Endzeitstimmung

22. Oktober 2024, Sharon Saameli
Foto: zVg
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Grüze Pack malt auf der neusten Platte so schwarz wie noch nie. Frontmann Christian Erne über Punk, das Patriarchat und die Zeichen der Zeit.

«Ois chli Freizyt, ois chli Lohn,
oi die ganz scheiss Produktion
Ney mir sitzed nid im gliche Boot
sisch oiji Freiheit, immersho»

Grüze Pack hat eine neue EP draussen. Die vertraute Klassenkampfrhetorik ist noch da: hier die Büezer, da die Reichen, und gewinnen können nur die Letzteren. Doch seit die HC-Punkband aus Schaffhausen und Winterthur 2018 das erste Mal zusammen Musik machte, veränderten sich die Vorzeichen. Die neuste Platte heisst «Generation next», und sie ist düsterer, pessimistischer als die beiden vorherigen: Krise reiht sich an Krise, der Klimakollaps, das Patriarchat und das Sterben im Mittelmeer türmen sich bedrohlich in den Lyrics auf. Woher kommt diese Verschiebung? Hat sie mit der Band zu tun, oder mit der ganzen Szene?

Wir treffen Frontmann Christian Erne zum Gespräch. Die Schäferei ist an diesem Tag geschlossen, darum landen wir am Stammtisch der Fassbeiz. Hier haben vor sehr vielen Jahren einmal Punkkonzerte stattgefunden. Heute isst man um uns herum Clubsandwiches und trinkt ein Glas Roten. Christian Erne redet schnell und viel, auch wenn er später sagen wird, dass er eigentlich besser schreiben kann.

Christian Erne, an der Plattentaufe von «Generation next» im September geschah etwas, das ich an einem Punk-Konzert noch nie erlebt habe: Du hast den Auftritt von Grüze Pack mit einer Ansage gegen Sexismus begonnen. Warum?

Christian Erne Für uns war ein Punkt erreicht, an dem wir klar Stellung beziehen mussten gegen sexistisches Verhalten. Gerade weil wir eine Typenband sind. Ich kenne nur eine andere Typenband, die das regelmässig macht, und zwar Holiday Wasteland aus Winterthur. FLINTAQ-Bands (FLINTAQ ist eine Abkürzung für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nonbinäre, trans, agender und queere Menschen, Anm. d. Red.) machen solche Statements seit Jahren, und es ist endlich an der Zeit, sie darin zu unterstützen.

Im Vorfeld zur Plattentaufe ging in der Eventlocation, dem Studio des Radio Rasa, eine E-Mail ein. Darin wurde kritisiert, dass Grüze Pack und Stiff Faces an diesem Abend allein eine Bühne haben würden, also acht Männer. Beschäftigte dich das?

Selbstverständlich. Ausschlaggebend für das Statement waren aber die vielen Gespräche mit Betroffenen, die wir in letzter Zeit geführt haben. Als Typ bekommst du so vieles nicht mit, aber wenn du erst einmal anfängst, FLINTAQ*-Personen zuzuhören, ist krass, was alles hochkommt. Uns war es deshalb wichtig, ein solches Statement am nächsten Konzert zu machen. Und es war uns wichtig, dies vor Ort zu machen statt etwa über Instagram. So erreichen wir die Community, die Leute, die sich effektiv für unsere Musik interessieren.

Diversität wird im gesamten Kulturbetrieb immer stärker betont. Spielt das bei euch überhaupt eine Rolle?

Grundsätzlich ist die Hauptsache ja nicht, ob es FLINTAQ-Personen in der Band hat, sondern die Haltung – also, dass die Leute politisch stabil sind. Aber beim Booking sollte auf jeden Fall geschaut werden, ob es nicht auch stabile Bands mit FLINTAQ-Beteiligung gibt. Denn die Szene ist nach wie vor männerdominiert. Wir haben versucht, für die Plattentaufe auch andere Bands reinzuholen. Mit den Stiff Faces hatten wir dann eine superlokale und coole Band, mit der wir schon viele Konzerte gespielt haben.

Was bedeutet Männlichkeit für dich?

Was heisst das: sich als Mann zu fühlen? Ich bin Skinhead-sozialisiert. Das heisst, proletarische Attribute wie Härte, sich verteidigen zu können, das gehörte für mich immer dazu. Aber wie sich Männlichkeit anfühlt, das weiss ich nicht. Ich bin oft hässig, auch gewaltbereit, wenn es nicht anders geht. Aber Typen, die sich gerne männlich fühlen, fand ich immer schon scheisse.

Du sagst, du hast Gespräche mit Betroffenen geführt. Was machst du, wenn dabei Freunden von dir Vorwürfe gemacht werden?

Es ist enorm wichtig, solche Vorwürfe ernst zu nehmen und auch Freunde damit zu konfrontieren. Oft heisst es: Warum sagen Typen nie etwas zu diesem Thema? Wegschauen oder einfach nicht mehr miteinander reden geht gar nicht. Diese Konfrontation ist sicher nicht geil, aber ich erwarte genau dasselbe ja auch von meinen Leuten, wenn etwas über mich herumgeht. Was ist Freundschaft sonst wert, wenn du nicht einmal ein unangenehmes Gespräch führen kannst?

