Die neue Website des Kantons endet vor Gericht. Mit dem Resultat, dass Schaffhausen einer Firma Geld nachzahlen muss. Weil ein Brief vergessen ging.
Sascha Fijan trägt ein dunkelgrünes Hemd, einen Dreitagebart und im Gesicht die Entgeisterung über die Anwesenheit der AZ im Gerichtssaal. Der Geschäftsführer der Firma BBF ist alleine hier aufgekreuzt, einen Anwalt hat er keinen. Für den Kanton setzt sich auf der anderen Seite der Departementssekretär des Innern, Christoph Aeschbacher. Mit Anwalt. «Es ist alles sehr, sehr komplex», sagt Fijan auf die Frage des Richters Andreas Textor, ob klar sei, worum es gehe.
Dass die Parteien hier in einem Zimmer sitzen, das so klein ist, dass man das Tippen der Gerichtsschreiberin auch am anderen Ende des Raums noch hört, ist der vorläufige Endpunkt eines verworrenen 10-jährigen Epos an der Schnittstelle zwischen Regionalpolitik, Tech-Welt und Projektmanagement.
Rückblick
Die Geschichte begann 2014 mit grossen Ambitionen. Der Kanton Schaffhausen wollte sich zu einem Pionier der IT aufschwingen und sich für die neue Website nicht mit einer banalen Standardlösung zufrieden geben. Sondern mit einer komplett neuen Maschine an den Start gehen, dem «Google der Behörden». Vorerst war auch die Stadt ins Projekt involviert. Die IT-Abteilung von (damals) Stadt und Kanton, KSD (heute ITSH), gab den Auftrag an die BBF, eine Schaffhauser Firma, diese wiederum arbeitete mit einer weiteren Firma zusammen, die das eigentliche Programmier-Handwerk übernahm.
Schon mit dieser Vergabe hatte die KSD gegen das Beschaffungsrecht verstossen (siehe AZ vom 17. September 2020). Dann stieg die Stadt, wohl als Folge davon, aus dem Projekt aus. Dieser Ausstieg war unklar geregelt, und bei der KSD wurden die Aufwände schlecht festgehalten, sodass am Ende nicht mehr wirklich aufgedröselt werden konnte, wer was berappen musste. Letzten Herbst zahlte der Kanton der Stadt 160 000 Franken nach, um immerhin diesen losen Strang zu vertäuen (siehe AZ vom 14. Dezember 2023).
Das Kernproblem
Die Probleme waren aber nicht nur organisatorische. Es brodelte auch im technischen Kern des Projekts: Die Website funktionierte schlecht. Die Verantwortlichen wussten früh darum, die Mängel wurden von der damaligen KSD-Leitung und eventuell durch die damals zuständige Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel lange verschleiert (siehe AZ vom 29. Februar 2024). Nachdem die Website 2019 live ging, konnte nicht länger verheimlicht werden, dass zum Beispiel die Suchfunktion der Website fast unbrauchbar war. Die Empörung war gross, innert anderthalb Jahren forderte das Kantonsparlament, die Maschine zu ersetzen. Mittlerweile war das Projekt Gegenstand mehrerer Untersuchungen, die gravierende Mängel feststellten.
Nachdem die Kritik an der Website immer lauter wurde, trennte sich der Kanton von der BBF. Allerdings gehen die Meinungen darüber, wann das genau geschah, auseinander. Fijan sagt, der Kanton schulde seiner Firma noch Geld. Der Kanton will nicht zahlen, weil er die Zusammenarbeit zur fraglichen Zeit als schon beendet betrachtet. Mehrere Vergleichsverhandlungen und der Gang vor den Friedensrichter sind gescheitert. Jetzt ist man eben am Kantonsgericht vor dem Richter Textor gelandet.
Support
Der Vertrag, um den gestritten wird, sollte die Support-Leistungen der BBF für die Kantonswebsite ab der Inbetriebnahme 2019 regeln. Die Idee war folgende: Hätte man die Support-Nummer der KSD gewählt, wären diese Anrufe direkt an die BBF weitergeleitet worden. Die BBF wurde dafür eigens mit Mobiltelefonen der KSD ausgestattet und sollte pro Monat pauschal 5000 Franken für den Service erhalten.
Der Kanton stellt sich vor Gericht auf den Standpunkt, dass der Vertrag gekündigt worden war – mehrfach, verteilt über ein gutes Jahr. Die erste Kündigung sieht der Kanton in einem Treffen von Kantonsvertretern mit der BBF im Februar 2020. Damals wurde der Firma mitgeteilt, dass man die Zusammenarbeit beende und keine weiteren Rechnungen bezahlen würde. Im August trafen der Kanton und die BBF dann eine Vereinbarung, in der Streitpunkte beigelegt werden sollten. Im September 2020 wurden die Support-Handys retourniert und die Nummer wieder zur KSD geleitet. Im April 2021 schickte der Kanton der BBF schliesslich ein Einschreiben und teilte ihr mit, dass die Geschäftsbeziehungen beendet seien.
Sascha Fijan ist allerdings der Ansicht, dass der Support-Vertrag nie gekündigt worden ist. Er hat noch bis im Juni 2021 Rechnungen für seine Dienste geschickt. Der Kanton schulde ihm aber Pauschalen bis im April 2023. Das wären 210 000 Franken, zudem will Fijan vom Kanton mit 36 000 Franken für weitere Aufwände, die durch den Rechtsstreit entstanden sind, entschädigt werden.
