Mr. Mitte

15. Juli 2024, Simon Muster
Foto: Robin Kohler

Dani Spitz will für die GLP im ­Regierungsrat Brücken bauen. Steckt dahinter mehr als ein Harmoniebedürfnis?

Der 23. Oktober 2011 ist kein guter Tag für die etablierten Bundeshausparteien. Am eidgenössischen Wahlsonntag verlieren sie alle, zum Teil empfindlich. Anders die Parteien der neuen Mitte: Die BDP und die Grünliberalen, beide noch nicht einmal fünf Jahre alt, legen kräftig zu. Die Schweizer Politik, die sich sonst im Tempo tektonischer Platten bewegt, wird gerade von einer neuen Mitte aufgemischt.

Das wollen die Vertreter des alten Machtkartells aber noch nicht wahrhaben. Noch am Wahlsonntag sagt ein zerknirschter FDP-Präsident Fulvio Pelli in der Elefantenrunde: «Was soll die GLP sein? Sind sie grün? Nein. Sind sie liberal? Auch nein.»

Während Fulvio Pelli in einem SRF-Studio steht, sitzt Dani Spitz zu Hause vor dem Fernseher. Und er denkt sich: Fulvio Pelli begreift es noch immer nicht. Lösungen erreicht man in der Politik nur mit den richtigen Konjunktionen; derzeit heisst das Zauberwort «und», nicht «oder». Drei Jahre später gründet Spitz zusammen mit rund zwei Dutzend weiteren Personen, teils aus der Ökoliberalen Bewegung, teils parteilos, die GLP Schaffhausen.

Das ist jetzt zehn Jahre her. Und zum Jubiläum hat sich die Partei entschieden, eine Regierungsratskandidatur zu lancieren. Um sich selbst zu feiern. Um – wenn möglich – im Kanton mitregieren zu können, wie man es in der Stadt mit Stadträtin Katrin Bernath bereits tut. Und um den Wählerinnen und Wählern eine Alternative zu dem zu bieten, was im GLP-Jargon gerne als «Links-Rechts»-Block bezeichnet wird. Aktuell ist im Regierungsrat keine Partei der Mitte vertreten, und das Schaffhauser Machtkartell sei deswegen zu träge bei wichtigen Themen wie Klimapolitik oder der Bildung, so die Problemanalyse der GLP. 

Um den frei werdenden Sitz von SP-Regierungsrat Walter Vogelsanger kämpfen die strebsame, linke Bettina Looser und der stramm liberale Marcel Montanari. Ihnen stellt die GLP mit Dani Spitz einen Mann gegenüber, der die Parteidoktrin wie kaum ein anderer verinnerlicht hat: Weder links noch rechts, in der Mitte der Mitte. Aber reicht es aus, keinem Lager angehören zu wollen, um Regierungsrat zu werden?

Der Optimist

Freitagmorgen auf der Munotzinne, die Sonne scheint noch verhalten, als sei sie selbst noch nicht überzeugt, dass die Unwetter der vergangenen Woche vorbei sind. Dani Spitz hatte an Regen nicht einmal gedacht. Als er die exponierte Munotzinne als Gesprächsort vorgeschlagen habe, sei er überzeugt gewesen, dass das Wetter gut werde, sagt er und lacht, wie er auch von seinen Plakaten lacht: bis zu seinen Eckzähnen. «Ich bin durch und durch Optimist.»

Spitz wurde 1975 in Schaffhausen geboren und wuchs in einer klassischen Mittelstandsfamilie auf der Breite auf. Sein Vater war Musiklehrer, seine Mutter kümmerte sich um den Haushalt. «Ich hatte das Privileg, dass immer jemand zu Hause war, der sich um mich gekümmert hat.» Einen grossen Teil seiner Freizeit verbrachte er auf dem Fussballplatz. Schon früh trainierte er in der Jugendabteilung des FC Schaffhausen, sein Vater, der einst selbst beim FC St. Gallen an die Pforten zum Profifussball geklopft hatte, förderte und prägte ihn. Es gibt viele Geschichten von Söhnen, die an den sportlichen Ambitionen ihrer Väter zerbrochen sind, doch bei ihm sei das nicht der Fall gewesen, sagt Dani Spitz. Schnell sei klar geworden, dass sein wahres Talent neben dem Fussballplatz liege.