Punk war immer Anti-Establishment, gegen «die da oben» und gegen Hierarchien. Warum hat ausgerechnet diese Szene ein Mackerproblem?

Jede Szene hat ein Mackerproblem und halt auch unsere. Im Punk ist es vielleicht so, weil extrem viel Wut im Spiel ist. Und einfach Anti-Establishment zu sein, kann halt auch nach hinten losgehen. Schau dir mal an, wo der Sex-Pistols-Sänger heute politisch steht, was für Scheiss er rauslässt. Punk war zudem auch immer stark von Rechts vereinnahmt, für linken Punk musste immer schon gekämpft werden. Beim Punk gings ja am Anfang schlicht darum, dass jede und jeder ein Instrument spielen und irgendeine Kackband gründen und Lärm machen kann.

Genau diese Befreiung hätte doch aber jede und jeden auf die Bühne holen müssen. Also auch Frauen, auch genderqueere Menschen. Das ist auch passiert, aber nur schon ansatzweise ausgeglichen war die Szene nie.

Klar hattest du immer massenhaft Typen in Bands. Aber es gab auch immer wieder Momente mit unglaublich vielen Frauen auf den Bühnen. Die Riot-Grrrl-Bewegung etwa. Aktuell ist die Pariser Oi!-Szene da unglaublich, in jeder Band haben die eine bis zwei Frauen. Ich habe mich immer gefragt, wie die das schaffen.

Und, hast du es herausgefunden?

Nein, keine Ahnung. Der französische Oi! ist stärker am Wave orientiert, weniger brachial, die Melodien spielen eine grössere Rolle. Aber ob das eine Rolle spielt? Letztlich hängt es von den Leuten ab, die die Musik machen und gute Orte für andere Leute schaffen, das sieht man aktuell auch im deutschsprachigen Raum. Gerade im Hardcore-Punk gibt es eine Welle sehr guter und diverser Bands. Dregs aus Österreich, Placid aus Deutschland oder Gøldi aus der Schweiz sind solche Beispiele. Sich mit solchen Gruppen zu verbünden, Berührungspunkte zu schaffen, ist wichtiger denn je.

Das müsste auch dazu führen, das eigene Verhalten anzupassen, nicht?

Ja. Auf blödes Geprolle und Saufpunkscheisse hat niemand mehr Bock.

Spezifisch um Alkohol geht es auch auf der neuen Platte. Einmal heisst es in deinen Texten: «Kei Ode as Saufe, kei Ode ad Nacht, FLINTAQ* ide Gasse in konstanter Angst, Blick immer füre und zrugg ufde Strass, Hand ide Täsche, de Mace-Spray parat».

In dieser Line geht es darum, Partys und Saufen zu problematisieren mit dem Blick auf die Menschen, die dabei unter die Räder kommen. «Kei Ode» richtet sich aber ganz allgemein gegen Oden, gegen Hymnen. Davon wende ich mich ab.

Warum?

Weil dafür einfach nicht mehr die Zeit ist. In unserer Szene sind Loblieder aufs Saufen, die Arbeit oder auf die Gewalt weit verbreitet. Auf unserer zweiten Platte haben auch wir einen Saufsong. Aber diesen Tune spielen wir jetzt nicht mehr.

Grüze Pack gibt es seit 2018. Davor hast du unter anderem bei der Ska/Reggae-Band Plenty Enuff gesungen. Wie kamst du von dort aus in die Punkszene?

Mit Punk hat bei mir alles angefangen. Meine erste eigene Musik war Deutschpunk, zuerst Klassiker wie Die Ärzte und Die Toten Hosen, später hörte ich DDR-Punk. Mit 16 habe ich dann zum ersten Mal Ska gehört und dann Early Reggae. Musikalisch ist der Early Reggae bis heute meine grösste Liebe. Zu Plenty Enuff kam im Jahr 2000 dazu und ging 2005 wieder. Danach habe ich lange gar keine Musik gemacht.

Wie bist du bei Grüze Pack gelandet?

Unser Gitarrist Dominic fragte mich irgendwann im Taptab, ob ich mir vorstellen könnte, Front zu machen in einer Prolopunkband. Dominic und Patric Rubli sind Brüder und mit Roman Meier befreundet, und zu dritt machen sie schon richtig lange Musik. Seitdem funktioniert diese Band recht simpel: Die Musik kommt komplett von ihnen, ich bringe die Lyrics und shoute drüber.

Grüze Pack, das sind: Patric Rubli am Bass, Dominic Rubli an der Gitarre, Roman Meier hinter den Drums und Christian Erne hinter dem Mic. Foto: zVg
Grüze Pack, das sind: Patric Rubli am Bass, Dominic Rubli an der Gitarre, Roman Meier hinter den Drums und Christian Erne hinter dem Mic. Foto: zVg

Geschrieben hast du ja schon früher. Der inzwischen beerdigte Blog «Verfaulte Geschichten» ist von dir und Jürg Odermatt. Ist der HC Punk jetzt dein neues Ventil?

