Die umstrittenen Riklin-Brüder über angemessene Honorare, schlechten Journalismus, Drohungen und SVPler als Prä-Komplizen.
Das soziale Kunstwerk «Hybride Stadtbank» von Patrik und Frank Riklin vom Atelier für Sonderaufgaben hat in Schaffhausen für grosse Aufregung gesorgt.
Das Bedürfnis, sich zu erklären, scheint bei den Zwillingsbrüdern gross zu sein. In einem Zoom-Interview reden sie fast zwei Stunden ohne Punkt und Komma, immer wieder schweifen sie ab, fallen sich gegenseitig ins Wort, zanken sich.
Zum Schluss schlägt Patrik Riklin vor, mit der Audioaufnahme des Interviews den Walther-Bringolf-Platz zu beschallen. «Oder wir lesen eine Abschrift mit dem Megafon vor. Das wäre doch eine super Performance!»
Frank und Patrik Riklin, Ihr soziales Kunstwerk löste in Schaffhausen einen Sturm der Entrüstung aus. Hatten Sie das erwartet?
Frank Riklin Wir sind Künstler, aber wir arbeiten nicht fürs Museum, sondern im öffentlichen Raum, dort, wo man Kunst nicht erwartet. Dass das Friktionen schafft, ist ein Naturgesetz. Aber die Heftigkeit der Reaktionen in Schaffhausen war schon überraschend. Wir wurden bedroht.
Inwiefern wurden Sie bedroht?
Patrik Riklin Die Drohungen begannen im November 2023, als der Grosse Stadtrat über die 100 000 Franken diskutierte, die wir für das Projekt «Hybride Stadtbank» bekommen sollten. Damals erhielten wir erste anonyme Nachrichten: Kommt nicht nach Schaffhausen, lasst uns in Ruhe! Kurz vor dem Startschuss des Projekts im August 2024 gab es wieder Drohungen. Wir mussten die Polizei einschalten. Zugespitzt hat sich die Situation dann aber vor allem, als kurz nach dem Start in der NZZ aus unerklärlichen Gründen ein Bild eines zersägten Bänkli einen Kommentar illustrierte, bei dem es um russische Kriegspropaganda ging. Als wir uns beschwerten, wurde das Bild online zwar ausgewechselt, aber es war schon zu spät. Kurz darauf wurden die Schaffhauser Sitzbänke in einem russischen Propagandamedium thematisiert. Der SVP-Kantonsrat Pentti Aellig hatte zuvor auf der Plattform X behauptet, das Gelb unserer Sitzbänke stehe für die Ukraine und sei ein politisches Statement. Völlig abstrus, ich bringe das bis heute nicht zusammen.
Frank Riklin Wieder gab es happige Drohungen. Die Stimmung war so angespannt, dass wir uns nicht mehr nach Schaffhausen trauten. Wir wollten nicht zur Zielscheibe von Leuten werden, die durchdrehen, weil sie glauben, wir seien Kriegskünstler. Eine solche Heftigkeit haben wir in 25 Jahren mit unserem Atelier für Sonderaufgaben noch nie erlebt.
Patrik Riklin Der ganze Hass ist auch ein Spiegel unserer überhitzten Gesellschaft. Man hört sich nicht mehr zu. In Schaffhausen zeigt sich das gerade ziemlich gut.
Wieso hat sich das gerade hier so zugespitzt?
Patrik Riklin Da ist wohl einiges zusammengekommen. Aber frappant ist, dass es immer dann Drohungen gab, nachdem die Schaffhauser Nachrichten über uns berichtet hatten. Es begann, als sie völlig unreflektiert rapportierten, wie wir im Grossen Stadtrat für Wahlkampfzwecke verleumdet worden waren. Die SN waren ein wichtiger Faktor, warum der Hass so gross wurde.
Es ist eine klassische Medienaufgabe, das parlamentarische Geschehen zu rapportieren.
Frank Riklin Aber was dort gesagt wird, muss man als Medium doch auch hinterfragen!
Die Menschen haben sich vor allem über die 100 000 Franken empört, die Sie von der Stadt erhielten. Sie arbeiten seit vielen Jahren mit Gemeinden zusammen. Sind Sie sich solche Debatten gewohnt?
Frank Riklin Oft werden die Gelder, die wir für unsere Projekte bekommen, nicht öffentlich debattiert. In der Regel werden zuerst Gelder für Projekte gesprochen, erst dann werden Künstler beauftragt.
Patrik Riklin In Altstätten gab es einen Analogiefall zu Schaffhausen. Dort wollten wir als Pendant zur Digitalisierung ein analoges Fadennetz durch die ganze Gemeinde spannen. Der Stadtrat hat dafür wie in Schaffhausen 100 000 Franken gesprochen und uns mitgeteilt, dass es da keinerlei Probleme geben würde. Dann gab es eine Bürgerversammlung, wo die SVP mobilisierte und das Projekt mit einer Stimme Unterschied beerdigte. Wir waren naiv und vertrauten dem Stadtrat. Daraus haben wir gelernt.
