Von der produktivsten Autorin der Region haben Sie wohl noch nie gehört: Jessica Möckli schreibt schwule Erotikromane – aber nicht nur.
AZ Jessica Möckli, Sie haben gerade ihr zehntes Buch fertiggestellt: «Anila und die Höhle der Ewigkeit». Was können Sie uns erzählen, ohne zu viel zu verraten?
Jessica Möckli Ich weiss nie, wie ich meine Bücher charakterisieren soll. Mein Lektor sagt, es ist ein Urban-Fantasy-Roman mit mystischen Elementen – und er spielt im Kanton Schaffhausen.
Ihre Hauptfigur ist die Kantonsarchäologin Anila Moor. Haben Sie mit der echten Kantonsarchäologin Katharina Schäppi gesprochen, ist sie vielleicht sogar die Inspiration für Anila?
Ich hatte vor einigen Jahren ein längeres Gespräch mit ihr, ursprünglich für eine ganz andere Buchidee. Aber Katharina hat mich auf die Idee gebracht, eine weibliche Archäologin zur Hauptfigur zu machen.
In Ihrem Buch geht es etwas mystischer zu als bei der realen Kantonsarchäologie.
Ja. Ich kann verraten, dass bei Juliomagus (altrömische Fundstätte in Schleitheim, Anm. d. Red.) und beim Kesslerloch etwas Rätselhaftes gefunden wird. Und, noch mysteriöser, im Galgenbucktunnel taucht ein Riss in der Wand auf, der den Weg zu einer Höhle mit geheimnisvoller Wandmalerei öffnet.
Sie schreiben sehr schnell, das merkt man beim Lesen. Wie entstehen Ihre Bücher?
Oft fängt alles mit einer Idee für eine Szene an. Zum Beispiel bei «Der unerwünschte Zusammenhang zwischen Sex und Liebe»: Ich hatte die Szene im Kopf, in welcher Darius, die Hauptfigur, einen fremden Mann flachlegt – und erst später herausfindet, dass dieser sein Chef ist. Das war ursprünglich auch der Titel: «Scheisse, ich habe meinen Chef flachgelegt.» Und tatsächlich ist die Rohfassung innerhalb eines Monats entstanden.
Mit «Anila und die Höhle der Ewigkeit» betreten Sie Neuland. In den Büchern davor geht es um Liebe und Sex zwischen Männern. Und sie tragen sehr explizite Titel: Nach «Der unerwünschte Zusammenhang zwischen Sex und Liebe» heisst der zweite Band der «Tonum»-Reihe «Wie man seinen Sub wiederfindet, wenn plötzlich alle Masken tragen» – weil die Geschichte während des Corona-Lockdowns spielt. Und es gibt sehr explizite Sexszenen. Schreiben Sie Pornografie?
Nein. Ich schreibe gerne Sexszenen, aber ich will nicht nur auf das Körperliche eingehen, sondern auch auf die Gefühle. Ich empfinde das nicht als Pornografie.
In einem berühmten Urteil schrieb ein Richter des US-amerikanischen Supreme Court 1964, er könne Pornografie nicht beschreiben, aber «I know it when I see it» – man erkennt Pornografie, wenn man sie sieht. So gesehen habe ich in deinen Büchern schon pornografisches Material erkannt.
Das empfindet jede und jeder etwas anders. Ich habe den zweiten Band der «Tonum»-Reihe mal bei einem Schreibwettbewerb eingereicht. Eine Teilnahmebedingung war: keine Pornografie. Für mich sind die Bücher erotisch, aber nicht pornografisch. Das sieht auch mein Lektor so. Was aber die Leserin empfindet, kann ich nicht sagen, die Bücher sind nicht umsonst ab 18. Ich sage nur: Wenn Sie es nicht explizit mögen, würde ich im ersten «Tonum»-Band Kapitel neun überspringen.
Wenn Sie es nicht explizit mögen, würde ich im ersten «Tonum»-Band Kapitel neun überspringen.
Jessica Möckli
Sie schreiben über Liebe, Anziehung und Sex zwischen cis Männern. Warum dieses Thema?
Ich lese gerne Bücher über schwule Männer, wenn sie gut geschrieben sind. Aber wenn der Text mit «Ich bin 1,85 Meter gross, mein Bizeps soundso gross und mein Ding hat diesen Durchmesser» beginnt, dann leg ich das Buch gleich wieder weg.
Zahlreiche männliche Autoren haben Beziehungen zwischen Frauen für ein männliches Publikum sexualisiert. Sehen Sie kein Problem darin, wenn Sie umgekehrt als Frau erotische Szenen zwischen Männern schreiben?
