werden kann. Zudem seien Gesuche an den Kanton, die Stadt und verschiedene Gemeinden in Arbeit.