Frank Riklin In Schaffhausen sagte uns Stadträtin Christine Thommen zuerst auch, das Projekt werde über das Exekutivbudget finanziert, dann ging sie damit aber doch ins Parlament, wo die ganze Empörung ihren Anfang nahm. Wir haben aber insofern gelernt, als dass wir im Schaffhauser Stadtparlament im Vorfeld lobbyierten. Wir investierten viel Zeit, um Meinungsmacher vom Projekt zu überzeugen, und es hat sich gelohnt. Über ein halbes Jahr wurde ja insgesamt drei Mal im Grossen Stadtrat über die 100 000 Franken abgestimmt, weil es immer neuen Widerstand gab. Das Geld wurde jeweils ganz knapp bewilligt.
Mich hat überrascht, dass Ihr soziales Kunstwerk die Menschen dermassen aufwühlt. Ich finde das Projekt ehrlich gesagt eher etwas langweilig. Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie provokativ finden Sie selber das Projekt «Hybride Stadtbank»?
Patrik Riklin Langweilig? Ich finde, das Projekt ist eine 7 oder 8! Wir haben den Stadtrat an Bord, der sich hingestellt und neue Bänke mit einer Kettensäge zersägt hat. Das ist etwas ganz anderes, als wenn ein Künstler Bänke zersägt und alle sagen können: typisch Kunst.
Frank Riklin Das war ein hochprovokativer Akt. Wir selber waren nur noch die Signatur. Ich würde dem Projekt sogar eine 9 geben.
Sie fühlen sich aber auch falsch verstanden, wenn man Ihr Projekt auf das Zersägen der Sitzbänke reduziert. Sie sprechen von «bürgerlichem Halbdenkertum»: Die Leute verstünden nicht, dass es beim Projekt um einen langfristigen Prozess gehe, der in einer «Öffnung der Stadtgesellschaft» münden soll. Wenn ich das Projekt heute ansehe, habe ich jedoch nicht den Eindruck einer Öffnung. Es beteiligen sich bisher nur Leute daran, die schon von Haus aus progressiv denken. Alle anderen lässt das Projekt im Grunde kalt.
Patrik Riklin Das ist wieder zu kurz gedacht. Diskurse verändern sich mit der Zeit, wir haben das schon dutzendfach erlebt. Mit der richtigen Vision kann in einer Provinzstadt wie Schaffhausen aus einem kleinen Spiritus etwas Grosses entstehen. Schaffhausen, die Stadt der Bänkli. Das Atelier für Sonderaufgaben ist ein Gesamtkunstwerk, wir wollen eine neue Wirklichkeit erschaffen. Wir erzählen moderne Märchen mit dem Risiko, dass wir scheitern.
Das klingt vollmundig, aber Hand aufs Herz – funktioniert Ihr Projekt in Schaffhausen?
Patrik Riklin So etwas können wir nie garantieren, weil wir nie wissen, wo unsere Projekte hinführen. Wir performen unser Konzept, aber die Bewegungen müssen gemeinsam mit der Bevölkerung entstehen. Wir sind keine Missionare, wir sind Optionare, die Möglichkeiten schaffen. Es würde uns langweilen, wenn wir Konzepte lancieren würden, die zum Erfolg verdammt sind.
Mir scheint es aber, Sie seien etwas dünnhäutig, wenn man das Projekt kritisiert.
Frank Riklin Wir haben uns schon auch hinreissen lassen, wenn wir kritisiert wurden, da haben Sie Recht.
Patrik Riklin Ich sehe das anders. Das Projekt darf man immer kritisieren; mich triggert aber, wenn man sich absichtlich mit Halbwissen zufrieden gibt und behauptet, der Stadtrat habe für 100 000 Franken Sitzbänke zerstört. Wenn das behauptet wird, schreite ich ein. Das zeigt aber vor allem, dass wir uns mit der Kritik befassen und sie ernst nehmen. Es wäre arrogant, die Leute einfach diskutieren zu lassen und sie zu belächeln.
Stand heute befinden sich nur drei Bankhälften im privaten Raum, man findet kaum die Öffnungszeiten und sieht an den Bankhälften auf dem Walther-Bringolf-Platz nicht wie angekündigt, wo die Partnerbankhälften stehen. Was antworten Sie den Leuten, die sagen, das Projekt wirke halbherzig und unfertig?
Frank Riklin Man muss dazu wissen, dass wir dieses Projekt nicht alleine durchziehen. In den ersten zwei Phasen, der Vorbereitung und der Performance, waren wir als Künstler im Lead. Aber 75 Prozent unseres Honorars von 90 000 Franken sind mittlerweile aufgebraucht. In den nächsten zwölf Monaten können wir nur noch rund alle drei Wochen vor Ort sein, bei uns laufen gerade etwa zehn Projekte parallel. Jetzt, in der dritten Phase ist vor allem die Schaffhauser Stadtentwicklung gefordert.
