Im Autobann

28. Oktober 2024, Sharon Saameli
Die Stadt im Bann des Betons: Schaffhausen hinter der Rheinbrücke. Foto: Robin Kohler
Die Stadt im Bann des Betons: Schaffhausen hinter der Rheinbrücke. Foto: Robin Kohler

In einem Monat entscheidet die Stimmbevölkerung über den Autobahnausbau – und damit über den zweiten Fäsenstaubtunnel durch Schaffhausen. Hält das Projekt, was es verspricht?

Der «Bundesbeschluss vom 29. September 2023 über den Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen» ist beileibe kein geflügelter Ausdruck. Der sperrige Name verkörpert aber sehr deutlich, worum es bei der Abstimmung am 24. November geht: Auf Schweizer Autobahnen gibt es zu viel Stau, 2023 waren es mit 48 807 Staustunden so viele wie noch nie.

Schaffhausen kennt das Problem: Täglich rollen 30 000 Autos über die A4 und durch den Fäsenstaubtunnel. Kommt es zu einem Unfall oder zu Baustellen im Tunnel, dröhnen diese Autos mitten durch die Stadt. Das Bundesamt für Strassen (Astra) will daher mit einer zweiten Röhre Platz schaffen: Zwischen Schaffhausen-Süd und Herblingen soll die A4 auf vier Spuren ausgebaut werden. Neben dem neuen Tunnel sind im Paket eine doppelstöckige Galerie im Fulachtal, ein neuer Kreisel beim Mutzentäli und eine Reduktion der Auffahrt Schaffhausen-Nord geplant.

Das Schaffhauser Projekt ist eines von sechs geplanten Autobahnausbauten in der Schweiz, über die nun abgestimmt wird. Im Raum Bern und in der Westschweiz soll die A1 um je eine Spur pro Fahrbahn verbreitert werden, und nebst Schaffhausen sollen auch St. Gallen und Basel eine neue Röhre bekommen. Im Normalfall kann der Bund derartige Projekte auch ohne Abstimmung umsetzen. Aber der VCS und verschiedene Umweltverbände ergriffen gegen den «Ausbauschritt 2023» das Referendum, was nun die Abstimmung über den Kredit von 4,9 Milliarden Franken ermöglicht.

Das ist Problem und Chance zugleich. Denn nun stimmt beispielsweise Basel darüber ab, was in St. Gallen gebaut werden soll, und Uri entscheidet mit, ob Schaffhausen eine zweite Röhre erhält. Gleichzeitig verschafft die Abstimmung Zeit, um die Argumente und Versprechen des Astra zu überprüfen.

Die Sicherheitsfrage

Für einen zweiten Fäsenstaubtunnel spricht gemäss Astra allem voran: die Sicherheit. Mit vier Spuren könnte der Verkehr richtungsgetrennt geführt werden, sodass es zu weniger Unfällen und Umleitungen kommen soll. Und mit weniger Autos auf dem untergeordneten Netz würden sich die Unfälle auch dort reduzieren.

Nur: In einer internen Gesamtanalyse kommt das Astra selber zum Schluss, dass sich in Sachen Sicherheit positive und negative Aspekte die Waage halten. Der Schlussbericht, welcher der AZ vorliegt, räumt zwar einen Pluspunkt zur Betriebsqualität und -sicherheit ein (maximal sind 15 Punkte möglich), aber einen Minuspunkt zur polizeilichen Überwachung. Betreffend Unfallgefahr zeigt die Kosten-Wirksamkeitsanalyse gar keinen Effekt. CH Media hielt auf Grundlage desselben Dokumentes vergangene Woche fest, dass die Sicherheitsbilanz in vier von sechs Projekten neutral oder sogar klar negativ sei. Interessant ist auch: Von allen 30 Projekten, die das Astra im Bericht überprüft, erhält kein einziges eine so schlechte Gesamtnote wie der Fäsenstaubtunnel in Schaffhausen. Die Bewertungsklasse F (die schlechteste) hat nur ein einziges weiteres Projekt erhalten – dieses ist aber nicht genügend ausgearbeitet, um schon umgesetzt zu werden.

Zur Frage der Sicherheit hält der Schaffhauser Kantonsingenieur Dino Giuliani fest, dass eine theoretische Betrachtung wenig aussagekräftig sei. Aus praktischer Sicht schätze er – wie auch Tiefbau Schaffhausen und die Schaffhauser Polizei – die Erhöhrung der Verkehrssicherheit aber als hoch ein. Eines von vielen Beispielen: Aktuell passiert der weitaus grösste Anteil aller Unfälle im Bereich der Tunnelportale. Das Ausbauprojekt passt die Einfahrten zum Tunnel an. «Unfälle beim Einspuren und Auffahrunfälle werden erheblich unwahrscheinlicher», so Giuliani.

Wird die Stadt wirklich entlastet?