Ich bin zwar nicht in irgendeiner Partei aktiv, aber politisch doch sehr interessiert. Und irgendwo muss man den Hass und die Wut ja rauslassen. Ich meine dabei nicht einmal nur bei Live-Auftritten, sondern gerade auch bei Texten. Da bin ich übrigens richtig neidisch auf Rapper, die viel schneller Singles raushauen und thematisch aktuell sein können. Auf unserem neuen Album sind unter anderem Texte aus der Pandemie, die ich schon 2021 geschrieben und überarbeitet habe.

Du sagst in einem Lied, es müsse nicht erst ein Virus kommen, um die Schweiz zu spalten, sie sei das schon immer gewesen – und mittendrin die Polizei, die diese Ordnung aufrechterhalte. Das ist die Klassenkampfrhetorik, wie ich sie von Grüze Pack kenne: «Bourgeoisbluet = Farb fürd Muur». Auf «Generation next» setzt du dich aber auch mit der Festung Europa oder eben mit der Diskriminierung von FLINTAQ* auseinander.

Das Krasse ist, dass die beiden Texte zu Migration schon fast 17 Jahre alt sind. Ich war in Zürich an Bleiberechtsdemos dabei und habe an einem Spoken-Word-Event gelesen. Das war 2007. Und heute ist es immer noch die gleiche Scheisse. Nein, es ist sogar schlimmer geworden. Die Situation auf dem Mittelmeer, im Nahen Osten, in der Türkei, auf der Balkanroute… Aber Klassenbewusstsein spielt bei uns nach wie vor eine wichtige Rolle. Covid hat so vielen die Synapsen verjagt. Ich kenne Leute aus der Punkszene, die kritisierten, dass man nicht gegen die Massnahmen auf die Strasse ging, und ich fand halt: Du gehst an Demos, an denen Nazis mitlaufen, also check mal, wo du dich einordnest. Die ganze Geschichte war ja für niemanden lustig, aber in der Pflege, in der Bildung oder auf dem Bau hat man durchgearbeitet, während sich einige wenige eine goldene Nase verdient haben.

«Generation next» ist die bisher düsterste Platte von Grüze Pack. Was ist passiert?

Es herrscht irgendwie Endzeitstimmung. Ich bin zwar nicht mehr voll am Puls, und ich weiss, es gibt da draussen viele Junge mit Hoffnung, dass sich die Dinge verbessern lassen. Trotzdem finde ich im Moment nicht viele Anhaltspunkte für Optimismus. Man sieht, was man alles machen müsste, in der Klimafrage beispielsweise, und es passiert dafür einfach saumässig wenig.

An einer Stelle in deinem Text heisst es: «Wem sini Zuekunft? Oisi Zuekunft! Oji Zuekunft isch gfickt!» Das lässt einen ziemlich ratlos zurück.

Das ist sicher übertrieben hart gesagt, ja. Aber zu übertreiben und härter zu machen gehört im Punk zum Game. Die Line ist entstanden, weil ich in der Rhybadi im Vorfeld einer Klimademo eine Gruppe beobachtet habe, die vom Sprungbrett gesprungen ist und den Slogan «Wem sini Zuekunft? Oisi Zuekunft!» rief, um für die Demo zu mobilisieren. Wie geil, dachte ich mir, die Line musste ich übernehmen. Dass junge Menschen daran glauben, dass noch irgendetwas möglich ist, ist aber sauwichtig.

Innerhalb der Linken höre ich oft, dass antirassistische, aber auch feministische Politik oder Klimapolitik am Kern der Sache vorbeigeht, dass letztlich die Klassenfrage dahinter verschwindet. Du thematisierst auf der neuen EP alles gleichzeitig. Was denkst du über diesen Streit?

Freunde von mir sind Anarchistinnen, andere Kommunisten, die einen sind in demokratischen Parteien zuhause und finden die Marktwirtschaft okay, andere wollen sie abschaffen. Ich glaube, in der Schweiz kannst du nicht gross aussuchen, mit wem du dich verbündest, wenn es um linke Politik geht. Was bringt es mir zu sagen, Anarchos sind alles Träumer? Das gibt nur noch mehr Spaltung. Wir sollten alle Leute ernst nehmen, die interessiert daran sind, Verbesserungen für die arbeitende Bevölkerung hinzukriegen.

Wie geht es mit Grüze Pack weiter?

Unsere neue Platte ist jetzt draussen und wir machen erstmal Pause. Im Dezember gibts vielleicht nochmal ein Konzert. Bis dahin tun wir das, was ich am Anfang gesagt habe: uns mit stabilen Leuten vernetzen. Am Samstag, 19. Oktober, spielen zwei FLINTAQ*-Punkbands in Schaffhausen. Gøldi versuche ich schon richtig lange hierher zu bringen, wir hatten sie ursprünglich auch für die Plattentaufe angefragt. Auch Placid aus Frankfurt hatte ich bereits vor, zu veranstalten. Es klappte damals leider nicht, aber jetzt ist es endlich soweit.

«Generation next» und die beiden anderen EPs von Grüze Pack kann man auf grzpck.bandcamp.com hören.