Nach der Kantonsschule liess er sich zum Primarlehrer ausbilden. Bei einer Stellvertretung sah er, wie der Sportlehrer später als alle anderen ins Lehrerzimmer kam, seinen Kaffee trank und dann ins Freibad ging, während er, Spitz, eine Französischstunde vorbereiten musste. «Als 22-Jähriger fand ich das cool. Also bin ich an die ETH und liess mich zum Sportlehrer ausbilden. Heute sehe ich das ein wenig differenzierter.»

Wenn Spitz über seinen Werdegang spricht, ist das erfrischend unverstellt. Keine Lebensweisheiten, die er von Mentoren gelernt hat, keine opportunities, die er ergreifen musste. Die Jobs, die er in seinem Leben hatte, sind in erster Linie genau das: Jobs. Wie sein Intermezzo bei der UBS kurz vor der grossen Finanzkrise 2008. Die UBS stellte in ihrem Grössenwahn der Nullerjahre ein, wen sie nur konnte. Auch Dani Spitz bewarb sich und erhielt einen Job als IT Buisness Analyst. «Es hiess, als ETH-Absolvent könne ich gut analytisch denken und sie würden mir alles on-the-job beibringen.» Doch noch während der Einarbeitungsphase platzte in den USA die Immobilienblase und in Zürich etablierte sich ein surreales Ritual: Jede Woche fegte eine neue Entlassungswelle durch die Büros. Links und rechts seien Leute entlassen worden, die qualifizierter waren als er, erinnert sich Spitz. Sein Beitrag bei der UBS sei bescheiden gewesen: «Ich habe Excel-Tabellen erstellt, die wahrscheinlich kaum jemand angeschaut hat.»

Deutlich mehr Spuren hinterliess Spitz beim kleinen FC Büsingen. Nachdem er mit 16 Jahren kurzzeitig die Fussballschuhe an den Nagel gehängt hatte, stieg er beim FC Büsingen zunächst als Spieler und später als Vorstandsmitglied ein. Er päppelte die im Sterben liegende Juniorenabteilung hartnäckig und mit viel Ausdauer mit einem Zehnjahresplan auf. Heute zählt die Juniorenabteilung des FC Büsingen rund hundert Fussballerinnen und Fussballer, und es ist bezeichnend für das unverkrampfte Verhältnis von Dani Spitz zu sich selbst, dass nicht er uns von diesem Erfolg erzählt, sondern Vereinspräsident Hans Wipf. Dieser sagt: «Ich kann mir keinen besseren Obmann für die Juniorenabteilung wünschen».

Die Kritik

Nach seinem Intermezzo bei der UBS arbeitete Spitz ab 2010 acht Jahre als Lehrer am Schaffhauser KV, daneben absolvierte er eine begleitende Weiterbildung zum Betriebsökonomen. 2018 übernahm er dann die Leitung der kantonalen Dienststelle Sport, Familie und Jugend. Eine wichtige Schnittstelle in der Verwaltung, insbesondere, weil dort das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie angesiedelt ist. Ein Dauerbrenner der Schaffhauser Politik.

Schnell verbreitete sich aber ein Gerücht, das unter politisch Interessierten in den nächsten Jahren zum offenen Geheimnis wurde: Spitz eröffne zwar gern Pumptracks und fördere gern Sportvereine. Für Familienpolitik interessiere er sich hingegen wenig. Deshalb, so der Vorwurf von links, sei die kantonale Familienpolitik, insbesondere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, in den vergangenen fünf Jahren kaum vorangekommen. Es sei lächerlich, dass ausgerechnet Spitz erst kürzlich auf einem Podium der Schaffhauser Nachrichten sagte, er werde sich im Regierungsrat für eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsetzen. Die Kritik ist mitunter hart. Grüne-Präsident und Kantonsrat Roland Müller etwa sagt: «Dani Spitz hat als Fachstellenleiter gezeigt, dass er ein guter Verwalter ist. Aber ein Regierungsrat sollte Visionen haben.»