Tatsächlich schreiben viele Frauen über Sex zwischen Männern, vielleicht sogar mehr Frauen als Männer. Mir ist das Geschlecht des Autors oder der Autorin egal. Wenn die Geschichte gut ist, dann ist sie gut.
Für die ersten Bücher habe ich einen schwulen Bekannten gefragt: Wie läuft das?
Jessica Möckli
Wie recherchieren Sie?
Für die ersten Bücher habe ich einen schwulen Bekannten gefragt: Wie läuft das? Ich habe schon dies oder jenes gelesen, macht das Sinn? Darüber hinaus habe ich einfach viel gegoogelt. Dabei habe ich teilweise Sachen gefunden, die ich lieber nicht gesehen hätte (lacht).
Wie kamen Sie zum Schreiben?
Ungefähr 2007 habe ich Fanfiction für mich entdeckt. Fanfiction ist, wenn man die Welt oder die Charaktere anderer Autoren nimmt und eigene Geschichten damit schreibt. Meine erste Kurzgeschichte spielte im Stargate-Universum, später habe ich zu Star Trek gewechselt, dann zu Torchwood, das ist ein Dr.-Who-Ableger. Schliesslich bin ich bei Yu-Gi-Oh! gelandet.
Daraus entstand Ihr erstes Buch, der erste Band der «Wüstensklave»-Serie?
Ich dachte: Schreiben macht Spass, ich schreibe eine etwas längere Kurzgeschichte, vielleicht sechs oder sieben Kapitel, ursprünglich mit Figuren aus Yu-Gi-Oh!. Die Kurzgeschichte ist dann etwas länger geworden (Lacht, zeigt auf den siebenstöckigen Bücherstapel vor sich).

Einige Leserinnen und Leser sind vermutlich beim Titel «Wüstensklave» zusammengezuckt, darüber müssen wir sprechen. Die Beziehung und die Lust der Protagonisten, vielleicht auch die Lust der Leserinnen und Leser, entsteht zum Teil aus dem Verhältnis zwischen einem versklavten Menschen und dem Mann, der ihn kauft. Das ist problematisch.
Kai ist komplett gegen Sklaverei und kauft Yari aus Mitleid. Er ist verpflichtet, ihn zwei Jahre lang zu behalten. Diese Zeit will er nutzen, um ihn auszubilden, dann will er ihn freilassen.
Trotzdem besitzt Kai Yari – und verliebt sich in ihn. Sie erotisieren so Sklaverei.
Der erste Schritt geht von Yari aus, er wird nicht gedrängt. Kai unternimmt von sich aus nichts, obwohl er sich verliebt. Und es gibt keine Sexszene in den Büchern, sie sind weniger erotisch und weniger explizit als «Tonum». Den «Wüstensklaven» hätte ich sogar bei einem Verlag unterbringen können.
Sie geben die Bücher aber im Eigenverlag heraus. Warum hat es nicht geklappt mit dem Verlag?
Der Verlag hat zur Bedingung gemacht, dass spätestens in Kapitel sechs klar ist, dass es zwischen den Protagonisten zur Sache geht. Der erste Kuss passiert bei mir aber am Ende des zweiten Bandes.
Warum?
Yari wurde als Lustknabe fünf Jahre lang misshandelt und vergewaltigt. Er ging durch die Hölle und hat einen Gedächtnisverlust. Ich weiss nicht, ob er innerhalb von zwei, drei Wochen soweit wäre, dass er sich auf einen Mann einlassen würde. Also sagte ich: Das mache ich nicht, dafür gebe ich mein Buch nicht her.
Die Probleme Ihrer Hauptfiguren haben auch mit Scham und Homophobie zu tun. In beiden «Tonum»-Büchern gibt es eine zentrale Figur, die aus einer Familie kommt, wo sie ihre Homosexualität verstecken muss.
Ja. Ich habe das Gefühl, viele erleben heute noch, dass gerade ältere Menschen ein Problem mit Homosexualität haben, sobald es um ein Familienmitglied geht. Es wäre also unrealistisch, wenn in meiner Fantasiewelt einfach alles schön und rosarot wäre. Darum habe ich mich auch entscheiden, die homophoben Menschen in meinen Texten Wörter wie «Tunte» benutzen zu lassen. Das ist einfach die Realität, Homophobie gibt es nun einmal.
Trotz expliziten Themen sind Ihre Bücher leichte Kost. Sie haben einen Stil, den man als Plauderton bezeichnen könnte, Rätsel lösen sich schnell auf, Wendungen sind vorhersehbar und die Figuren nicht hochkomplex. Für wen schreiben Sie?
Ich schreibe, wie es mir gefällt und denke nicht direkt an mögliche Leser. Komplizierte Literatur überlasse ich gern anderen.
Komplizierte Literatur überlasse ich gern anderen.