Doch es scheint nicht nur um Geld zu gehen. Zumindest für Fijan nicht. Er wirkt zutiefst gekränkt. Dass die Website so miserabel rezipiert wurde. Und dass der Kanton die Zusammenarbeit – gemäss Fijan nach vielen Jahren ohne Reklamationen – beendet hat. «Wenn Sie jetzt etwas lesen, denken Sie, es sei alles schief gelaufen», sagt er dem Richter, immer noch auf dessen Frage, ob ihm klar sei, worum es hier gehe. Richter Textor hört ihm geduldig zu und sagt dann: «Jetzt haben Sie das in einen grösseren Zusammenhang gestellt, aber eigentlich geht es nur um den Vertrag».
«Enorme Ressourcen»
Der Richter hat Mühe, aus Fijan Antworten auf seine eigentlichen Fragen herauszubekommen. Fijan wirkt gestresst und wiederholt immer wieder, dass «es jetzt darum geht, das zu klären», er gibt Fragen zurück an den Richter und möchte wissen, was dieser denn dazu denke.
Der Richter fragt schliesslich, ob er noch weitere Beweise anbieten will, Fijan will nicht. «Aufgrund der Ressourcen ist es effizient, jetzt einmal zu hören, was das Gericht dazu sagt. Ich könnte schon noch einen Berg Akten bringen, aber dann sind Sie nochmals beschäftigt. Wir wollen einfach hören, was Sie zu sagen haben, oder eine Einigung finden, um das unkompliziert abzuschliessen. Die verbrauchten Ressourcen sind enorm und am Schluss haben wir die Medien noch hier.» Als Textor eine Pause verhängt, fragt Fijan, ob die Parteien miteinander sprechen dürfen.
Zurück an den Vergleichstisch
Schliesslich bekommt Fijan dann das, was er verlangt hat: Die «unpräjudizielle Einschätzung» des Richters. Kein Urteil, aber eine Art richterliche Auslegeordnung, die den Parteien die Möglichkeit geben soll, sich nochmals an den Vergleichstisch zu setzen.
Richter Textor schätzt die Lage über weite Strecken zu Gunsten Fijans ein. Der umstrittene Vertrag regelt sehr genau, wie eine Kündigung zu erfolgen hat. Nämlich schriftlich und konkret. Man hätte also explizit schreiben müssen, dass man diesen Vertrag kündigt. Diese Vorgaben erfüllen, gemäss Textor, alle der vom Kanton ins Feld geführten Handlungen nicht. Gemäss dem Richter müssen die Rechnungen noch so lange gezahlt werden, wie sie Fijan stellte. Nämlich bis Juni 2021. Das macht 90 000 Franken. Die weiteren Forderungen Fijans hingegen betrachtet der Richter als unbelegt. Fijan hatte auf die Frage nach Belegen dafür geantwortet, dass er dazu «die ganzen Dokumente der Rechtsberatung» ausdrucken müsste.
Nach der richterlichen Einschätzung werden die Medien aus dem Saal spediert und die Vergleichsverhandlungen neu eröffnet.
90 000 Franken für ein Versäumnis
Dass noch etwas geschuldet gewesen sei, habe er nicht bezweifelt, sagt Aeschbacher, auch wenn der Kanton das vor Gericht noch in Frage gestellt hatte: «Bis Oktober 2020 mussten wir noch zahlen, das war eigentlich immer klar.» Die exakte rechtliche Begründung, wieso die Rechnungen noch genau bis Juni 2021 gezahlt werden müssten, hätten weder er noch Fijan verstanden, sagt Aeschbacher. «Ich interpretiere das als pragmatischen Anstoss, uns zu einem Vergleich zu bewegen.» Das hat geklappt: Der Kanton hat sich gemäss Aeschbacher mit Fijan auf die vom Gericht vorgeschlagenen 90000 Franken geeinigt. Darüber sei er nicht unglücklich, sagt er. Das letzte Vergleichsangebot an Fijan habe noch etwas höher gelegen.
Das Chaos um die neue Website ist so gross, dass es schwierig ist, den Überblick zu behalten. Und es ist fast unmöglich zu wissen, ob dieser Vergleich nun wirklich der Schlussstrich ist. Mindestens ist es ein vertäutes Ende mehr. Und irgendwie ein passendes für diese Geschichte des Stolperns und Schlitterns: Mindestens einen Teil des Betrags muss der Kanton, der ein Pionier der Digitalisierung sein wollte, überweisen, weil er versäumt hatte, einen Vertrag korrekt zu künden.
Etwas an diesem Ende ist aber auch untypisch für die Geschichte. Das Straucheln um die neue Website war immer wieder auch geprägt von schlechter Kommunikation. Hierin hat man offenbar auch dazugelernt. Departementssekretär Aeschbacher gesteht das Versäumnis ein und nimmt es auf seine Kappe. «Eine explizite Verwendung des Worts ‹Kündigung› ist tatsächlich nie erfolgt. Für diesen Fehler übernehme ich auch persönlich Verantwortung. Die KSD hatte damals keinen Geschäftsführer, es war mitten in der Coronakrise, ich hatte Tag und Nacht gearbeitet und das ist mir dann schlicht durch die Lappen gegangen. Das kostet den Steuerzahler jetzt. Das bedaure ich sehr.»