Was gibt es denn jetzt zu tun? Leute akquirieren, die ein Bänklein in ihrer Stube wollen?
Frank Riklin Nein, die Leute melden sich selber. Es gibt eine grosse Zahl an Interessenten und wir haben nur fünf Bänklein.
Es stehen zehn Bänklein auf dem Walther-Bringolf-Platz.
Frank Riklin Ja, aber die zehn Bänke, die 40 000 kosteten, wurden aus einem städtischen Mobiliarbudget finanziert, nicht aus unserem Budget. Die Stadt hat entschieden, vorläufig nur fünf davon zu zersägen.
Das klingt jetzt plötzlich nicht mehr so visionär, sondern eher kleinkrämerisch.
Frank Riklin Unsere Projekte starten oft klein. Ein Projekt ist nicht gut, weil es gross ist, sondern weil es anschlussfähig ist. Aber ja, im Moment fehlt es ein wenig an Ressourcen, auch an personellen Ressourcen bei der Stadtentwicklung. Ausserdem hat das Projekt noch Kinderkrankheiten und es gab Vandalismus auf dem Walther-Bringolf-Platz. Aber bald ist das hoffentlich erledigt. Die Stadt hat sich entschieden, das Projekt zu starten. Der Stadtrat hat A gesagt und die Bänke zersägt. Nun muss er auch B sagen und das Projekt weiterverfolgen.
75 Prozent Ihres Budgets sind aufgebraucht. Was haben Sie eigentlich für einen Stundenlohn?
Frank Riklin 120 Franken pro Person. Aber wenn ich die Zeiterfassung für das Projekt anschaue, liegt der Stundenlohn realistischerweise bei 80 Franken.
Kein schlechter Stundenlohn im Vergleich mit anderen Kunstschaffenden.
Frank Riklin Früher haben wir viel gratis gearbeitet. In der Zwischenzeit sind wir knallhart geworden. Unter 100 000 Franken nehmen wir keinen Auftrag mehr an, schliesslich wissen wir ganz genau, was das für ein Aufwand ist. Schon die erste Begehung des Walther-Bringolf-Platzes haben wir verrechnet. In der Kultur wird viel zu viel gratis gearbeitet.
Sie können jetzt Geld verlangen, weil Sie einen Ruf haben.
Frank Riklin Klar, einen Stadtrat überzeugt man aber nicht einfach mit einem guten Ruf, der ist ja nicht auf den Kopf gefallen. Wenn Sie unsere Zeiterfassung anschauen, sehen Sie, wie viel Vorbereitung ein solches Projekt braucht, wie viele Sitzungen und Telefontermine wir haben. Wenn sich die Leute mit uns auseinandersetzen, merken sie, dass das Geld gut investiert ist. Wenn man für 100 000 Franken eine Strasse aufreisst, bekommt man dafür viel weniger Gegenwert.
Konnten Sie auch Kritiker von Ihrer Idee überzeugen?
Frank Riklin Nehmen wir den SVP-Grossstadtrat Thomas Stamm, unseren grössten Kritiker damals im Herbst 2023 im Parlament. Im Sommer 2024, kurz vor der Auftakt-Performance auf dem Walther-Bringolf-Platz, lud er uns zum Grillieren in seinen Garten ein. Schliesslich sassen wir zusammen im Pool. Das würde sonst kein Künstler machen, zum Feind in den Garten sitzen.
Das würden sonst auch wenige Politiker tun: Den Feind in den Garten einladen.
Patrik Riklin Ja. Aber solche Szenen gibt es immer wieder bei unseren Projekten.
Frank Riklin Zum Abschied sagte Thomas Stamm: Ihr seid geili Sieche! Wir sagten zu ihm: Es wäre schön, wenn du das dem Parlament auch sagen würdest.
Patrik Riklin Stamm antwortete trocken: Das kommt noch.
Frank Riklin Er ist ein Prä-Komplize des Kunstwerks.
Patrik Riklin Ähnlich lief das eigentlich auch mit Pentti Aellig. Er stichelte gegen unser Projekt, wir hatten einen hitzigen Austausch, dann behauptete er auf der Plattform X, wir würden mit den gelben Bänkli Ukraine-Propaganda machen. Später brach er in seiner Kolumne in den Schaffhauser Nachrichten aber eine Lanze für unsere Arbeit und schrieb, unsere Arbeit sei intelligent und witzig. Aellig hat sich mit uns befasst, der Streit, den wir mit ihm hatten, hatte einen Impact. Dass der SVP-Meinungsmacher uns plötzlich doch nicht schlecht fand, hat wohl einige SVPler irritiert.
Frank Riklin Auf einmal ist die SVP Komplizin einer künstlerischen Idee.
Patrik Riklin Das ist echte Kulturarbeit.