Jessica Möckli
Beim Lesen hatte ich das Gefühl, das Zielpublikum sind Männer. Sie sagten aber, Sie lesen selber gerne über schwule Männer. Wer ist das Publikum?
Früher dachte ich, ich spreche Männer im Alter meiner Protagonisten an, also zwischen 20 und 30. Aber ich würde sagen: quer durch, Männer und Frauen.
Vor allem im zweiten Teil von «Tonum» ist BDSM ein Thema. Für ähnliche Literatur, beispielsweise «Fifty Shades of Grey», hagelte es aus der Szene Kritik, weil sadomasochistische Spiele ohne echten Konsens stattfinden. Wie sieht das in Tonum aus, leben Ihre Figuren guten Konsens vor?
Ich denke schon, ja. Der Sub, also der unterwürfige Part, bestimmt die Regeln, er setzt den Rahmen, in dem er sich wohl fühlt. Und wenn er stopp sagt, ist stopp. Es gibt gegen Ende des zweiten «Tonum»-Bandes eine Session, in der Alessio als dominanter Part sich sehr bewusst ist, in welchem Rahmen er sich bewegen darf, bis wo er gehen darf, damit es seinem Sub gefällt. Die beiden kennen sich ja bereits aus dem BDSM-Club und haben die Regeln besprochen. Das ist die Vertrauensbasis, die es braucht.
Ihr neustes Buch «Anila und die Höhle der Ewigkeit» spielt zum ersten Mal in Schaffhausen. Ich vermute aber, auch in der fiktiven britischen Kanalinsel «Tonum» steckt viel Schaffhausen drin.
Soso, ist Ihnen etwas aufgefallen? (lacht)
Es gibt Ortschaften, die Ninechurch und Newhouse heissen, die Protagonisten wohnen am Mosergarden und es gibt eine Festung mit Hirschen im Burggraben, die gleich heisst wie die Insel: Tonum.
Es macht mir Spass, solche kleinen Dinge zu verstecken. Das finde ich viel lustiger, als einen mühsamen Ortsnamen zu erfinden.
Viele schreiben Erotikliteratur unter einem Pseudonym. Sie nicht.
Ja. Ich stehe dazu. Es ist doch kein Tabu, über Sex zu schreiben und auch gerne darüber zu lesen. Das ist Fantasie und muss nicht damit übereinstimmen, was jemand im echten Leben gerne macht.
Mit «Anila und die Höhle der Ewigkeit» lassen Sie das Thema Liebe zwischen Männern hinter sich. War es Zeit für etwas Neues?
Naja, ich plane auch weitere Tonum-Bänder. Und Anila ist lesbisch. Mehr als ein Kuss passiert aber nicht. Der Fokus ist eine ominöse Prophezeiung und dass sie sich entscheiden muss – zwischen Frieden und Freiheit. Anila ist auch ein queerer Charakter, einmal will sie zu einem Treffen von Queerdom (dem lokalen LGBTIQ-Verein in Schaffhausen, Anm. d. Red.), aber es kommt etwas dazwischen – was, verrate ich aber nicht.
Jugendfreie Auswahl von Leseproben aus Jessica Möcklis Büchern



Die Zimmertür ist kaum ins Schloss gefallen, da drückt Darius Steve auch schon in dem kurzen Flur an die Wand und presst die Lippen auf seine. Im ersten Moment ist Steve so perplex, dass er nicht reagiert, aber dann spürt er, wie ihm um Einlass bittend hauchzart über die Lippen geleckt wird. Unterdrückt aufstöhnend öffnet er den Mund und kommt Darius mit seiner Zunge entgegen.
Aus «Tonum», Band 1, Anfang des im Interview erwähnten neunten Kapitels
Es ist ein träger, schon beinahe keuscher Kuss, den sie nun tauschen. Sich gegenseitig festhaltend, bewegen sie nur ihre Lippen aneinander, geniessen die eintretende Ruhe nach der explosiven Leidenschaft.
Aus «Tonum», Band 2
Mit ausdruckslosen Augen blickte sie über die mit Blut getränkte Wiese. Wann hörte dieses ewige Kämpfen nur endlich auf? Warum konnten sie nicht … Anila konnte den Gedanken nicht zu Ende denken. Ein heftiger Windstoss liess sie herumfahren und so in letzter Sekunde einem Schwert ausweichen, das sie sonst getötet hätte. Ohne nachzudenken, sammelte sie ihre Kräfte. Ein kleiner Tornado schoss aus ihren ausgestreckten Händen und schleuderte den Angreifer gegen einen Felsen. Blutüberströmt sackte er in sich zusammen. Sie musste nicht mal hinsehen, um zu wissen, dass er tot war.
Aus «Anila und die Höhle der Ewigkeit»