Spitz räuspert sich, als er mit der Kritik konfrontiert wird, und sagt, man müsse sich vor Augen führen, wie die Situation entstanden sei. Die Bereiche Familie und Jugend seien erst während des Bewerbungsprozesses zu seinem Aufgabenbereich hinzugekommen und mit der Zeit immer grösser geworden, schliesslich habe er 15 Personen zu führen gehabt. «Familienpolitik liegt mir am Herzen, aber ich komme aus dem Sport und der ist immer mehr an den Rand gedrängt worden.» Ausserdem habe er in seiner Dienststelle nur die Vorlagen ausgearbeitet. Dagegen, dass diesen im politischen Prozess die Zähne gezogen wurden, habe er wenig tun können.

Im Spätsommer 2023 informierte der Regierungsrat über eine Umstrukturierung in der Dienststelle Sport, Familie und Jugend. Während die Familien- und Jugendpolitik eine neue Dienststellenleiterin erhielt, wurde der Bereich Sport mit Dani Spitz an der Spitze auf Anfang 2024 zur Fachstelle zurückgestuft. Spitz sagt, er habe zwischen den beiden Themen wählen können und sich für den Sport entschieden. Seither, so hört man, soll mehr Bewegung in die kantonale Familienpolitik gekommen sein.

Spitz hat sich also für die kleinere der beiden Positionen entschieden. Dafür verzichtet er auf Prestige und Macht. Genau diese Dinge will er nun für die GLP erreichen.

Kann er das?

Als die Grünliberalen bekannt gaben, dass sie sich mit Dani Spitz um den frei werdenden Sitz von Walter Vogelsanger bewirbt, kratzten sich viele im politischen Schaffhausen an der Stirn. Nicht nur, weil die GLP, selbst am starken Wahlergebnis von vor vier Jahren gemessen, arithmetisch weit von einem Regierungssitz entfernt ist. Sondern auch wegen der Personalie Spitz. Zwar drängte sich keine andere grünliberale Persönlichkeit als Kronkandidatin auf, aber es gäbe durchaus Alternativen. Etwa die ehemalige, politisch beschlagene Kantonsrätin Maria Härvelid, die als Leiterin des Pflegedienstes der Spitäler Schaffhausen und Mitglied der Spitalleitung auf das freiwerdende Innendepartement wie zugeschnitten scheint. Oder die jungen Kantonsratsmitglieder Mayowa Alaye und Tim Bucher, bei denen es oft so scheint, als würden sie vor Ideen nur so sprudeln, und denen eine Aufbaukandidatur in der Zukunft politische Türen öffnen könnte.

Spitz hingegen ist zu lange in der Politik für eine Aufbaukandidatur und bisher politisch zu blass geblieben, um ein Zugpferd zu sein. GLP-Präsident Christoph Hak bestätigt, dass Spitz nicht erste Wahl gewesen sei. Man habe sich zuerst eine Frau gewünscht und verschiedene Personen angefragt, die von ihrem Profil her in Frage kämen. «Am Schluss war Dani der einzige, der Lust auf eine Kandidatur hatte und sich das Amt zutraute.» Letzteres tut auch die Basis: Sie nominierte ihn einstimmig. 

In seiner Fraktion gilt Spitz als ein guter Zuhörer und als zuverlässig. Selber beschreibt er sich als einer, der auch mal mit 99 Prozent zufrieden ist und lieber einen Über- als einen Tunnelblick hat. Er schweige lieber, wenn es nichts zu sagen gebe. 

Im Gespräch auf dem Munot ist er ehrlich interessiert, stellt Gegenfragen und ist aufmerksam. Er hat für den Journalisten und den Fotografen je eine Flasche Mineralwasser mitgebracht – «mit Monti habt ihr ja Pizza gegessen und mit Bettina Kaffee getrunken».

Kritik, auch harte, weist er nicht von der Hand, sondern lässt sie aufrichtig an sich heran. Eine Tugend, die einem Regierungsrat gut ansteht. Doch je länger man sich mit Spitz unterhält, umso hartnäckiger formiert sich im Hinterkopf auch ein Gedanke, der wie eine Floskel klingt, aber vielleicht doch seine Berechtigung hat: Ist dieser Mann zu nett für die Regierung? Man kann sich schlecht vorstellen, wie er sich im Regierungsratssaal über die anderen hinwegsetzt. Das will Dani Spitz auch gar nicht. Doch ist der Regierungsratssaal dann der richtige Ort für ihn?

