Mit Bettina Looser schickt die SP eine Frau ins Rennen für den Regierungsrat, die politisch kaum Erfahrung hat. Dass sie trotzdem fähig wäre, daran zweifelt kaum jemand. Die Herausforderung liegt aber an einer anderen Stelle.
Wir haben kaum unsere nassen Jacken abgestreift, noch keine Frage gestellt, als uns Bettina Looser einen Vorschlag unterbreitet. Wenns schon regnet, schlägt sie vor, könnte man ja ein Foto von ihr machen, wie sie im Regen tanzt. Angelehnt ans Cover des Musicals «Singing in the rain». Looser strahlt uns an.
Die SP hat den zweiten Sitz im Regierungsrat erst vor einer Legislatur erobert und nicht mit Personen besetzen können, die den Anspruch längerfristig zementiert haben: Patrick Strasser ist blass geblieben und Walter Vogelsanger hat immer wieder eine unglückliche Figur gemacht. Vogelsanger tritt nicht wieder an. Der zweite SP-Sitz im Regierungsrat wackelt also und die Frau, die uns so freudig ihre Bildidee unterbreitet, soll es richten. Sie soll die Angriffe von FDP (mit Marcel Montanari) und GLP (mit Daniel Spitz) abwehren.
Bettina Looser hat allerdings gleich zwei Probleme: Die Schaffhauser Öffentlichkeit kennt sie als Person kaum. Und als Politikerin gar nicht. Als der Name Bettina Looser umherzugeistern begann, mussten selbst langjährige Schaffhauser Politbeobachterinnen erst mal Google bemühen.
Die Sichtbare
Looser und die SP, das sieht man von aussen, sind sehr bemüht, die mangelnde Bekanntheit im Wahlkampf wettzumachen. Seit ihrer Nomination im März stellt sich Looser auf jede Bühne, die ihr irgendwo im Kanton gegeben wird. Diese öffentlichen Auftritte haben etwas Belehrendes an sich, etwas Gestelztes, etwas Akademisches. Sätze beginnen mit «Es ist doch ganz klar, dass…» oder «Ich will gerne ein Wort dazu sagen, dass…». Man merkt den Auftritten an, dass Looser bisher nicht als Politikerin vor Publikum gestanden hat. Persönliches oder konkrete politische Positionen hört man wenig – wie bei anderen Wahlkämpfern auch. Nur kann man bei anderen auf der Suche nach Konkretem in die Parlaments-Archive schauen. Bei Looser nicht.
Dass ihre mangelnde Parlaments-Erfahrung ständig im Fokus stünde, nerve sie langsam, sagt Looser. «Ich bringe auch vieles mit.» Nach zwei Stunden im Café Vordergasse und Gesprächen mit Leuten, die sie kennen, wird das Fazit sein: Das stimmt. Und wahrscheinlich ist der Mangel an erprobtem politischem Profil nicht das grösste Hindernis für Bettina Looser.
Die Lehrerin
Loosers etwas pädagogische Art, auf Bühnen zu stehen, kommt nicht von ungefähr. Sie wird 1969 schon als Kind zweier Lehrpersonen geboren. Die Mutter ist die in der Stadt legendäre Tanzlehrerin Franziska Looser, ihr Vater Eduard war Rektor der PH Schaffhausen und ein strammer Liberaler. Wie viele linkere Kinder von Altliberalen sagt Looser, dass die FDP damals auch noch eine andere Partei war. Das Ehepaar Looser zieht in einem hübsch umgebauten alten Haus in Stetten fünf Kinder gross. Bettina ist die älteste. Der jüngere Bruder Gaudenz wird später Chefredaktor der 20 Minuten.
Bettina Looser durchläuft die Kanti, dann die Ausbildung zur Primarlehrerin und danach schreibt sie sich an der Universität Zürich für Germanistik und Ethnologie ein. Daneben unterrichtet sie weiterhin. An der Schule findet sie zu den Themen, die ihre berufliche Laufbahn prägen werden: Bildung und Migration. «Ich merkte, wie ungerecht das System für viele Kinder ist.» Dies und das Gefühl, nicht gleich ernst genommen zu werden wie männliche Altersgenossen, hat sie politisiert und vom elterlichen Freisinn weg zur Linken getrieben. Der SP wird sie allerdings erst 2019 beitreten. Zur Jahrtausendwende schliesst sie das Studium mit einer kulturwissenschaftlich-feministischen Analyse zu Goethe ab.