Das Astra bewirbt die zweite Röhre durch Schaffhausen auch damit, dass die Stadt entlastet würde. Flankierende Massnahmen sollen dafür sorgen, dass man lieber die Autobahn benützt als das städtische Strassennetz. So soll auf der Bachstrasse, der Fulachstrasse und auf der westlichen Ebnatstrasse bis zum Kreisel Tempo 30 gelten. Ausserdem sind neue Velorouten und Grünräume fester Teil des Projekts.

Auch dieses Entlastungsargument relativiert das Astra in seiner Gesamtanalyse gleich selber: Die Entlastung des unterordneten Netzes erhält nur einen von 15 Pluspunkten. Auch die Reisezeit und die Zuverlässigkeit erhalten nur eine ganz leichte Verbesserung. Dafür ist bereits einkalkuliert, dass für die Umwelt durch und durch Schaden entsteht: Lebensräume und Gewässer erhalten minus 10 Punkte, die Umweltbelastung während der Bauphase vier Minuspunkte.

Immerhin: Das Astra argumentiert auch, dass es vor allem längerfristig zur Entlastung kommen werde. Denn der jetzige Fäsenstaubtunnel müsse in den kommenden Jahrzehnten saniert werden, und dies sei – aufgrund der hohen Abhängigkeit des Verkehrs vom Tunnel – unter Betrieb nicht möglich. Eine zweite Röhre sei darum notwendig, damit der Verkehr weiterhin unterirdisch statt während Jahren durch die Innenstadt rollen muss.

Das liebe Geld

Weniger das Bundesamt für Strassen als vielmehr Lobbyverbände und bürgerliche Parteien argumentieren zudem mit dem Geld für mehr Autobahn. Denn der «Ausbauschritt 2023» wird aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds, kurz NAF, finanziert. Die knapp fünf Milliarden Franken kommen also nicht aus der Bundeskasse, sondern vom Mineralölsteuerzuschlag, der Autobahnvignette und der Automobilsteuer. Die Befürworter sagen damit auch: Automobilistinnen bezahlen den Ausbau ihrer Infrastruktur selber, das macht ihn erst recht legitim.

Das Problem: Durch das Wachstum des Nationalstrassennetzes in den vergangenen Jahren sind die Unterhaltskosten gestiegen – gleichzeitig sinken die Einnahmen aus der Mineralölsteuer. Wie der Tagesanzeiger berichtete, wurde vergangenes Jahr erstmals mehr Geld aus dem NAF entnommen, als eingezahlt wurde; 158 Millionen Franken betrug die Differenz. Auf die Dauer würde diese Entwicklung eine Verteuerung des Benzinpreises nach sich ziehen.

Dazu kommt: Auch um die Folgekosten der Ausbauprojekte ist jüngst eine Debatte entbrannt. Wie die NZZ am Sonntag zuerst schrieb, sind die Folgekosten der Mobilität viel höher als ursprünglich angenommen. Quelle dieser Erkenntnis ist ausgerechnet das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), das – wie auch das Astra – Teil des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation ist und Bundesrat Albert Rösti untersteht.

Das ARE berechnet jährlich, wie hoch die externen Kosten der Mobilität in der Schweiz zu liegen kommen. Gemeint sind damit unter anderem Abgase und Lärm, der CO2-Ausstoss, Unfälle und Kulturlandverlust. Nun änderte das ARE dafür aber die Methodik und gab den Klimakosten deutlich mehr Gewicht. Das wiederum führt dazu, dass die externen Kosten für den motorisierten Strassenverkehr plötzlich um 60 Prozent steigen: von 10,8 Milliarden auf 17,3 Milliarden Franken.

Der Wirtschaftsfaktor

Pikant ist, dass diese Bilanz so kurz vor der Abstimmung über den Autobahnausbau publik geworden ist. Denn die neuen Zahlen dürften sich auch auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis der jetzigen Projekte auswirken. Im Fall Schaffhausen ist dieses Verhältnis ohnehin schon tief: In einem Bericht des Astra, welcher der AZ vorliegt, hat das Projekt zweite Röhre ein Kosten-Nutzen-Verhältnis von 0.57. Der volkswirtschaftliche Nutzen ist also negativ – selbst wenn alle geplanten flankierenden Massnahmen auch umgesetzt werden.

Kantonsingenieur Dino Giuliani erklärt dies folgendermassen: «Teure Tunnelbauten verschlechtern das Kosten-Nutzenverhältnis generell. Der Fäsenstaubtunnel ist im Verhältnis zur Tunnellänge relativ teuer; ohne Tunnel geht es an einem Berg aber nicht.»

Die Projektkosten für die zweite Röhre belaufen sich gemäss aktuellem Planungsstand auf rund 473 Millionen Franken.

So oder so gilt: Nach der Abstimmung ist vor der politischen Mitsprache. Denn sagt am 24. November eine Mehrheit Ja zum Ausbau und damit zum zweiten Fäsenstaubtunnel, wird das Astra in Schaffhausen bald die öffentliche Auflage durchführen. Dann dürfte die Debatte weitergehen – weil dann auf lokaler Ebene Einsprachen gemacht werden können.