Im Grossen Stadtrat bildet Spitz den rechten Rand der GLP. Er hat in der Vergangenheit auch dann Steuersenkungen verlässlich mitgetragen, wenn seine Fraktionskollegen lieber ein bisschen mehr investiert hätten. Selbst hat er in seinen drei Jahren als Grossstadtrat aber nur einen einzigen Vorstoss eingereicht und steht auch sonst selten am Rednerpult. Spitz sagt: «Viele Vorstösse im Grossen Stadtrat sind ideologisch verblendet und machen der Verwaltung nur unnötige Arbeit».

Nur bei der Budgetdebatte im Herbst 2023 überraschte Spitz. Als die Schlussabstimmung zum Steuerfuss der natürlichen Personen wiederholt werden musste, stimmte er mit den Linken für den höheren und somit gegen den tieferen Steuerfuss, den er eben noch unterstützt hatte. Ein SVP-Grossstadtrat bezeichnet ihn deshalb als politischen Wendehals. Spitz hat für das Manöver eine ganz andere Erklärung: «Einige auf der bürgerlichen Seite haben nach der ersten Abstimmung laut gejubelt und sich als schlechte Gewinner hervorgetan. Mir kamen Szenen der Abwahl von Bundesrat Blocher in den Sinn. Deshalb habe ich bei der zweiten Abstimmung anders gestimmt.» 

Überhaupt legt Spitz grossen Wert auf den sportlichen Umgang. Im Persönlichen natürlich, aber auch in der Politik. Wer mit politischen Extrempositionen vorprescht, verstösst aus seiner Sicht gegen die Spielregeln und wird, so Spitz’ Lieblingswort, «ideologisch».

Der Kompromiss als Ideologie

Man kann mit zwei Linsen auf das politische Projekt der GLP blicken. Die erste ist kritisch: Grün und liberal sind Widersprüche. Wer sich Wirtschaft und Eigentum verpflichtet fühlt, kann die grossen Schritte, die die Klimakrise erfordert, nicht gehen. Und umgekehrt.

Die andere ist wohlwollender und erklärt vielleicht besser, was die Grünliberalen in den vergangenen Jahren so erfolgreich gemacht hat. Ihnen gelingt ein Politmix, dem nicht der Mief des Doktrinären anhaftet. Sie sind nicht gefangen in historisch gewachsenen Hierarchien und vorgefertigten Lösungen, haben keine fixen Bündnispartner – keine andere Partei passt besser zum Start-Up-Zeitgeist. Dazu gehört auch eine Ablehnung aller politischen Ideologien, die das Ende der Geschichte überlebt haben. Dieser Ansatz lässt sich nicht auf knackige Forderungen zusammendampfen.

Doch ist es nicht genauso ideologisch, die Lösung immer in der Mitte zweier Pole zu vermuten? Zu glauben, dass Fortschritt nie mit einem grossen Wurf erreicht werden kann, sondern immer nur mit kleinen Schritten? Auf die Frage hin nimmt Dani Spitz einen Schluck aus seiner Wasserflasche, wägt ab und sagt dann: «Stimmt, so gesehen ist der Kompromiss meine Ideologie.»

Und weil Dani Spitz der gelebte Kompromiss ist, ist er ein unkonventioneller politischer Kandidat. Er möchte Schaffhausen gestalten, ohne konkrete Vorstellungen zu präsentieren, wie das zu bewerkstelligen sei. Er will Brücken zwischen den Polen bauen, lässt aber die Pole bestimmen, wo diese Brücken beginnen und wo sie hinführen sollen. Er möchte eine Alternative zur aktuellen Regierung sein, ohne diese zu kritisieren. 

Andere sehen den Kompromiss als Ziel eines Prozesses, für Spitz ist er die raison d’être. Sein Angebot hat etwas Gewinnendes – wer will nicht mehr «und» als «oder» in der Politik? Und ja, der Schaffhauser Politik würden mehr Anstand und weniger Hahnenkämpfe gut stehen. Doch Spitz wirkt mit der Dauer des Gesprächs auch ungreifbar, unverbindlich, manchmal schlicht unsicher. Glaubt Dani Spitz überhaupt selbst, dass er der richtige Mann für das Amt ist? 

«Ja, und als Sportler will ich auch gewinnen.»