Nach dem Studium arbeitet Looser bei diversen Zeitungen. 2003 wird sie Mutter, danach noch zwei Mal. 2005 wechselt Looser an die PH Schaffhausen und übernimmt dort den Fachbereich Heterogenität und Migration.
Seit 2019 sitzt Looser im Schaffhauser Erziehungsrat. 2021 hat sie die Möglichkeit, ein grösseres politisches Amt zu übernehmen. Sie könnte in den Kantonsrat nachrücken. Dass sie das nicht tut, hat damit zu tun, dass sie nach 16 Jahren an der PH Schaffhausen gerade nach Bern gewechselt hat. Dort ist sie jetzt Geschäftsführerin der Eidgenössischen Migrationskommission.
Die Gemittete
In manchen Dingen ist die Geschäftsführung einer Kommission einer Exekutive ähnlich. Der Rahmen wird anderswo definiert, ob eine Person den Job gut macht, hat viel damit zu tun, wie sie ihre Spielräume zu nutzen weiss.
In manchen Dingen wirkt Looser denn auch schon wie die klassische Exekutivpolitikerin. Sie sagt zum Beispiel, sie möge «Extremismen» nicht. Links – und Rechtsextremismus seien zwar nicht das Gleiche. Aber es gebe Parallelen. «Extrem» sei für sie, wer gewaltbereit ist und zwar fast ausnahmslos: «Gewaltbereitschaft ist immer zu verurteilen, ausser bei Notwehr.»
Die Bettina Looser, die uns im Café Vordergasse gegenübersitzt, ist eine andere als jene, die auf den Bühnen steht. Sie ist nicht gestelzt. Sondern im Gegenteil interessiert, zugänglich, entspannt.
Die Politikerin, die sie sein will, umreisst Looser so: Sozialpolitisch stramm links. Dass es in der Schweiz Armut gebe: «Einfach nicht in Ordnung». Anderswo habe sie «durchaus Streitpotenzial innerhalb der Partei». Sie ist für ein «starkes Militär und innere Sicherheit» – sprich Polizei – sagt sie und schiebt etwas nach, was Politikerinnen dann sagen, wenn sie eine politische Haltung nicht politisch einordnen wollen: Das sei für sie keine Frage von links und rechts. Sondern eine inhaltliche.
Es scheint, als hätte Looser Spass an unseren Fragen, sie stellt auch mal eine Gegenfrage und lässt sich auch auf Diskussionen ein, die mit Schaffhausen wenig zu tun haben.
Die Schaffhauser SP war 2023 in einer Steuerfrage gespalten: der Umsetzung der OECD-Mindeststeuer im Kanton. Ein Teil der Kantonsparlamentsfraktion stimmte für, ein Teil gegen das Schaffhauser Trickli. Looser wiegt den Kopf hin und her, sagt dann: «Ich hätte dagegen gestimmt.» Wegen der «globalen Verantwortung». Dass sie als linke Regierungsrätin in einem Steuerparadies einen Pakt mit dieser Politik einginge: «Ja, wie es Linke im Kapitalismus eben machen. Aus diesem Dilemma kommt man nicht raus.»
Die Durchsetzungsfähige
Loosers Karrieresprung von der Fachbereichsleitung an der PH zur Geschäftsführung der Migrationskommission des Bundes war gigantisch. Dass man sie eingestellt hat, ist, wenn man nur ihren Lebenslauf liest, erstaunlich. «Aber nicht, wenn man an den Bewerbungsgesprächen dabei war», sagt ihr ehemaliger Chef, Walter Leimgruber, damals Präsident der Kommission und Professor an der Uni Basel. Der Entscheid für Looser sei einstimmig gefallen. «Sie hatte sich in kurzer Zeit extrem tief in die Materie eingearbeitet und kam ans zweite Gespräch mit einem überzeugenden Konzept, wie sie ihre Ideen umsetzen würde.»
Leimgruber ist ein Fan von Looser. «Bei vielen Menschen in solchen Top-Jobs sieht man, dass sie entweder keine klare Linie fahren oder im anderen Extrem, dass Gegenargumente nicht gehört werden. Bettina hat den Mittelweg gefunden. Sie ist strategisch ein Talent. Sie ist intelligent, schnell, strukturiert und trotzdem sehr flexibel. Und: Sie hat
extrem viel Energie. Bei vielen, die in Umfängen wie diesen arbeiten, hat man irgendwann das Gefühl: Das geht nicht mehr lange gut. Bei ihr hatte ich das nie.»Leimgruber sagt Dinge, die eigentlich alle über Looser sagen: Sie ist sehr schlau. Und sie hat sehr hohe Ansprüche. An sich selbst, aber auch an alle um sich herum. Sie ist bereit, dominant aufzutreten, damit diese Ansprüche gehört werden. Öffentlich sagen will es niemand, aber manche Leute können die Regierungsratskandidatin wegen dieser Art auch nicht ausstehen.
Die Unermüdliche
Eine Kritik an Looser: Jemand nennt Looser «standesbewusst». Looser guckt interessiert. «Was heisst das?». «Etwas ‹meh besser›.» «Hm», macht Looser. «Also inhaltlich finde ich: nein. Ich halte mich nicht für etwas Besseres. Ich bin tief überzeugt, dass alle Menschen wertvoll sind. Aber andererseits: Ich habe ein unbewusstes Verhalten, das erlernt ist. Interessant für mich zu hören, dass das manche offenbar so interpretieren.»
Looser zu kritisieren ist schwierig. Sie bleibt souverän, selbst wenn wie mit dem angeblichen Standesbewusstsein mitten auf die Frau gezielt wird. Und die meiste Kritik legt Looser gleich selber auf den Tisch. Sie hält geschickt Balance zwischen Offenheit und Deutungshoheit. Sie sagt, nach ihren Schwächen gefragt, selber: «Ich habe hohe Ansprüche. An mich und an andere. Ich finde zum Beispiel, dass ein offizielles Dokument aus Prinzip keine Schreibfehler haben darf. Dann schaut man es besser noch ein fünftes Mal durch. Ich verstehe, dass das mühsam sein kann.» Ist Looser pingelig? «Fordernd», sagt sie. «Aber ich lasse anderen ihren Raum. Und man darf mich gerne auch kritisieren. Ich bin an der inhaltlichen Auseinandersetzung interessiert.»
Die zweite Schwäche, die sie nennt: «Die sogenannte Work-Life-Balance bedeutet mir nichts. Ich arbeite häufig am Abend und eigentlich fast jedes Wochenende.» Wenn sie frei hat, verbringt sie Zeit mit den Kindern, manchmal mit Freunden. Hobbies hat Looser keine. Jemand erzählt die Geschichte, wie Looser einmal ein Referat hätte halten sollen, dann aber krank wurde. Sie bestand darauf, das Referat trotzdem zu halten – per Videocall – und habe es schliesslich in einem Affenzahn runtergerattert. Looser sagt, das Referat trotzdem zu halten sei ein Angebot aus «Pflichtbewusstsein und Freundschaft» gewesen.»
Die Freundliche
Bei aller geschickter Balance tönt das nach einer Arbeitsmoral, mit der man Leute um sich herum auch in den Wahnsinn treiben kann. Das passiert gelegentlich auch. Gerüchte, dass sich Wahlkampf mit Looser nicht nur einfach gestaltet, sind weit über das Kampagnenteam hinausgedrungen.
Auch das bestätigt Looser gleich selber, ungefragt, formuliert es aber anders. Sie sagt, sie und der Kampagnenleiter Lorenz Keller hätten «etwas Zeit gebraucht, um sich zu finden». Mittlerweile verstünden sie sich sehr gut. Keller ist auch nicht als devoter Charakter bekannt, dass sich die beiden in die Haare geraten können, kann man sich mehr als vorstellen. Keller sagt, Looser stelle Ansprüche, fordere, wolle mitentscheiden. Zu Beginn haben man lernen müssen, zusammenzuarbeiten, und einige Dinge hätten «ein zwei Runden mehr gemacht» zwischen ihnen beiden, als er es für nötig empfunden hatte. Looser stecke aber auch selber sehr viel Energie in die Kampagne. Und sie informiere sich: «Ich glaube, es gibt in der Politik eine Genderkomponente, Männer geben sich eher mit Halbwissen und Allgemeinplätzen zufrieden. Looser liest sich in alles ein und will sich selbst eine Meinung bilden.»
Dass Looser für ihre Gründlichkeit auch geliebt wird, hat wahrscheinlich mit einer anderen Eigenschaft zu tun, die ihr viele nachsagen. Sie ist nicht nur eine dossierfeste Arbeitsmaschine und ein «strategisches Talent», wie es der ehemalige Chef Leimgruber sagt. Leimgruber sagt auch, Looser könne sehr gut kommunizieren. «Durchsetzungsstark gegen aussen, aber intern immer sehr gut darin, auch jene mitzunehmen, die anfangs von Veränderungen nicht begeistert waren.» Rita Hedinger, die mit Looser im Erziehungsrat sass, sagt ihr «Herzblut und Empathie» nach. «Manchmal hatten wir fast schon den Entscheid und dann will sie nochmals auf ein Detail zurückkommen. Das ist in der Zusammenarbeit zum Teil zeitraubend. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass es verlorene Zeit ist.» Sie sagt das, was Looser auch von sich selbst behauptet: «Sie hört Ansichten und Meinungen sehr interessiert zu und geht gut damit um, wenn man ihr nicht zustimmt. Meine Einschätzung als aktive Lehrerin hat sie immer gewürdigt und akzeptiert.» Hedinger wird später noch eine SMS schreiben, um zwei Dinge hinterherzuschicken: «Grosse Fröhlichkeit. Und grosse Wertschätzung für die Arbeit von Kolleginnen.» Was Hedinger im Kern sagt: Looser hat zwar enorme Ansprüche. Aber sie bleibt dabei freundlich.
Nicht die Köchin
Fordernd zu sein und viel zu arbeiten sind die zwei ersten «Schwächen», die Looser an sich nennt. Ob das schlechte Eigenschaften sind, ist aber sehr vom Framing abhängig. Darauf angesprochen, dass das nicht echte Schwächen sind, sagt Looser: «Stimmt. Also. Ich bin wirklich keine gute Hausfrau und Köchin.»
Was neben Intelligenz, Ansprüchen und Zugänglichkeit auch häufig erwähnt wird in Gesprächen zu Looser: Ihre Mutterschaft. Das kann man, ohne weit zu denken, sexistisch finden. Bei einem Mann wäre das kaum so regelmässig Thema. Looser, die sagt, unter anderem vom Feminismus politisiert worden zu sein, zuckt nur mit den Schultern. «Natürlich ist mir nicht egal, dass Väter und Mütter anders bewertet werden. Aber in meinem Alltag behindert es mich nicht, auf die Kinder angesprochen zu werden. Ich spreche eigentlich sogar gerne über sie.» Als die Uhr gegen Mittag tickt, ruft sie den jüngsten Sohn an. Looser sagt ihm, sie habe Verspätung. Und er solle doch bitte auf dem Heimweg Momos holen.
Die Regierungsrätin?
Auf die Einschätzung, dass aus ihren Reden wenig konkrete politische Positionen hervortreten, reagiert Looser mit einer Liste von Massnahmen. Mehr Geld für Ergänzungsleistungen, Prämienverbilligungen, Asylwesen, Kinderbetreuung, die integrative Schule, höhere Löhne im Bildungs- und Gesundheitssystem, Solarpflicht, ein vollwertiges Spital – sie gedenke, im Spitalrat «eine starke Rolle» zu spielen –, Looser spricht noch weiter, als wir wieder im Regen stehen.
Die Ideen, die sie nennt, durch ein bürgerliches Parlament zu bringen, wäre schwierig. Aber Looser, sagt man, könnte im Regierungsrat endlich ein linkes Gegengewicht zu Cornelia Stamm Hurter sein. Ebenso dossierfest, ebenso dominant. Und Looser kann, gemäss ihrem ehemaligen Chef, gut taktieren. Und ist, gemäss ihrer ehemaligen Erziehungsratskollegin, gut darin, Balance zu halten zwischen Idealen und Umsetzbarkeit. Diese Eigenschaften, gepaart mit Loosers endloser Energie und beharrlichen Freundlichkeit sind fast schon dafür gemacht, um gegen bürgerliche Wände anzurennen.